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18.03.2021 | Virtual Reality | Schwerpunkt | Online-Artikel

Warum Avatare im Videocall die bessere Figur machen

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

5:30 Min. Lesedauer

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Schon einmal im Videocall eingeschlafen oder via Chat über die Kollegen gelästert? Keine Sorge, endlose Videokonferenzen machen jeden müde und verleiten zu unsinnigen Nebenaktivitäten. Virtual Reality könnte Mitarbeiter entlasten.

Die Verhaltensforschung hat ein neues Phänomen entdeckt und Corona sei Dank, kann sofort jeder - vom Schüler bis zum Chef - seine Existenz bestätigen. Das Phänomen nennt sich "Zoom-Fatigue" und beschreibt die bleierne Müdigkeit, die sich an Tagen nicht enden wollender Video-Konferenzen und Web-Schulungen im Homeoffice einschleicht. Mit einem Klick auf der Tastatur hasten Mitarbeiter von Termin zu Termin, wieder zurück an die Arbeit und zum Happy-Hour-Plausch mit den Teamkollegen - keinen einzigen physischen Schritt müssen sie dafür zurücklegen. Stattdessen läuft die Psyche auf Hochtouren.

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Warum Arbeit im Homeoffice stresst

In Videocalls ist das unangenehme Gefühl permanenter Beobachtung auszuhalten. Die Augen verlieren den Halt und wissen nicht woran sie sich orientieren sollen, damit Ansprechpartner sich auch wirklich gemeint fühlen. Non-verbale Signale von Kommunikationspartnern sind kaum noch wahrnehmbar. 

Kehrt auf der anderen Seite des Bildschirms kurz Stille ein, wird das nicht mehr als Gesprächspause interpretiert, sondern diffus als technisches Versagen wahrgenommen. Alle Sicherheiten des gewohnten Arbeitsalltags sind verschwunden. Ersetzt werden sie durch das Gefühl eingesperrt, ausgegrenzt und dauerbeobachtet zu sein. 

Unter diesen Umständen mit Teams und Vorgesetzten interagieren zu müssen ist unnatürlich, wie der britische Verhaltensforscher Gianpiero Petriglieri auf BBC.com erklärt. Arbeit im Homeoffice artet in Dauerstress aus, Mitarbeiter verlieren Energie und fühlen sich dauerhaft müde. Was hilft dabei, Online-Konferenzen und lange Schulungen ohne Zoom-Fatique auszuhalten?

We are confined in our own space, in the context of a very anxiety-provoking crisis, and our only space for interaction is a computer window. (...) It doesn't matter whether you call it a virtual happy hour, it's a meeting, because mostly we are used to using these tools for work. (Gianpiero Petriglieri)

Avatare als Schutzschild im Call 

Menschen neigen dazu, sich mit Übersprungshandlungen oder Beruhigungsgesten aus einer für sie unangenehmen Situation zu retten. Wie die Studie "Digitale Meeting-Kultur" von Nexr Technologies offenbart, schweifen Teilnehmer von Online-Konferenzen regelmäßig ab oder lassen sich ablenken: Jeder zweite erledigt nebenher andere berufliche Aufgaben, 29 Prozent lästern im privaten Chat über die Kollegen und zwölf Prozent der knapp über 1.000 befragten deutschen Arbeitnehmer zwischen 18 Jahren und 55plus gaben zu, schon einmal in während langer Online-Sitzungen eingeschlafen zu sein. Die Lösung könnte in Tools liegen, die der Online-Welt einen Erlebnischarakter verleihen. Das motiviert Teilnehmer und hält sie bei der Stange. 

Roshni Raveendhran, Professor an der Darden School of Business, schlägt den Einsatz  immersiver Technologien wie virtuelle Realität (VR) und Avatare als Stellvertreter und Schutzschild in Web-Meetings vor. Führungskräften mit hohen Werten in der Persönlichkeitsdimension Neutrozismus (nervös, unsicher, verlegen, ängstlich) rät er etwa bei der Überprüfung von Arbeitsergebnissen der Homeoffice-Mitarbeiter, die eigene Persönlichkeit durch den Rückzug hinter einen Avatar zu schützen. 

In der Forschungsstudie "Virtual (freedom from) reality: Evaluation apprehension and leaders’ preference for communicating through avatars" (erschienen in Computers in Human Behaviorerklärt der Wissenschaftler, wie immersive Technologien einerseits dafür sorgen, dass sich Mitarbeiter auch im Homeoffice als Teil einer Gemeinschaft erleben können. Andererseits schützen Avatare als computerisierte Stellvertreter in Video-Konferenzen verunsicherte Führungskräften und Teammitgliedern vor psychologisch unangenehmen Situationen. 

