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Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Was ist Inflation (und wie misst man sie)?

verfasst von : Horst Gischer, Bernhard Herz, Lukas Menkhoff

Erschienen in: Inflation in Deutschland und dem Euroraum – ein Überblick

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Mit der Inflation wird das Geld entwertet, weil man für denselben Geldbetrag weniger Güter oder Dienstleistungen kaufen kann. Dies können alle Verbraucher:innen direkt spüren, wenn sie Güter regelmäßig kaufen, deren Preise sie gut kennen, und diese dann steigen. Als Beispiel mag ein Liter Milch gelten, ein Pfund Butter oder andere Standardprodukte.
Mit der Inflation wird das Geld entwertet, weil man für denselben Geldbetrag weniger Güter oder Dienstleistungen kaufen kann. Dies können alle Verbraucher:innen direkt spüren, wenn sie Güter regelmäßig kaufen, deren Preise sie gut kennen, und diese dann steigen. Als Beispiel mag ein Liter Milch gelten, ein Pfund Butter oder andere Standardprodukte. Doch kann man sich auf diese subjektiven Erfahrungen verlassen? Wie wird Inflation tatsächlich gemessen und wie muss man diese Maße interpretieren?
Tatsächlich kann man sich auf einzelne Erfahrungen über steigende Produktpreise nicht wirklich verlassen. Was man braucht für einen Überblick sind die Preisentwicklungen aller relevanten Güter und Dienstleistungen. Dazu arbeitet die amtliche Statistik mit einem Warenkorb. Wie es der Name sagt, ist dies der bildliche Korb an Waren (als würde man damit im Supermarkt einkaufen), also eine definierte Menge an Gütern und Dienstleistungen. Jeden Monat erheben Mitarbeiter:innen statistischer Ämter die Preise dieser definierten Güter. Daraus ergibt sich, was dieser Warenkorb kostet. Die Veränderung des Preises dieses Warenkorbs ist dann das, was als Inflation gemessen wird. Sofern die Preise ausnahmsweise auf breiter Basis und anhaltend sinken, spricht man von Deflation.

3.1 Was kommt in den Warenkorb?

Das Bild des Warenkorbs ist hilfreich, denn Verbraucher:innen kaufen ganz verschiedene Waren. Entsprechend gibt es verschiedene Warenkörbe und folglich kann es verschiedene Inflationsraten geben. Am bekanntesten ist das Maß der Verbraucherpreisinflation, wie es in Zeitungen oder anderen Nachrichten typischerweise berichtet wird. Dieses Maß an Inflation beruht gedanklich auf den Warenkörben aller Haushalte, also auf der Summe der Verbraucherausgaben für Konsumzwecke. Man ermittelt also aus den gekauften Waren den „Warenkorb“ für Verbraucherausgaben.
Dazu wird allein in Deutschland eine Stichprobe aus zigtausend Haushalten genommen, sodass alle Haushaltstypen entsprechend ihrer Häufigkeit vertreten sind. Der ermittelte Warenkorb wird in der Regel alle fünf Jahre an die sich ändernden Verbrauchergewohnheiten angepasst. Für diesen Warenkorb werden dann jeden Monat die Preise erhoben. Die gesamte Vorgehensweise ist in Europa abgestimmt, sodass das Statistische Bundesamt in Deutschland die Werte an die europäische Statistikbehörde übermittelt. Die Preise dieses Warenkorbs werden in einem Index erfasst, der für einen interessierenden Zeitpunkt auf 100 gesetzt wird. Dies ist der „Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI)“, dessen Veränderung die Inflationsrate in Deutschland bzw. in anderen europäischen Ländern misst. Dieser Warenkorb setzt sich für Deutschland zurzeit (seit 2015) so zusammen wie es Abb. 3.1 zeigt.
Anmerkung: „Die ECOICOP (European Classification of Individual Consumption according to Purpose) ist eine hierarchische Klassifikation aller Produkte, die nach der Verordnung (EU) 2016/792 (Anhang I) im HVPI berücksichtigt werden müssen“ (Europäische Kommission). Die hier abgebildeten 12 Kategorien sind die Hauptproduktkategorien und werden weiter in Gruppen, Klassen und Unterklassen unterteilt (Europäische Kommission).
Die wesentlichen Warengruppen sind Nahrungsmittel (mit Alkohol und Tabak) mit einem Gewicht von 17,15 %, Energie 12,07 %, Wohnungsmieten 11,34 %, dann Industrieerzeugnisse 26,68 % und schließlich Dienstleistungen (ohne Mieten) 32,76 %. Die drei ersten Gruppen umfassen überwiegend die Grundbedürfnisse Essen, Wohnen und Wärme, und machen rund 40 % des Warenkorbs aus. Die Preise für Nahrungsmittel und Energie schwanken sehr stark, wie der Vergleich der Inflationsraten für die fünf unterschiedenen Gütergruppen in den letzten Jahrzehnten in Abb. 3.2 zeigt. Das hat auch Bedeutung für die Ausrichtung der Geldpolitik.
Anmerkung: Die Werte beziehen sich auf Deutschland, die Inflationsraten sind Veränderungen gegenüber dem Vorjahr.

