Wer sich im „Mainstream“ bewegt, ist überzeugt, dass seine Sicht der Dinge konform sei mit der (vermeintlichen) Mehrheit, die ihre Sicht wiederum als die nicht zu hinterfragende Normalität empfindet. Wer sie dennoch hinterfragt, scheint aus Sicht derer, die sich zum Mainstream rechnen, ein Außenseiter oder gar ein fragwürdiger Querdenker zu sein. Hier beginnt das zur Ausgrenzung führende Missverstehen. Weite Bevölkerungsteile empfanden den verdeckt neoliberalen Kurs der Großen Koalition (GroKo) mit ihrer Marktlogik als Mainstream. Hinter dem Schlagwort verbirgt sich das Gefühl, dass abweichende Meinungen und Gegenstimmen von den Leitmedien nicht zur Kenntnis genommen, mithin nicht in den Diskurs aufgenommen würden. Die politische Konsonanz zwischen GroKo-Regierung und tonangebenden Medien (vor allem ARD, ZDF, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung) erschien quer durch die politischen Lager als verdächtig: „Vom Aufpasser zum Anpasser“. Menschen in eher strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands kamen zur Überzeugung, die politischen Eliten in Berlin würden vermittels der großen Medien „den Mainstream“ steuern. Ihrer Überzeugung nach verbreitet dieser journalistische „Mainstream“ Lügen, die „alternativen Medien“ hingegen die Wahrheit.
Die Etikette Mainstream gewann noch in ganz anderer Hinsicht Aussagekraft: als Strategie für eine anfangs randständige Auffassung über Gerechtigkeit, die für sich eine moralisch legitimierte Deutungshoheit beansprucht und darum zum gesellschaftlichen Mainstream werden will. Dieser Trend erwachte schon vor Jahrzehnten an US-amerikanischen Universitäten in Gestalt des Antirassismus, verband sich dann mit dem „intersektionalen Feminismus“, mit den Gender Studies und der Queer-Bewegung und trat als kulturpolitische „Social-Justice“-Doktrin im amerikanischen Hochschulleben auf – ein Geflecht aus Macht, Sprache und Wissen. Die mit aggressivem Impetus vorgetragenen moralischen Geltungsansprüche sollen „mainstreamisierend“ wirken und partikulare Positionen mehrheitsfähig machen. Doch ein kurzer Blick auf die Geschichte der Moderne zeigt, dass nur solche Bewegungen durchsetzungsfähig waren, die emanzipatorische Ziele verfolgten: gegen Diskriminierung, gegen Bevormundung und systematische Benachteiligung. Doch jene Ära des emanzipatorischen, zugleich auf sozialen Zusammenhalt gerichteten Mainstreamings scheint vorüber, die Phase der in Bubbles zerfallenden Gesellschaft hat begonnen.