Im Folgenden werde ich das Warming up und Cooling out im Kontext von Wissenschaftskarrieren mit Bezug auf drei Schwerpunkte diskutieren. Zunächst werde ich die Erweiterung des Möglichkeitshorizonts durch Prozesse des Warming up thematisieren. Dabei werde ich zwei Varianten ansprechen: erstens Warming up im Kontext von direkter Ansprache und Förderung durch Dozierende sowie zweitens Warming up im Kontext von Bewährungsproben (wie der Promotion). Daran anschließend werde ich den Fokus auf das Erwartungsmanagement legen. Darunter fallen Strategien der Enttäuschungsprävention (z.B. Distanzierung von strategischem Karrierehandeln) ebenso wie Strategien des Umdeutens von Misserfolgen (z.B. keine individuelle Verantwortung für das Scheitern eines Projektantrags annehmen). Abschließend werde ich die Einengung des Möglichkeitshorizonts und Prozesse des Cooling out in den Blick nehmen.
4.1 Erweiterung des Möglichkeitshorizonts durch Prozesse des Warming up
Prozesse des Warming up können sich mit Bezug auf unterschiedliche Erfolgsziele (z.B. dauerhafte Position in der universitären Forschung) wie auch in unterschiedlichen Konstellationen vollziehen. So kann beispielsweise die
direkte Ansprache und Förderung durch Lehrende sowie Betreuer*innen von Qualifikationsarbeiten zu einem Warming up beitragen.
5 Im folgenden Interviewauszug berichtet eine Historikerin über ihre Bewerbung für ein Auslandsstudium:
Und dann habe ich mich aber an allen möglichen Orten beworben, also das war nur eine von vielen, und ich dachte auch nicht, dass das irgendwie realistisch wäre, so, aber ich habe das gemacht, weil eine wissenschaftliche Mitarbeiterin damals in [Universitätsstadt] zu mir gesagt hat: „Du, da bewirbst du dich und da bewirbst dich und da bewirbst dich und da schickst auch mal eine Bewerbung zu.“ (Geschichte, w, promoviert)
Zeitlich bezieht sich die Interviewte auf die Phase kurz vor Abschluss ihres ersten Studiums. Der Plan für ein weiterführendes Auslandsstudium bestand schon, bevor eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Interviewten konkrete Ratschläge für ihre Bewerbungsstrategie gegeben hat. Dieser Entwurf wurde durch die Intervention der Mitarbeiterin nicht grundsätzlich infrage gestellt, sondern in seiner Ausführung modifiziert. Konkret erweiterte die Interviewte den Pool der Universitäten, an denen sie sich bewarb, um renommierte Standorte. Ohne die relativ klaren Hinweise, wo sie sich zu bewerben habe, hätte sie ihr Auslandsstudium mit einiger Wahrscheinlichkeit an einem Ort mit weniger Renommee absolviert. Denn im weiteren Verlauf des Interviews wird deutlich, dass ihr eine Bewerbung an der Universität, die sie schließlich akzeptieren wird, damals unrealistisch vorkam. Darin dokumentiert sich auch, dass sie zum damaligen Zeitpunkt bereits über die Vorstellung einer wie auch immer gearteten Hierarchie von Universitäten verfügte, von denen einige jenseits ihres subjektiven Möglichkeitshorizonts lagen. Dies ging zunächst mit einer zurückhaltenden Bewerbungsstrategie einher. Die Ermunterung durch die Mitarbeiterin, die durch den positiven Bescheid der renommierten Universität als gerechtfertigt bestätigt wird, hat zu einer graduellen Öffnung des Möglichkeitshorizonts geführt. Strukturell ähnliche Formen der Beratung und Förderung durch Lehrende und Betreuende finden sich mehrfach in den Erzählungen der interviewten Wissenschaftler*innen über das Studium und die frühe Promotionsphase.