3.2 Auf welche weiteren Inflationsraten achtet die Geldpolitik?

Gemäß ihrem Auftrag den Geldwert stabil zu halten, orientiert sich die Geldpolitik zuerst an den Verbraucherpreisen. Da die Geldpolitik im Euroraum einheitlich gestaltet wird, ist entsprechend die Inflationsmessung vereinheitlich worden durch den HVPI. Allerdings, und dies knüpft am vorhergehenden Abschn. 3.1 an, unterliegt dieser Index starken temporären Einflüssen, während die Geldpolitik – wie wir in Kap. 5 ausführlicher diskutieren – mittelfristiger ausgerichtet ist und auf kurzfristige Einflüsse kaum sinnvoll reagieren kann. Zudem unterliegen viele temporäre Einflüsse nicht dem Gestaltungsspielraum der Geldpolitik. Dies gilt, wenn man an die fünf oben eingeführten Warengruppen denkt, insbesondere für Nahrungsmittel und Energie.
Nahrungsmittelpreise schwanken stark durch Wettereinflüsse oder großflächige Krankheiten für Pflanzen und Tiere. Beides, Wetter und Krankheiten, sind für Geldpolitik in keiner Weise zu beeinflussen. Zudem sind beide Einflüsse typischerweise temporär. Irgendwann normalisiert sich das Wetter und Krankheitswellen ebben wieder ab. Von daher macht es Sinn, dass die Geldpolitik für ihre Ausrichtung auf eine Inflationsrate achtet, bei der diese stark schwankenden und zeitweiligen Einflüsse unbeachtet bleiben.
Ganz ähnlich trifft dies auf die Energiepreise zu. Deutschland ist in hohem Maße Importeur von Energie, gerade von Öl und Gas. Zudem gelten für die Produkte im Wesentlichen einheitliche Weltmarktpreise. Insofern ist der deutsche Einfluss auf diese Preise kaum gegeben, sie unterliegen in keiner Weise der Kontrolle durch deutsche oder auch europäische Institutionen. Gleichzeitig schwanken diese Preise besonders stark, weil sich die Nachfrage vor allem mit der weltweiten Konjunkturlage ändert, während die Fördermöglichkeiten vergleichsweise starr sind, also kaum kurzfristig angepasst werden können.
In der Konsequenz achtet die Geldpolitik deshalb in der kürzeren Frist auf Verbraucherpreise ohne die beiden stark schwankenden Bestandteile Nahrungsmittel und Energie, als den „Kern“ des Inflationsprozesses. Entsprechend wird diese spezifische Inflationsrate Kerninflation genannt. Abb. 3.3 zeigt die monatlichen Veränderungsraten (ggü. Vorjahr) für den HVPI und die Kerninflation. Man sieht den erwarteten Unterschied deutlich: im Trend entwickeln sich beide Inflationsraten ähnlich, aber innerhalb eines Jahres oder von zwei Jahren schwankt die Verbraucherpreisinflation (HVPI) stärker, während die Kerninflation stabiler bleibt.
Anmerkung: Die Werte beziehen sich auf Deutschland, die Inflationsraten sind Veränderungen gegenüber dem Vorjahr. Für die Darstellung der Kerninflation wurde auf die Definition zurückgegriffen, dass die Kerninflation durch das spezielle HVPI-Aggregat „alle Waren außer Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak“ abgebildet werden kann (Europäische Zentralbank). Quelle: Eigene Berechnungen und Eurostat.
Als dritte Inflationsrate sind die Erzeugerpreise (oder: Produzentenpreise) bzw. der Erzeugerpreisindex bedeutsam. Diese messen – wie es der Name sagt – die Preisentwicklung auf Ebene der Erzeuger oder Produzenten (genau genommen: Erzeugerpreise gewerblicher Produkte im Inlandsabsatz). Folglich läuft die Entwicklung dieser Preise denen der Verbraucherpreise tendenziell voraus, denn zuerst müssen Güter produziert werden bevor sie für den Verbrauch zur Verfügung stehen. Weiterhin verändern sich Erzeugerpreise recht stark, in der Regel stärker als Verbraucherpreise, weil es auf dem Weg zum Verbrauch noch weitere Preisbestandteile gibt, die Veränderungen glätten, wie Logistik, Vertrieb und Steuern. Die monatliche Entwicklung der Erzeugerpreise im Vergleich zu den Verbraucherpreisen (HVPI) zeigt Abb. 3.4. Man sieht unmittelbar die größeren Schwankungen der Erzeugerpreise.
Anmerkung: Die Werte beziehen sich auf Deutschland, die Inflationsraten sind Veränderungen gegenüber dem Vorjahr.
Man erkennt in Abb. 3.4, dass die Höhen und Tiefen der Preisentwicklungen von Erzeugerpreisen und HVPI gut zueinander passen, aber die Erzeugerpreise manchmal auch zeitlich vorlaufen, wie zuletzt im Jahr 2020.

