Ein Problem bei der Interpretation der Studien ergibt sich daraus, dass in den Studien häufig weder eine untere noch eine obere Größenbeschränkung oder nur die angestrebte Größenklasse angegeben wird. Die Studien, die kleinere Partikel erfassen, wie einige der Studien mit Wasser in Flaschen und Leitungswasser, ergeben im Allgemeinen höhere Partikelanzahlkonzentrationen. Die erste Frage, die geklärt werden muss ist: Welche Partikelgrößen beziehen wir in die Betrachtung mit ein?
5.1 Exposition
Internationale Studien schätzen die Anzahl der MP-Teilchen in den Meeren zwischen 5 und 50 Billionen Teilchen (>330 µm bzw. 280 μm), bei einer
Masse von 32.000 bis 236.000 Tonnen, wobei die Probenahmen üblicherweise mit Schleppnetzen gemacht werden und die Daten sich auf die obersten 10 (−15 m) beziehen (Eriksen et al.
2014). Zwei Studien zur Abschätzung der Häufigkeit von MP auf der Meeresoberfläche gehen von einer 100-fach geringeren Zahl von kleinen MP-Teilchen (<1 mm) im Vergleich zu größeren MP (1 bis 5 mm) aus (Cózar et al.
2014; Eriksen et al.
2014).
Koelmans et al. (
2019) untersuchten 50 Studien, deren Datenqualität zum Teil sehr schlecht war und von denen nur vier eine positive Bewertung für alle vorgeschlagenen Qualitätskriterien erhielten (Koelmans et al.
2019). Die MP-Konzentrationen, angegeben als Anzahl an Partikel, umspannten insgesamt zehn Größenordnungen (1 × 10
−2 bis 10
8 Partikel/m
3) je nach Einzelprobe und Wasserart. In Oberflächengewässern decken MP-Konzentrationen >300 μm einen weiten Konzentrationsbereich ab, ungefähr 1 × 10
−3 bis 10 Partikel/L; für Leitungswasser (Bereich 1 × 10
−4 bis 100 Partikel/L) werden oft höhere Zahlen gemessen, weil sehr oft Partikel ab 1 µm oder ab 100 μm erfasst werden.
Eine österreichische Studie (Hohenblum et al.
2015) untersuchte MP (>500 µm) in der fließenden Welle der Donau und fand mittlere Jahresfrachten in Aschach <14 t pro Jahr und in Hainburg <41 t pro Jahr. Wenn man eine mittlere Durchflussmenge in Wien rund 2000 m
3 pro Sekunde berücksichtigt, dann liegen die Konzentrationen bei ca 0,0007 mg/L und damit weit unter der Konzentration von anderen Spurenstoffen. Diese Studie untersuchte auch 30 Fische aus der Donau im Bereich der Messstelle Hainburg auf das Vorkommen von Plastik im Verdauungstrakt. Es konnten in den untersuchten Fischen keine Plastikteilchen identifiziert werden.
In einer Vielzahl anderer Studien wurde die
Aufnahme von MP in Organismen unterschiedlicher trophischer Ebenen dokumentiert, wie Filtrierern, z. B. der Muschel
Mytilus edulis (Browne et al.
2008), Wirbellosen (Murray und Cowie
2011) oder kommerziell gefangenen Fischarten (Lusher et al.
2013; Miranda und Carvalho-Souza
2016; Neves et al.
2015).
MP hat eine Größe und oft auch Farbe, die wie charakteristischen Beuteorganismen ähnelt, was das Potenzial der Aufnahme durch Wasserorganismen erhöht (Ory et al.
2017). MP kann auf unterschiedliche Weise in das Nahrungsnetz aquatischer Spezies gelangen:
-
direkt durch Aufnahme von MP,
-
durch zufällige Aufnahme,
-
Verwechslung mit Nahrung oder
-
durch Aufnahme einer Beutetierart, die bereits MP enthält (Wright et al.
2013).
Lusher et al. (
2013) fanden z. B. in zehn Arten von pelagischen und demersalen Fischen aus dem Ärmelkanal in 36,5 % MP, während Neves et al. (
2015) von 26 Meeresspezies an der portugiesischen Küste in 19,8 % der Fische Plastikabfälle im Verdauungstrakt fanden. Eine Untersuchung von 2233 Fischen aus zwei Flussmündungen (von 69 Arten) in Brasilien zeigte, dass 9 % der Individuen (24 Arten) unabhängig von der Fischgröße, MP (durchschnittlich 1,06 ± 0,30 Partikel/Gesamtfisch) im Darminhalt hatten (Vendel et al.
2017).
