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08.11.2024 | Wärmenetze | Interview | Online-Artikel

"Wir brauchen einen verlässlichen Rechtsrahmen"

verfasst von: Frank Urbansky

5:30 Min. Lesedauer

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Das Bundeswirtschaftsministerium hat im Juli 2024 einen Entwurf zur Änderung der Fernwärmeverordnung (AVBFernwärmeV) veröffentlicht. Er sieht wichtige Anpassungen u. a. bei den Preisänderungsklauseln vor. Im Interview erläutert der Energierechtsexperte Hans-Christoph Thomale von der Beratungsgesellschaft Forvis Mazars, wie diese Klauseln generell funktionieren.

springerprofessional.de: Im Zusammenhang mit den Preisänderungsklauseln hört man häufig von Missbrauch seitens der Versorger, was sich auch medial niederschlägt…

Hans-Christoph Thomale: Klassischer Missbrauch, also aktives Fehlverhalten, ist eigentlich nicht möglich. Hier ist die Wirkungsweise von Preisänderungsklauseln zu beachten. Preisänderungsklauseln im Wärmesektor sind automatisch wirkende Klauseln, bei denen sich die Wärmepreise entsprechend der Entwicklung der in den Klauseln verwendeten, öffentlich zugänglichen Indizes bzw. Werten verändern.

Sobald die Preisänderungsklauseln einmal festgelegt oder vertraglich vereinbart sind, hat ein Wärmeversorger keinen Preissetzungsspielraum und keine Missbrauchsmöglichkeit mehr, da sich die Wärmepreise automatisch ändern. Mit anderen Worten können die Wärmepreise grundsätzlich nicht mehr durch eine abweichende Entscheidung des Wärmeversorgers geändert werden.

Aber welche Anforderungen gibt es dann an Wärmepreise? Und: Ist hier kein Missbrauch möglich?

Konkrete gesetzliche Vorgaben an Wärmepreise, in Form von normierten Kalkulationsmethoden gibt es nicht. Allerdings müssen die Wärmepreise vor dem Hintergrund der Kosten und Erlöse angemessen sein, die Erlöse aus den Wärmepreisen dürfen die Kosten der Wärmeerzeugung also nicht in unangemessener Weise übersteigen. Nur wenn die Erlöse deutlich über den Kosten liegen, könnte ein Missbrauch vorliegen. Dies wird aktuell ja auch durch die Kartellbehörde untersucht.

In der Praxis zeigt sich jedoch immer wieder, wie schwierig es ist, die Kosten der Wärmeerzeugung zu ermitteln und zuzuordnen, um auf deren Grundlage dann die Wärmepreise zu kalkulieren. Der Gesetzgeber fordert insoweit nur, dass bei der Kalkulation der Wärmepreise „anerkannte ökonomische Ansätze“ zu berücksichtigen sind. Dies können Grundsätze der Gasnetzentgeltverordnung, aber auch andere Kalkulationsmethoden sein, die – modifiziert auf die Wärmeversorgung – bei der Berechnung der Wärmepreise angewendet werden können. Es zeigt sich, dass entsprechend kalkulierte Wärmepreise einem Missbrauchsvorwurf oder einer Überprüfung durch die Kartellbehörden standhalten.

Und welche Anforderungen gibt es an Preisänderungsklauseln?

Preisänderungsklauseln müssen die Kostenentwicklung der Wärmeerzeugung sowie die Verhältnisse auf dem Wärmemarkt berücksichtigen. Insofern hat eine Preisänderungsklausel für den Arbeitspreis ein Kosten- und ein Marktelement. Die in der Preisänderungsklausel verwendeten Indizes sowie deren Gewichtung müssen sich an den Kosten orientieren, die tatsächlich bei der Wärmeerzeugung anfallen.

Wenn die Wärme mit Gas erzeugt wird, ist ein geeigneter Gasindex zu verwenden, der die Gasbeschaffungskosten des Wärmeversorgers abbildet. Der Gasindex wäre dann das Kostenelement. Die Verhältnisse auf dem Wärmemarkt werden durch ein Marktelement abgebildet, das die allgemeine Preisentwicklung auf dem Wärmemarkt abbilden soll. Dies kann etwa durch einen allgemeinen Wärmepreisindex geschehen.

Die Preisänderungsklausel für den Grundpreis bildet die Kostenentwicklung der Investitions- und Vorhaltekosten ab, insbesondere für Wärmeerzeugungsanlagen und Wärmenetze. Hier kann der Wärmeversorger auf allgemeine Material- und Lohnkostenentwicklungen zurückgreifen.

Preisänderungsklauseln, die diese Anforderungen nicht einhalten, wären unwirksam und würden keine wirksame Preisänderungsregelung darstellen.