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Wie der Interviewauszug zeigt, kann die direkte Ansprache und Förderung darin bestehen, recht konkrete Hinweise zu bereits bestehenden Plänen (z.B. Bewerbungen) oder zu gerade laufenden Arbeiten (z.B. Manuskripten) zu geben. Daneben können Ansprache und Förderung aber auch neue Optionen ins Spiel bringen und damit bisherige Handlungs- und Karriereentwürfe infrage stellen. Im folgenden Auszug berichtet eine andere Historikerin, die zum Zeitpunkt des Interviews an ihrer Habilitation arbeitet, wie sie durch einen Dozenten auf die Idee gebracht wurde, sich auf diesen Schritt überhaupt einzulassen:
Also es gibt ja schon auch so Leute, die schon im ersten Semester wissen, dass sie mal Professor werden wollen. Da gehörte ich nicht dazu, sondern ich habe erst mal angefangen, auf Lehramt zu studieren, und bin dann eigentlich, also wenn es jetzt um Karriereentscheidungen und so was geht, eigentlich sozusagen durch einen äußeren Impuls überhaupt in die Wissenschaft gekommen, nämlich durch einen Assistenten in der Zeitgeschichte, der offensichtlich fand, dass ich Talent habe für geschichtswissenschaftliche Arbeit, und mich gefragt hat, ob ich mir nicht vorstellen kann, zu promovieren und vielleicht in die Wissenschaft zu gehen. Also da kam überhaupt der Impuls her, sonst wäre ich wahrscheinlich als Gymnasiallehrerin irgendwo. (Geschichte, w, promoviert)
Deutlich wird in diesem Auszug zunächst eine Distanzierung von anderen Studierenden, die bereits zu Beginn ihres Studiums das Ziel artikulieren, eine wissenschaftliche Erfolgsposition anzustreben. Diese Aussage ist nicht ohne innere Spannung, da die Interviewte mit der Wahl ihres Studiengangs auch ein klares Berufsziel verfolgt, nämlich das der Gymnasiallehrerin. Dieser Plan verspricht eine größere Laufbahnsicherheit als eine wissenschaftliche Karriere in der Geschichtswissenschaft. Es ist plausibel davon auszugehen, dass mit der Aufnahme eines Lehramtsstudiums typischerweise eine vergleichsweise starke Sicherheitsorientierung einhergeht (vgl. König
2019). Eine Promotion hingegen, zumal in der Geschichtswissenschaft, ist in dieser Hinsicht weniger eindeutig (z. B. Lenger
2008, S. 81 ff.). Im konkreten Fall geraten Promotion und eine wissenschaftliche Karriere für die Interviewte erst durch eine Intervention als Optionen in den Blick. Von einem bereits promovierten Wissenschaftler bekommt sie einen „äußeren Impuls“. Die direkte Ansprache bietet die Möglichkeit, den bisher verfolgten Zukunftsentwurf zu hinterfragen. Die Art und Weise, wie der besagte Assistent seine Wertschätzung artikuliert hat, lässt sich aus diesem kurzen Bericht nicht erschließen. Jedoch wird deutlich, dass sowohl eine Promotion wie auch eine Wissenschaftskarriere von ihm als realistische Möglichkeiten thematisiert wurden. Dies legt die Interviewte retrospektiv als Talentförderung aus.
Dass Interventionen, wie die direkte Ansprache durch Dozierende, Einfluss auf Möglichkeitshorizonte haben können, hängt von unterschiedlichen Bedingungen ab. Die Zugehörigkeit zur Wissenschaftsgemeinschaft verbindet in den Interviews die Akteure, die am Warming up beteiligt sind. Dabei handelt es sich primär um Akteure, zu denen die Interviewten an ihren jeweiligen Universitäten
Zugang hatten und mit denen sie, beispielsweise aus Lehrveranstaltungen, mehr oder weniger
persönlich bekannt waren.
7 Schließlich ist hier die
Karrierephase zu bedenken. Diese ist deshalb von Relevanz, da sich das evaluative Repertoire von Wissenschaftler*innen im Karriereverlauf verändert. So zeigen Maximilian Fochler, Ulrike Felt und Ruth Müller (
2016) am Beispiel der Lebenswissenschaften auf, dass vor dem Erlangen des Doktorgrads vielfältigere Bewertungsmaßstäbe angelegt werden als in der Postdoc-Phase. Übertragen auf das Warming up in Interaktion mit Dozierenden könnte dies bedeuten, dass mangels eines feldspezifischen Wissens und Möglichkeitssinns die Hinweise und Ansprache durch Dozierende ein besonderes Gewicht entfalten können. In späteren Karrierephasen hingegen, wenn sich das Gewicht unterschiedlicher evaluativer Referenzen verändert hat, ändern Interventionen durch Dritte potenziell ihre Relevanz und Funktion. Es ist plausibel anzunehmen, dass Mentor*innen oder „Stabilisatoren“ (Funken et al.
