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2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Was geht hier eigentlich vor? – Die Interaktionsordnung des Workshops

verfasst von : Mascha Nolte

Erschienen in: Workshops

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

Zusammenfassung

Mit Rückgriff auf die im vorherigen Kapitel skizzierten interaktionssoziologischen Grundlagen wird die „allgemeine Rahmenordnung“ (Luhmann 1964: 297) des Workshops entlang der Sach-, Sozial, Zeit- und Raumdimension beschrieben.

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Fußnoten
1
Bei Luhmann (1964: 297 ff.) findet sich eine Beschreibung der „allgemeinen Rahmenordnung“ von Konferenzen als einem Fall von organisierten Interaktionen, welche sich– mit leichten Anpassungen – heute weitgehend auf Workshops übertragen ließe.
 
2
So stellt bspw. Svennevig (2012: 7) für Meetings im Allgemeinen fest: „In ordinary conversation, topics are not specified in advance, but are established and managed by local initiatives on a turn-by-turn basis. Meetings differ fundamentally from this organization in that some purpose for the meeting and some issues to be addressed are specified in advance and usually made available to the participants in a written agenda.“
 
3
Im Englischen benutzt Goffman die Begriffe „engagement“ und „involvement“ weitgehend synonym, worauf er selbst verweist (1963: 36). Er definiert „involvement“ wie folgt: „involvement refers to the capacity of an individual to give, or withhold from giving, his concerted attention to some activity at hand.“ (1963: 43).
 
4
Mit der Frage, welche interaktionalen Verläufe und sprachlichen Merkmale die Entscheidungsfindung innerhalb von Interaktionen in Organisationen konstituieren, befasst sich Huisman (2001) in ihrer konversationsanalytischen Untersuchung zu Management-Meetings in verschiedenen niederländischen Organisationen. Auf den häufig nur marginalen Einfluss von Management-Meetings auf organisationale Entscheidungsfindung verweisen u. a. Peck et al. (2004).
 
5
Vgl. zu Entscheidungen über Entscheidungsprämissen auch Kieserling (1999: 354): „Im Unterschied zu sonstigen Entscheidungen sind Entscheidungen über Entscheidungsprämissen jedoch anspruchsvoller konstituiert. Sie wollen Vorentscheidungen über eine größere Anzahl von Nachentscheidungen sein, werden daher in besonderer Weise markiert und unterliegenden im Verhältnis zueinander besonderen, eigentümlich erhöhten Anforderungen an Konsistenz.“
 
6
Nicht selten wird die Moderation jedoch auch von vom Workshopthema inhaltlich Betroffenen übernommen. Auf die Rollenkonflikte, die derartige Konstellationen mit sich bringen können, wird im Kapitel „Der Auftraggeber“ ausführlicher eingegangen.
 
7
Freimuth und Barth (2014: 99) weisen darauf hin, dass „Moderation immer dort angefragt [werde], wo man den Selbstorganisationsprozessen sozialer Systeme misstraut und Strukturierungshilfe sucht“ und sehen eine von Externen vorgenommene Moderation daher als erfolgsversprechender an.
 
8
Unter „situierten Rollen“ versteht Goffman (1973c: 108 f.): „(…) ein Bündel von Aktivitäten, die deutlich vor anderen Teilnehmern ausgeübt werden, gleichzeitig aber mit den Aktivitäten der anderen in deutlichem Zusammenhang stehen. Diese Rollen unterscheiden sich so von Rollen im allgemeinen, nicht nur, weil sie in einer bestimmten sozialen Situation realisiert werden, sondern auch, weil das System, dessen Teil sie sind, als konkretes selbstkompensierende System identifiziert werden kann.“
 
9
In anderen Schriften Goffmans (1986c: 86) findet sich zudem der Begriff des „Benehmens“, der eine auffällige Ähnlichkeit zur dem der „persönlichen Fassade“ (2008: 23) aufweist. So ist mit „Benehmen“ „jenes zeremonielle Verhaltenselement [bezeichnet], das charakteristischerweise durch Haltung, Kleidung und Verhalten ausgedrückt wird und das dazu dient, dem Gegenüber zum Ausdruck zu bringen, daß man ein Mensch mit bestimmten erwünschten oder unerwünschten Eigenschaften ist.“
 
10
In der Praxisliteratur finden sich entsprechende Empfehlungen, wonach eine Moderation bestenfalls zu zweit erfolgen sollte (siehe bspw. Dauscher 2006: 35; Hirt 1993: 140; Klebert et al. 2002: 89 f.).
 
11
Vgl. zur „Situationsverantwortung“ des Moderators und inwiefern eine solche „Zentralrolle“ zur Konfliktvermeidung des Interaktionssystems beitragen kann auch Kieserling (2014: 23).
 
12
Goffman führt für diesen Fall das Beispiel einer Beerdigung an, in welcher die trauernde Familie und Gäste die dramatische Dominanz innehaben, während dem Bestatter die Regiedominanz zufällt (vgl. Goffman 1959: 101).
 
