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Erschienen in: Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 1/2020

Open Access 19.05.2020 | Buchbesprechung

Weber, Kathrin: Sanktionen bei vorvertraglicher Informationspflichtverletzung

Verlag Mohr Siebeck, Tübingen, 2019. XXVI, 402 Seiten. ISBN 978-3-16-158235-6

verfasst von: Christian Armbrüster

Erschienen in: Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft | Ausgabe 1/2020

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Die anzuzeigende Neuerscheinung, eine Würzburger, von Oliver Remien betreute Dissertation, beschäftigt sich mit einer Thematik, die dem Versicherungsrechtler wohlvertraut ist: Es geht um die Frage, welche Rechtsfolgen die Verletzung einer verbraucherschützenden Informationspflicht nach sich zieht. Für den Versicherungssektor hat der Gesetzgeber der VVG-Reform hierzu in §§ 8, 9 VVG eigene Regeln aufgestellt, die für die Lebensversicherung in § 152 Abs. 1, 2 VVG teils modifiziert werden.
Um diese Spezialregelungen geht es der Autorin freilich nicht; sie nimmt vielmehr die allgemeinen Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr und bei sonstigen Fernabsatzverträgen in den Blick. Diese Pflichten sind im Kern europarechtlich geprägt, und zwar insbesondere durch die Verbraucherrechte-Richtlinie (in der die Fernabsatzrichtlinie I aufgegangen ist) und die E‑Commerce-Richtlinie. Erstere enthält eine Bereichsausnahme für Versicherungsverträge (umgesetzt in § 312 Abs. 6 BGB), so dass etwa die Informationspflichten gem. § 312d i. V. m. Art. 246a, 246b EGBGB – denen sich die Autorin (S. 118 ff.) ausführlich widmet – im Versicherungssektor nicht bestehen. Hingegen gilt die E‑Commerce-Richtlinie teilweise auch dort (umgesetzt in § 312j Abs. 5 S. 2 BGB). Dies betrifft namentlich die sog. Button-Lösung in § 312j Abs. 3 S. 2 BGB mit der scharfen Sanktion des dortigen Abs. 4, wonach bei einem Verstoß kein Vertrag zustande kommt.
Auch wenn das Buch mithin nur in sehr eingeschränktem Maße Regelungen anspricht, die de lege lata für Versicherungsverträge gelten, kann auch der versicherungsrechtlich interessierte Leser daraus einige interessante Anregungen entnehmen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen zur Verlängerung der Widerrufsfrist als Sanktion vorvertraglicher Informationspflichtverletzungen. Die Autorin führt hier nicht nur Inhalt und Hintergründe der europarechtlichen Vorgaben vor Augen. Vielmehr richtet sie den Blick auch auf den Draft Common Frame of Reference (DCFR), also ein Regelwerk, das auf rechtsvergleichender Grundlage als mögliches Modell eines künftigen gemeineuropäischen Zivilgesetzbuchs erarbeitet worden ist (S. 155 ff.). Zudem bezieht sie den Verordnungsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (GEK) in ihre Analyse ein (S. 163 ff.). Dabei zeigt sich, dass in keinem dieser Regelungswerke ein „ewiges Widerrufsrecht“ vorgesehen ist, wie es im Versicherungsrecht nach geltender Rechtslage besteht (vgl. § 356 Abs. 3 S. 2, 3 BGB). Weber bewertet dies zu Recht als positiv, da die stattdessen regelmäßig vorgesehene Frist von zwölf Monaten (teils, wie etwa gem. § 356 Abs. 3 S. 2 BGB, zuzüglich 14 Tagen) dem Verbraucher ausreichend Zeit biete, um vom Widerrufsrecht Gebrauch zu machen (S. 165 ff.). Es besteht kein sachlicher Grund, dies bei Versicherungsverträgen abweichend zu beurteilen (so etwa auch Präve, NJW 2020, 986). Vielmehr erweist sich die Bereichsausnahme gerade auch angesichts der Vorschläge für ein künftiges gemeineuropäisches Zivil- bzw. Kaufrecht als nicht gerechtfertigt.
Interessant sind aus versicherungsrechtlicher Sicht auch die Ausführungen zum Schadensersatzanspruch als einer weiteren möglichen Sanktion von vorvertraglichen Informationspflichtverletzungen (S. 178 ff.). Dies gilt insbesondere für die umstrittene Frage, ob ein Anspruch aus c.i.c. wegen einer solchen Informationspflichtverletzung auch auf die Aufhebung des Vertrags gerichtet sein kann. Weber will dies nur dann annehmen, wenn dem Verbraucher durch den Verstoß „tatsächlich ein Schaden entstanden ist“ (S. 200). Ein solcher Schaden werde sich im Hinblick auf das regelmäßig bestehende Widerrufsrecht in der Regel nicht feststellen lassen.
Diese Ausführungen überzeugen auch aus versicherungsrechtlicher Sicht. Die Regelung in § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VVG ist insofern abschließend; sie lässt keinen Raum für einen daneben bestehenden, unter abweichenden Voraussetzungen gleichfalls auf eine Vertragsauflösung gerichteten zusätzlichen Anspruch nach den allgemeinen Regeln (s. bereits Armbrüster, LMK 2017, 394412). Der Versicherungssenat des BGH (NJW 2017, 3387 Rn. 34 ff.) beurteilt dies freilich abweichend. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, wie sich die Autorin zu den dort vorgetragenen Argumenten positioniert.
