Der Glaube, das erodierende Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat werde durch die digitale Transformation aufgefangen, blendet den Handlungsbedarf bei Steuerung, Organisation, Kultur der Verwaltung und Personal aus.
Um den Staat zu modernisieren und wieder leistungsfähig zu machen, ist mehr als bloße Digitalisierung notwendig.
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Die öffentliche Verwaltung plant und agiert kaum strategisch. Die Regierung unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte zwar 2004 angekündigt, eine strategische Binnenmodernisierung in den Fokus zu nehmen. Seitdem wurden aber nur Teilaspekte in Angriff genommen. Die Kernfrage ist bis heute nicht beantwortet: In Richtung welches Zielbildes soll sich die Verwaltung entwickeln?
Bürgererwartungen und Vertrauensverlust
Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat schwindet. Laut der Bürgerbefragung "Öffentlicher Dienst" des dbb halten ihn 70 Prozent für überfordert. Die von den Menschen gefühlte Leistungsfähigkeit der Verwaltung sinkt demnach seit 2019 kontinuierlich. Zum Vertrauensverlust tragen politische Versprechen bei, die auf ein stetig wachsendes Anspruchsdenken der Bevölkerung treffen, was aber auf der Umsetzungsebene der Kommune zu oft enttäuscht wird.
Bürgerinnen und Bürger wollen insbesondere eine Online-Erledigung ihrer Behördengänge, schnelle Antworten bei Standardfällen, echte Bürgerorientierung und mehr Effizienz. Dass Handlungsbedarf besteht, der über die bloße Digitalisierung hinausgeht, wird inzwischen von Politikvertretern und auch Mitarbeitenden der Verwaltung geteilt. Die neue Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag 2025 eine ambitionierte Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung erarbeiten. Das ist vordringlich die Aufgabe des ersten deutschen Digitalministers, Dr. Karsten Wildberger, zuvor Chef der Media-Saturn Holding.
Vier Handlungsfelder für strategische Transformation
Eine strategisch ausgerichtete Transformation, wie sie hierzulande notwendig ist, umfasst vier Handlungsfelder:
1. Wirksam steuern und führen
Seit den 90er Jahren diskutieren Politik und Verwaltung über ziel- und wirkungsorientierte Steuerung. Ein systematisches Konzept zur Etablierung dieser Steuerungsphilosophie ist allerdings bis heute nicht etabliert. Im Mittelpunkt aller strategischen Überlegungen steht die Frage „Tun wir die richtigen Dinge?“. Und ob das, was getan wird, richtig ist, macht sich fest an den Wirkungen, die durch den Einsatz von Geld und Personal erzielt werden.
Das bedeutet, dass staatliche Wirkungsziele auch auf die Ebene der Beschäftigten heruntergebrochen werden müssen. Nur dann wissen alle Mitarbeitenden, welche konkreten, möglichst messbaren Beiträge sie zur Zielerreichung leisten müssen.
Dieser Ansatz von Steuerung und Führung ist geeignet, die Produktivität zu steigern und die Basis zu schaffen für eine leistungsorientierte Kultur. Eine solche Kultur lockt selbstsichere, risikobereite, innovative Menschen an – genau jene, die die Verwaltung für ihre Transformation dringend braucht.
2. Organisationen verschlanken, Bürokratie abbauen
Die berüchtigte „Deutschlandgeschwindigkeit“ hemmt insbesondere die Digitalisierung. Auch rund acht Jahre nach dem ersten Onlinezugangsgesetz (OZG) sind die Umsetzungsergebnisse mager, laut Agora und ZEW (Berechnung des Digitalhaushalts, 2025) Kosten im zweistelligen Milliardenbereich aufgelaufen und immer noch fehlen wichtige strategische und projektorganisatorische Grundsatzentscheidungen.