Eher kritisch zu sehen ist MP in Nanogröße, weil diese Partikel hauptsächlich über Endozytose über die Zellmembran transportiert werden und somit als zellulärer Vektor (Trojanisches Pferd) für andere Chemikalien oder Nano-Additive dienen können. Was das Vorkommen von MP in Nanogröße in der Umwelt betrifft, sind die Konzentrationen aufgrund methodischer Einschränkungen unbekannt. Ohne ein Verständnis der Menge in der Umwelt ist es jedoch schwierig, eine umweltrelevante Dosis für Experimente oder Risikobewertungen zu identifizieren.
In Bezug auf die
Lebensmittelsicherheit hängen die möglichen Auswirkungen von MP auf die menschliche Gesundheit von der Exposition durch die Nahrung und das Trinkwasser ab. Die angegebenen Konzentrationen sind im Wesentlichen von der Bestimmungsmethode abhängig. In einer eigenen BOKU-Studie (Vymetal
2016) wurden Oberflächenwässer, Uferfiltrate und abgefüllte Flaschenwässer untersucht. Während in Oberflächenwässern MP (>30 µm) gefunden wurde, konnten in den Uferfiltraten keine MP-Partikel (>30 µm, Probenvolumen >100 L) detektiert werden. In den abgefüllten Wässern reichten die Ergebnisse von 0 bis 10 Partikel/L. Auch eine norwegische Studie kommt zu dem Schluss, dass in Norwegen MP im Trinkwasser nicht nachgewiesen wurde (Nachweisgrenze 4,1 Partikel/L) (Uhl und Eftekhardadkhah
2018). Im Gegensatz dazu fanden Kosuth et al. (
2018) in 81 % der 159 weltweit bezogenen Leitungswasser- und Flaschenwasserproben anthropogene Partikel. Die meisten dieser Partikel waren Fasern (98,3 %) mit einer Länge zwischen 0,1 und 5 mm. Der Bereich betrug 0 bis 61 Partikel/L, mit einem Gesamtmittel von 5,45 Partikel/L (Filterporenweite 2,5 µm, Probenvolumen 500–600 ml). In dieser Studie wurden nicht angefärbte Partikel mikroskopisch erfasst und als MP ausgewiesen. Eine Verifikation mittels Raman oder FT-IR wurde nicht vorgenommen. Mason et al. (
2018) fanden in 93 % von insgesamt 259 untersuchten Flaschenwasserproben durchschnittlich 10,4 MP-Partikel/L > 100 μm. Bei der Hälfte dieser Partikel wurde mittels FTIR-Spektroskopie bestätigt, dass sie Polymere sind, wobei Polypropylen, das für Flaschenverschlüsse verwendet wird, am häufigsten war (54 %). Kleinere MP-Partikel (6,5–100 μm) wurden nach Adsorption von Nilrot-Farbstoff spektroskopisch durch Fluoreszenz, ohne Verifikation, erfasst. Es wurden durchschnittlich 325 MP-Partikel/L (6,5–100 µm) in den Flaschen gefunden (MP-Kontaminationsbereich von 0 bis über 10.000 MP-Partikeln/L), wobei 95 % der Partikel zwischen 6,5 und 100 μm groß waren. Die Daten legen nahe, dass die Kontamination zumindest teilweise von der Verpackung und/oder dem Abfüllprozess selbst herrührt.
Von der EFSA (
2016b) sollte das Risiko für den Menschen durch MP in Meeresfrüchten abgeschätzt werden. Die Konzentration von MP in marinen Spezies wurde im gesamten Verdauungstrakt bestimmt. In Fisch liegt die durchschnittliche Anzahl zwischen 1 und 7 Partikel/g. In Garnelen werden durchschnittlich 0,75 Partikel/g und Muscheln 0,2–4 Partikel (Medianwert)/g gefunden (EFSA
2016b).
5.2 Wirkungen von MP in der aquatischen Umwelt und auf den Menschen
Damit ein Risiko abgeleitet werden kann, muss zuerst eine Exposition erfolgen. Das Ausmaß des Risikos ist üblicherweise proportional zur Wirksamkeit des Stoffes und zum Ausmaß der Exposition. Es stellt sich die Frage, welche adversen Wirkungen durch welche MP-Partikelgrößen ausgelöst, bzw. welche Organ- oder Zellfunktionen gestört werden. Einige Xenobiotika verursachen Toxizitäten, indem sie an Proteine (strukturell, Enzyme), DNA (Mutationen) oder Lipide binden und diese schädigen oder mit Sauerstoff freie Radikale bilden und so Lipide, Proteine und DNA schädigen. Für all diese Reaktionen ist die sogenannte biologisch effektive Dosis entscheidend, die von der Toxikokinetik, d. h. von Adsorption, Distribution, Metabolismus und Exkretion und auch von der Toxikodynamik, der Reaktion im System selbst, abhängig ist.
