Nach 24 Jahren verlässt Prof. Dr. Michael Bargende Ende Oktober 2022 die Universität Stuttgart. Im Interview blickt er zurück und schätzt aktuelle Entwicklungen und zukünftige technologische Herausforderungen ein.
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MTZ _ Was waren nach Ihrer Auffassung die größten Errungenschaften und was die größten Misserfolge während Ihrer Professur?
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Bargende _ Ich denke eine der Errungenschaften in der Wissenschaft ist mit Sicherheit, dass wir Professoren eine wirkliche Community geworden sind. Das gilt Universitäten-übergreifend, denn bei Doktorprüfungen kommt mittlerweile der Mitberichter immer aus einer anderen Universität. Das ist etwas, das der Wissenschaftsrat der Bundesrepublik Deutschland für kaum machbar hielt. Für uns ist es Standard. Eine weitere große Errungenschaft ist die Internationalisierung, sowohl der Wissenschaft als auch der Industrie. Im Antriebsbereich hatten wir, bevor alternative Kraftstoffe und rein elektrische Antriebe aufkamen, weltweit im Prinzip eine Lösung für den Antrieb und mehr oder weniger die gleichen Kraftstoffe. Das hat sich sehr geändert. Momentan scheint jede Region der Welt etwas anderes zu machen. Dieses Auseinanderfallen der Standards würde ich als Misserfolg werten. Technisch haben wir in den vergangenen 25 Jahren, was Antriebe insgesamt betrifft, wahnsinnige Fortschritte gemacht. Vor der Zunft der Ingenieure muss man wirklich den Hut ziehen - auch das gilt weltweit. Natürlich gab es immer auch Entwicklungen, bei denen die eigentlichen Potenziale auf dem Weg zur Serienreife dahinschmolzen. Aber ohne Fehlschläge sind Forschung und Entwicklung nicht möglich.
Woran liegt es, dass die Welt nun technologisch auseinanderdriftet?
Es ist klar, dass der CO2-Ausstoß im Verkehr weltweit massiv reduziert werden muss. Um das zu tun, entwickeln die Weltregionen unterschiedliche Lösungsmodelle. Allerdings passiert das mehr politisch als technisch. Nehmen Sie als Beispiel Japan: Dort kann die Elektromobilität nicht in großem Umfang eingesetzt werden, weil es kein entsprechendes elektrisches Netz gibt. Weil es zudem keine Bodenschätze gibt, setzt man auf den Wasserstoff, mit dem Plan ihn aus Australien zu importieren. Nun wurde festgestellt, dass der Wasserstofftransport recht anstrengend ist - tiefkalt, verbunden mit hohen Energieverlusten und so weiter -, also wenden sie sich immer mehr den E-Fuels zu, allen voran Methanol. Wenn man die Energieverluste des Wasserstoffs von der Produktion bis zum Tank betrachtet, dann ist der Wirkungsgradunterschied am Ende nämlich nicht mehr entscheidend.
Obwohl bei E-Fuels noch mehrere Umwandlungsschritte voranstehen?
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Das KIT hat gerade erst gezeigt, dass man bei einer In-situ-Produktion die Prozesswärmen sehr gut nutzen kann. Damit bekommt man eine Hochtemperaturelektrolyse praktisch kostenlos. Mit Carbon-Capture wurde hier ein Wirkungsgrad von 50 % dargestellt. Der Kraftstoff ist derzeit noch nicht normgerecht, da ist noch einiges nötig. Aber im Klartext bedeutet das: Wenn der Wirkungsgrad bei der Wasserstoffproduktion bei 70 % liegt und 20 % bis zum Fahrzeugtank verloren gehen, liegen die Unterschiede zu E-Fuels im einstelligen Prozentbereich.
Der Verbrennungsmotor nahm naturgemäß einen großen Stellenwert bei Ihrer Arbeit ein. Sehen Sie noch eine Zukunft für die Technologie?
