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12.08.2013 | Wasserwirtschaft | Interview | Online-Artikel

Potenziale und Umsetzung wasserwirtschaftlicher Systeme

verfasst von: Günter Knackfuß

6:30 Min. Lesedauer

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Deutschlands Kommunen und ihre Wasserwirtschaftsbetriebe stehen vor großen Herausforderungen: Sie müssen auf weitreichende ökologische und gesellschaftliche Veränderungen reagieren, wie den Klimawandel oder den demographischen Wandel. Systeme der Wasserver- und Abwasserentsorgung sind jedoch auf eine jahrzehntelange Nutzung ausgelegt, was kurzfristige Anpassungen erschwert. Im Interview mit Springer für Professionals Jens Libbe, Dipl.-Sozialökonom/Dipl.-Volkswirt beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu).

Springer für Professionals: Das Difu ist Partner im Projekt "netWORKS 3". Welche Ziele wurden durch netWORKS und Difu bisher festgelegt?

Jens Libbe: Das Difu ist einer von sechs Partnern im Projekt "netWORKS 3 -Potenzialabschätzung und Umsetzung wasserwirtschaftlicher Systemlösungen auf Quartiersebene in Frankfurt/Main und Hamburg". Der Forschungsverbund netWORKS existiert bereits seit über 10 Jahren und wurde gemeinsam vom Difu und dem ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung aus Frankfurt/Main gegründet. Mit dem dritten Projekt "netWORKS" 3 möchten wir Kommunen und Wasserwirtschaft Handreichungen bieten, wie Umsetzungsprozesse neuartiger Systemlösungen organisiert werden können. Das Difu wird sich dabei im Schwerpunkt mit den Spielräumen der siedlungswasserwirtschaftlichen Akteure auseinandersetzen, insbesondere den Veränderungen in den Geschäftsmodellen der Siedlungswasserwirtschaft sowie den Rechtsfragen, die sich bei der Realisierung neuartiger Systemlösungen stellen.

Welche wesentlichen Lösungen sollen an den Pilotstandorten entwickelt werden?

In den Modellregionen Frankfurt/Main und Hamburg werden auf Quartiersebene innovative Systemlösungen simuliert, bewertet und in Frankfurt in einem Quartier umgesetzt. Wir möchten auch anderen Kommunen deutlich machen, wie sich solche Projekte umsetzen lassen. Im Fokus stehen

  • die Rückgewinnung und das Nutzungspotenzial von Wärme aus unterschiedlichen Abwasserströmen z.B. für die Warmwasserbereitung oder Raumheizung,
  • die Aufbereitung und Wiederverwendung von Abwasserteilströmen wie Grauwasser (häusliches Abwasser ohne Toilettenwasser) oder Regenwasser,
  • die getrennte Speicherung von verschiedenen Abwasserteilströmen, deren zeitversetzte Ableitung ins Kanalnetz und anschließende Behandlung,
  • der Weiterbetrieb sehr alter Kanalnetze u.U. anders genutzt, z.B. als Schmutzwassersammler oder zur Ableitung getrennt gesammelter Teilströmen des Abwassers.

Es geht auch um rechtliche und unternehmerische Handlungsspielräume. Wie muss man sich das vorstellen?

In jüngerer Zeit ist viel Bewegung in die unternehmerischen Strategien kommunaler Versorger gekommen. Vorangetrieben wird die Entwicklung primär durch den veränderten energiepolitischen Rahmen. Diese Entwicklung ist in den Sektoren der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung allerdings noch nicht angekommen. Doch wenn sich, wovon wir ausgehen, die neuartigen Systemlösungen in der Fläche durchsetzen, wird dies die Siedlungswasserwirtschaft grundlegend verändern. Nur ein Beispiel: wenn eine Kommune verstärkt auf die Abwärmenutzung aus Abwasser setzten möchte, so stellt sich die Frage, wer eigentlich die notwendigen Wärmetauscher im Kanal oder auch in den Gebäuden installiert. Ist das Aufgabe des lokalen Wärmeversorgers, der vielleicht das Know-how dafür hat? Oder ist das Sache des Abwasserentsorgers, der für die Kanäle verantwortlich ist? Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, wem eigentlich die Wärme gehört. Was bedeutet es eigentlich, wenn der Abwasserentsorger zugleich Wärmeversorger sein möchte, aber einzelne Hausbesitzer die Wärme entziehen, bevor das Abwasser in den Kanal gelangt? Die Liste solcher und ähnlicher Fragen ist lang und wir möchten den handelnden Akteuren mehr Rechtssicherheit geben. Es geht auch um eine Positionsbestimmung, wer eigentlich künftig welche Rolle einnehmen sollte.

Gibt es schon Signale für die Akzeptanz dieser neuartigen Systemlösungen bei den Verbrauchern?

Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass es wie bei vielen innovativen Lösungen eine Frage der Zeit ist, bis diese von den Verbraucherinnen und Verbrauchern angenommen werden. Vielleicht ist es auch eine Generationenfrage. Unsere Kollegen vom ISOE werden eigens sozialempirische Untersuchungen zur Akzeptanz von Gebäuden mit innovativen wasserwirtschaftlichen Systemlösungen bei zukünftigen Mieterinnen und Mietern durchführen. Außerdem werden Befragungen von Personen mit Erfahrungen im Umgang mit solchen Innovationen vorgenommen. Wir denken, dass wir auf dieser Basis fundierte Aussagen werden treffen können.