Die weiteren von der Autorin untersuchten möglichen Sanktionen wie Anfechtbarkeit und Unwirksamkeit des Vertrags sowie das Bestehen von Gewährleistungsrechten sind aus versicherungsrechtlicher Sicht weniger interessant. Freilich kann die Regelung des § 312j Abs. 3 S. 2 BGB (Button-Lösung) auch im Versicherungssektor bedeutsam werden. Weber nimmt hier das Problem in den Blick, dass eine Unwirksamkeit des Vertrags als Sanktion, wie Abs. 4 der Vorschrift sie anordnet, nicht stets den Interessen des Kunden entsprechen wird. Ein besonders anschauliches Beispiel hierfür bieten Versicherungsverträge; es hätte daher auch hier gelohnt, sie in der Untersuchung mit in den Blick zu nehmen. Ein Vertragsinteressent, der meint einen wirksamen Antrag abgegeben zu haben, wird nämlich regelmäßig keinen Anlass sehen sich nochmals anderweitig um Versicherungsschutz zu bemühen. Ihm sollte daher der Vertrag nicht ohne sein Wollen gleichsam entzogen werden (vgl. zu der zugrunde liegenden Wertung etwa auch § 5 Abs. 1 VVG zur konstitutiven Wirkung des Versicherungsscheins entgegen der Grundregel des § 150 Abs. 2 BGB). Dies sieht auch Weber – die den Blick freilich wiederum nicht auf den Versicherungssektor, sondern insbesondere auf Kaufverträge richtet – so, indem sie dem Unternehmer gem. § 242 BGB die Berufung auf die Unwirksamkeitsfolge versagen möchte, wenn der Kunde am Vertrag festhalten will (S. 268 f.). Diese Lösung erscheint auch für Versicherungsverträge sachgerecht (s. bereits Armbrüster, r + s 2017, 57, 63).
Lesenswert sind schließlich auch die Ausführungen zu einem möglichen künftigen europäischen System der Informationspflichten und der Sanktionsregeln. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist für Weber der Befund, dass die vorvertraglichen Informationspflichten de lege lata zu umfangreich sind; ihre Reduktion auf die „vertragswesentlichen, unabdingbaren Informationen“ sei daher „unbedingt anzustreben“ (S. 357). Auf europäischer Ebene solle ein Sanktionssystem eingeführt werden, das neben der Funktion der Informationspflicht auch die Art und Schwere der Pflichtverletzung berücksichtigt (S. 366). Mit diesem generellen Petitum geht freilich zwangsläufig ein Verlust an Rechtsanwendungssicherheit einher, da es wohl jeweils einer Einzelfallbewertung bedürfte.
Konkret soll nach der Vorstellung von Weber die verlängerte Widerrufsfrist von zwölf Monaten und 14 Tagen, wie sie in der Verbraucherrechterichtlinie vorgesehen ist, generell statuiert werden; bei ihr handele es sich um ein effektives und ausreichendes Instrument, um eine nicht gewollte Vertragsbindung zu beseitigen (S. 368). Eine Vertragsaufhebung solle als ultima ratio nur bei schwerwiegender Pflichtverletzung eingreifen; die Button-Lösung solle mit der Rechtsfolge der Nichtbindung im Sinne eines Wahlrechts des Verbrauchers verknüpft werden. Zudem plädiert Weber für einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch, der auf Geld gerichtet ist, „um die insbesondere nach deutschem Recht umstrittene Frage der Aufhebung des Vertrags im Wege der Naturalrestitution zu vermeiden“ (S. 371). Dabei soll der Schadensersatzanspruch ausdrücklich generell und ungeachtet des Bestehens eines Widerrufsrechts geltend gemacht werden können. Dieser Vorschlag steht freilich in einem gewissen Widerspruch zu den überzeugenden Ausführungen der Autorin zum geltenden Recht; liegt der Schaden im Abschluss eines nachteiligen Vertrags (S. 370), so lässt er sich bei bestehendem Widerrufsrecht – wie bereits oben angesprochen – regelmäßig gerade nicht darlegen (so zutr. S. 200). Auch über den Verzicht auf das Verschuldenserfordernis lässt sich streiten; schließlich erhofft sich die Autorin von dem Schadensersatzanspruch zugleich, dass der Unternehmer dadurch zur Erfüllung seiner Informationspflichten angehalten wird.
Erscheinen mithin die abschließenden Vorschläge noch nicht in jeder Hinsicht zu Ende gedacht, so bieten doch auch sie – ebenso wie die vorangegangenen Ausführungen zum geltenden Recht und den vorliegenden Entwürfen – Anregungen für einen sachgerechten Umgang mit Informationspflichten und mit den Sanktionen für Verstöße. Die Untersuchung erweist zugleich einmal mehr, dass die teils bestehenden Bereichsausnahmen für Versicherungsverträge, namentlich im Hinblick auf das „ewige Widerrufsrecht“, sachlich nicht begründbar erscheinen.
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Titel
Weber, Kathrin: Sanktionen bei vorvertraglicher Informationspflichtverletzung
Verlag Mohr Siebeck, Tübingen, 2019. XXVI, 402 Seiten. ISBN 978-3-16-158235-6
verfasst von
Christian Armbrüster
Publikationsdatum
19.05.2020
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft / Ausgabe 1/2020
Print ISSN: 0044-2585
Elektronische ISSN: 1865-9748
DOI
https://doi.org/10.1007/s12297-020-00461-1

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