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19.08.2013 | Wasserwirtschaft | Interview | Online-Artikel

Hochwasservorsorge auf vier Säulen stellen

verfasst von: Günter Knackfuß

6:30 Min. Lesedauer

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Die Hochwasservorsorge sollte sich in Deutschland künftig an vier Eckpunkten orientieren: Technischer Hochwasserschutz für größere Siedlungen wird genauso benötigt wie mehr Raum für die Flüsse durch Rückdeichungen und Einbeziehung der Landwirtschaft. Gleichzeitig sollte die private Vorsorge insbesondere dort unterstützt werden, wo der technische Hochwasserschutz bisher nicht ausreichend vor Schäden schützt. Um die verbleibenden Schäden solidarisch zu tragen, wäre eine vorsorgeorientierte Versicherungspflicht sinnvoll. Darüber sprachen wir mit Dr. Volker Meyer, Wirtschaftsgeograph am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.

Springer für Professionals: Das Team der UFZ-Hochwasserforscher hat ein eindringliches Resümee aus der Flut 2013 in Deutschland gezogen. Welche Hauptlehren haben sie definiert?

Dr. Volker Meyer: Einen vollständigen Schutz gegenüber Hochwasser kann es nicht geben. Man sollte daher besser von Vorsorge gegenüber Hochwassern sprechen und die Vorsorge stärker als bislang auf vier Säulen Stellen:

  1. den technischen Hochwasserschutz,
  2. den natürlichen Rückhalt,
  3. die private Vorsorge und
  4. eine vorsorgende Versicherungspflicht.

Während beim technischen Hochwasserschutz in den letzten Jahren schon viel gemacht wurde gibt es in den anderen Bereichen und auch bei der Abstimmung der Bereiche untereinander noch viel Verbesserungspotenzial.

Beim "Technischen Hochwasserschutz" wurden auch Risiken ausgemacht. Welche sind das im Einzelnen?

Zunächst einmal muss man immer wieder betonen, dass auch Deiche und Schutzmauern keinen vollständigen Schutz gewährleisten. Sie sind zumeist für den Schutz bis zu einem Wasserstand ausgelegt, der statistisch gesehen nur einmal in einhundert Jahren überschritten wird. Gibt es ein höheres Hochwasser werden auch Deiche und Mauern überströmt oder brechen. Es besteht also etwas was häufig etwas verharmlosend als "Restrisiko" bezeichnet wird. Gerade das sind dann aber die zwar seltenen, aber extremen Ereignisse mit katastrophalen Folgen.
Zudem suggerieren technische Schutzmaßnahmen ein Gefühl von Sicherheit. Das Risikobewusstsein und der Anreiz selbst private Vorsorgemaßnahmen zu betreiben wird dadurch reduziert.

Mehr Raum für die Flüsse. Welche Möglichkeiten bestehen dort?

Die Reaktivierung von natürlichen Überschwemmungsbereichen durch Rückdeichungen ist eine ergänzende naturnahe Möglichkeit Hochwasserrisiken zu reduzieren. Zwar kann dadurch ein technischer Hochwasserschutz von Siedlungen nicht ersetzt werden, aber Hochwasserscheitel um einige Zentimeter bis Dezimeter gesenkt werden. Das Potenzial für Rückdeichungen ist noch lange nicht ausgeschöpft. Bei einer Realisierung aller Vorhaben könnten laut Schätzungen rund 23.250 ha reaktiviert werden. Dies würde eine Zunahme der aktuellen Überschwemmungsflächen von knapp 30 % bedeuten.

Gibt es dafür schon wirksame Beispiele?

Ja, beispielsweise eine Deichrückverlegung in Dessau/Rosslau oder bei Lenzen in Brandenburg. Bislang wurden allerdings an der Elbe insgesamt lediglich etwa 700 ha Überflutungsflächen durch Rückdeichungen wiedergewonnen. Das liegt auch daran, dass diese Verfahren meist sehr zeitraubend sind. Wiederstände gibt es häufig von Seiten der Landwirtschaft, die - verständlicherweise - nicht einfach fruchtbare Flächen aufgeben wollen. Um solcher Rückdeichungen zu beschleunigen, wäre es wichtig die Landwirtschaft mit ins Boot zu holen und für den Verlust entsprechend zu entschädigen.

Sie plädieren für eine private Bauvorsorge. Wo liegen dabei die Knackpunkte?

Private Vorsorgemaßnahmen, also beispielsweise eine angepasste Bauweise oder Nutzung von Gebäuden, mobile Schutzelemente oder Rückstauklappen, können Schäden erheblich reduzieren. Ein Problem ist, dass solche Maßnahmen natürlich mit erheblichen Kosten für den einzelnen Hausbesitzer verbunden sind und sich deshalb nur dort lohnen wo Hochwasser recht häufig auftreten, also der durch sie vermiedene Schaden groß ist. Ist eine Siedlung nun bereits durch einen Deich geschützt, ist der Anreiz für den einzelnen Hausbesitzer relativ gering noch zusätzliche private Maßnahmen durchzuführen. Eine "Sowohl-als-Auch"-Strategie, die also sowohl auf starken technischen Hochwasserschutz als auch private Vorsorge im gleichen Gebiet setzt, kann also nur begrenzt funktionieren. Private Vorsorge ist eher dort effizient, wo kein oder nur ein geringer Schutz durch technischen Hochwasserschutz besteht. Insbesondere hier sollten private Vorsorgemaßnahmen auch finanziell gefördert werden. Neben gezielter staatlicher Förderung im Rahmen von zinsgünstigen Krediten, die an einem Hochwasser angepasste Bauweise bzw. -Sanierung gebunden sind, wäre eine weitere Möglichkeit durch reduzierte Versicherungsprämien Anreize für private Vorsorge zu setzen.

