2008 | OriginalPaper | Buchkapitel
Von kollektiver Solidarität zur individuellen Verantwortung: Der niederländische Wohlfahrtsstaat
verfasst von : Wim van Oorschot, Dr.
Erschienen in: Europäische Wohlfahrtssysteme
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Die Anfänge des modernen holländischen Wohlfahrtsstaates werden i.d.R. im Jahre 1874 verortet, als Kinderarbeit von unter 12-Jährigen gesetzlich verboten wurde (Kinderwetje van Van Houten). Nationale Untersuchungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Armut gro\er Teile der Bevölkerung in ihrem vollen Ausma\ offen gelegt. Die ‚soziale Frage‘ der arbeitenden Bevölkerung wurde im Parlament zwar hinlänglich diskutiert, doch erst mit dem Gesetz über Lohnersatzleistungen bei Arbeitsunfällen wurde 1901 die erste Sozialversicherung eingerichtet. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden die Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten sowie eine Unfallversicherung eingeführt. Der Staat sollte bei der Absicherung gegen diese Risiken so wenig wie möglich intervenieren. So wurde bewusst kein steuerfinanziertes System aufgebaut, sondern verpflichtende beitragsfinanzierte Sozialversicherungen. Während der Vorkriegszeit waren diese Systeme auf Arbeiter beschränkt. Die dahinterstehende Vorstellung eines ‚gerechten Lohnes‘ legitimierte die Versicherungsbeiträge als Teil der normalen Lohnkosten. Organisatorisch waren diese Versicherungen auf der Ebene einzelner gro\er Unternehmen oder der Industriesektoren angesiedelt. Dadurch ergaben sich im Wohlfahrtssystem gro\e Lücken und es war nur mit Abstrichen als ein kollektiv ausgerichtetes System zu bezeichnen. Auch der Grad der solidarischen Umverteilung war recht gering, da die Systeme streng der Logik von privaten Versicherungen folgten. Im Allgemeinen waren die Leistungen niedrig und erreichten in vielen Fällen nicht einmal das Existenzminimum. Oft waren hohe staatliche Unterstützungen zu den Sozialversicherungsfonds notwendig, um zumindest eine gewisse Leistungshöhe aufrechterhalten zu können.