3.3 Warum ist gefühlte Inflation oft höher als die gemessene?

Während die geldpolitischen Institutionen, genauso wie andere professionelle Analyst:innen, auf die oben eingeführte Kerninflation achten, um Trends aus den manchmal großen temporären Schwankungen herauszufiltern, nehmen Verbraucher:innen die Inflation häufig ganz anders wahr. Diese Debatte um gemessene versus gefühlte Inflation erhielt zum Beispiel bei der Einführung des Euro einige Prominenz.
Beispiel
Während Verbraucher:innen eine hohe Inflation (durch den Euro) beklagten, stellt die Statistik keinen durchschnittlichen Effekt durch die Einführung fest. Diese Diskrepanz konnte man damals auf drei Effekte zurückführen. Erstens war der Umrechnungskurs von D-Mark zu Euro nicht genau 2, sondern etwas kleiner (1,95), sodass bspw. ein Liter Milch statt 1,00 D-Mark nun nicht 0,50, sondern 0,51 € kostet. Viele Verbraucher:innen multiplizierten aber Europreise mit genau 2, um einen Vergleich zu den bekannten DM-Preisen zu haben und stellten folglich eine kleine Inflation fest, hier ca. 2 % (neuer Preise 1,02 im Vergleich zu ehemals 1,00). Zweitens nutzten natürlich auch manche Firmen die Währungsumstellung für Preiserhöhungen, aber dies war nur ein kleiner Teil der Erklärung. Der dritte und wohl wichtigste Effekt war die Fokussierung der Menschen auf die alltäglichen Produkte, wie gerade Lebensmittel, die aus anderen Gründen teurer wurden, aber deren Verteuerung der zeitgleichen Euroeinführung zugeschrieben wurde.
Die verstärkte Wahrnehmung bestimmter Preisänderungen lässt sich auch zu anderen Zeiten beobachten und wird durch das Konzept der wahrgenommenen Inflation erfasst und über den Index der wahrgenommenen Inflation (IWI) gemessen (Brachinger 2005). Ein Kernelement dieser Art Inflationsmessung ist die Gewichtung der Produkte im Warenkorb nicht nach den Ausgaben, sondern nach der Kaufhäufigkeit. Prinzipiell geht der Wochenendeinkauf von Brötchen viermal so stark in den Index ein wie die monatliche Mietzahlung. Dies ist ein extremes Beispiel, doch plausibel ist, dass die ständigen Käufe von Lebensmitteln wichtiger für die gefühlte Inflation sind als andere Produkte. Im konkreten Fall des IWI sind noch weitere Annahmen getroffen worden, um den Index zu berechnen, insbesondere wird davon ausgegangen, dass Preissteigerungen stärker wahrgenommen werden als Preissenkungen.
Ein grundsätzlich anderer Weg um eine gefühlte Inflation zu ermitteln sind Verbraucherumfragen wie die EU-Kommission sie monatlich vornimmt. Hierbei gibt es die Frage wie stark die Verbraucherpreise in den letzten 12 Monaten gestiegen sind. Der Zusammenhang zwischen gemessener Inflation (HVPI) und gefühlter Inflation ist deutlich bei den Veränderungen wie Abb. 3.5 für fast 20 Jahre zeigt: zum Beispiel gehen beide Maße zuletzt sehr deutlich nach oben. Allerdings liegt die gefühlte Inflation immer sehr beträchtlich über der gemessenen Inflation. Der Abstand beträgt durchaus 5 Prozentpunkte.
Anmerkung: Die Werte beziehen sich auf den Euroraum, die Inflationsraten sind Veränderungen gegenüber dem Vorjahr und die Daten sind Quartalsdaten. Die gefühlte Inflation wird durch die Europäische Kommission im Rahmen ihres Business and Consumer Survey (BCS) erfasst. Die Teilnehmer der Befragung werden hierbei gebeten einzuschätzen, wie hoch die Inflation in den letzten 12 Monaten gewesen ist.

