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Open Access 2025 | OriginalPaper | Buchkapitel

5. Wahlergebnisse: Europawahl 2024, Landtagswahlen 2024 und die Bundestagswahl 2025

verfasst von : Sarah Wagner, L. Constantin Wurthmann

Erschienen in: Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der Beitrag beleuchtet die bemerkenswerten Wahlergebnisse des Bündnisses Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) bei der Europawahl 2024, den Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen sowie der Bundestagswahl 2025. Bei der Europawahl 2024 erzielte die BSW mit 6,2 Prozent der Stimmen einen beachtlichen Erfolg, insbesondere in ostdeutschen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die Partei positionierte sich erfolgreich mit einer Doppelstrategie aus sozialer Gerechtigkeit und restriktiver Zuwanderungspolitik, was ihr eine breite Unterstützung einbrachte. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen etablierte sich die BSW als drittstärkste Kraft und wurde zu einem bedeutenden Machtfaktor. Die Koalitionsverhandlungen in diesen Bundesländern gestalteten sich jedoch komplex, insbesondere in Thüringen, wo es zu einem offenen Machtkampf innerhalb der Partei kam. Bei der Bundestagswahl 2025 verfehlte die BSW knapp die Fünf-Prozent-Hürde, obwohl sie mit einer stark personalisierten Wahlkampfstrategie und konservativen Themen wie Sicherheit und Migration auftrat. Die Analyse zeigt, dass die Partei trotz ihrer Erfolge vor erheblichen Herausforderungen steht, insbesondere in Bezug auf ihre politische Sichtbarkeit und die interne Parteiorganisation. Der Beitrag bietet eine fundierte Einordnung der Wahlergebnisse und der politischen Strategien der BSW, die für Fachleute in der Politikwissenschaft und Wahlforschung von großem Interesse sind.
Europawahl 2024
Nur fünf Monate, nachdem die Partei im Januar 2024 formell gegründet wurde, gelingt dem BSW ein beachtlicher Erfolg bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2024. Insgesamt 6,2 Prozent der Deutschen gaben ihre Stimme für die neue Partei unter Führung Sahra Wagenknechts ab. Ein Wert, den in der deutschen Geschichte noch keine Partei auf Anhieb bei der ersten Teilnahme an einer nationalen Wahl erreicht hat. Besonders erfolgreich ist die Partei mit 16,4 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern, jeweils 15 Prozent in Sachsen-Anhalt und Thüringen, 13,8 Prozent in Brandenburg und 12,6 Prozent in Sachsen. Mit deutlichem Abstand folgten Berlin mit 8,7 Prozent und das Saarland mit 7,9 Prozent (Wurthmann, 2025). Gefragt nach Ansichten der BSW-Wählenden über die eigene Partei, geben 86 Prozent an, sie würden es gut finden, dass das BSW sich gleichzeitig für mehr Soziales und gegen Zuwanderung einsetze. Ohne Sahra Wagenknecht würden 78 Prozent die Partei nicht wählen und 74 Prozent loben den Einsatz gegen Waffenlieferungen an die Ukraine (Tagesschau, 2024a). Diese Aspekte stehen in einem klaren Einklang mit wissenschaftlichen Studien (Heckmann et al., 2025; Jankowski, 2024; Wurthmann & Wagner, 2025, 2024; Thomeczek et al., 2024). Allerdings ist es dem BSW nicht gelungen, die sechs gewonnenen Mandate dahingehend zu nutzen, eine eigene Fraktion im Europaparlament mit Abgeordneten weiterer Länder zu formen. Angeschlossen haben sich die sechs Abgeordneten ebenfalls keiner Fraktion, weshalb sie nun in den hinteren Reihen des Europäischen Parlaments sitzen müssen. Zuletzt tritt mit Friedrich Pürner ein EU-Abgeordneter sogar wieder aus dem BSW aus.
Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen
Nach dem Achtungserfolg bei der Europawahl 2024 folgen drei weitere Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern, bei denen es dem BSW gelingt, sich erfolgreich zu etablieren. Mit 13,5 Prozent der Stimmen in Brandenburg, 11,8 Prozent in Sachsen und 15,8 Prozent in Thüringen wird die Partei auf Anhieb zur drittstärksten Kraft und plötzlich zu einem bedeutenden Machtfaktor in ostdeutschen Landtagen (Wurthmann, 2025). Unter allen Befragten geben in Brandenburg 59 Prozent, in Sachsen 65 Prozent und in Thüringen 68 Prozent an, dass sie es gut finden, dass das BSW sich gleichzeitig für mehr soziale Gerechtigkeit und weniger Zuwanderung einsetzt. Unter den BSW-Wählerinnen und -Wählern sind es in Brandenburg 93 Prozent, in Sachsen 98 Prozent und in Thüringen 92 Prozent. Gemeinsam haben alle drei Landtagswahlen, dass das BSW insbesondere aufgrund seiner Haltung zur Ukraine- und Russlandpolitik, seiner Positionen zur inneren Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung, seines Einsatzes für ostdeutsche Interessen sowie für soziale Gerechtigkeit unterstützt wird (Tagesschau, 2024b, 2024c, 2024d).
Die Mehrheitsfindungen gestalten sich in allen drei Bundesländern nach den Landtagswahlen als kompliziert. Rechnerisch und politisch erreichen in Brandenburg nur SPD und BSW sowie in Sachsen CDU, SPD und BSW eine Mehrheit. In Thüringen hingegen erreichen CDU, SPD und BSW nur eine Pattsituation gegenüber der AfD und der Linken. Unter der Führung des BSW-Politikers Robert Crumbach, eines ehemaligen SPD-Mitglieds, formiert sich in Brandenburg erstmals eine rot-purpurne Koalition unter der Leitung des SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke. Insbesondere mit Blick auf die Haltung der Brandenburger Regierungskoalition gelingt es dem BSW, für die Parteiführung um Wagenknecht zentrale Elemente in den Koalitionsvertrag einzubringen. Dazu zählen unter anderem die Bekenntnisse, dass der Krieg in der Ukraine nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden könne, sondern nur durch Diplomatie, sowie die ablehnende Haltung zur Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden (SPD Brandenburg, 2024). An einer ähnlichen Formulierung scheitern hingegen die Verhandlungen zu einem möglichen Koalitionsvertrag in Sachsen unter der Führung von BSW-Vorstandsmitglied Sabine Zimmermann (ZDF, 2024).
Der Umgang mit dem Wahlergebnis in Thüringen wird zur ersten großen Belastungsprobe für das BSW. Katja Wolf, Spitzenkandidatin des BSW Thüringen und ehemalige Oberbürgermeisterin von Eisenach, stößt für viele überraschend zur neuen Wagenknecht-Partei. Dass sie, nachdem in Thüringen keine stabilen Mehrheiten außer einer Minderheitsregierung aus CDU, SPD und BSW möglich sind, ein solches Bündnis mit ihrem Landesverband anstrebt, wird von der BSW-Parteiführung nicht wohlwollend aufgenommen. Während Wagenknecht fordert, dass das BSW als Bedingung für eine Koalition mit der CDU und SPD die Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine sowie von weiteren US-Raketen auf deutschem Boden durchsetzen müsste, ist ein Scheitern der Gespräche vorprogrammiert, da diese Forderungen von der CDU politisch nicht akzeptiert werden können. Wolf einigt sich trotz interner Widerstände auf einen Kompromiss mit CDU und SPD, der außenpolitische Differenzen in einer neutralen Form darstellt, und verkündet diesen öffentlich ohne Wagenknechts vorherige Zustimmung (Debes, 2024).