13
So verweisen etwa Johnson et al. (2010: 1602) in ihrer empirischen Untersuchung zu Strategieworkshops darauf, dass in jenen Workshops, in denen Externe mit der Moderation des Workshops beauftragt wurden, deren Rolle stark durch den jeweils beauftragenden CEO festgelegt wurde und ihr Einsatz ferner der Legitimation des Vorgehens im Workshop diente.
 
14
Freimuth und Barth (2014: 100) weisen darauf hin, dass diese Möglichkeit der Teilnehmenden, sich auf ihre „eigenen Rollen und Funktionen konzentrieren“ zu können und nicht noch gleichzeitig den „sozialen Prozess strukturieren“ zu müssen, ein wesentliches Merkmal moderierter Interaktionen darstelle und Schlüssel ihres Erfolges sei.
 
15
Goffman (1961: 148) weist zudem darauf hin, dass sich die Darstellung von Rollendistanz nicht (ausschließlich) auf die Rolle, die jemanden in einer gegebenen Interaktion zufällt, sondern auf eine weitere, umliegende soziale Einheit, von der er sich distanzieren will (bspw. die Familie, die Organisation) beziehen kann. Von Organisationsmitgliedern, die ein allgemein schwieriges Verhältnis zu ihrer Organisation haben, lässt sich demnach vermuten, dass deren rollendistanziertes Verhalten im Workshop sich nicht allein auf eine Abneigung gegenüber der spezifischen Veranstaltung zurückführen lässt.
 
16
„Role embracement“ – in der deutschen Ausgabe mit „Erfassung [der Rolle]“ übersetzt – stellt bei Goffman (1961: 106) gewissermaßen das ,Gegenstück‘ zu Rollendistanz dar: „To embrace a role ist to disappear completely into the virtual self available in the situation, to be fully seen in terms of the image, and to conform expressively one’s acceptance of it. To embrace a role is to be embraced by it.“
 
17
Im Folgenden wird der Singular beibehalten, es kann sich jedoch selbstverständlich auch um mehrere Auftraggeber oder Auftraggeberinnen handeln.
 
18
Auf diese schwierige Zwischenposition verweisen auch Freimuth und Barth (2014c: 127), wenn sie feststellen, dass moderierende „Führungskräfte oder Projektleiter (…) in der Lage sein [müssen], die unvermeidlichen Rollenkonflikte zwischen Entscheider, Experte und Moderator auszubalancieren, damit sie ihre Glaubwürdigkeit und damit ihre Wirkung in der Gruppe nicht verlieren. Mehr noch, sie müssen einsehen, dass in der Rolle der Moderation Visibilität (…) störend ist (…)“. Van Praet (2009) deckt in ihrer Untersuchung von Teamsitzungen in einer Botschaft interaktive Herausforderungen des Botschafters auf, die sich aus konfligierenden, an ihn gerichteten Rollenerwartungen ergeben. So wird zum einen von ihm erwartet, das Meeting erfolgreich zu steuern und die Beteiligten dafür einzubeziehen, zum anderen den Anforderungen an die eigene Selbstdarstellung als kompetente Führungskraft gerecht zu werden. Mit ähnlichen Schwierigkeiten lässt sich für Vorgesetzte rechnen, die in Workshops die Rolle des Moderators einnehmen.
 
19
Unter „externe Moderatoren“ werden an dieser Stelle sowohl Moderatoren verstanden, die aus einer anderen Organisation kommen als auch solche, die zwar aus derselben Organisation wie Teilnehmende und Auftraggeber stammen, jedoch – etwa wegen Zugehörigkeit zu einer anderen Abteilung – inhaltlich nicht in das Workshopthema involviert sind.
 
20
So stellen etwa Doppler und Lauterburg (2014: 424) fest: „Der veröffentlichte Anlass, die offiziellen Ziele sind natürlich immer hehr und edel. Oft aber sind auch verdeckte Interessen im Spiel – ja manchmal liegt gerade in den verdeckten Interessen der eigentliche Grund für die vorgesehene Maßnahme. Wehe, man entdeckt sie nicht rechtzeitig und lässt sich unbemerkt vor den Karren verdeckter Interessen spannen.“
 
21
Inwiefern das Verhalten eines besonders im Zentrum stehenden Interaktionsteilnehmenden sich auf das der anderen abfärbt, hat Goffman (1961: 122 ff.) anschaulich am Beispiel einer chirurgischen OP, in der dem Arzt diese Vorbildrolle zufällt, aufgezeigt.
 
22
So beobachtet Van Praet (2009: 94), die in ihrer Untersuchung von Meetings in einer britischen Botschaft auf Goffmans Konzepte zurückgreift, dass dem Botschafter von den anderen Beteiligten in den Meetings die „dramaturical superiority“ zugeschrieben wird.
 
23
Goffman (1963: 18) definiert „social occasion“ wie folgt: „When persons come into each other’s immediate presence they tend to do so as participants of what I shall call a social occasion. This is a wider social affair, undertaking, or event, bounded in regard to place an time and typically by fixed equipment; a social occasion provides the structuring social context in which many situations and their gatherings are likely to form, dissolve and reform (…)“.
 
