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2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

1. Visuelle Repräsentationen und Ästhetiken der Einsamkeit

verfasst von : Denis Newiak

Erschienen in: Einsamkeit in Serie

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

Zusammenfassung

Viele Fernsehserien, vielleicht sogar jede Fernsehserie lässt sich als ein Zeugnis moderner Einsamkeiten lesen. Doch durch welche den Fernsehserien zur Verfügung stehenden Mittel und in welcher Form artikulieren sich diese Einsamkeiten? Wie lässt sich das Einsame in den Ästhetiken der Fernsehserien beschreiben? Dieses Kapitel widmet sich den bildlich-gestalterischen und motivisch-dinglichen Aspekten, durch die in Fernsehserien moderne Einsamkeiten in Erscheinung treten.

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Fußnoten
1
In ihrem Lehrbuch mit dem verdächtigen Titel „Fernsehserien. Geschichte, Theorie, Narration“ definieren die beiden Literaturwissenschaftler Schleich und Nesselhauf wie folgt: „Eine Serie besteht aus mindestens zwei Teilen einer Erzählung, die inhaltlich aufeinander aufbauen und durch gemeinsame Themen oder Figuren eine progressive Fortsetzung der Geschichte (und damit auch der Narration) herstellen.“ (Schleich und Nesselhauf 2016, S. 13 – Hervorhebung im Original) Die angebotene Serien-Definition gelte „[u]nabhängig vom Medium“ (ebd.) und sei damit auch (ohne weitere Konkretisierung) auf Filmreihen und sogar Fernsehserien übertragbar. Es wird als bewiesen hingestellt und im Verlauf des gesamten Buches zur Prämisse, dass sich Fernsehserien ganz überwiegend auf ihren narrativen Charakter, das „Erzählen von Geschichten“ reduzieren ließen, worauf dann auch der Schwerpunkt des gesamten Buches liegt, ohne dass fernsehästhetische Fragen überhaupt tangiert würden.
 
2
Die von der Kunstwissenschaft versäumte Geschichte der Einsamkeit in der bildenden Kunst der Vormoderne kann an dieser Stelle nicht nachgeholt werden. Dass der Untersuchungsgegenstand erst mit dem Aufkommen moderner Ausdrucksformen von Einsamkeit, wie sie in diesem Abschnitt betrachtet werden, Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs fand, kann auch als Zeugnis der sich in der Moderne erhärtenden Einsamkeiten und der damit notwendigerweise dichteren Ausdrucksformen dieser Einsamkeiten in der Kunst der Moderne gesehen werden.
 
3
Erst kürzlich ermittelte das Norwegische Nationalmuseum, dass die an den Rand des Gemäldes mit Bleistift notierte Bemerkung „kan kun være malet af en gal mand“ („kann nur von einem verrückten Mann gemalt worden sein“) von Munch selbst stammen muss (Nasjonalmuseet for Kunst, Arkitektur og Design Oslo 2021).
 
4
Heller sieht in Munchs einsamen Gemälden auch einen Ausdruck der recht keuschen Lebensweise des fast immer alleinlebenden Künstlers, der nach einer aufwühlenden und nicht zu verwirklichenden Liebe zu Tulla Larssen (die sich immer wieder als Figur in seine späten Werke einschleicht) die Malerei als Methode entdeckt, „sich in der Angst, Ungewißheit und Leiden der eigenen Einsamkeit durch eine Kunst ein neues eben, das sein eigenes Weiterleben“ sichern zu können (Heller 1998, S. 104/106).
 
5
Die Fotografien entstammen Shores persönlichem Reisetagebuch, das er während seiner road trips zwischen 1972 und 1973 führt. Erstmalig wurden einige ausgewählte Bilder erst ein Vierteljahrhundert später bei Schirmer/Mosel 1999 publiziert. Die Angaben hier beziehen sich auf die neueste überarbeitete und dabei deutlich erweitere Auflage (Shore und Cole [1973] 2020).
 
6
Im Jahr 1975, als Shore das beispielhaft ausgewählte Bild in Los Angeles aufnahm, kamen in den USA etwa 45.000 Menschen bei Verkehrsunfällen um – bei damals nur 216 Mio. Einwohnern (U.S. Department of Transportation 2016, S. 2). Im Vergleich zu anderen Industrienationen konnten die hypermobilisierten USA die Todesrate bis heute kaum drücken. Erfahrungen von Unfalltod finden sich daher in einer Vielzahl US-amerikanischer Familien und gehören längst zum Standardrepertoire vereinsamender Narrative und Motive in Film und Fernsehen.
 