3.4 Wen trifft die Inflation besonders?

Steigende Preise treffen alle, die die entsprechenden Güter und Dienstleistungen kaufen. Der Warenkorb, der der Messung des HVPI zugrunde liegt, umfasst die gekauften Waren mit einer durchschnittlichen Gewichtung über alle Haushalte hinweg. Wenn die Preise der darin enthaltenen Waren sich unterschiedlich entwickeln, dann wird auch die Inflation für die jeweiligen Typen an Verbraucherhaushalten unterschiedlich sein. Was abstrakt klingt, kann in der Praxis – zumindest zeitweise – einen erheblichen Unterschied ausmachen.
Vor allem steigen manchmal, wie oben gezeigt, die Preise für Nahrungsmittel und Energie sehr stark (und fallen auch manchmal sehr stark, aber das ist dann nicht problematisch). Diese beiden Warengruppen zusammen genommen machen 29,2 % des Warenkorbs aus. Allerdings ist deren Anteil für einkommensschwächere Haushalte deutlich höher; generell kann man sagen, dass der Anteil der Nahrungsmittel und Energie mit dem Einkommen abnimmt. Das ist unmittelbar einsichtig, denn essen müssen alle, aber man wird nicht beliebig viel für Lebensmittel ausgeben.
Aus der alle fünf Jahre erhobenen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts kann man die typischen Warenkörbe je nach Haushaltseinkommen ermitteln. Man sieht in Abb. 3.6 den Anteil von Nahrungsmitteln und Energie an den gesamten Verbrauchsausgaben von drei Haushaltsgruppen. Diese sind geordnet von den 20 % einkommensschwächsten bis zu den 20 % einkommensstärksten Haushalten (sogenannte Einkommensquintile), allerdings zeigt die Abbildung nur drei der fünf Quintile um übersichtlicher zu sein. Der Anteil der Nahrungsmittel sinkt von 17 % bis auf gut 10 %. Ähnlich ist es bei der sogenannten Haushaltsenergie, also den Ausgaben für Heizen und Strom im Haushalt, aber nicht für Mobilität, die mit dem Einkommen eher steigen.
Im nächsten Schritt ordnen wir den Ausgabengruppen ihre jeweiligen Inflationsraten zu und ermitteln somit die haushaltsspezifischen Inflationsraten; also die Inflationsrate für die 20 % „ärmsten“ Haushalte und für die 20 % „reichsten“. Diese betragen Mitte 2022 etwa 8 % bzw. 2 %. Die Spreizung ist noch extremer zwischen den je 10 % ärmsten und reichsten Haushalten. Allerdings war die Enthaltung der unteren Einkommensgruppen durch Hilfspakete im ersten Halbjahr 2022 besonders stark, sodass die beiden extremen Quintile sogar leicht weniger belastet wurden als die 60 % „mittleren“ Haushalte (Priem et al. 2022). Bei einer langfristigen Betrachtung gibt es über die letzten gut 20 Jahre keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen: die durchschnittlichen Inflationsraten betragen 1,74 % für das unterste, 1,76 % für das mittlere und 1,77 % für das oberste Quintil.
