2011 | OriginalPaper | Buchkapitel
Vom Tod als Experiment im Leben zum Kino der ethischen Handlungsmacht
Fatih Akin und die „Ethische Wende“
verfasst von : Thomas Elsaesser
Erschienen in: Kino in Bewegung
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Wie für viele meiner Generation war die Liebe zum Kino stets mehr als Unterhaltung. Es ging auchimmer um die Frage, welchen Platz Kino im öffentlichen Raum einnahm, und welche Rolle der Film für eine fortschritt liche Politik spielen konnte. Nachden entt äuschten Hoffnungen der 1960er Jahre mutierte diese Möglichkeit einer progressiven und gleichzeitig transgressiven Intervention des Kinos in der Gesellschaft – seit November 1989 und dann wieder seit September 2001 – zur Frage, welches Potenzial Filmemachen für einen gleichermaßen unmöglichen wie stets eingeforderten Dialog mit sichbringt: des Dialogs mit dem ethnischen, dem religiösen und dem nationalen Anderen. Dass sichdabei eine Verschiebung von der Politik zu etwas anderem – nennen wir es
identity-politics,
Multikulturalismus oder Primat der Kultur – abzeichnet, gehört ebenso zum Thema wie die grundsätzliche Ambivalenz des Kinos selbst: als Fenster zur Welteinerseits und als Spiegel des Subjekts andererseits. Die Transparenz und der Abbildrealismus des Films hatt en schon öft er in der Geschichte des Kinos die Erwartung genährt, dass der Kinoapparat einen genaueren – und vielleicht deshalb gerechteren – Blick auf die sichtbaren Erscheinungen der Weltwerfen kann als das menschliche Auge; dass er das enthüllt, was unbemerkt blieb und übersehen wurde; und dass damit eine neue Äquivalenz und In-Differenz in die Weltkommt, welche die Teilung von Subjekt und Objekt aufh eben kann und Ichund Nicht-Ichneu verhandelt. Dem gegenüber steht das Kino als Projektionsfläche und imaginärer Spiegel, die uns mit einem Selbst konfrontieren, das sichstets in idealisierende oder dominierende Blick -Konstellationen, ebenso wie in Verkennung und Verleugnung verstrick t. Zusammen genommen ergibt sichdaraus ein Spannungsfeld, in dem das Kino unser
Begehren
nachSelbstbestätigung und Identität zu einer
Begegnung
mit dem Anderen und Fremden machen könnte, anstatt uns in der Verkleidung des Anderen immer nur selbst wieder zu begegnen, indem der Andere das auf uns zurück spiegelt, von dem er glaubt, wir hätt en es auf ihn projiziert.