Wenn das Homeoffice alternativlos ist

"Die Komplexität der Zukunft gewinnt Nähe und Gestalt", schreibt Springer-Autor Wolfgang Roters  zwischen zwei Lockdowns in "Zukunft denken und Verantworten" (Seite 4) und bezieht sich damit auf den Begriff der "Zweitzeitlichkeit" (Botho Strauß), der die Fähigkeit beschreibt, im Analog-Physischen wie im Digitalen zu leben und zu arbeiten. Unter den Laborbedingungen der Corona-Pandemie werden bislang theoretisch diskutierte Zukunftskonzepte über Arbeit, Lehren und Lernen 4.0 allzu plötzlich erfahrbar und sind zu erproben. 

Wie Teamwork vom Homeoffice aus gelingt, kann nicht mehr strategisch geplant und getestet werden - es hat zu funktionieren. Von jetzt auf gleich. Die Digitalisierung bricht, so schreibt Roters, mit allen Gewohnheiten, die bislang unverrückbar schienen: Lernen im Hörsaal, Kulturgenuss im Theater, Arbeit im Büro (Seite 3). Die Pandemie lässt dem Menschen keine andere Wahl. Was bedeutet das für das Homeoffice-Arbeit, für die endlosen Video-Runden, die zu akzeptieren sind? Der Heimarbeitsplatz ist zum Imperativ geworden und Abwechslung durch Arbeit im Büro und Kollegen derzeit nicht verhandelbar. Muss sich also ganz einfach arrangiert werden mit der Situation und dem, was der Markt an Tools für die Heimarbeit bereit hält?

Springer-Autorin Melanie Hasenbein empfiehlt digitalem Stress mit Methoden  und Erkenntnissen aus der Resilienzforschung zu begegnen. Zu betrachten sind veränderbare und nicht-veränderbare Umwelteinflüsse. "Je nachdem muss die jeweilige Person entscheiden, ob sie die äußeren Einflüsse verändern kann oder ihre Haltung und Einstellung gegenüber diesen verändern muss, um besser mit der Situation umgehen zu können" (Seite 164). 

Resilienzschlüssel nach Heller (Hasebein, Seite 164 f.)

Akzeptanz: Fähigkeit, vergangene und aktuelle Erfahrungen anzunehmen

Optimismus: Fähigkeit, positiven Dingen mehr Raum geben zu können als den negativen Erfahrungen sowie die persönlichen Emotionen kontrollieren zu können

Selbstwirksamkeit: Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse zu kennen, auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen und das Handeln danach ausrichten zu können

Eigenverantwortung: Fähigkeit, seine persönlichen Grenzen zu kennen und Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen zu können

Netzwerkorientierung: Fähigkeit, gute und starke Beziehungen zu anderen aufbauen und halten zu können

Lösungsorientierung: Fähigkeit, die passenden Lösungen anhand des eigenen Wertesystems zu finden und den Fokus darauf zu richten

Zukunftsorientierung: Fähigkeit, eine klare Vorstellung von der eigenen Zukunft zu haben und an längerfristigen Zielen zu arbeiten

Ungewissheitstoleranz: Fähigkeit, mit unerwarteten Situationen umgehen und entsprechend reagieren zu können

Veränderungsbereitschaft: Fähigkeit, sich an Veränderungen anpassen zu können und sie bei Bedarf auch aktiv angehen zu können

Achtsamkeit: Fähigkeit, sich und die Umwelt bewusst wahrnehmen und gut auf sich achten zu können

Warum nicht einfach mit VR spielen?

Kann es demnach nicht ein Top-Tipp an alle Heimarbeiter sein, sich mutig, spielerisch und lösungsorientiert auf die virtuelle Realität einzulassen und sich darin auszuprobieren? Ausgereift sind VR-Technologien für die Ausstattung virtueller Teams, mit denen sich der Arbeitsalltag auffrischen und den Kollegen ein Stück näher rücken lässt, noch nicht, bemerkt Springer-Autor Dominic Lindner. 

"Aktuell fehlen noch neben Datenschutzkonzepten vor allem sinnvolle virtuelle Meetingräume und die passenden Business-Avatare" (Seite 32). Allerdings liegen VR-Meetings im Trend, ebenso wie die Verwendung von Avataren. Der Markt wächst schnell und verbessert seine Tools rasch. Ständiges Ausprobieren macht müde? Richtig. Zoom-Meetings mit starrem Blick auf die eigene angestrengte Faltenstirn aber auch.

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