2015, S. 178) dann primär für die Aufrechterhaltung des Glaubens an die individuellen Karrierechancen benötigt werden.
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Neben der direkten Ansprache und Förderung durch Dozierende gibt es eine zweite typische Konstellation in den Erzählungen über Erweiterungen des Möglichkeitshorizonts:
Bewährungsproben. Darunter lassen sich Bewertungsprozesse fassen, welche die relative Wertigkeit von Wissenschaftler*innen zum Gegenstand haben und diese mit erzeugen. In der Wissenschaft können zuvorderst Promotion und Habilitation als Bewährungsproben verstanden werden. Daneben können auch Bewerbungsverfahren oder Gutachten, welche die Eignung oder Leistung einer Person evaluieren, als solche verstanden werden. Da im Rahmen dieser Verfahren Aussagen über die Wertigkeit von persönlichen Forschungsperspektiven und -kompetenzen formuliert werden, fordern diese das wissenschaftliche Selbst heraus, wenn das Ergebnis der Bewährungsprobe mit den eigenen Erwartungen kollidiert.
9 Hinzu kommt bei stärker formalisierten Bewertungen wie Gutachten, Zeugnissen und Zertifikaten, dass diese als Kapital im Feld fungieren und – gestützt durch die Legitimität der jeweiligen Bewertungsverfahren – für Bewertete, Bewertende und ein wie auch immer geartetes Publikum Eignung oder auch Leistung dokumentieren.
10 Das folgende Beispiel verdeutlicht die Relevanz von Bewährungsproben für die Erweiterung des Möglichkeitshorizonts. Es bezieht sich auf die positive Bewertung einer Promotion. Diese bekommt zusätzliches Gewicht durch eine zeitgleich freiwerdende Habilitationsstelle, die der Interviewte angeboten bekommt. Auf eben diese Stelle bezieht er sich eingangs:
Also, das war relativer Zufall, allerdings auch unterfüttert durch zweimal summa, dies auf die Diss gab, also einmal von meinem Chef. Das kommt wahrscheinlich häufiger vor, dass der eigene Chef das toll findet, und das andere war [Prof. X] gewesen, un das konntn wir schwerer einschätzen, wie [Prof. X] dann so benotet, und da weiß ich noch, dass ich sehr happy war, von [Prof. X] da auch ein summa zu kriegen. Also das war so ein Moment, wo ich dachte, ach, also die Wissenschaftskarriere, jetzt könnte sie so richtig starten. (BWL, m, promoviert)
Mein Interviewpartner rahmt das Zusammenkommen von frei werdender Position an der Professur seines Erstbetreuers und zeitnahem Abschluss seiner Dissertation als zufällig. Damit wählt er eine besondere Form der kausalen Beschreibung, die weder auf sein eigenes Handeln noch auf eine Förderung durch seinen damaligen Vorgesetzten verweist. Vielmehr wird die zeitliche Koinzidenz als Zufall markiert, also einer nicht zu beeinflussenden Größe zugerechnet. Dass er für die Position infrage kommt, schreibt er aber nicht nur der zeitlichen Passung, sondern auch seiner Leistung in der Promotion zu. Die Bewertung durch seinen Erstbetreuer relativiert er mit Verweis auf dessen Rolle als Vorgesetzten, während er mit Blick auf das zweite Gutachten das Ergebnis kaum zu antizipieren vermochte. Bis zu diesem Punkt im Interview hat mein Gegenüber mehrfach davon gesprochen, dass sein ursprünglicher Plan war, nach dem Studium der Betriebswirtschaft in die freie Wirtschaft zu wechseln. Eine wissenschaftliche Karriere war für ihn kein Thema. Dass beide Gutachter mit summa cum laude begutachteten, stößt eine Öffnung des Möglichkeitshorizonts an, welche materiell abgesichert wird durch die zeitnah frei verfügbare Habilitationsstelle. Dieses Moment der Erweiterung des Möglichkeitshorizonts, von dem mein Interviewpartner berichtet, lässt sich als Warming up deuten. In diesem Fall führt es dazu, dass ein Akteur sich auf das Risiko einer Wissenschaftskarriere einlässt, wobei das Zusammenkommen von freier Stelle und positiver Bewertung als vorläufiger Gewinn angesehen werden könnte. So stellt die angebotene Position eine komfortable Ausgangsbasis für die weitere Tätigkeit in der Wissenschaft dar, während die bestandene Promotion in Verbindung mit der sehr guten Bewertung für ihn selbst und andere seine Eignung dokumentiert.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es zwei typische Konstellationen gibt, welche eine Öffnung des Möglichkeitshorizonts in Wissenschaftskarrieren anstoßen können. Auf die Relevanz von Ansprache und Förderung durch Dozierende wurde verschiedentlich hingewiesen. So unterstreicht beispielsweise Rogge (
2015, S. 699 ff.) die positiven Effekte von beruflicher Förderung für die Einschätzung der Karrierechancen.
