Der Bericht dokumentiert die Evaluation im Mixed-Methods-Design des Modellprojekts SEMRES, welches darauf abzielte, Menschen mit problematischem Suchtmittelkonsum frühzeitig zu erreichen und gezielt in Rehabilitationsangebote zu vermitteln. Die Ergebnisse liefern praxisnahe Einblicke in die Relevanz aktiver Netzwerkarbeit und der Motivationsförderung beim Zugang zum Hilfesystem. Sie geben zudem wertvolle Impulse für ein vernetztes, personenzentriertes Versorgungssystem in der Suchthilfe.
Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen erleben häufig eine Vielzahl an Barrieren, bevor sie Zugang zu passenden Unterstützungsangeboten erhalten. Trotz eines gut ausdifferenzierten Suchthilfesystems in Deutschland (Hansjürgens & Arnold, 2024) bestehen nach wie vor Versorgungslücken, lange Wartezeiten und strukturelle Hürden – insbesondere an den Schnittstellen zwischen Beratung, medizinischer Rehabilitation und gesellschaftlicher Teilhabe (Bogumil & Gräfe, 2024). Vor diesem Hintergrund wurde 2020 das Modellprojekt SEMRES (Schnittstellenmanagement zur frühzeitigen Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs und rechtzeitigen Vermittlung in die Rehabilitation von Menschen mit Suchterkrankungen) ins Leben gerufen. Das Projekt wurde im Rahmen des Bundesprogramms Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages für eine Laufzeit vom 01.01.2020 bis zum 30.06.2025 gefördert. Der Antrag wurde von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Oldenburg-Bremen gestellt und zielte darauf ab, Menschen mit (beginnendem) problematischem Konsum frühzeitig zu erreichen, niedrigschwellig über Hilfsangebote zu informieren und den Weg in das Rehabilitationssystem zu erleichtern (SGB VI). Zur unabhängigen wissenschaftlichen Evaluation des Projekts wurde die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Knut Tielking der Hochschule Emden/Leer beauftragt.
Abhängigkeit und Sucht sind gesellschaftlich oft marginalisierte Themen, die mit zahlreichen Spannungen und Vorurteilen verbunden sind (Schomerus & Corrigan, 2022). Da riskante Konsummuster potenziell jede Person betreffen können, ist es besonders wichtig, durch Aufklärungsarbeit zu einem besseren Verständnis beizutragen. Dies erfordert eine differenzierte Betrachtung des Verhältnisses von Gesundheit und Krankheit. Während diese häufig als Gegensätze wahrgenommen werden, offenbart sich insbesondere in Bezug auf den Umgang mit Suchtmitteln eine komplexere Realität. Denn gesundheitsschädigende Verhaltensweisen sind nicht zwangsläufig mit dem Verlust von Gesundheit gleichzusetzen, sondern stehen vielmehr in einem Spannungsfeld zwischen kurzfristiger Stabilisierung und langfristigem Ungleichgewicht (Hurrelmann & Bründel, 1997). Analog ist dies auf unterschiedliche Suchtformen anzuwenden. Gesundheit ist ein dynamisches, sozial konstruiertes Konzept, das von individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt Gesundheit als einen Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens (WHO, 1948, zit. nach WHO, 2020) und kann ergänzt werden durch Ansätze, die Aspekte wie Persönlichkeit, soziale Anforderungen, materielle Ressourcen, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit berücksichtigen (Seedhouse, 2001, zit. nach Naidoo & Wills, 2019; Franke, 2012).
Für das SEMRES Projekt wurde ein Forschungsdesign mit unterschiedlich ausgerichteten Studienteilen geplant (siehe Abb. 3.1). Hierdurch sollte den verschiedenen Aufgaben und Fragestellungen im Projekt methodisch umfassend begegnet werden. Die Studienteile unterscheiden sich nicht nur in Hinblick auf die Forschungsmethoden, sondern auch hinsichtlich der Zielgruppe. Das Studiendesign des Projekts SEMRES kombiniert experimentelle und partizipative Ansätze, um sowohl die unmittelbaren Effekte der Interventionen als auch deren längerfristige Auswirkungen auf die soziale und berufliche Teilhabe zu erfassen. Durch die enge Verzahnung quantitativer und qualitativer Methoden wird eine umfassende Evaluierung der Innovationsmaßnahmen ermöglicht, die zur Weiterentwicklung der Rehabilitation beitragen soll. Wie Abb. 3.1 zu entnehmen ist, wurden insgesamt vier Studienteile geplant, die im Folgenden beschrieben werden.
In den Tab. 4.1, 4.2 und 4.3 sind die zentralen soziodemografischen Merkmale der IG tabellarisch für alle drei Messzeitpunkte t1, t2, t3 aus der Fragebogenerhebung dargestellt. Die Variablen umfassen hauptsächlich kategoriale und ordinale Merkmale wie Geschlecht, Migrationsbezug, Familienstand, Schulabschluss, Erwerbssituation und Arbeitsunfähigkeitszeiten, aber auch das metrisch skalierte Merkmal Alter. Dabei werden Prozentwerte für kategoriale und ordinale Variablen und Mittelwerte, sowie Standardabweichung für metrische Variablen angegeben. Im Folgenden werden die Merkmale zunächst für den Ausgangszeitpunkt der Erstbefragung t1 beschrieben und anschließend im zeitlichen Verlauf vorgestellt.
Die Expert*innen-Interviews wurden im Juli 2021 mit vier Sucht-Rehalots*innen durchgeführt. Drei der Sucht-Rehalots*innen waren Psycholog*innen und bereits seit 2020 im SEMRES Projekt tätig. Eine Person war Gesundheitswissenschaftler*in und seit 2021 im Projekt. Die Interviews wurden digital durchgeführt. Der nachfolgenden Tab. 5.1 können alle abgeleiteten Ober- und Unterkategorien aus den Expert*innen-Interviews entnommen werden.
Im Rahmen der Evaluation des Modellprojekts SEMRES wurde ein Mixed-Methods-Ansatz gewählt, um die Zielerreichung aus unterschiedlichen Perspektiven umfassend zu untersuchen. Die qualitative und quantitative Datenerhebung verfolgte jeweils eigene methodische Zugänge, die sich in Fragestellung, Erhebungsinstrumenten und Zielgruppen unterschieden, aber aufeinander bezogen waren.
Die Evaluation des Modellprojekts SEMRES zeigt, dass die gesetzten Projektziele nicht in allen Bereichen vollständig realisiert werden konnten. Gleichwohl konnten wichtige Impulse für das Suchthilfesystem gesetzt werden, die praxisrelevante Erkenntnisse liefern und Hinweise für künftige Entwicklungen aufzeigen.
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