Wo liegt dann die Problematik in der Praxis?

Eine Frage, die sich immer wieder stellt und die aktuell von den Kartellbehörden untersucht wird, ist, ob die Höhe der Wärmepreise angemessen ist. Hier ist seitens der Wärmeversorger sicherzustellen, dass die Wärmepreise sachgerecht kalkuliert oder nicht überhöht sind. Daneben stellt sich die Frage, wie mit dem Umstand umzugehen ist, wenn Preisänderungsklauseln im Laufe der Vertragsverhältnisse, die häufig langfristig sind, unwirksam werden, weil sie die Kostenentwicklung der Wärmeerzeugung nicht mehr abbilden.

Hier ist zu berücksichtigen, dass sich im Rahmen der Wärmewende bei Umstellung und Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung die Kostenstruktur eines Wärmeversorgers grundlegend ändert. Das bisherige Preissystem und die Preisänderungsklauseln passen dann in der Regel nicht mehr zu der veränderten Kostenstruktur. Grundsätzlich dürfen vertraglich vereinbarte wirksame Preisänderungsklauseln nicht einseitig durch den Wärmeversorger geändert werden.

Mit der neuen Kraftwerksstrategie wird es wohl so sein, dass Kohlekraftwerke auch auf Erdgas umgestellt werden. Was dann?

In diesem Fall wäre eine Preisänderungsklausel mit einem Kohleindex nicht mehr wirksam, da dieser die Entwicklung der Gasbeschaffungskosten nicht mehr sachgerecht abbilden würde.

Es war lange sehr umstritten, ob ein Wärmeversorger in diesem Fall gleichwohl die Preisänderungsklausel anpassen darf. Mittlerweile hat dies der Bundesgerichtshof grundsätzlich bejaht. Umstritten ist aber weiterhin, wie weit dieses Änderungsrecht reicht: Darf nur der Index ausgetauscht werden oder ist die Preisänderungsklausel insgesamt oder der Wärmepreis an sich auch an die veränderte Kostenstruktur mit anzupassen? Dies wurde bislang von der Rechtsprechung nicht abschließend entschieden.

Unseres Erachtens muss dies aber möglich sein. Würde bei einer Umstellung der Wärmeerzeugung von Kohle auf Erdgas der bisherige Arbeitspreis, der auf der Grundlage der Kosten des Kohleeinsatzes berechnet, lediglich fortgeschrieben und sich zukünftig anhand eines Erdgasindex verändern, würde ein solcher Arbeitspreis nicht die Kosten des Erdgaseinsatzes berücksichtigen. Im Rahmen der Wärmewende, bei der die Wärmeerzeugung umgestellt und dekarbonisiert werden soll, ist dies ein großes Problem, da es mit hohen Investitionen und Kosten verbunden ist. Es ist erforderlich, dass das Preissystem insgesamt die tatsächlichen Kosten und deren Entwicklung abbildet.

Kann die Politik hier für mehr Klarheit sorgen?

Ja, die Politik könnte hier eine verlässlichen Rechtsrahmen schaffen. Leider wird dieser Punkt aber in dem vorliegenden Referentenentwurf zur Änderung der AVBFernwärmeV nicht aufgegriffen bzw. umgesetzt. Das Recht des Wärmeversorgers zur Änderung einer Preisänderungsklausel bei einem Energieträgerwechsel soll nun zwar in einem eigenständigen Paragraphen normiert werden.

Wie weit dieses Änderungsrecht reichen soll, bleibt weiterhin ungeklärt. Die Wärmeversorger benötigen jedoch Planungs- und Investitionssicherheit, um die Wärmewende umzusetzen. Hier sind klare und stabile rechtliche Rahmenbedingungen erforderlich. Die Rechte der Kunden wären auch im Falle eines umfassenden Anpassungsrechts geschützt, da die Anpassung gerichtlich kontrolliert werden kann. Zudem unterliegen die Wärmepreise der Kontrollmöglichkeit durch die Kartellbehörden.

Vita

Rechtsanwalt Dr. Hans-Christoph Thomale ist seit 2018 Partner bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Forvis Mazars und leitet dort den Bereich Energierecht. Dr. Thomale berät Energieversorgungsunternehmen in Fragen des Energiekartellrechts und der Energieregulierung, auch im Zusammenhang mit Transaktionen. Zudem unterstützt er bei der Erstellung von Energieliefer- und Netzverträgen für Strom, Gas und Wärme. Darüber hinaus vertritt er Energieversorgungsunternehmen in Streitigkeiten über die Gültigkeit von Preisanpassungsklauseln und in kartellrechtlichen Missbrauchsverfahren.

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