Das Forscherteam besteht aus renommierten Partnern. Welche sind das im Einzelnen?

Wissenschaftliche Partner sind das ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung aus Frankfurt/Main, das Deutsche Institut für Urbanistik aus Berlin, die Technische Universität Berlin mit dem Bereich Infrastrukturökonomie- und -management sowie die COOPERATIVE Infrastruktur und Umwelt aus Reinheim. Unsere Praxispartner sind die ABG FRANFURT HOLDING Wohnungsbau und Beteiligungsgesellschaft mbH, die ABGnova GmbH, Unternehmen für Innovationen in der Energie- und Wohnungswirtschaft sowie die Hamburger Stadtentwässerung AöR.

Insgesamt baut das Projekt auf bereits bestehende Forschungsergebnisse auf. Welche sind das?

Das Projekt baut auf den Vorläuferprojekten netWORKS 1 und netWORKS 2 auf. In netWORKS 1 hatten wir eine sehr umfassende Bestandsaufnahme zu den Veränderungen in der Siedlungswasserwirtschaft vorgenommen und eine strategische Entscheidungshilfe für Kommunen zum Umgang mit diesen Herausforderungen entwickelt. netWORKS 2 hingegen hat das jetzige Projekt quasi vorbereitet. Wir konnten darlegen, dass ein langfristiger Umbau der stadttechnischen Systeme der Wasserver- und -entsorgung unter bestimmten Randbedingungen sowohl ökologische wie ökonomische Vorteile mit sich bringen kann.

Das Gesamtprojekt ist Teil von INIS, der Fördermaßnahme "Intelligente und multifunktionelle Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung". Welche weitreichenden Ziele werden dort gesetzt?

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert im Rahmen des Förderschwerpunktes "Nachhaltiges Wassermanagement" (NaWaM) mit der Fördermaßnahme "Intelligente und multifunktionelle Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung" (INIS) die Erforschung und Erprobung neuer Ansätze in der Wasserwirtschaft mit ca. 30 Mio. €. Im Rahmen der BMBF-Fördermaßnahme INIS werden in den kommenden drei Jahren 13 Verbundvorhaben gefördert, mit dem Ziel, innovative und umsetzbare Lösungen für die Anpassung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung an veränderte Rahmenbedingungen in Deutschland unter Beibehaltung vorhandener Qualitätsstandards zu entwickeln. Dabei werden aufbauend auf zukunftsweisenden Konzepten innovative Technologien und neuartige Managementinstrumente erarbeitet.
Übergeordnete Themen dabei sind beispielsweise der ressourcenoptimierte Betrieb sowie flexible und anpassungsfähige Lösungen in Hinblick auf veränderte Umweltbedingungen. Eine wichtige Grundlage für die Entwicklung solcher "intelligenter" Infrastrukturen ist, dass sie mit Siedlungs- und Infrastrukturkonzepten, die die jeweiligen teilräumlichen Besonderheiten berücksichtigen, verknüpft werden. Dies schließt die Entwicklung neuartiger und sektorübergreifender Systemlösungen ein.
Kennzeichen der beteiligten Forschungsvorhaben sind deren interdisziplinäre Vorgehensweise sowie das enge Zusammenwirken von Wissenschaft und Praxis. Der Modellcharakter und die Übertragbarkeit der Ergebnisse werden dadurch gestärkt, dass sie in Kommunen und Regionen erarbeitet und erprobt werden, die unterschiedliche Randbedingungen aufweisen.

Die deutsche Wasserbranche steht insgesamt auf stabilen Fundamenten. Gibt es bereits Einzelbeispiele dafür, dass die Kommunen ihre Zukunftsfähigkeit selbst gestalten?

Unsere beiden Modellkommunen mit den am Projekt beteiligten Unternehmen sind für uns quasi die Paradebeispiele dafür. Frankfurt am Main steht seit langem für innovative Klima- und Energiekonzepte. Die Hebung der energetischen Potenziale des Abwassers ist eine konsequente Erweiterung dieser Strategie. Und HAMBURG WASSER kann man sicherlich als das momentan experimentierfreudigste, deutsche Unternehmen aus dem Bereich der Siedlungswasserwirtschaft bezeichnen. Dies zeugt von einem entsprechenden unternehmerischen Weitblick.

Wie sichern Sie die Nutzung der zu erwartenden Forschungsresultate in der betrieblichen Praxis?

Es ist das ausdrückliche Ziel der Fördermaßnahme INIS, dass Forschungsergebnisse frühzeitig an die Praxis transferiert werden und Eingang in das einschlägige Regelwerk finden. Wir habe als Forschungsverbund netWORKS ohnehin schon immer Wert darauf gelegt, dass wir unsere Forschungergebnisse gleichermaßen im wissenschaftlichen Raum wie in der Praxis verbreiten. Wir verbreiten daher unsere Ergebnisse multimedial. Die Abschlusspublikation soll explizit Entscheidungsträgern vor Ort bei der Umsetzung neuartiger Systemlösungen helfen. Darüber hinaus hat das BMBF eigens ein wissenschaftliches Koordinierungsvorhaben eingerichtet, welches die einzelnen Verbundprojekte in deren Transferarbeit unterstützen soll. Wir können hier direkt mit den einschlägigen Verbänden DWA und DVGW zusammenarbeiten. Auch dieses werden wir nutzen.

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