Die
potenziellen toxischen Einflüsse einer Exposition gegenüber MP können vielfältig sein und von Fütterungsstörungen, Verletzungen und Geschwüren, Verstopfungen des Verdauungstrakts, die zu Pseudosättigung, Hunger und körperlicher Beeinträchtigung führen können, bis hin zu verminderter Reproduktionsleistung, Störungen des Energiestoffwechsels bzw. Veränderungen der Leberphysiologie reichen (Cole et al.
2013,
2015). Marine Organismen werden durch die Nahrungsaufnahme (einschließlich Filtration, aktive Beweidung und Sedimentaufnahme) und über die Kiemen (Belüftung) MP ausgesetzt. Aufnahme, Anreicherung und Exkretion und Wirkung von MP hängen von der Partikelgröße ab.
Faktoren für das entstehende Risiko sind zusätzlich:
-
Anzahl der Partikel;
-
Art der Teilchen (z. B. Polymertyp, Größe, Form und Alter);
-
Expositionsdauer;
-
Konzentration und Art der mit dem Kunststoff verbundenen Bestandteile und Verunreinigungen; und
-
Physiologie und Lebensgeschichte des Organismus (GESAMP
2016).
All diese Informationen sind für eine Wirkanalyse notwendig.
In den meisten Labor- und Feldstudien wird nur die Aufnahme von MP in den Darm, nicht aber die physiologische Wirkung betrachtet.
Sehr kleine MP-Teilchen (
Größenbereich nm bis einige wenige µm) können durch Zellmembranen treten und in Zellen und Geweben eine Immunantwort oder Entzündungen hervorrufen. In Laborstudien konnten letale Wirkungen vor allem durch kleine Partikelgrößen (<1 µm) beobachtet werden. Bei extrem hohen nanoskaligen MP-Konzentrationen von 1,4 bis 40 mg/ml wurde die Photosynthese bei den Algenspezies (
Chlorella und
Scenedesmus) gehemmt, möglicherweise auch aufgrund der physikalischen Blockade von Licht und Luft, außerdem wurde auch die Produktion reaktiver Sauerstoffspezies erhöht, was auf einen Zustand von oxidativen Stress hinweist (Bhattacharya et al.
2010). Daten über die Translokation in den Blutkreislauf oder ins Gewebe sind sehr selten. Browne et al. (
2008) waren die ersten, die mit Muscheln
Mytilus edulis zeigten, dass kleine Polystyrol Mikrokügelchen (3 und 10 µm; 40 Teilchen/ml) innerhalb von 3 Tagen, das Potenzial haben, sich aus dem Verdauungstrakt in die Hämolymphe zu verlagern. MP kann im Laborexperiment bei Copepoden die Mortalität erhöhen und die Fruchtbarkeit verringern (Lee et al.
2013), MP kann sessilen Organismen wie Muscheln auch den Filtermechanismus stören und eine Entzündungsreaktion auslösen (MP > 0 bis 80 μm; 2,5 g/L) (von Moos et al.
2012). Besseling et al. (
2013) stellten eine positive Beziehung zwischen der MP-Konzentration im Sediment (MP 0, 1, 10, und 100 g MP/L Sediment, Größenbereich 0,4–1,3 mm) und der Aufnahme sowie dem Gewichtsverlust durch den Wattwurm fest. Trotz dieser physischen Auswirkungen konnte keine Akkumulation im Verdauungstrakt während des Experiments (28 Tage) festgestellt werden.
MP kann auch Vektor für die synergistische und/oder antagonistische Wirkung anderer
hydrophober organischer Verunreinigungen sein; die Wirkung kann sich auf unterschiedlichen trophischen Ebenen entfalten (Anbumani und Kakkar
2018). Indirekte Gefahren wie Karzinogenese oder endokrine Störungen (Oehlmann et al.
2009; Talsness et al.
2009) sind mit Umweltschadstoffen wie z. B. Organochlor-Pestiziden (OCPs), polychlorierten Biphenylen (PCBs) und polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAHs), bromierten oder fluorierten Flammschutzmitteln, polybromierten Diphenylethern (PBDEs), Hexabromcyclodecan (HBCDs) und Perfluoralkyl-Säuren (PFAAs) sowie Zusatzstoffen (Bisphenol A (BPA), Nonylphenol (NP) und Octylphenol (OP)) verbunden, die an MP-Partikeln adsorbieren, nachdem sie an die Umwelt abgegeben wurden (Ziccardi et al.
