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Erschienen in:

01.12.2018 | Hauptbeiträge

Videoüberwachung von Demonstrationen und die Definitionsmacht der Polizei. Zwischen Objektivitätsfiktion und selektiver Sanktionierung

verfasst von: Peter Ullrich

Erschienen in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie | Ausgabe 4/2018

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Zusammenfassung

Untersucht wird Videoüberwachung im Protest Policing auf Basis von Gruppendiskussionen und Expert/inneninterviews mit Polizist/innen sowie ethnografischen Beobachtungen. Die Polizei legitimiert Videoüberwachung mit dem Versprechen von Objektivität und strikter Rechtsdetermination. Im Aufsatz wird sie stattdessen als kontingenter Prozess der aktiven Konstruktion von Evidenz analysiert. Er besteht aus einer Abfolge von Entscheidungen in drei Grundphasen: von der Potenzialbestimmung über die polizeilich orientierte Durchführung zur staatsanwaltschaftlich orientierten und auf Verurteilung abzielenden Fixierung der Prozessergebnisse in der Nachbereitungsphase. Die Breite der Handlungsoptionen bis hin zur Manipulation wird als Ausdruck soziologischen Ermessens begriffen, in welchem die polizeiliche Definitionsmacht gründet. Insbesondere die beteiligte Sachtechnik ermöglicht, dass die bei jedem Teilschritt bestehende Kontingenz im weiteren Verlauf über Objektivationen und Abstraktionen unsichtbar gemacht wird. Das Recht erweist sich in dieser Definitionsmachtkette als nur ein Handlungsmotiv unter vielen, die Rechtsdeterminiertheit des Polizeihandelns als notwendige Fiktion.

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Fußnoten
1
Entstanden im DFG-Projekt „Videoüberwachung von Versammlungen und Demonstrationen“ (ViDemo, GZ: UL 389/3-1). Ich danke A. Jacobsen, P. Knopp und D. Hunold für Hinweise.
 
2
Reine Bildübertragung ohne Aufzeichnung wird hier nicht behandelt.
 
3
Zum Überblick vgl. Ullrich (2014); zur Videoforensik Tuma (2017, S. 129 ff.).
 
4
Ullrich (2014, S. 42 f.), Verwaltungsgericht (VG) Hannover, 10 A 226/13, VG Leipzig, 1K 222/13 & 1K 259/12.
 
5
Zur Prekarität der Anwendung formaler Regeln in Organisationen vgl. Luhmann (1976, S. 309 f.).
 
6
Die Dokumente sind durch eine Nummer plus Code zum Dokumenttyp gekennzeichnet (GD = Gruppendiskussion, INT = Expert/inneninterview, FP = Feldprotokoll). Betonungen sind kursiv gedruckt, Unverständliches in doppelten Klammern, Abbrüche sind durch „–“ gekennzeichnet. Zitate wurden sprachlich behutsam geglättet.
 
7
„Bedo“/„Besi“ – Polizeiakronyme für „Beweissicherung und Dokumentation“; „Bedos“ im Folgenden auch kurz für Bedo-Beamt/innen.
 
8
Als Stimulus wurde i. d. R. eine Videosequenz aus dem Versammlungsgeschehen mit sichtbaren Kameras gezeigt. Die Teilnehmenden wurden dann um eine Interpretation und Deutung aus Sicht ihrer eigenen Arbeit im Feld gebeten und sollten selbstläufig diskutieren.
 
9
So in mehreren Gruppendiskussionen, in denen einerseits argumentiert wird, dass Videokameras für niemanden eine Beeinträchtigung darstellten, während an anderer Stelle kamerainduzierte Aggressionen und Verhaltenssteuerungseffekte thematisiert werden.
 
10
Entsprechend werden auch Konflikte mit Unterstützungskräften aus anderen Bundesländern beschrieben, die „doch noch ein bisschen mehr Freiheiten“ haben (024_GD).
 
11
Als Antwort auf den Bericht eines Kollegen aus dem gleichen Bundesland über restriktive Filmpraxen bei seiner Einheit berichtet ein Befragter „Wir haben uns da […] nie Gedanken gemacht, ist das jetzt erlaubt oder nicht. Die waren einfach mit dabei. […] Und bis auf die einzelnen Gruppen der Bedo-Technik runtergebrochen, ich habe das nie erlebt, dass einer gesagt hat: So, die Kamera ist jetzt an. Die war einfach an, ja.“ (037_GD_Polizei).
 
12
Aufschlussreich für eine Analyse der Aufnahmen selbst und ihrer Rezeption wäre sicherlich eine medienwissenschaftlich und kunsthistorisch erweiterte Theorieperspektive, die polizeiliche Videofilme mit anderen perspektivischen Inszenierungen von großer Deutungsmacht vergleicht, bspw. mit den bekannten Opferbildern aus der Zeit des Nationalsozialismus, die mehrheitlich von Tätern geschaffen wurden, oder mit polizeilichen „Verbrecherbildern“; vgl. dazu Regener (1999, S. 18), die die Fotografiegeschichte (als Vorläufer der Filmgeschichte) auch als „Geschichte zunehmender Symbolisierungen von Differenzen“ begreift.
 
13
Diese Unterscheidung folgt im Grundsatz Jacobsen (2016), die in Ermittlungen die beiden Phasen des polizeilich orientierten und des staatsanwaltlich orientierten Erkenntnisprozesses identifiziert.
 
14
Die Rekonstruktion beider Fälle folgt umfangreichen Presseberichten, Urteilen, Gesprächen mit Prozessbeteiligten, Videomaterial sowie Dokumenten in Eisenberg et al. (2014).
 
15
Tuma (2017, S. 158 ff.) kommt zum abweichenden Befund hohen Kontingenzbewusstseins. Das liegt wahrscheinlich an Tumas Hauptquelle, einem spezialisierten forensischen Videoanalysten – im Gegensatz zu den hier dominierenden polizeilichen „Handarbeitern“ (Behr 2000a).
 
16
Vermummungs- und Uniformierungsverbot für Demonstrierende vs. polizeiliche Uniformierung mit Tendenz der Unkenntlichkeit im gegenwärtigen riot gear, fehlende Kennzeichnung und – auch in den Projektdaten vorherrschend – strikte Ablehnung einer individuellen Kennzeichnungspflicht.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Videoüberwachung von Demonstrationen und die Definitionsmacht der Polizei. Zwischen Objektivitätsfiktion und selektiver Sanktionierung
verfasst von
Peter Ullrich
Publikationsdatum
01.12.2018
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Österreichische Zeitschrift für Soziologie / Ausgabe 4/2018
Print ISSN: 1011-0070
Elektronische ISSN: 1862-2585
DOI
https://doi.org/10.1007/s11614-018-0317-7

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