Bisher haben wir uns an der Inflationsmessung orientiert, wie sie in der Öffentlichkeit und Wirtschaftspolitik dominiert. Inflation bedeutet anhaltende Preissteigerungen für Güter und Dienstleistungen. Damit sind also die Verbrauchsausgaben angesprochen, doch die Haushalte sparen im Durchschnitt eine Größenordnung von gut 10 % ihrer Einkommen, bilden Ersparnisse, investieren in Geld- und Sachvermögen, insbesondere in selbst genutzte Immobilien. In der Summe besitzen deutsche Haushalte ein Vermögen von fast 8 Billionen Euro.
Auch Vermögen unterliegt der Inflation. Bei Spareinlagen ist das ganz offensichtlich, denn ein unveränderter Nominalwert von Ersparnissen verliert genauso Kaufkraft wie Einkommen. Also für 10.000 € Einlagen kann man nach einem Jahr und 2 % Inflation nur noch einen Gegenwert von 9800 € kaufen. Vielleicht beträgt gleichzeitig der Zins auf diese Spareinlagen ebenfalls 2 %, und sofern dieser nicht versteuert werden muss gleicht er den Kaufkraftverlust genau aus. Bei anderen Anlageformen sind die Verhältnisse unübersichtlicher, wie bei Aktien oder Immobilienvermögen. Bei Aktien kann man auf die lange Frist erwarten, dass die Rendite deutlich über der Inflation liegt, dafür schwanken die Kurse stark und man kann jahrelang im Minus liegen. Bei Immobilien sind die Schwankungen im Allgemeinen geringer.
Ein besonderes Phänomen bei Vermögen ist die Vermögenspreisinflation. Damit meint man generell die Preissteigerungen von Vermögenswerten, wie Aktien oder Immobilien, die wie oben erwähnt die Inflation ausgleichen oder sogar überkompensieren mögen. Besonders relevant wird dieses Thema in Zeiten extrem niedriger Zinsen, wenn Anleger:innen ihr Vermögen weg von niedrig verzinsten Einlagen in Aktien oder Immobilien umschichten und damit deren Preise hochtreiben (wie es bspw. bis Ende 2021 zu beobachten war).
Auch wenn die Verteilungswirkungen von Inflation bezogen auf Vermögen weniger im Vordergrund stehen, so gibt es doch interessante Tendenzen. Die Vermögensstruktur der Haushalte folgt ähnlich wie die Struktur der Verbrauchsausgaben einem Muster: ärmere Haushalte besitzen fast kein Vermögen, die breite Mittelklasse hält einen großen Anteil in Einlagen und selbstgenutzten Immobilien und nur die oberen Einkommens- und Vermögensschichten besitzen höhere Anteile an Wertpapieren, vermieteten Immobilien oder Firmenvermögen. Insofern sind tendenziell die besser gestellten Haushalte hinsichtlich ihres Vermögens auch besser gegen einen Kaufkraftverlust abgesichert.