Ihnen geht es ebenso um eine vorsorgeorientierte Versicherungspflicht. Wo bestehen dabei derzeit die Probleme?

Das derzeitige System, dass eine freiwillige Versicherung gegen Elementarschäden (also neben Hochwasser beispielsweise auch Erdbeben, Erdrutsche etc.) vorsieht, funktioniert nur begrenzt. In vielen Teilen Deutschlands ist der Anteil der Versicherten nach wie vor gering, im Durschnitt bei etwa 30%. Ein kleiner Teil von etwa 1% gilt als "unversicherbar", d.h. die Gebäude haben ein so hohes Hochwasserrisiko, dass die meisten Versicherer keine Police anbieten. Wenn doch, dann wird das sehr teuer. Das so ein großer Anteil eigentlich problemlos versicherbarer Haushalte sich nicht versichert, kann einerseits daran liegen, dass sie sich die Prämien nicht leisten können oder wollen. Andererseits sind aber auch die Signale aus der Politik widersprüchlich: Wurden nach dem Hochwasser 2002 noch alle Haushalte für Schäden vom Staat kompensiert, hieß es in den letzten Jahren, dass es staatliche Hilfen nur noch in Härtefällen gäbe – so zum Beispiel bei der Flut an der Neiße 2010. Diesmal gibt es jedoch wieder ein staatliches ad-hoc Hilfsprogramm für die Betroffenen. Dies ist nicht nur für die Flutopfer von 2010 frustrierend, die damals keine Hilfen bekommen haben, es höhlt auch den Anreiz aus, sich freiwillig zu versichern.
Besser wäre nach der Auffassungen meiner Kollegen und mir daher eine solidarische Pflichtversicherung. Eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden wie Hochwasser und Starkregen würde die Kosten für entstandene Schäden solidarisch umlegen und somit Ungleichbehandlungen von vornherein vermeiden. Es wäre sichergestellt, dass niemand mit den Folgen des Hochwassers alleingelassen wird. Über Prämiennachlässe könnte zudem ein Anreiz für die private Vorsorge gesetzt werden.

Nicht zuletzt fordern sie eine gesamtgesellschaftliche Debatte, also mehr Öffentlichkeit für die Belange des Hochwasserschutzes. Wie stellen sie sich das konkret vor?

Nehmen wir das Thema Pflichtversicherung: Bundesregierung und Versicherungswirtschaft lehnen ein solches Modell bislang ab. Mit der Begründung, dass es ungerecht sei Hausbesitzer fernab der Flüsse zu belasten – wobei beispielsweise auch Starkregen einbezogen wäre, was schließlich jeden treffen könnte. Auf der anderen Seite kommt es auch beim bestehenden System wie bereits erwähnt zu erheblichen Ungerechtigkeiten und die Kosten für das staatliche Ad-Hoc-Hilfeprogramm trägt auch wieder der Steuerzahler. Mich wundert ein wenig, dass die Oppositionsparteien, die ja sonst eher ein egalitäres Gerechtigkeitsverständnis vertreten, solche Themen nicht stärker aufgreifen. Angesichts der kommenden Wahl könnten die Frage, wer eigentlich für Hochwasserschutz und -schäden zahlen sollte, in die öffentliche Debatte eingebracht werden.
Ein weiterer konkreter Ansatzpunkt für eine öffentliche Debatte über Hochwasservorsorge auf eher lokaler bzw. regionaler Ebene sind die Hochwasserrisikomanagementpläne. Die EU-Hochwasserrichtlinie verlangt solche Managementpläne für jedes hochwassergefährdetes Flussgebiet bis 2015. Schon in der Richtlinie ist festgelegt, dass in diesem Zuge "interessierte Stellen", also nicht zuletzt auch die Bürger, aktiv miteinbezogen werden müssen. Dies ist eine echte Chance eine Debatte über geeignete, möglicherweise auch alternative Vorsorgekonzepte jenseits des gleichen technischen Hochwasserschutzes für alle zu initiieren.

Gegen Hochwassergefahren kann man sich nicht vollständig schützen. Welchen Gesamtbeitrag kann ihr 4-Säulen-Modell leisten?"

Es kann dazu beitragen die Vorsorge insgesamt zu verbessern indem alle Möglichkeiten miteinbezogen werden und die jeweils beste Alternative oder Kombination von Maßnahmen dann ausgewählt wird. Zudem leistet es einen Beitrag dazu, dass die Kosten von Hochwasservorsorge und –schäden gerechter verteilt werden.

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Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2013 | OriginalPaper | Buchkapitel

Hochwasserschutzmaßnahmen

Quelle:
Hochwasser-Handbuch

2010 | OriginalPaper | Buchkapitel

Hochwasservorbeugung

Quelle:
Hochwasserrisikomanagement