Ja natürlich. Er wird uns und auch die nächsten Generationen überleben. Es gibt so viele Anwendungen, aus denen der Verbrennungsmotor nicht wegzudenken ist. Überall dort, wo man sich bei hohen Temperaturen sehr langsam bewegt und hohe Fahrzeuggewichte vermeiden muss - typisches Beispiel sind Erntemaschinen -, kommt man nicht um den Verbrennungsmotor herum. Gleiches gilt für Grubenfahrzeuge im Tagebau oder Profi-Kettensägen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass wir in der Lage sein werden, die Welt mit einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur zu versehen. Allein den Mittleren Westen der USA zu elektrifizieren, scheint mehr als herausfordernd. Von Afrika und Indien möchte ich gar nicht anfangen. Ich prophezeie, dass selbst die EU27 größte Probleme haben werden, eine massentaugliche, flächendeckende Ladeinfrastruktur umzusetzen.
Massentauglich bedeutet für eine elektrische Flotte von über 250 Millionen Fahrzeugen?
Ich würde jetzt mal vorsichtig von etwa der Hälfte der Pkw-Flotte in Europa ausgehen, und dann fahren noch 50 % mit Verbrennungsmotor. Weltweit haben wir derzeit etwa 1,4 Milliarden Pkw, Tendenz steigend. Für Nutzfahrzeuge gibt es für ganz Europa meines Erachtens auch keine wirkliche Alternative zum Diesel. Die Vorstellungen bezüglich der Geschwindigkeit der Veränderung sind, ich möchte mal sagen, ambitioniert. Vor allen Dingen ist es aus meiner Sicht überhaupt nicht vorstellbar, eine notwendige schnelle Emissionsabsenkung im Verkehr zu erreichen, ohne die Bestandsflotte mitzunehmen. Damit sind wir automatisch bei E-Fuels.
Die EU-Kommission möchte ab 2035 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zulassen, erkennt E-Fuels aber als Möglichkeit der Emissionsfreiheit an. Ist damit nun der Weg frei für Investitionen in Produktionsanlagen?
Zunächst einmal gibt es keine emissionsfreien Fahrzeuge, sondern nur "als emissionsfrei geltende". Jedes Auto hat Reifen- und Bremsenabrieb und damit mindestens Partikelemissionen. Die europäische Sektortrennung ist das Dilemma der E-Fuels. Kraftstoff wird im Energiesektor produziert, und mit Carbon-Capture hat man sogar Negativemissionen. Im Verkehrssektor wird der Kraftstoff verwendet, und es entstehen Emissionen. Deshalb nutzen E-Fuels rechnerisch nur dem Energiesektor. Hätten wir nun eine Regelung, nach der E-Fuels ab 2035 als klimaneutral gelten, etwa dadurch, dass auch die Produktion dem Verkehrssektor zugerechnet wird, entstünden in Regionen dieser Erde mit viel Sonne und Wind große Anlagen, so wie es jetzt Porsche und Siemens Energies in Patagonien pilothaft vorleben. Nach meinem Kenntnisstand ist ab 2035 beim Pkw nach augenblicklicher 0-ppm- CO2-Regelung der Wasserstoffverbrennungsmotor schon durch die angesaugten rund 400 ppm CO2 aus der Atmosphäre bereits durchgefallen, da diese ja wieder emittiert werden. Die Frage ist dann, warum ist eine Brennstoffzelle überhaupt zulässig? Die entlässt ja auch dieselbe Menge CO2 wieder in die Atmosphäre. Das wird aber einfach per Definition nicht gemessen.
Kann man dieselbe Definition nicht auch auf den Wasserstoffverbrennungsmotor anwenden?