7
Philip-Lorca diCorcia, ein bedeutender Vertreter dieser Stilrichtung, macht in einem Interview mit Robbat darauf aufmerksam, dass die Herausbildung solcher inszenierter Fotografien als distinkter Stil nicht nur aus rein ästhetischen Überlegungen heraus zu verstehen ist: „[„Straßenfotografie zu betreiben, wie Robert Frank, Garry Winogrand oder Diane Arbus es einst taten“] kann man nicht mehr. Das Department of Homeland Security hätte einen sofort im Blick. Man kann keine Brücken mehr fotografieren. Nicht nur das. Die Gebäude unterliegen nun selber dem Copyright. Wenn man einen Film oder so etwas macht und das Empire State Building im Hintergrund zeigt, dann muss man für das Empire State Building bezahlen, auch wenn man eine Meile davon entfernt ist. Einerseits ist es absurd, andererseits erschreckend.“ (Robbat und DiCorcia 2013, S. 47)
 
8
Vielen Vertretern der Staged Photography ist bewusst, dass ihre Arbeit mit den Verfahren des Kinos assoziiert wird. Nicht alle versuchen sich davon reflexartig abzugrenzen. So sagt DiCorcia in einem Interview mit Robbat: „Ich habe immer über andere Ausdrucksformen nachgedacht. Und es geht gar nicht so sehr um das Ausdrücken von Erzählungen. Viel eher geht es darum, wie man die Perspektive der Leute verändern kann, ihre Wahrnehmung der Dinge. Am meisten berührt mich der Film. Und ich glaube nicht, dass das irgendetwas mit der Tatsache zu tun hat, dass die Leute oft sagen, das, was ich mache, hätte etwas Kinematografisches. Auf eine grundsätzliche Art ist es das Gleiche. Es dringt nur auf eine andere Art heraus.“ (Robbat und DiCorcia 2013, S. 46).
 
9
Aufgrund des in Sitcoms typischerweise beschränkten Raumrepertoires wird im Abschn. 2.​2 vor allem von den Dramaserien Bates Motel und 13 Reasons Why die Rede sein, die ein ganzes Arsenal an einsamen Orten auffahren. Selbstredend spielen die Kulissen von The Big Bang Theory in ihrer besonderen Modernität eine Rolle für die von den Figuren durchlebten Einsamkeiten, jedoch nicht aufgrund der von ihnen ausgehenden Ästhetiken, die in diesem Abschnitt beleuchtet werden, sondern aufgrund ihrer modernen Qualität schlechthin, die sich auf die im Mittelpunkt stehenden Diskursfelder und Figurenkonstellationen, Narrative und Dramaturgien auswirkt (vgl. Kap. 2, 3 und 4).
 
10
Roland Barthes hatte 1957 über das Auto anlässlich der Vorstellung des Citroën DS auf diese besondere Schönheit und den mythischen Gehalt des Automobils hingewiesen: „Ich glaube, daß das Automobil heute die ziemlich genaue Entsprechung der großen gotischen Kathedralen ist. Soll heißen: eine große epochale Schöpfung, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern entworfen wurde und von deren Bild, wenn nicht von deren Gebrauch ein ganzes Volk zehrt, das sie sich als ein vollkommen magisches Objekt aneignet.“ (Barthes 2012, S. 196).
 
11
Aus einer Gegenwartsperspektive erstaunen die weitreichenden soziologischen, philosophischen und psychologischen Parallelen zwischen den Versuchungen und Kollateraleffekten der Automobilität einerseits und den Hoffnungen und vereinsamenden Wirkungen des Internets andererseits (vgl. Newiak 2022, Abschn. 6.​1 und 6.​2): Beide Systeme basieren auf einer Netzstruktur, in der man sich (weitestgehend) anonym bewegt und abgesehen von gelegentlichen Begegnungen keinen wirklichen „Kontakt“ mit den anderen Teilnehmenden des Verkehrs eingeht. Die augenscheinlichen Parallelen spiegeln sich nicht nur in Wortschöpfungen wie der „Datenautobahn“ wider, sondern vor allem in der Vergleichbarkeit der Diskurse unerfüllter Hoffnungen, die zwar von einer erfolgreichen Modernisierung sprechen, aber erst im historischen Nachvollzug die ganze Bandbreite der mit ihr assoziierten, unausweichlichen Einsamkeiten in den Blick nimmt. So wie zur Zeit der Erfindung und Verbreitung der Automobilität kaum ein Bewusstsein dafür geherrscht haben dürfte, welche Entfremdungs- und Vereinzelungstendenzen mit dieser modernen Erscheinung verbunden wären, gerät auch erst heute in den Blick, wie die Praktiken und Strukturen sogenannter „sozialer Netzwerke“ zu einer politischen Spaltung der Gesellschaft und der Verhärtung individueller Einzelrealitäten führen, die die Modernisierung nicht mehr vorantreiben, sondern gefährden, etwa in Form von sich verselbstständigenden Verschwörungsideologien. Aus den Diskursen um das Auto und das Internet lässt sich für die Zukunft lernen, Vereinsamungstendenzen bei technischen Innovationen – aller berechtigten Euphorie angesichts der damit verbundenen Modernisierungsgewinne zum Trotz – stets rechtzeitig einzukalkulieren, um ihnen proaktiv entgegenwirken zu können, bevor sie ihre fragmentierende Wirkung entfalten.
 