11 Die Beobachtung, dass Bewertungen und Bewährungsproben nicht nur Anlass für ein Cooling out, sondern auch für ein berufliches Warming up bieten können, verweist hingegen auf eine Leerstelle bisheriger Studien.
4.2 Offenhalten des Möglichkeitshorizonts durch Erwartungsmanagement
Um den Möglichkeitshorizont offenzuhalten, greifen die interviewten Wissenschaftler*innen auf unterschiedliche Strategien zurück. Ein Teil dieser Strategien kann als
präventives Erwartungsmanagement verstanden werden (vgl. Goffman
1952, S. 460). Zu den im Kontext von Wissenschaftskarrieren beobachtbaren Strategien zählt, erstens, eine Kombination von zurückhaltendem und verborgenem Engagement. Diese äußert sich in einer
Distanzierung vom strategischen Karrierehandeln. So fällt mit Blick auf die Selbstbeschreibungen der interviewten Wissenschaftler*innen auf, dass die wenigsten das eigene Handeln als karriereorientiert beschreiben. Diese Zurückhaltung spiegelt zum einen die Anforderungen an die Darstellung eines leidenschaftlichen wissenschaftlichen Habitus. Zum anderen erscheint eine offen artikulierte Karriereorientierung vor dem Hintergrund des deutschen Wissenschaftsfeldes und seiner Chancenstrukturen als unsichere Wette auf die Zukunft. Das entsprechende Wissen ist allen vertraut (vgl. Funken et al.
2015, S. 167).
12 Neben der Strategie der Distanzierung findet sich, zweitens, das
parallele Verfolgen mehrerer Erfolgsziele. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass parallel mehrere Stellenausschreibungen bedient werden oder aber neben der Bewerbung um eine Stelle die Einwerbung von Forschungsmitteln als Ziel verfolgt wird. Schließlich lässt sich, drittens, das eigene
Commitment reflexiv in den Blick nehmen. Problematisch wird diese Strategie dann, wenn die präventiven Deutungen das Zutrauen in die Möglichkeit einer Wissenschaftskarriere unterminieren. In diesem Sinne lässt sich das folgende Plädoyer für Enttäuschungstoleranz verstehen:
Also, deshalb wollte ich nur sagen, also, um in diesem Bereich Erfolg zu haben, man muss, man kann es auch positiv sagen, man muss, ich habe jetzt gesagt, man muss ein bisschen blöd sein, man könnte aber auch positiv sagen, man muss ein dickes Fell haben. Sie müssen, sie dürfen niemals die Überzeugung verlieren, dass sie es können. Wenn sie das verlieren, wenn sie irgendwann nicht mehr davon überzeugt sind, dass sie tatsächlich jemand sind, der das, der irgendwann eines Tages da Erfolg haben wird, dann wird es, glaube ich, sehr schwer. Also, Selbstzweifel dürfen sie nicht so sehr viel zulassen. (Geschichte, m, promoviert)
Die Strategien des präventiven Erwartungsmanagements müssen im Zusammenspiel mit potenziellen Erwartungsenttäuschungen gesehen werden. Diese Strategien erlauben es, eigene wie auch fremde Erwartungen mit Blick auf karriererelevante Ereignisse so zu rahmen, dass das wissenschaftliche Selbst nach Möglichkeit nicht in Bedrängnis gerät. Damit können sie dazu beitragen, den Möglichkeitshorizont offen- und an Entwürfen und Zielen festzuhalten. Erwartungsmanagement ist jedoch nicht nur im Modus der Vorsorge beobachtbar, sondern auch als Nachsorge, d.h. wenn sich Erfolgserwartungen nicht erfüllen. Im folgenden Interviewauszug berichtet ein habilitierter Historiker von seinen bisherigen Erfahrungen mit Berufungsverfahren:
