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08.03.2023 | Wasserstoff | Im Fokus | Online-Artikel

So entwickeln sich Nachfrage und Preise für Wasserstoff bis 2045

verfasst von: Christiane Köllner

4:30 Min. Lesedauer
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Wasserstoff ist ein knappes und im Vergleich zu anderen Energieträgern auch teures Gut. Wo wird Wasserstoff daher zuerst eingesetzt? Dies hängt laut einer aktuellen Fraunhofer-Studie stark von den künftigen H2-Preisen ab. 

Um die Klimaziele und speziell Treibhausgasneutralität zu erreichen, spielen Wasserstoff und Wasserstoffderivate eine große Rolle. Die europäische und deutsche Wasserstoffstrategie wollen die Entwicklung von sauberem Wasserstoff beschleunigen und dessen Rolle als Eckpfeiler für ein klimaneutrales Energiesystem bis 2050 sicherstellen. "Wasserstoff kann somit als Energiespeicher und -träger einen wesentlichen Baustein zur Transformation der Energieverteilung, Systemvernetzung, Sektorkopplung, Lastglättung und Effizienzsteigerung beitragen, um die deutschen Klimaziele einzuhalten", schreiben die Springer-Autoren Marcel Linnemann und Julia Peltzer im Kapitel Wasserstoff und Energiewende (Seite 2) des Buchs Wasserstoffwirtschaft kompakt.

Unklar ist allerdings, wie umfangreich Wasserstoff bei welchen Anwendungen eingesetzt werden soll. Ein zentrales Kriterium ist hier der Wasserstoffpreis und die Konkurrenzfähigkeit von Wasserstoff im Vergleich zu anderen Optionen wie beispielsweise der direkten Elektrifizierung. Vor diesem Hintergrund hat die Studie "Preiselastische Wasserstoffnachfrage in Deutschland – Methodik und Ergebnisse" des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) und Energy Systems Analysis Associates – ESA² GmbH untersucht, wie sich Wasserstoffnachfragen in Abhängigkeit von unterstellten Preisentwicklungen bis 2045 ausbilden. Ein Kernergebnis: Die Studie prognostiziert Preise, die den Wasserstoffeinsatz sowohl im Straßen- als auch im Schienenverkehr, nicht aber in der Luft- und Schifffahrt, unwirtschaftlich machen. 

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Wasserstoff und Energiewende

Die Transformation des Energiesystems hin zu einer dekarbonisierten Gesellschaft bis 2045 stellt eine große Herausforderung für die deutsche Gesellschaft dar. Betrachtet man den deutschen Primärenergiebedarf, der im Jahr 2020 zu nur 17 % aus Erneuerbaren Energien abgedeckt wurde, wird deutlich, dass das Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft mit einem Erneuerbare-Energien (EE)-Anteil von 100 % in noch weiter Ferne liegt. Eine erfolgreiche Umsetzung innerhalb von knapp zwei Dekaden ist nur dann zu erreichen, wenn der Energiesektor, aber auch die gesamte Gesellschaft einen tiefgreifenden, strukturellen Wandel erfahren.

Wasserstoff wird derzeit kaum gehandelt

Bislang ist die Wasserstoffwirtschaft laut Studie noch ein Sektor ohne größere nationale und internationale Handelsaktivitäten. Nur 5 % des weltweit erzeugten Wasserstoffs werden demnach momentan transportiert und gehandelt. Der Großteil der momentanen Wasserstoffherstellung finde entweder durch Industriegasanbieter oder lokal am Ort der Nachfrage durch die Industriebetriebe statt, die den Wasserstoff nutzen. Somit fehle laut Studie ein Wasserstoffmarkt und die Preise seien meist nicht öffentlich zugänglich oder bei bilateralen Verträgen nicht im Sinne eines freien öffentlichen Markts verfügbar.

Die Studie hat daher techno-ökonomische, agenten-basierte Simulationsmodelle verwendet, um Aussagen zu Preiselastizitäten der Wasserstoffnachfrage in den Sektoren Industrie, Verkehr und Energieumwandlung zu ermöglichen. Die Simulationsmodelle bilden die alternativen Möglichkeiten zur Erreichung der Klimaziele ab und bewerten die Optionen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. So könne zum Beispiel ermittelt werden, ob Elektrofahrzeuge oder Brennstoffzellen-Pkw wirtschaftlich sinnvoller seien, abhängig von den zugrundeliegenden Preisen.