3.5 Warum wird der Warenkorb zur Inflationsmessung geändert?

Änderungen im Warenkorb gibt es alle paar Jahre ganz regulär, denn er soll die Verbrauchsgewohnheiten widerspiegeln und diese Gewohnheiten ändern sich mit der Zeit. Streng genommen ändern sie sich laufend, aber das würde die Statistik überfordern. Insofern hat man sich entschlossen den Warenkorb in größeren Abständen anzupassen, meist nach etwa fünf Jahren.
Neben den regulären Änderungen des Warenkorbs gibt es auch selten Änderungen aus besonderem Grund. Solch eine Situation findet in diesen Jahren statt, denn es wird beabsichtigt, die Kosten für das Wohnen umfassender zu berücksichtigen. Bisher berücksichtigt der HVPI nur die Kosten für Mieten und für laufende Aufwendungen des (auch selbstgenutzten) Wohnens (wie Reparaturen, Heizen u. ä.). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die vollen Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum nicht in den Warenkorb einfließen. In unseren Nachbarländern Schweiz oder Tschechien, aber auch bspw. in den USA, Japan oder Australien werden bereits heute Kosten selbstgenutzten Wohneigentums von den nationalen Statistikämtern in den Inflationsindices berücksichtigt. Im Vereinigten Königreich wiederum werden zwei Inflationsindizes berechnet, einmal ohne und einmal mit selbstgenutztem Wohneigentum.
Es gibt vor allem zwei Argumente gegen eine Berücksichtigung. Zum einen handelt es sich bei Wohneigentum um Vermögen, und bei diesem Vermögen gibt es neben dem Konsummotiv ein offensichtliches Investitionsmotiv. Konzeptionell müsste man also den Investitionsanteil herausrechnen und nur der Konsumanteil wäre dem Verbrauch zuzuschlagen. Zum anderen ist es pragmatisch nicht so einfach wie bei den anderen Verbrauchsausgaben die Preise und ihre Veränderungen zu ermitteln, denn es werden gerade keine Mieten bezahlt. Also muss man kalkulatorisch Mieten ermitteln. Dies ist machbar, aber ist mit Annahmen behaftet und wird von den Statistikbehörden entsprechend auch unterschiedlich gehandhabt.
Weil die Nutzung von selbstgenutztem Wohneigentum die ansonsten fälligen Konsumausgaben für Miete ersetzt, sollte sie, so argumentieren Befürworter:innen der Berücksichtigung von selbstgenutztem Wohneigentum im HVPI, entsprechend in den Index einfließen. Und was die Messung anbelangt, so gibt es – wie bei allen Messungen – immer auch Randbedingungen über die zu diskutieren ist, die aber der Messung nicht prinzipiell im Weg stehen (für eine Diskussion solcher Verfahren vgl. Dany-Knedlik und Papadia 2021).
Empirisch macht die Berücksichtigung von selbstgenutztem Wohneigentum einen gewissen Unterschied. Dabei spielen sowohl Mengen als auch Preise eine Rolle. Hinsichtlich der Mengen wohnen ca. 75 % der Europäer:innen im eigenen Wohneigentum, während diese Quote in Deutschland mit gut 45 % vergleichsweise niedrig ist. Folglich bedeutet die Berücksichtigung selbstgenutzten Wohnens in Deutschland nicht so eine große Änderung wie in anderen Ländern. Die europäische Statistikbehörde ermittelt einen vierteljährlichen Preisindex für selbstgenutztes Wohneigentum, den OOHPI („owner-occupied house price index“). Für Deutschland steigt der Anteil aller Wohnkosten im Warenkorb um knapp 10 Prozentpunkte auf etwas über 30 %. In Italien, als Land mit hohem Eigentumsanteil, steigt der Anteil um mehr als 15 Prozentpunkte auf dann fast 30 %. Im Euroraum insgesamt liegen die Werte zwischen Deutschland und Italien, mit einem Anstieg um über 10 Prozentpunkte auf fast 30 %.
Für die Dynamik der Inflationsraten spielt die Berücksichtigung von selbstgenutztem Wohneigentum keine große Rolle, weil die volatilen Einflüsse von Energiekosten bereits im bisherigen HVPI enthalten sind. Aber vom Niveau macht es einen kleinen Unterschied: für die Jahre 2011–2014 wären die Inflationsraten im Euroraum etwas geringer gewesen (0,22 Prozentpunkte; bzw. in Deutschland +0,06 Prozentpunkte), dagegen wären sie in den Folgejahren um 0,27 bzw. 0,24 Prozentpunkte höher gewesen.