Sieben struktur- und prozessbezogene Maßnahmen würden den Wandel beschleunigen:
- Föderale Gremien verschlanken und Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit
- Das Einer-für-Alle-Prinzip verpflichtend machen, nicht nur empfehlen
- Fachsilos mit ähnlichen Aufgaben zusammenlegen und Synergien nutzen
- Querschnittsaufgaben aus den Silos herauslösen, bündeln und mit Budgetverantwortung und Entscheidungsbefugnis ausstatten
- Innerhalb der Fachsilos Hierarchien abflachen, Entscheidungen an Fachexpertinnen und -experten delegieren
- Prozesse generell straffen und für querschnittliche Prozesse Prozessverantwortung einführen
- Bürokratie auf das notwendige Maß anpassen durch Beseitigung von Über-, Fehl- und Unterregulierung
Die so erzielten Effizienzgewinne müssen sich in einem verminderten Ressourceneinsatz niederschlagen. Dass der Bereich „politische Führung und zentrale Verwaltung“ in zehn Jahren ohne erkennbare Verbesserung des Outputs laut IW-Kurzbericht 2/2024 um 118.000 Stellen bei Bund, Ländern und Kommunen wuchs, belegt die heutige Ineffizienz.
3. Neue Kultur etablieren
Die heutige Verwaltungskultur betont Rechtssicherheit, Ordnung und Stabilität. Der erforderliche Wandel braucht jedoch auch Flexibilität, Agilität und Innovationsbereitschaft, Ergebnisorientierung und Effizienz.
Gebraucht wird eine echte Leistungskultur. Diese entsteht nur, wenn Leistung sich lohnt, aber auch Minderleistung Folgen hat. Ein ambitionierter Leistungsanspruch und eine sorgfältige Unterscheidung von Normalleistenden und Leistungstragenden sind ebenfalls Bausteine dieser Leistungskultur.
Die moderne Verwaltung braucht zudem Vertrauen statt ausufernder Kontrolle. Misstrauen erzeugt Bürokratie und umfangreiche Prozessregelwerke, die Initiative, Agilität und Eigenverantwortung ersticken. Vertrauen beginnt immer mit einem Vertrauensvorschuss, der aber von allen Beteiligten durch die Konsistenz von Sagen und Tun bestätigt werden muss: Der Ankündigung muss auch die Lieferung folgen. Nur auf dieser Basis kann eine Fehlerkultur gedeihen, in der Neues ausprobiert werden kann und aus Fehlern gelernt wird.
4. Personal strategisch entwickeln
Die Personalämter müssen sich weiterentwickeln zu einem strategischen Personalmanagement, das den gesamten Lebenszyklus der Mitarbeitenden abdeckt. Fünf Punkte sind entscheidend:
- Eine langfristige quantitative und qualitative Personalplanung, die Demografie, Digitalisierung und den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) berücksichtigt
- Ein Recruiting, das nachgewiesene Erfolge und Erfahrung der Jobkandidatinnen und -kandidaten stärker gewichtet als Formalqualifikationen und offen ist für Quereinsteigende
- Flexible Vergütungsstrukturen, die zukunftsorientierte Anforderungen abbilden
- Eine nicht nur proklamierte, sondern gelebte Arbeitgebermarke, die Kulturwandlerinnen und -wandler anlockt
- Die Befähigung der Führungskräfte als Veränderungstreiber
Diese Reformerfordernisse werden auf viele in Politik, Verwaltung und Verbänden der Beschäftigten wie ein Kulturschock wirken. Aber graduelle Änderungen nur durch Digitaltechnik reichen nicht. Für diesen Wandel brauchen wir politischen Willen und den Mut, auch Zumutungen auszusprechen.
Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung des Artikels "Eine Transformation durch (R)Evolution". Für die Novemberausgabe 2025 von innovative Verwaltung wird Autor Ulrich Schönenberg gemeinsam mit Co-Autor Matthias von Wnuk-Lipinski ausgewählte Punkte aus dem Koalitionsvertrag auf ihr Transformationspotenzial sowie Erfolge bis dato untersuchen.