Im Interview erläutert Dr. Andreas Matzinger das Verbundprojekt KURAS. Das Projekt untersucht die Auswirkungen von intelligent gekoppeltem Regenwasser- und Abwassermanagement.
Springer Professional: Welche Methoden der Regenwasserbewirtschaftung standen auf der Agenda ihrer Untersuchungen?
Dr. Andreas Matzinger: Wir haben den Begriff der Regenwasserbewirtschaftung im Verbundprojekt KURAS bewusst sehr weit gefasst und meinen damit alle Maßnahmen, die Regenwasser speichern, verdunsten, versickern oder reinigen, also über eine direkte Ableitung hinausgehen. Diese Maßnahmen finden auf unterschiedlichen Ebenen in der Stadt statt. Auf Gebäude- und Grundstücksebene stehen Maßnahmen der Gebäudebegrünung, der Regenwassernutzung oder der lokalen Versickerung im Vordergrund. Auf Quartiersebene sind dagegen teilversiegelte Oberflächen, Versickerung im Straßenraum und künstliche Gerinne und Teiche (wie z.B. am Potsdamer Platz) wichtige Maßnahmen. Betrachten wir Regenwasserbewirtschaftung auf der Ebene von Kanaleinzugsgebieten, kommen semi-zentrale Reinigungsmaßnahmen wie z.B. Bodenfilter und Stauraum im Kanal hinzu.
Für den Kosten-Nutzen-Rahmen haben sie eine Bewertungsmatrix angewendet. Lässt sich das an einem Beispiel konkretisieren?
Die Matrix bewertet jede der betrachteten 27 Maßnahmen bezüglich Nutzen für Bewohner und Umwelt sowie nach Aufwand, wie direkte Kosten und indirekter Ressourcenbedarf. Gibt es in einem Stadtquartier ein konkretes Problem, etwa eine starke Hitzebelastung an heißen Sommertagen, kann man über die Matrix geeignete Gegenmaßnahmen - hier beispielsweise Fassadenbegrünung, Baumrigolen und künstliche Teiche - ermitteln. Mit zusätzlichen Kriterien wie Kosten oder CO2-Fußabdruck kann der Auswahlprozess verfeinert und die Maßnahmenzahl grob festgelegt werden.
Die Maßnahmen wurden auch über Simulationsmodelle des Abwassersystems bewertet. Welche Erkenntnisse liegen jetzt vor?
Ein wichtiges Problem, das durch die Ableitung von Regenwasser entsteht, ist das Überlaufen des Mischkanalsystems bei Starkregen in die Gewässer, wo es durch die kurzen aber intensiven Einträge von Schmutzstoffen und anschließendem Sauerstoffmangel zu Fischsterben kommen kann. Deshalb wurde die Matrix im Rahmen eines partizipativen Prozesses genutzt, um sinnvolle integrierte Maßnahmenkombinationen für konkrete Stadtquartiere auszuwählen, um dort u.a. die Problematik der Mischwasserüberläufe zu reduzieren. Eine gekoppelte Simulation von städtischer Oberfläche, Kanalnetz und Gewässer hat gezeigt, dass durch alle diese Maßnahmenkombinationen fischkritische Zustände in hohem Maße verhindert werden können. Das Rechenbeispiel unterstreicht dabei das Potenzial kombinierter Maßnahmen, etwa Gebäudebegrünung mit Baumrigolen und Stauraumaktivierung, für eine Verbesserung der urbanen Umwelt.
Im Ergebnis ihrer Forschung plädieren sie für die Einbeziehung der unterschiedlichen Akteure. Welchen Nutzen sehen sie darin?
Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine integrierte Planung der Regenwasserbewirtschaftung vom Gebäude über das Quartier bis zum Kanaleinzugsgebiet unbedingt sinnvoll ist. Bei einer konkreten Umsetzung sind dabei aber sehr unterschiedliche private und öffentliche Interessen berührt. Daher ist eine Auswahl und tatsächliche Umsetzung von Maßnahmen nur konfliktfrei möglich, wenn alle betroffenen Akteure mit einbezogen werden.
Mit dem Projekt KURAS wurden auch zahlreiche Werkzeuge für die praktische Umsetzung entwickelt. Was lässt sich davon verallgemeinern?
Neben verschiedenen Tools und Empfehlungen besteht das wichtigste Ergebnis sicher in der entwickelten "KURAS-Methode", die eine Auswahl von geeigneten Maßnahmen für eine oder mehrere lokale Zielstellungen, wie Gewässerqualität, Stadtklima, Biodiversität oder Freiraumqualität, erlaubt. Die Methode muss nun für konkrete Vorhaben angewendet und aufgrund der Erfahrungen angepasst werden.
Wie beurteilen sie die gegenwärtige Gesamtsituation zur Regenwasserbewirtschaftung in Berlin?
Berlin ist Pionierstandort für viele Arten der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung in Gebäuden und in Quartieren. Vorzeigeprojekte sind beispielsweise die Wissenschaftsstadt Adlershof, der Potsdamer Platz oder Block 6. Auch bei der Stauraumaktivierung im Mischkanalsystem werden seit Jahren Maßnahmen umgesetzt, um den Stauraum bis 2020 mehr als zu verdoppeln. Insgesamt ist Berlin damit im Bereich Regenwasserbewirtschaftung sicher sehr weit, auch wenn das nicht immer so kommuniziert wird. Das ungenutzte Potenzial, das in einer integrierten Planung und Betrieb der Regenwasserbewirtschaftung liegt, ist aber immer noch sehr groß. Wir hoffen, mit dem Projekt KURAS einen Beitrag zu leisten, dieses Potenzial zu unterstreichen und in Zukunft stärker zu nutzen.