2016). (Öko-)toxikologische Gefahren können auch von den Polymeren selbst über Restmonomere oder Polymeradditive (z. B. Stabilisatoren, Weichmacher, Flammschutzmittel) ausgehen. Bei non-target Screening-Analysen von Chemikalien wurden insgesamt 231 bis 251 organische Verbindungen auf Kunststoffabfällen festgestellt, darunter Kohlenwasserstoffe, UV-Stabilisatoren, Antioxidantien, Weichmacher, Flammschutzmittel, Schmiermittel, Zwischenprodukte und Verbindungen für Farbstoffe und Tinten (Gauquie et al.
2015; Rani et al.
2015). Die Konzentrationen der Verunreinigungen sind im Hafenbereich oft um Größenordnungen höher als im offenen Meer. Negative Effekte durch adsorbierte Chemikalien hängen vom biologischen Transfer ab, der durch äußere Faktoren wie Art, Größe und Menge des Kunststoffs, Konzentration und Eigenschaften (z. B. Hydrophobizität) der Chemikalien auf dem Kunststoff, der Ökologie (Art des Stoffwechsels und insbesondere der Trophie) und Physiologie des Tiers und der Verweilzeit im Tier beeinflusst wird. In Laborstudien mit verunreinigten Kunststoffen wurden nachteilige Wirkungen allein durch den Kunststoff nachgewiesen, die sich verstärkten, wenn die Organismen der Mischung aus Kunststoff mit sorbierten Chemikalien ausgesetzt wurden (Browne et al.
2013; Rochman et al.
2013), was darauf hindeutet, dass die Kombination aus Kunststoffabfällen und prioritären Spurenstoffen eine Mehrfachbelastung darstellen kann.
Koelmans et al. (
2016) weisen darauf hin, dass Feldstudien auch mit den Problemen der Mehrfachverursachung, des Mangels an Gradienten und der Variabilität der Umwelt zu kämpfen haben, was ihre Verwendung zum Nachweis des Beitrags der MP-Aufnahme zur Bioakkumulation einschränkt.
Die
tatsächlichen Auswirkungen von MP auf die aquatischen Ökosysteme sind wegen der limitierten Daten über die toxikologischen Risiken von MP für Wasserorganismen noch weitgehend spekulativ und die toxischen Wirkungen sind inkonsistent. Die Studien spiegeln zumeist auch nicht die subletalen chronischen Expositionsszenarien wider, denen die Biozönosen in der Umwelt ausgesetzt sind. Die Mehrzahl der veröffentlichten Wirkungen umfasst subletale Reaktionen von Organismen auf MP mit Tieren in Laborversuchen unter extremen Bedingungen. Im Vergleich zu Laboruntersuchungen gibt es nur sehr wenige direkte Hinweise auf physikalische Einwirkungen von MP in der Natur und wenig Beweise aus Feldstudien, die negative Effekte unter natürlichen Bedingungen belegen (GESAMP
2016).
Jedenfalls ist die Übertragung von MP-induzierten nachteiligen Auswirkungen auf verschiedenen trophischen Ebenen des marinen Nahrungsnetzes von hohem Interesse (Farrell und Nelson
2013; Setala et al.
2014).
Über die Auswirkungen von Mikro- und speziell sehr kleinen MP-Teilchen (d. h. Nanokunststoffpartikel <1 µm in mindestens einer ihrer Dimensionen) auf die
menschliche Gesundheit weiß man sehr wenig (Eerkes-Medrano et al.
2015; Van Cauwenberghe und Janssen
2014; Bouwmeester et al.
2015; GESAMP
2015). Lt. EFSA (
2016b) fehlen Angaben zur Toxizität und Toxikokinetik von MP und Nanokunststoff für eine Risikobewertung beim Menschen. Experimente mit Nagetieren zeigen, dass MP > 1 µm über die Lymphe in den Blutkreislauf gelangen kann, aber nicht tief in die Organe eindringen kann, während Nanokunststoffe (<100 nm) alle Organe einschließlich Plazenta und Gehirn erreichen und durchdringen können (Bouwmeester et al.
2015; GESAMP
2015). MP wurde auch in menschlichen Stuhlproben gefunden (Schwabl et al.
2018); für die menschliche Gesundheit werden deshalb eher Kunststoffadditive wie Phthalate, Bisphenol A, bromierte Flammschutzmittel, Triclosan und Organozinnverbindungen als relevant betrachtet.
Es wird auch diskutiert, dass
MP-Krankheitserreger transportieren, was ein Gesundheitsrisiko für Meeresorganismen und Menschen darstellen kann. MP kann auch die Populationsgröße sowie die Ausbreitung von Arten beeinflussen. Zukünftige Arbeiten sind erforderlich, um Ausmaß und Auswirkungen dieses Effekts zu verstehen (GESAMP
2016).