No-Regret-Anwendungen treiben Wasserstoffnachfrage an

Wichtige Erkenntnis der Studie: No-Regret-Anwendungen, also Anwendungen, bei denen kaum ökonomisch attraktive alternative Technologieoptionen zur Erreichung der deutschen Treibhausgasminderungsziele zur Verfügung stehen, sind ein sehr wichtiger Treiber für die Wasserstoffnachfrage. Dieser Mangel an Optionen bedinge eine weitgehende Preisunelastizität und die Preise dürften sich in Zukunft auf einem relativ hohen Niveau bewegen. "Dies gilt insbesondere für die stoffliche und energetische Nutzung in bestimmten Industrieanwendungen wie dem Stahl- oder dem Grundstoffchemiesektor. Die Berechnungen in der Studie zeigen, dass die Nachfrage hier in 2045 ca. 250 TWh beträgt, was in etwa zehn Prozent des heutigen Endenergiebedarfes Deutschlands entspricht", so Professor Dr. Martin Wietschel, der das Projekt am Fraunhofer ISI geleitet hat. Dafür müssten allerdings allein in Deutschland enorme Elektrolyse-Kapazitäten aufgebaut werden – rund 20 GW, also in etwa das Vierzigfache der aktuell global installierten Elektrolyseleistung –, was nicht nur zeit- und kapitalintensiv ist, sondern auch ein hohes Ausbautempo erfordere.

H2-Förderung für Landverkehr nicht sinnvoll 

Im Verkehrsbereich und speziell im internationalen Flug- und Schiffsverkehr dürfte es laut Studie ebenfalls zu einer hohen, preisunelastischen Nachfrage nach synthetischen Kraftstoffen zur Treibhausgasminderung kommen. Die Studie errechnet einen Bedarf von 209 TWh Wasserstoff in 2045. Daraus folge, dass Wasserstoff bei Pkw, Lkw, Bussen oder Schienenfahrzeugen wahrscheinlich eher nicht eingesetzt werde, weil es hier mit der direkten Elektrifizierung eine Alternative gibt. 

Das begründet die Studie folgendermaßen: Ein günstiger Wasserstoffeinsatz sei erst bei Großhandelspreisen von unter 90 €/MWh in 2045 möglich, je nach Anwendung sogar deutlich weniger. Bei Preisen von 50 €/MWh würden die Analysen eine Gesamtwasserstoffnachfrage von 476 TWh in 2045 ergeben. Dies sei aufgrund einer Vielzahl von Kosten für Herstellung, Transport oder Vertrieb jedoch eher unwahrscheinlich, Marktpreise von deutlich über 90 €/MWh in 2045 würden deutlich realistischer erscheinen. In der Studie heißt es: "Eine großangelegte Förderung des Wasserstoffeinsatzes in Bereichen wie der Gebäudewärme, des landgebundenen Verkehrs oder der energetischen Nutzung in der Industrie erscheint aus diesem Grund wenig sinnvoll".

Energieumwandlungssektor: Nachfrage reagiert stärker auf Preisvariationen

Im Bereich der Energieumwandlung stünde die Nutzung von Wasserstoffspeichern mit Rückverstromung wiederum in Konkurrenz mit Anwendungen zur Flexibilitätserhöhungen der Nachfrage wie zum Beispiel Wärmpumpen, Wärmenetze oder Elektrofahrzeuge. "Die Preise entscheiden hier mit, in welchem Umfang Wasserstoff künftig eingesetzt wird", heißt es in der Studie.

Nach Angabe der Forschenden würden die Ergebnisse für das Jahr 2030 zeigen, dass die Wasserstoffnachfrage mit etwas mehr als 40 TWh zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr hoch sein werde. Bestimmte Industrieanwendungen könnten dabei die Wasserstoffnachfrage dominieren. Auf diese sollte sich laut Studie auch die Förderung in den nächsten Jahren konzentrieren. Niedrige Großhandelspreise seien jedenfalls eher nicht zu erwarten und dürften damit auch nicht zur Steigerung der Wasserstoffnachfrage beitragen.

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