Nirgends gibt es so viele Sprachblüten wie im öffentlichen Sektor. In ihrer neuen monatlichen Kolumne blickt Agenturchefin Petra van Laak auf die Auswüchse – mit einem Augenzwinkern, aber immer konstruktiv.
In Berlin wird schon wieder gewählt. Ich habe mich bereits damit abgefunden, erneut zur Wahlurne zu müssen. Nur an solche Sätze wie diesen des Landeswahlleiters für Berlin werde ich mich nie gewöhnen:
„Der Landeswahlleiter für Berlin ist für die ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung aller politischen Wahlen sowie für die Ermittlung und Feststellung des amtlichen Wahlergebnisses im Land Berlin verantwortlich.“
Tatsächlich? Vier Wörter mit -ung am Ende in einem einzigen Satz? Und das lässt sich sogar noch toppen. Ich erspare es Ihnen aber.
Nominalstil schafft Distanz
Wenn in einem Satz mehr als ein ung-Wort vorkommt, haben Sie es ganz bestimmt mit einem Text aus der Verwaltung zu tun. Oder mit einem juristischen Schreiben. Aber warum verwenden Textverantwortliche in der Verwaltung und Justiz eigentlich so viele Wörter, die auf -ung enden? Der einfache Grund: Man muss beim Schreiben nicht lange nachdenken. Dieser Schreibstil drängt sich von ganz alleine auf. Schließlich wurde er in den Schreibstuben und Büroräumen der Behörden lange genug kultiviert, um auch den dreistesten Bürger und die vorlauteste Bürgerin einzuschüchtern. Denn wer Verben zu Nomen macht, schafft einen hübschen Abstand zwischen sich und der Leserschaft. So entsteht genau das richtige Quäntchen Distanz. Es sorgt dafür, dass mündige Bürgerinnen und Bürger einem nicht zu sehr auf die Pelle rücken. Hier ein Beispiel vom Serviceportal Berlin:
„Die fachliche Eignung wird grundsätzlich durch Ablegung einer Sach- und Fachkundeprüfung vor der Industrie- und Handelskammer (IHK) nachgewiesen.“
Übersetzt heißt das: Bleib mir vom Leib, Winzling! Übertragen wir diesen Textschnipsel einmal in eine bürgerfreundliche Sprache:
„Sind Sie fachlich geeignet? Das stellt eine Sach- und Fachkundeprüfung vor der Industrie- und Handelskammer (IHK) fest.“
Diese Formulierung zeigt: Hier schreibt ein echter Mensch, und der ist auch noch freundlich zu Ihnen. Richtig, es ist noch ein ung-Wort dringeblieben, nämlich Prüfung. Nicht alle Wörter, die auf -ung enden, sind zwangsläufig als Verb besser aufgehoben. Manche haben sich ganz geschmeidig in den Wortschatz unserer Alltagssprache eingegroovt. Also seien wir bei „Prüfung“ großzügig. Nicht aber zum Beispiel bei „Berücksichtigung“!
Mehr Verben lohnen sich!
Es ist ziemlich leicht, sich um mehr Verben in den Sätzen zu bemühen. Wenn da nicht die verflixte Gewohnheit wäre! Aber es zahlt sich aus, daran zu arbeiten. Aber erst wenn sich die Rückfragen stapeln, die Termine verstreichen, die empörten Anrufe nicht abreißen, werden die Textverantwortlichen in den Schreibstuben merken, dass man diese Sprache nur sehr schlecht verstehen kann.
Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) gibt es übrigens Licht am Ende des Tunnels. Zugegeben, der Name besteht aus zehn Silben - und das beim Thema Barrierefreiheit! Ab Juni 2025 hat es aber Großartiges vor, nämlich eine verständliche Sprache für alle zu etablieren. Mehr dazu in der nächsten Kolumne. Die ist dann ganz ohne ung-Wörter. Versprochen. Und wer dennoch eines findet, bekommt von mir eine Tafel Schokolade geschickt. Deal?
In diesem Sinne: Augen auf bei der Wortwahl!
Sind Ihnen in letzter Zeit Sprachblüten aufgefallen? Schicken Sie sie gerne an die Autorin! Hier geht es zu Petra van Laaks Kontaktdaten.