Ja viel kann ich da nicht sagen, äh, ich bewerb mich meistens [für] gar nix, manchmal Schriften einreichen, ganz selten Vorsingen, äh, und dann halt ich eben nen Vortrag und komme in der Regel nicht auf die Liste, so. (Geschichte, m, habilitiert)
Die bisherige Bilanz fällt in der Darstellung des Interviewten ernüchternd aus. Entsprechende Erfahrungen können unterschiedlich gerahmt werden, sie tangieren aber nicht zwangsläufig den Möglichkeitshorizont, wie die lakonische Bemerkung des zitierten Historikers zeigt. Er lässt durchscheinen, dass er sich bereits einige Male auf eine Professur beworben hat. Der damit einhergehende Anspruch ist nicht ohne Grundlage. Zum einen dokumentiert seine Habilitation, dass er nach der Promotion erfolgreich ein zweites thematisches Feld erschlossen hat und damit eine der relevanten Anforderungen für eine Berufung in den Geschichtswissenschaften erfüllt. Diese zeichnen sich nicht nur durch eine vergleichsweise hohe Habilitationsquote aus, sondern auch durch eine weiterhin hohe Relevanz von Monografien (BuWiN
2021, S. 190 ff.). Zum anderen hat er sich in der Vergangenheit bereits erfolgreich um Drittmittel bemüht, wie im Interview deutlich wird. Seine ernüchternde Bilanz zum Zeitpunkt des Interviews übersetzt sich nicht in eine Einengung seines Möglichkeitshorizonts oder die Entwicklung alternativer Karriereziele. Vielmehr wird er sich bei der nächsten ausgeschriebenen Professur, die seinem Profil hinreichend entspricht, wieder bewerben. Dazu ist eine Deutung der bisher gescheiterten Bewerbungen notwendig, welche seine individuelle Eignung für die Wissenschaft nicht dauerhaft infrage stellt.
13 Diese Strategien des Erwartungsmanagements – im Sinne eines Holding steady – sind theoretisch wie empirisch interessant, da an ihnen deutlich wird, dass auch das Festhalten an Karriereentwürfen mit Arbeit verbunden ist. Wie sieht das konkret aus? Im folgenden Auszug berichtet derselbe Interviewpartner von seinen Erfahrungen mit abgelehnten Förderanträgen:
Ähm abgelehnt worden sind, sind Druckkostenzuschüsse, äh, und Projekte, die ich mit anderen gemeinsam mache. Da hatt ich, glaub ich, zwei, da haben wir viel Zeit reingesteckt, und die sind dann abgelehnt worden, und da war es dann so, bei der Kritik, dass man sagen konnte, okay, kann man akzeptiern. Hätte man nicht ablehnen müssen, kann man aber auch ablehnen, und dann ist die Frustrationstolera-, also der Frust ist dann nicht ganz so groß. (Geschichte, m, habilitiert)
Der interviewte Historiker geht nicht näher auf die abgelehnten Druckkostenzuschüsse ein, sondern führt an, dass zwei gemeinschaftlich verfasste Förderanträge negativ entschieden wurden. Die Konstellation, mit mehreren Autor*innen einen Antrag verfasst zu haben, ist nicht unwesentlich für die Bearbeitung der Enttäuschung. Denn als Gruppe gescheitert zu sein, fordert nur bedingt das wissenschaftliche Selbstbild heraus, wenn das Scheitern individuell nicht anerkannt wird (Fürst
2016). Zudem verknüpft der Interviewte seine persönliche Reaktion auf die Ablehnung mit deren sachlicher Begründung. Mit dieser Betonung der Sachdimension wird die abschlägige Entscheidung, trotz der investierten Arbeitszeit, als legitim anerkannt. Damit dies möglich ist, müssen sich das evaluative Repertoire der Gutachtenden und der Begutachteten möglichst decken. Es ist plausibel anzunehmen, dass dies in späteren Karrierephasen wahrscheinlicher ist (Fochler et al.
