Welche antike Gartentheorie? Das merkwürdige Verhältnis von Natur, Raum und Bedeutung in den Kunstlandschaften des jüngeren Plinius und der Villa Hadriana
Der Beitrag legt den Fokus auf die Gartenarchitektur und verfolgt Entwicklungslinien bis ins 19. Jahrhundert. In antiken Gartenanlagen begegnen wir überraschenderweise einer Vielzahl an Gestaltungsformen, die in der Neuzeit teilweise wieder auftauchen. Anders als in den neuzeitlichen Anlagen lassen sich diese Einzelphänomene in der Antike aber nicht zu konsequenten narrativen oder naturphilosophischen Konzepten bündeln. Antike Gärten muss man sich als bunte Galerien von visuellen Eindrücken vorstellen, aus Modulen zusammengefügt, die einen Formen-, Stimmungs- und Motivkanon immer wieder spielerisch und assoziativ neuarrangierten. Diese Kunstlandschaften dienten daher durch kontrastive und intellektuelle Anordnung in erster Linie der abwechslungs- und geistreichen Unterhaltung (delectatio) der Nutzer. Vor allem aber entziehen sich diese Gartengalerien daher letztlich sprachtheoretischen oder narrativen Erklärungsmodellen. Das zeigt auch der Garten des Plinius, der echte und der literarische, der sich weder auf Atmosphärensequenzen noch auf Geschichten reduzieren lässt. Römische Gärten, wie sie sich uns in archäologischen Resten und literarischen Beschreibungen begegnen, waren (im Kant´schen Sinne) niemals schön, aber sie waren angenehm: schillernde Reservate der Anschauung und des Wohlgefallens.
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CIL VI 29.847 (heute Urbino, Museo Lapidario). Der Plan war in eine in mehrere Teile zerbrochene, fast einen Meter große (0,99 × 0,89 m) Marmorplatte eingetragen. Vgl. Hülsen (1890, S. 52–60), mit hypothetischer Rekonstruktion (S. 56 Abb. 5); Hesberg (1992, S. 6 f.); Heisel (1993, S. 186–188) Kat. Nr. R2 mit ausführlichem Kommentar; Hänger (2001, S. 42 f.); Luschin (2010, S. 109 f.).
Forma Urbis Romae Fragment 46 a–b. LTUR I (1993) 14 ff. s.v. Adonaea (Royo). Vgl Lloyd (1982) (hypothetische Planergänzung); Luschin (2010, S. 161–165) Kat. Nr. 11 (mit ausführlicher Diskussion und früherer Lit.).
Die Literatur zur römischen Gartenkultur ist mittlerweile kaum mehr überschaubar, insbesondere aufgrund der extrem verbesserten Dokumentations- und Analysemethoden im Bereich der Archäobotanik. An dieser Stelle kann daher nur auf einige Grundlagenwerke verwiesen werden.
Der weitgehend erfolgreiche Nachweis der von Plinius beschriebenen oder angedeuteten, typisierten Ausstattungselemente und Gestaltungsprinzipien in den zeitgenössischen archäologischen Befunden zeigt auch der Kommentar Förtsch (1993) passim. Daß in unserem Denkmälerbestand plausible archäologische Parallelen für die einzelnen, in den Pliniustexten genannten Elemente ausgemacht werden können, bedeutet allerdings weder, daß die Texte des Plinius eine tatsächlich vorhandene Anlage getreu beschreiben (wollen), noch – ein bis heute virulenter Irrtum –, dass Grundrisse und Erscheinung dieser Villenanlagen auf Basis der Angaben des Plinius in irgendeiner Weise archäologisch befriedigend zu rekonstruieren wären!
Das als an langen Mittelachsen orientiert gedachte Gartensystem der plinianischen Anlagen analysiert exzellent Förtsch (1993, S. 83 f.) mit Vergleichen an konkreten Befunden.
Analysiert bei Förtsch (1993, S. 78 f.) unter der etwas unglücklichen Terminologie „Durchgehende Mittelachsen“ versus „Abstraktere Mittelachsen mit optischen Markierungspunkten“.