24
Auf die zentrale Bedeutung von Vorgesprächen für die Identifizierung der Schlüsselthemen der Veranstaltung verweisen auch Bürgi et al. (2005) in einer Fallstudie zu einem Strategie-Workshop in einem Telekommunikationsunternehmen. Ein Verweis auf den hohen Stellenwert der Vorbereitungszeit der Veranstaltung, in der es gelte, die Ansichten und Positionen der Beteiligten zu erheben und die Workshopthematik auf dieser Grundlage möglichst weit einzuschränken, findet sich auch bei Frisch und Chandler (2006: 2).
 
25
Mueller (2018: 19) weist darauf hin, dass die Effekte der Zuschauersegregation für das Verständnis von organisationalem Wandel, wie er mit Workshops häufig intendiert wird, zentral sind und daher systematischer untersucht werden sollte.
 
26
Dass auch das Vorliegen einer Agenda die Anwesenden nicht von der Notwendigkeit interaktiver Aushandlungen beim Übergang zwischen von der Agenda vorgesehenen Tagesordnungspunkten befreit, zeigen Deppermann et al. (2010) in ihrer konversationsanalytischen Untersuchung eines Meetings in einem deutschen Beratungsunternehmen auf.
 
27
Die Beobachtung, dass die Planung und Steuerung des Workshops zu großen Teilen im Rahmen solcher ,Hinterbühnenabstimmungen‘ zwischen Moderatoren und Auftraggebern geschieht und Letztere im Vorfeld der Veranstaltung um eine Feinjustierung der Darstellung gemeinsam mit den Moderatoren bemüht sind, während sie sich in der Veranstaltung eher zurücknehmen, findet sich bei Johnson et al. (2010: 1611): „it is also clear that a good deal of the management of workshops is accomplished before or after the ritualized episode — ‚backstage‘ in Goffman’s (…) terms. Both the Oilco and Charity CEOs took a low-profile role during the workshops but made sure the facilitator was carefully chosen and briefed before the workshops.“
 
28
Mit dem Begriff des „away“ (in der deutschen Ausgabe mit „geistiger Abwesenheit“ übersetzt beschreit Goffman eine Form der „inward emigration“ (1963: 69), bei der sich das Individuum aus der ,wirklichen Welt‘ in die eigene Gedankenwelt begibt.
 
29
Die Erkenntnis, dass es häufig diese Randzeiten, die „Kaffeepausen“ seien, die „Synergie und Begeisterung“ bei den Teilnehmenden moderierter Veranstaltungen hervorrufen, war für Harrison Owen der Anlass zur Entwicklung der „Open Space Technology“ (2011: 3). Dabei handelt es sich um eine Methode zur Moderation von Konferenzen, die auf wenig inhaltliche Vorstrukturierung setzt und darauf zielt, dadurch die „natürliche Energie eines guten Pausengesprächs“ (ebd.: 4) zu generieren.
 
30
Ein Hinweis auf diese Möglichkeiten der ,Hinterbühnenabstimmung‘ in Pausenzeiten findet sich auch bei Groß (2018: 63): „Pausen geben die Möglichkeit, trotz weitestgehendem Konsens im Plenum, Reste von vorhandenem Dissens zu präzisieren. Unbeantwortete Fragen, die nur für Einzelne von Interesse sind, können dort weiterbesprochen werden. Jeder kann seine Eindrücke sacken lassen, persönliches Feedback geben oder einholen. Auch Moderatoren können diese Phase abseits der Bühne für kurze Rücksprachen und zum Feinjustieren nutzen.“
 
31
Mit dem „Problem der Repertoiresicherheit“ bezeichnet Goffman (2009: 116) die „Notwendigkeit, einen genügenden Vorrat nicht-offensiver Themen zu kennen, über die gesprochen werden kann, damit ein Gespräch in sicheren Bahnen verläuft.“
 
32
Die Untersuchung der interaktiven Rahmenordnung von Online-Workshops, die Frage, inwiefern sich diese von Präsenz-Workshops unterscheidet und welche Vor- und Nachteile die beiden Varianten jeweils bieten, stellt mit Blick auf die zunehmende Verbreitung digitaler Formate jedoch ein wichtiges, bisher kaum erschlossen Forschungsfeld dar.
 
33
In der Praxisliteratur wird die räumliche Trennung von der alltäglichen Betriebsstätte häufig als Erfolgskriterium für Workshops angesehen. So weisen Doppler und Lauterburg (2014: 423) darauf hin, dass ein Workshop ein „anderes Ambiente“ als Regelinteraktionen benötige.
 
34
Hinweise darauf, dass Vorgesetzten in der Sitzordnung des Kreises durch die „kontinuierliche körperliche Orientierung der Anwesenden“ eher eine exponierte, dominierende Rolle in der Interaktion zufällt, finden sich bei Bayas-Linke (2009: 101).
 
Metadaten
Titel
Was geht hier eigentlich vor? – Die Interaktionsordnung des Workshops
verfasst von
Mascha Nolte
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41334-7_3