2016). Neben der Karrierephase sind weitere Elemente für die erfolgreiche Umdeutung relevant. So können z. B. die Begründungen für Förderentscheidungen – neben eventuellen präventiven Rahmungen – als Bausteine für die Bearbeitung und Deutung von enttäuschten Erfolgserwartungen fungieren. Beispielsweise ermöglichen quantitative Angaben zur Anzahl der eingegangenen Bewerbungen oder Anträge eine Rechtfertigung des Misserfolgs mit Verweis auf die Chancenstrukturen.
14 Vermittelt über eine entsprechende Deutung der enttäuschten Erfolgserwartungen lässt sich dann an den Zielen und Entwürfen festhalten oder lassen sich diese anpassen, ohne das wissenschaftliche Selbst grundlegend infrage zu stellen.
4.3 Einengung des Möglichkeitshorizonts und Prozesse des Cooling out
Der Möglichkeitshorizont von Wissenschaftler*innen entwickelt sich im Karriereverlauf, er kann sich sukzessive erweitern oder verengen. Relevant dafür sind vor allem die Kumulation gleichgerichteter positiver oder negativer Ereignisse (vgl. Berli et al.
2019). Neben einer zeitlichen Komponente – im Sinne einer wahrgenommenen zeitlichen Nähe – lässt sich davon ausgehen, dass starke Kontraste zwischen diesen Ereignissen und den eigenen Erwartungen zu bearbeitungswürdigen Spannungen führen können. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Möglichkeitshorizont zunächst erweitert wurde und infolge einer anschließenden Kumulation von Erwartungsenttäuschungen die Karriereambitionen wieder reduziert, Forschungsvorhaben ad acta gelegt oder Manuskripte nicht publiziert werden. Analog zu Prozessen des Warming up sind auch im Cooling out zwei Konstellationen von besonderem Interesse. Zum einen ist dies die Beziehung zu Förder*innen und Mentor*innen, zum anderen sind es die Erfahrungen in Bewertungsprozessen und insbesondere Bewährungsproben. Im folgenden Interviewauszug berichtet mein Gegenüber lebhaft, dass er sich für sein Habilitationsprojekt relativ strategisch ein thematisches Feld gesucht hat, das gerade im Kommen und zugleich noch wenig durch Publikationen bearbeitet war:
[…] da war ich dann eine Zeitlang auch sehr rührig, was Publikationen anging, und hatte nen Auslandsaufenthalt […], und das sollte ne Habil werden, international vergleichend […]. Und als ich von dort zurück kam und mit Begeisterung so meine Erkenntnisse zu Papier gebracht habe, da habe ich zum ersten Mal, dass das für unsre Standardzeitschriften ziemlich uninteressant war. Also ich fand das hochspannend, ne, wie entwickelt sich so ein Konzept, also das war ja fast ne, so ne Art historische Betrachtung […], und die Zeitschriften haben mir die Artikel quasi zurückgeschickt, also die fandn es wenig, wenig spannend. Also da gings, also zeitgleich haben dann andere Leute irgendwie so Befragungen gemacht, ne, mit 200 Unternehmen […], und das ein bisschen multivariat ausgewertet, und das wurde abgedruckt, während diese eher historische Herangehensweise, das fanden die gar net so interessant, ähm, genau. Und da bin ich auch zum ersten Mal selbst ins Zweifeln gekommen, ob ich da glücklich werde, in dem, in dem Umfeld, ob ich das liefern kann, was die Szene so will, gleichzeitig gabs auch son Paradigmenwechsel, dass ja die Art, wie mein Chef groß geworden ist, das würde ja heute überhaupt net mehr zählen. (BWL, m, promoviert)