3.6 Was bedeutet importierte Inflation?

Man spricht von importierter Inflation wenn die Preise von Gütern und Dienstleistungen, die aus dem Ausland importiert werden, deutlich und anhaltend steigen. Sie fällt vor allem auf, wenn diese Preise stärker steigen als die sonstigen Preise im Inland, und dadurch die Inflation erhöhen. Dies hängt mit der Struktur der Importe zusammen, denn einen großen Anteil haben Energie und Rohstoffe, deren Preise stärker als die anderer Waren schwanken. Ein weiterer Einfluss kommt von den Wechselkursen, denn immer wenn der Euro gegenüber anderen Währungen, vor allem gegenüber dem US-Dollar, abwertet verteuern sich die Importe und umgekehrt. In Abb. 3.7 erkennt man deutlich, dass die Importpreise stärker schwanken als der Verbraucherpreisindex HVPI. Man sieht ebenfalls, dass die Importpreise sich in einiger Parallelität mit den Energiepreisen bewegen.
Anmerkung: Die Werte beziehen sich auf Deutschland, die Inflationsraten sind Veränderungen gegenüber dem Vorjahr.
Während die Importpreise über eine mögliche importierte Inflation informieren, sagen sie unmittelbar nichts über die relevante heimische Inflation aus. Zwar gibt es den sogenannten Deflator, der die Preisentwicklung der Wertschöpfung im Inland misst, doch darin gehen Exporte ein, Investitionsgüter und indirekte Wirkungen der importierten Inflation. Um diese Einflüsse gering zu halten, hat die Europäische Zentralbank jüngst einen Preisindikator von Waren mit niedriger Importintensität entwickelt, den „Low Import Intensity (LIMI) Inflation Indicator“
Die Vorgehensweise ist so, dass der europäische Warenkorb des HVPI in seine Warenbestandteile zerlegt wird, und für jeden Bestandteil der Importanteil über volkswirtschaftliche Input-Output-Tabellen abgeschätzt wird. Insofern werden nicht einfach importierte Waren erfasst, sondern für jede Ware wird über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg der Importanteil ermittelt. Dieser liegt zwischen 3 % und 68 %. Dann werden die Produkte nach ihrem importierten Anteil sortiert und in aufsteigender Reihenfolge zu Indices zusammengefasst. Für jeden Index wird ein möglichst enger mittelfristiger Zusammenhang mit dem HVPI-Index geprüft. Es ergibt sich, dass dieser Zusammenhang für den Index am größten ist, der alle Waren bis zu einem Importanteil von 18 % erfasst. Dies sind größenordnungsmäßig 40 % der Waren im HVPI-Warenkorb, in erster Linie Dienstleistungen.
Mit dem Fokus auf Dienstleistungen und dem Wegfall volatiler Energielieferungen ist es wenig überraschend, dass der Verlauf dieses LIMI-Indikators recht ähnlich dem der Kerninflation ist. Allerdings bringen die Dienstleistungen den Unterschied mit sich, dass dort der Produktivitätsfortschritt geringer als bei Gütern ist, und damit die Inflationsrate im Allgemeinen höher. Folglich verläuft auch der Trend des LIMI-Index über dem von HVPI und Kerninflation.
