Die Wasserstoffwirtschaft steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Dabei wird das kleinste aller Moleküle künftig in Industrie und Mobilität gebraucht. Wie sich ein Markt dafür entwickeln könnte, erläutert Jürgen Peterseim, Director im Bereich Nachhaltigkeitsberatung bei PwC Deutschland.
Springerprofessional.de: Wie kann sich überhaupt ein Markt für Wasserstoff hierzulande entwickeln?
Jürgen Peterseim: Der Punkt ist die Infrastruktur. Wie kriegen wir das hin? Ich sehe das in drei Phasen. Bis 2030 wird der Wasserstoff lokal produziert, weil die Infrastruktur fehlt. Das bedeutet, die Endanwendungen bleiben klein. Unser Team erstellt Roadmaps für Unternehmen, und wir wissen, dass Wasserstoff derzeit nicht die kostengünstigste Maßnahme ist. Deshalb wird der in Deutschland erzeugte Strom primär direkt genutzt. Nur wenige Anwendungen werden aus Strom Wasserstoff erzeugen, etwa für Premiumprodukte wie grünen Stahl. Im Ruhrgebiet und im mitteldeutschen Chemiedreieck könnte es bis 2030 erste Pipelines geben, die Wasserstoff aus Holland in die Industriecluster bringen.
Ab den 2030er Jahren wird das deutsche und europäische Netz stärker ausgebaut sein, und größere Mengen Wasserstoff können zur Dekarbonisierung genutzt werden. Die Stahlindustrie wird dabei wohl Vorreiter sein, weil sie hohe CO2-Vermeidung erreicht und grünen Stahl produziert, dessen Preisanteil in Endprodukten verhältnismäßig gering ist. In Schweden gibt es bereits Projekte, bei denen Autohersteller wie Volvo anfangen, grünen Stahl zu nutzen. Auch die deutsche Chemieindustrie wird von den neuen Pipelines profitieren. An der Nordseeküste Deutschlands werden Importterminals für Ammoniak diskutiert, welcher zu Wasserstoff umgewandelt werden könnte.
Sobald die internationalen Routen und Pipelines etabliert sind, könnten auch Zement- und Glasindustrie sowie Kraftwerke Wasserstoff nutzen. Die Mischung aus Pipelinegas und Ammoniakimporten wird dann die Versorgung sichern. Die ersten Kraftwerke, die größere Mengen Wasserstoff nutzen, sehen wir wohl Anfang bis Mitte der 2030er Jahre
Sie haben ja schon erwähnt, dass Wasserstoff nicht gerade der günstigste Energieträger ist…
Die ersten Projekte, die wir im Markt gesehen haben, waren in Raffinerien. Als die ersten Projekte Wasserstoff nutzten, waren die Treibhausgas-Quotenpreise über 200 € pro Tonne. Dann kam preiswerter Biokraftstoff aus China auf den Markt, welcher die Quotenpreise drastisch fallen ließ.
Das macht es heute schwierig, Wasserstoffprojekte in Raffinerien wirtschaftlich zu gestalten. Hinzu kommt, dass die Inflation und Engpässe in den Lieferketten die Kosten der Projekte um bis zu 60 % erhöht haben. Dadurch stiegen die Kosten für Wasserstoff auf >10 € pro Kilogramm. Das ist unrentabel. Meiner Meinung nach werden sich die THG-Quotenpreise sowie die Lieferkettenprobleme wieder normalisieren, aber auch die Industrie muss hier eine langfristige Position einnehmen und heute in notwendige Zukunftsprojekte investieren.
In der Marktwirtschaft gehört ein gewisses Risiko zum Geschäft und kann sich auch lohnen. Um heute grüne Projekte zu realisieren, müssen wir Nischenanwendungen suchen, bei denen die Energiekosten eine geringere Rolle für den Endproduktpreis spielen. Zum Beispiel ist grüner Stahl für die Automobilindustrie sinnvoll, weil der Preisanteil am Endprodukt mit unter 2 % gering, der CO2-Anteil mit 15 bis 20 % aber hoch ist. Chemikalien sind ein weiteres Beispiel: Düngemittel aus grünem Ammoniak sind teurer. In anderen Produkten wie Matratzen macht der Preisanstieg aber nur 0,3 % aus, während die CO2-Reduktion 8 % beträgt. Es ist also entscheidend, Industrien zu finden, die lange Wertschöpfungsketten und eine hohe Wertschöpfung haben, um die hohen Kosten für Wasserstoff zu rechtfertigen.
Derzeit entstehen ja erste wasserstofffähige Gaskraftwerke. Könnten die überhaupt betrieben werden?
Unsere Stromnetze werden wahrscheinlich nicht schnell genug ausgebaut, um den zukünftig signifikant höheren Stromverbrauch zu decken. Gaskraftwerke können das schnell übernehmen. Sie haben einen hohen energetischen Nutzen und können zuverlässig versorgen.
Ich denke dennoch, dass sich dies erst mit fallenden Wasserstoffpreisen durchsetzen wird und dafür ist die Infrastruktur essentiell. Wichtig wird es sein, diese Anlagen mit maximaler Effizienz zu betreiben, um den Einfluss der höheren Brennstoffkosten auf den Strom- und auch Wärmepreis zu minimieren. Gasturbinen- und -motorenkraftwerke sind schon sehr effizient, aber es gibt auch alternative Technologien, auf die wir achten müssen.
Dann gäbe es ja noch die Brennstoffzellen, für deren Einsatz Sie auch plädieren.
Der zusätzliche Einsatz von Brennstoffzellen bietet Vorteile durch ihr besseres Strom-Wärme-Verhältnis. Wir werden in Zukunft mehr Strom benötigen, und Brennstoffzellen können dazu beitragen. In Südkorea gibt es bereits 80-Megawatt-Anlagen von Doosan. Deutschland sollte solche Technologien nicht aus den Augen verlieren, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Jedes Prozent Wirkungsgrad zählt, und Brennstoffzellen haben da klare Vorteile.
Wie sieht das Projekt in Südkorea konkret aus?
Es umfasst 80 Megawatt und nutzt Wasserstoff, der durch Elektrolyse erzeugt wird, in Brennstoffzellenkraftwerken. Diese liefern Strom und Wärme an die Stadt. Ein integriertes Konzept, das in Incheon gebaut wurde. Südkorea hat eine ähnliche Struktur wie Deutschland, ist ein hoch technologisiertes Exportland. Wenn Unternehmen dort so etwas demonstrieren können, sollten wir das auch tun. Ich war fünfzehn Jahre im Kraftwerksbau und weiß, wie wichtig Referenzprojekte sind. Wenn wir keine deutschen Referenzen hatten, konnten wir international nichts verkaufen.
Brennstoffzellenkraftwerke haben viele Vorteile: keine hohen Gebäude, keine hohen Verbrennungstemperaturen und sie sind auch Feinstaubfilter. Incheon nimmt 14.000 Tonnen Feinstaub im Jahr aus der Luft. Solche Kraftwerke können in Städte integriert werden, etwa unter einem Park. In immer dichter werdenden Städten wie Berlin könnte das eine Lösung sein. Ich denke, wir sollten solche integrierten Konzepte für Strom, Wärme und Feinstaubfilter in Betracht ziehen. Die ersten PV-Zellen waren auch teuer, aber wir müssen solche Anlagen bauen, um die Technologie weiterzuentwickeln und langfristig unsere Vorreiterrolle als Technologieland zu behalten.