Das könnte man, aber ständig heißt es, wir schauen einmal, wie sich das entwickelt. Wir haben nur keine Zeit, und wir brauchen Planungssicherheit. Aber bei allem, was mit Verbrennungsmotoren zu tun hat, gibt es die nicht. Beim Nutzfahrzeug ist das Thema ein wenig entschärfter. Da geht man von 1 g CO2/km aus, und damit ist der Wasserstoffverbrennungsmotor akzeptiert. Man darf auch nicht vergessen, dass es noch keine Serienanwendung für Brennstoffzellen im Nutzfahrzeugsektor gibt, sondern nur Demonstratoren. Ein Nutzfahrzeug, das eine Lebensdauer von 20.000 Betriebsstunden erreichen muss, innerhalb der nächsten acht Jahre bis 2030 mit einem komplett neuen Antrieb in Serie auf die Straße zu stellen, ist in meinen Augen sehr schwer. Das Problem der Kühlung ist derzeit nur durch Oversized-Brennstoffzellen gelöst, und auch die Sicherstellung der Reinheit des Wasserstoffs ist ein Thema. Zudem muss die PEM möglichst stationär betrieben werden und/oder eine hohe Edelmetallbeladung haben, damit die geforderte Lebensdauer einigermaßen erreichbar scheint. Deshalb befassen sich alle Hersteller sicherheitshalber auch mit dem Wasserstoffverbrennungsmotor.
Welchen Einfluss könnten maßgeschneiderte synthetische Kraftstoffe auf die Effizienz, die Verbrennung und die Abgasnachbehandlung haben? Wäre damit etwa der klopffreie Verbrennungsmotor realisierbar?
Mit synthetischem Kraftstoff aus dem Porsche-Pilot ist der klopffreie Verbrennungsmotor über das gesamte Kennfeld bei wirkungsgradoptimaler Schwerpunktlage von 8° dargestellt und veröffentlicht. Bei 3 % besserem Wirkungsgrad, praktisch ohne Partikel, abgesenkten CO- Emissionen und Lambda 1. Porsche hat eine ganze Reihe Designerkraftstoffe untersucht und mehrere zumischbare identifiziert, mit denen sich ohne Motoränderungen große Vorteile erzielen lassen.
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Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie, der klopffreie Motor sei das große Entwicklungsziel, und vier Jahre später ist das erreicht. Besteht dann nicht doch die Möglichkeit, in acht Jahren ein neues Motorkonzept zu entwickeln?
Da hängen wir sehr stark an den Strategien der Hersteller. Die sind verständlicherweise sehr ökonomisch unterwegs. Was bringt also eine neue Motorgeneration? Die Vielfalt wurde ja schon stark reduziert, und man stellt Varianten und Leistungsstufen über Software dar. Damit hat man auch Skalierungseffekte mitgenommen. Die Argumente, nun noch einmal viel Geld in die Hand zu nehmen, um eine neue Verbrennungsmotorengeneration zu entwickeln, müssen daher wirklich zwingend sein. Das wandelt sich vollkommen, wenn sich andere Weltregionen wie etwa Südostasien intensiv mit Methanol befassen. Wenn man reines Methanol fahren möchte, muss man schon aus Werkstoffgründen einen völlig neuen Motor entwickeln. Und man benötigt die doppelte Einspritzmenge, weil der Heizwert so gering ist. Aber man hat große Wirkungsgradpotenziale. Wir haben in einem Forschungsvorhaben mit einem mager betriebenen Pkw-Methanolmotor einen Motorwirkungsgrad von 47 % dargestellt. Im RDE hat der Hochvolthybrid dann durch die Rekuperation sogar einen Fahrzeugwirkungsgrad von 50 % erreicht. Bei diesen Hocheffizienzmotoren lohnt sich dann auch keine Lastpunktverschiebung mehr zum Laden der deutlich kleineren Leistungsbatterie, da für Boosten und Niedrigstlast die durch Rekuperation gewonnene Energie genügt.
Kommt der Ultramagerbetrieb von Motoren nur mit Wasserstoff infrage?
Hier muss man sofort an die Abgasnachbehandlung denken. Beim Ottomotor ist die ja mit dem Drei- oder heute Vier-Wege- Katalysator und Lambda-1-Betrieb so wunderbar etabliert. Wenn man also abmagert, muss es sich lohnen, man muss also kräftig abmagern können. Wenn man das Abmagern mit sehr hoher Ladungsbewegung realisiert, benötigt man Motoren mit relativ hoher Aufladung und kombinierten Tumble-Drall-Kanälen. In der Teillast kann so immer ein Wirkungsgradvorteil erzielt werden, allein schon durch die Entdrosselung. Die zwei Kraftstoffe, die sich dank der hohen laminaren Brenngeschwindigkeit am besten für Abmagerung eignen, sind zum einen Wasserstoff, da gibt es eigentlich keine wirklichen Limits, realistisch vermutlich Lambda 3, aber man bekommt ihn praktisch immer zum Brennen. Da hilft dann auch eine gewisse Inhomogenität. Global also Lambda 3 mit einem homogenen Hintergrundgemisch und einer Schichtladung als chemische Zündung. Auch eine aktive Vorkammer ist nicht schädlich für das Prinzip, man wird dann eben noch schneller und landet dann beim HCCI-Betrieb. Zum anderen kann mit Direkteinspritzung auch mit Methanol sehr gut abgemagert werden.