In dieser retrospektiven Betrachtung werden unterschiedliche Dinge deutlich. Zunächst zeigen sich die hohen Erwartungen, die mit dem Habilitationsprojekt verbunden waren. Da ist zunächst die rege Publikationsaktivität zu nennen, wobei die Formulierung recht unbestimmt ist. Der Forschungsaufenthalt diente der Datenerhebung in zwei Ländern. Zurück in Deutschland investiert mein Interviewpartner Zeit, um das in eine Form zu gießen, die er gleichermaßen als relevant und publikationsfähig ansieht. Aus den Reaktionen der „Standardzeitschriften“ für sein Fach liest er ab, dass sich zwischen seiner Begeisterung für das Thema, seinen Auswertungen und den Reputation versprechenden Publikationsmöglichkeiten eine deutliche Kluft auftut. Mehr noch: Den Peer-Review-Prozess überstehen Manuskripte aus Projekten, die sowohl konzeptionell als auch methodisch deutlich anders ausgerichtet sind. Diese Erfahrung verknüpft er in seinem Bericht mit Zweifeln an seiner Passung für eine wissenschaftliche Erfolgsposition. Somit beschreibt der Interviewte hier, wie er auf eine Professur hinarbeitet, ohne diesem Ziel näher zu kommen. Seine Arbeit an der Habilitation und an Manuskripten für Fachzeitschriften ist strategisch grundiert, führt aber nicht zum intendierten Erfolg. Hinzu kommt der Zweifel daran, ob das Karriereziel wirklich so erstrebenswert ist („ob ich da glücklich werde“). Mein Interviewpartner rahmt die angepasste Einschätzung seiner Karrierechancen durch den Hinweis auf geänderte Rahmenbedingungen für Karrieren in seinem Fach. Als Beleg für den „Paradigmenwechsel“ führt er an, dass die Karriere seines Vorgesetzten – den er im Verlauf des Interviews mehrmals als wichtige Identifikationsfigur benennt – unter den aktuell geltenden Bedingungen nicht wiederholbar sei. Im Rückblick formuliert er, dass er unsicher wurde, die Erwartungen der „Szene“ bedienen zu können. In der Tat haben sich die Reputationskriterien in der BWL in den vergangenen Jahrzehnten verändert (vgl. am Beispiel der Schweiz: Burren
2010, S. 198 ff.). Was hier aus der zeitlichen Distanz abgeklärt und reflektiert berichtet wird, stellt zugleich den Einstieg in einen langwierigen Anpassungsprozess dar, der in einer Einengung des Möglichkeitshorizonts mündet. Mein Interviewpartner ist immer noch in der Wissenschaft tätig, aber von dem Ziel Professur hat er nach diesen und anderen Erfahrungen – wie im Verlauf des Interviews deutlich wird – Abstand genommen. Seine Position zum Zeitpunkt unseres Gesprächs steht im Einklang mit dem Selbstbild, das er vermittelt. Dies betrifft beispielsweise seine Einschätzung der Vor- und Nachteile von Professuren, die er im Interview darlegt. Gesenkt haben sich also vor allem seine Aspirationen in Bezug auf seine Position innerhalb der Universität. In Bezug auf seine Themen ist er seinem Habilitationsprojekt treu geblieben und findet für seine Schwerpunkte auch Anerkennung, sodass er weiterhin forscht, publiziert und lehrt. Nun allerdings ohne eine Professur anzustreben.
Eingedenk der Chancenstrukturen im gegenwärtigen Wissenschaftsfeld ist eine Einengung des Möglichkeitshorizonts für viele promovierte Wissenschaftler*innen wahrscheinlich. Im obenstehenden Interviewauszug finden sowohl der damalige Vorgesetzte als auch Bewertungsprozesse Erwähnung, als wir im Interview über das Habilitationsprojekt und dessen Bearbeitung sprechen. Sie können beide für die Abkühlung von Karriereentwürfen relevant werden. Während eine Förderung durch andere Forscher*innen sich auch darin äußert, dass Entwürfe stabilisiert oder Enttäuschungen interaktiv umgedeutet werden (vgl. Funken et al.
2015, S. 178), stellt das Fehlen einer entsprechenden Unterstützung für die Bearbeitung von enttäuschten Erfolgserwartungen eine zusätzliche Herausforderung dar. Die Relevanz von Bewertungen für die Abkühlung von Ambitionen verdankt sich zum einen dem Umstand, dass ihnen zum Teil ein objektiver Charakter zugesprochen wird. Zum anderen können Misserfolge (beispielsweise abgelehnte Manuskripte oder Förderanträge) auch negative Auswirkungen auf die weitere wissenschaftliche Arbeit haben, indem sie – ohne einen für andere sichtbaren Ertrag – Zeit und andere Ressourcen binden bzw. gebunden haben.