12
Auch wenn es interessant wäre zu untersuchen, welchen Einfluss die Geschichte des mörderischen Motelbetreibers Norman Bates auf die Entwicklung des Gastgewerbes in den USA hatte, ist die sinkende Zahl an Motels keinesfalls ein Ausdruck sinkender Übernachtungszahlen, sondern vor allem der einsetzenden Marktkonzentration und -bereinigung, am Ende derer weniger und dafür leistungsfähigere, größere (oft mehrgeschossige) Motels standen, die durch größere Zimmerzahlen Effizienzgewinne einstreichen konnten.
 
13
An dieser Stelle sollen zunächst nur die konkreten Bildlichkeiten interessieren, durch die den akuten und drohenden Einsamkeiten der Hochmoderne eine Gestalt gegeben wird. Narrative, figurative, dramaturgische Fragen werden in den folgenden Abschnitten thematisiert.
 
14
Das kalifornische „Fairvale“ gibt es in Wahrheit nicht, auch wenn der Name auf die vielen „Fair Oaks, Fair Play, Fairfield, Farehaven, Fairmead, and Fairview“ verweist, die Sam Loomis Wohnort zu einem typischen durchschnittlichen small town irgendwo zwischen der für ihre besondere Hitze bekannte Mojave-Wüste (mit dem nicht grundlos als „Death Valley“ benannten Hitzepol) und der Pazifikküste macht (Thomson 2009, S. 30). Gerade diese Uneindeutigkeit hat die Fan-Community lange dazu angeregt, über den genauen Standort des „Bates Motel“ zu spekulieren, zumal durch die Hintergrund-Geschichte um highway und bypass von Hitchcock einige Fährten gelegt werden. So vermutet man auf fandom.com, das Motel müsse am früheren Highway 10 gelegen haben, um den die neue Interstate 10 einen weiten Bogen gemacht hätte, wodurch das Bates-Anwesen ins Hintertreffen geraten sei. Das Statler’s Cafe, in dem kurzzeitig Norman und auch seine leibliche Mutter später in Psycho II arbeiten, würde genau an der Abzweigung zwischen dem alten und dem neuen highway liegen.
 
15
Selbst Normans neuer Mitarbeiter plant in Psycho III seine Abreise schon am Tag der Ankunft: „I wouldn’t mind fillin’ in until you found somebody permanent. I just won’t be staying around too long.“ – Norman scherzt makaber: „No one ever does.“ (P III 18).
 
16
Ergänzt wird dieses Inszenierungsmuster in der dritten Staffel durch eine Markierung der weiter modernisierten und damit einsameren Gegenwart in einem Kino-Breitbildformat (21:9), das sich von der weniger einsamen da weniger modernisierten Vergangenheit im einfachen 16:9-Format abhebt.
 
17
Zugleich ist im medienpsychologischen Fachdiskurs unumstritten, dass von der Thematisierung der sonst tabuisierten Jugendsuizidalität auch ein positiver, möglicherweise sogar die negativen Effekte ‚überwiegender‘ Nutzen ausgeht, indem etwa Fernsehserien wie 13 Reasons Why einen Diskursraum für die sozialen und individualpsychologischen Ursachen, Wirkmechanismen und Bewältigungsstrategien von Suizidalität eröffnen können, der insbesondere Jugendlichen helfen kann, mit Erwachsenen und Vertrauten das Gespräch zu suchen und so einen Selbstmord abzuwenden (Schnitzer 2020).
 
Metadaten
Titel
Visuelle Repräsentationen und Ästhetiken der Einsamkeit
verfasst von
Denis Newiak
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-35809-9_1