Deshalb sind Sie ein bekennender Freund von Methanol als synthetischem Kraftstoff?
Mittlerweile bin ich das. Ich bin auch ein großer Methan-Fan, einfach wegen der 23 % CO2-Reduktion, die durch den Betrieb mit Methan entstehen, weil das Bildungspotenzial geringer ist. Aber das sind Lambda-1-Motoren mit einer sehr hohen Klopffestigkeit, die immer in der optimalen Schwerpunktlage fahren. Alles bestens, aber fürs Abmagern ist der Kraftstoff nicht gut geeignet. Hier ist dann eben Methanol besser. Wir haben Versuche bis Lambda 1,7 gemacht, wobei es mit etwas Wasserstoffzugabe noch viel besser geht, im Endeffekt, bis der Lader nicht mehr genug Luft gebracht hat.
Welche weiteren Implikationen hat es, wenn Verbrennungsmotoren ausschließlich im Generatorbetrieb zur Stromproduktion genutzt werden?
Ganz kurz: einen schlechten Wirkungsgrad. Ein serieller Hybrid ist eigentlich immer ein Range Extender. Möchte man den zu mehr als nur zum "nach Hause fahren" einsetzen, stößt man auf das sogenannte Eta-6-Problem, man verliert nämlich sechs Mal Wirkungsgrad. Zuerst wird mit dem Generator Strom erzeugt, der muss über die Leistungselektronik zur Batterie, dann wieder aus der Batterie über die Leistungselektronik zum Elektromotor und von dort auf die Straße. Wenn alles optimal läuft, der Verbrennungsmotor also am Bestpunkt betrieben wird, bleiben maximal 28 % Wirkungsgrad übrig. Die hat ein sehr guter aktueller Verbrennungsmotor bei 10 % Last.
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In welche Richtung muss in Ihren Augen nun weiter geforscht werden? Was geben Sie Ihrem Nachfolger Professor Kulzer mit auf den Weg?
Ich habe vor 11 Jahren meinen Lehrstuhl von Verbrennungsmotoren auf Fahrzeugantriebe umbenannt. Das war ein kluger Schritt, denn nur so habe ich überhaupt einen Nachfolger bekommen. Zudem bin ich überzeugt davon, dass die Zeit vorbei ist, in der man Lehrstühle nach Maschinen benennt. In Zukunft ist der Name dann Fahrzeugantriebssysteme, um klarzumachen, dass es um die Systemkompetenz geht. Damit sind wir automatisch bei der gesamten Bandbreite der Antriebe. Das ist die Zukunft. Wir werden keine Welt-einheitlichen, sondern maßgeschneiderte Lösungen für die jeweiligen Anforderungen haben. Aufgabe der Forschung wird es also unter anderem sein, in dieser Vielfalt nach Synergien zu suchen. Die gibt es heute schon, etwa beim Luftpfad von Verbrennungsmotoren und Brennstoffzellen, der BZ- Betriebsstrategie, die wie ein serielles Hybridsystem ist, oder beim Thermomanagement. Was mich immer angetrieben hat, war eine nicht enden wollende Neugier und das "in Zusammenhängen denken". Wenn man beides zugleich kann, ist man ganz vorne mit dabei, und das gebe ich meinem Nachfolger mit auf den Weg. Denn die Bandbreite dieses Jobs ist einfach faszinierend.
Herr Prof. Bargende, ich danke Ihnen vielmals für dieses überaus interessante Interview und wünsche Ihnen alles erdenklich Gute für Ihren Ruhestand.