Der Parteivorstand reagiert darauf mit einem öffentlichen Brief des BSW-Schatzmeisters Ralph Suikat und der Parlamentarischen Geschäftsführerin Jessica Tatti, in dem Wolf ein Parteiaustritt nahegelegt wird (Tatti & Suikat, 2024). Dies führt zu einem offenen Machtkampf: Wagenknecht und ihr Bundesvorstand versuchten gezielt, Wolf zu isolieren und ihren Rücktritt zu erzwingen.
Aufgrund der zunehmenden Negativschlagzeilen, in denen insbesondere Wagenknechts Führungsstil in die Kritik gerät, welcher mutmaßlich auch Verluste bei den Zustimmungswerten zur Folge hat, wird der Konflikt schließlich durch die BSW-Parteiführung beigelegt (Vorreyer, 2024). In den Koalitionsvertrag findet letztlich ein Formelkompromiss Einzug: „CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs. Wenngleich wir hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine zur Verteidigung ihrer territorialen Integrität und Souveränität unterschiedlicher Auffassung sind, eint uns das Ziel, eine diplomatische Lösung des Krieges gegen die Ukraine (…) voranzutreiben“ (CDU Thüringen, 2024). Oder, anders ausgedrückt: agree to disagree.
Die Bundestagswahl 2025
Das Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) ist mit 4,98 Prozent äußerst knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert (vgl. Abb. 5.1) – Es fehlen am Ende weniger als 13.500 Stimmen.1 Der Partei gelingt es, wie keiner zuvor, im ersten Anlauf so nah an die Hürde zu kommen – ein Erfolg, den zuletzt die AfD 2013 mit 4,7 Prozent erreichte, nur sieben Monate nach ihrer Gründung.
Abb. 5.1
Ergebnis der Bundestagswahl 2025.
(Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf Tagesschau, 2025)
Die Wahlplakat-Kampagne des BSW zur Bundestagswahl 2025 setzt stark auf Personalisierung mit Sahra Wagenknecht, deren Porträt auf allen acht Kampagnenmotiven zu sehen ist. Die Kampagne bedient konservative Themen wie Sicherheit und Migration („Unser Land wünscht sich weniger Migration“), während sozialpolitische Forderungen wie mehr Wohnungen, Rente und Gerechtigkeit ebenfalls in den Vordergrund gerückt werden. Das Thema Frieden wird pointiert dargestellt, eine Forderung nach mehr Kompetenz in der deutschen Politik zielt auf eine Abrechnung mit den etablierten Parteien ab. Auffällig ist, dass keine konkreten energie- oder wirtschaftspolitischen Forderungen aufgegriffen werden, während die Anti-Establishment-Haltung in den Plakaten mit wahlweise „Aber die alten Parteien haben versagt“ oder „Aber die alten Parteien sind taub“ deutlich wird.
Mit seiner Themensetzung hat das BSW in Teilen einen Nerv getroffen, der für die Wahlentscheidung besonders relevant war. Je 18 Prozent der Wählerinnen und Wähler geben ‘Innere Sicherheit’ und ‘Soziale Sicherheit’ als wahlentscheidendes Thema an. Weitere 15 Prozent nennen jeweils die Themenkomplexe ‘Zuwanderung’ und ‘Wirtschaftswachstum’. Mit jeweils 13 Prozent folgen ‘Umwelt und Klima’ sowie ‘Friedenssicherung’, für nur rund 5 Prozent sind gestiegene Preise von größter Bedeutung. Gleichzeitig geben nur 3 Prozent aller Befragten an, sie trauten dem BSW zu, die wichtigsten Aufgaben in Deutschland zufriedenstellend zu lösen. Insgesamt 49 Prozent aller Befragten machen die Angabe, sich vom BSW mehr neue Ideen erwartet zu haben. Immerhin 28 Prozent machen die Angabe, sie würden es grundsätzlich gut finden, dass das BSW sich um ein gutes Verhältnis zu Russland bemühe. Dass 69 Prozent der BSW-Wählenden angeben, das Programm sei für sie der relevante Aspekt der Wahlentscheidung zugunsten der Partei gewesen (Tagesschau, 2025), ist vor dem Hintergrund der sehr starken Personalisierung auf Sahra Wagenknecht überraschend (Thomeczek, 2024b). Es lässt sich aber durchaus antizipieren, dass die inhaltliche Lücke, die das BSW sich zu füllen aufgemacht hat, in einem kleinen Spektrum durchaus Anklang findet.