Fazit
Die wichtigste Form Inflation zu messen ist auf die Verbraucher:innen ausgerichtet. Diese Messung erfolgt über den HVPI (Harmonisierter Verbraucherpreisindex). Der beruht auf einem repräsentativen Warenkorb. Je nachdem wie sich dessen Bestandteile verteuern und wer davon wieviel verbraucht, kommt es zu unterschiedlich hohen Inflationsraten. Für die tiefergehende Analyse von Inflationsprozessen ist es wichtig, anhaltende von vorübergehenden Preiseinflüssen zu isolieren, wie es die Kerninflation macht. Man unterscheidet die Inflation in Erzeugerpreisen von der in Verbraucherpreisen und die importierte Inflation von derjenigen der heimischen Wertschöpfung. Die vielen Messwerte ergeben sich aus der Komplexität des Inflationsprozesses und bilden für die verschiedenen Zwecke die jeweils „richtige“ Inflationsrate ab.
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Literatur
Zurück zum Zitat Brachinger, Hans Wolfgang. 2005. Der Euro als Teuro? Die wahrgenommene Inflation in Deutschland. Wirtschaft und Statistik 9:999–1013. Brachinger, Hans Wolfgang. 2005. Der Euro als Teuro? Die wahrgenommene Inflation in Deutschland. Wirtschaft und Statistik 9:999–1013.
Zurück zum Zitat Dany-Knedlik, Geraldine, und Andrea Papadia. 2021. Berücksichtigung von selbstgenutztem Wohnen im Preisindex kann Glaubwürdigkeit der EZB stärken. DIW Wochenbericht 88(49):795–802. Dany-Knedlik, Geraldine, und Andrea Papadia. 2021. Berücksichtigung von selbstgenutztem Wohnen im Preisindex kann Glaubwürdigkeit der EZB stärken. DIW Wochenbericht 88(49):795–802.
Zurück zum Zitat Fröhling, Annette, Derry O’Brien, und Stefan Schaefer (2022). A New Indicator of Domestic Inflation for the Euro Area. ECB Economic Bulletin 4. Fröhling, Annette, Derry O’Brien, und Stefan Schaefer (2022). A New Indicator of Domestic Inflation for the Euro Area. ECB Economic Bulletin 4.
Zurück zum Zitat Hoffmann, Johannes, Hans-Albert. Leifer, und Andreas Lorenz. 2005. Index der wahrgenommenen Inflation oder EU-Verbraucherumfragen? Wirtschaftsdienst 85(11):706–714.CrossRef Hoffmann, Johannes, Hans-Albert. Leifer, und Andreas Lorenz. 2005. Index der wahrgenommenen Inflation oder EU-Verbraucherumfragen? Wirtschaftsdienst 85(11):706–714.CrossRef
Zurück zum Zitat Priem, Maximilian, Alexander S. Kritikos, Octavio Morales, und Johanna Schulze Düding. 2022. Folgen der Inflation treffen untere Mittelschicht besonders: Staatliche Hilfspakete wirken nur begrenzt. DIW Wochenbericht 89(28):387–394. Priem, Maximilian, Alexander S. Kritikos, Octavio Morales, und Johanna Schulze Düding. 2022. Folgen der Inflation treffen untere Mittelschicht besonders: Staatliche Hilfspakete wirken nur begrenzt. DIW Wochenbericht 89(28):387–394.
Metadaten
Titel
Was ist Inflation (und wie misst man sie)?
verfasst von
Horst Gischer
Bernhard Herz
Lukas Menkhoff
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40701-8_3