24 Prozent der Befragten machen die Angabe, für sie sei der Kandidatinnen-Faktor besonders relevant in ihrer Wahlentscheidung gewesen (Tagesschau, 2025). Wagenknecht selbst war im Bundestagswahlkampf 2025 allerdings aus einer Reihe selbst- oder fremdbestimmter Aspekte weniger präsent als erwartet. Das BSW und seine Vorsitzende wurden, ähnlich wie die FDP und Linke, in wichtigen TV-Formaten ausgeschlossen, in denen nur die Kanzlerkandidaten und die AfD-Kanzlerkandidatin eingeladen wurden. Dies führt zu einem erheblichen Nachteil in der politischen Sichtbarkeit, besonders für die kleineren Parteien. Es gibt allerdings auch selbstbestimmte Aspekte. Wagenknecht erreicht zwar grundsätzlich viel Aufmerksamkeit in sozialen Medien, nutzt diese im Bundestagswahlkampf jedoch nicht aktiv, etwa durch höher frequentierte YouTube-Schaltungen (ZDF, 2025). Zudem absolviert sie bis zur Bundestagswahl nur neun Großkundgebungen, im Gegensatz zum FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, der auf insgesamt 21 Auftritte kommt. Dies zeigt, dass Sichtbarkeit nicht alles ist, aber sie ist dennoch hilfreich.
Ein weiterer Faktor, der sich nachteilig auf das BSW-Wahlergebnis ausgewirkt haben könnte, ist eine veränderte Themenlage, die es der Partei erschwert, sichtbare Schwerpunkte zu setzen. Für den Parteienwettbewerb zentral ist, dass Parteien zu gemeinhin relevanten Themen erkennbare und trennscharfe Positionen haben, die sie von anderen Akteuren abgrenzen (Magyar et al., 2023). Dabei sind Parteien allerdings auch nicht davon befreit, dass externe Ereignisse den Wahlkampf sichtbar beeinflussen können. Dazu zählt mitunter eine sich verändernde außenpolitische Lage durch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, der seit Amtsantritt den Eindruck erweckt hat, über die Zukunft der Ukraine, immerhin zentrales Thema des BSW (Heckmann et al., 2025), werde er alleine, zusammen mit dem russischen Präsidenten Putin entscheiden.
Abschließend könnte der nur langsame Fortschritt beim Aufbau der BSW-Parteiorganisation eine Rolle gespielt haben. Erfolgreiche Wahlkämpfe basieren auf einer aktiven Parteibasis (Katz & Mair, 1993; Jun, 2013). Eine Partei, die sich selbst einem langsamen Wachstum verschrieben hat und bundesweit eine sehr geringe vierstellige Parteimitgliederzahl hat, kann, so die Annahme, keine weitgehende Schlagkraft in einem Wahlkampf entwickeln.
Das Wahlergebnis des BSW zeigt, dass es zu einem sehr respektablen Achtungserfolg durchaus ausreicht. Wie sich dies allerdings unter anderen Rahmenbedingungen entwickelt hätte, wenn die Parteiführung dies gewollt hätte, bleibt Spekulation.
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Fußnoten
1
Manuskriptabgabe ist der 28. Februar 2025. Eine vollständige Analyse der Ergebnisse wird vertrauensvoll in die Hände zahlreicher Kolleginnen und Kollegen gelegt, die sich diesem Gegenstand in Zukunft widmen werden.
 
Metadaten
Titel
Wahlergebnisse: Europawahl 2024, Landtagswahlen 2024 und die Bundestagswahl 2025
verfasst von
Sarah Wagner
L. Constantin Wurthmann
Copyright-Jahr
2025
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-48042-4_5