Aus der Bibliographie zur Villa Hadriana seien als einschlägige Überblickswerke herausgegriffen Raeder (1983) (Kompendium der Statuenausstattung); Mielsch (1987, S. 75–85); De Franceschini (1991) (Dokumentation aller Bodendekorationen des Komplexes); MacDonald-Pinto (1995) (Grundlagenwerk zur neuzeitlichen Rezeptionsgeschichte der Villa Hadriana); Falsitta (2000) (spekulative architekturphilosophische Gesamtinterpretation); Ytterberg (2005) (exzellente Strukturanalyse); Chiapetta (2008) (mit Fokus auf Kommunikationswegen und Raumerschließungskonzepten); Fahlbusch (2008) (hydrotechnisches System);Sapelli Ragni (2010); Calandra-Adembri (2014) (mit wichtigen Beiträgen zum Griechenlandbezug der Villa; in unserem Zusammenhang sei insbesondere auf die epochale Dokumentation des sakroidyllischen Parkbereiches durch Pensabene-Ottali (ebd., S. 91–96) hingewiesen); Mancini (2016) (architektonische Form- und Funktionsanalyse ohne archäologischen Anspruch). Trotz manch veralteter Forschungslage immer noch grundlegend die Werke von Kähler (1950) und Aurigemma (1961). Aus den monographischen baugeschichtlichen Grundlagenwerken zu einzelnen Baukomplexen der Hadriansvilla sind exemplarischzu nennen Rakob (1967) (Piazza d’Oro); Hoffmann (1980); Ueblacker (1985) (Teatro Maritimo); De Franceschini (2016) (Accademia). Zahllose weitere, fundamentale Beiträge zur Baugeschichte einzelner Villenteile können hier nicht angeführt werden, mit Ausnahme der neuen Dokumentation zum Antioneion (Mari 2007).
Zur äußerst komplexen Entstehungs- und Forschungsgeschichte der Historia Augusta s. ausführlich und mit umfassenden Literaturangaben Berger-Fontaine-Schmidt (2020, S. 643–679, § 639.2 [De] Vita principum – Die sogenannte Historia Augusta, zur Vita Hadriani des ‚Aelius Spartianus‘ bes. S. 652).
Interpretationen der Passage etwa bei Raeder (1983, S. 289 f.); Brodersen (1995, S. 111, im Kontext der antiken Raumerfassung); de Grummond (2000, S. 272, struktureller Vergleich mit dem Statuenprogramm von Sperlonga); Salza Prina Ricotti (2001, S. 303 f.).
Die sogenannten Inferi liegen am Rande der zentralen Villenbereiche und bestehen aus einer langen Rampe, die zu einer unterirdischen, mit künstlichen Felsgrottierungen und Tunnelgängen versehenen Grottenanlage führt, vgl. Salza Prina Ricotti (2001, S. 303–305), mit diesbezüglicher Diskussion der Passage aus der Historia Augusta); detaillierte Beobachtungen bei Ohlig-Vieweger (2008, S. 349–395).
Raeder (1983). Ergänzend León-Nogales (2018) (schon eine flüchtige Durchsicht dieses verdienstvollen Skulpturenfragmentkatalogs vermittelt einen Eindruck von der immensen ikonograpischen Breite der Skulpturenausstattung der Hadriansvilla).
Zu den vielfältigen Ägyptenbezügen der Hadriansvilla s. Raeder (1983, S. 297 f., Statuen); Adembri-Mari (2006); Adembri (2006); Pracchia (2006); Mari (2010); Swetnam-Burland (2015). Ausführlich kommentierte Beispiele für die ägyptische und ägyptisierende Ausstattung der Villa Hadriana in Sapelli Ragni (2010, S. 208–215, Kat. Nr. 28–32).
Vatikan, Museo Pio-Clementino inv. 285. 262. Aus dem Teatro Greco der Hadriansvilla. Sapelli Ragni (2010, S. 216–218, Kat Nr. 33 f. mit ausführlichen Kommentaren).
Als extremes Beispiel der Fusion von innovativen Architekturformen, Wasser, Lichtführung und Flora auf engem Raum kann sicherlich das sogenannte Gartenstadion (Hoffmann 1980) gelten.
Die neuergrabene Anlage wurde ab 2002 in zahlreichen, kleineren Vorberichten von Zaccaria Mari publiziert, vgl. Mari (2007, 2010). Substanziell ebenso die Architekturanalysen bei Sgalambro (2010).
Bis heute liegt keine umfassende archäologisch-bauhistorische Dokumentation des Kanopuskomplexes vor. Vgl. De Franceschini (1991, S. 297–314 und 563–576); MacDonald-Pito (1995, S. 205–228); Salza Prina Ricotti (2001, S. 241–264). Zur Rekonstruktion der Statuenausstattung: Grenier (1989); Calandra (2000); Pensabene (2010). Die Beiträge bei Fahlbusch (2008, S. 191–348) bieten eine außerordentlich genaue Untersuchung der komplizierten Wassereinrichtungen des Kanopuskomplexes.
„Als sehr beliebtes Thema dieser Zeit ist die monumentalisierte Erscheinungsform der homónia in der geheimnisvollen Anlage von Avlona vielmehr wegen ihres anspielungsreichen Assoziationsfelds auf die literarischen und philosophischen Interessen des Sophisten zu beziehen.“ Galli (2002, S. 135).
Vgl. zutreffend hierzu etwa die grundsätzlichen Gedanken von Tronchin (2012). Methodisch und forschungsgeschichtlich aufschlußreich der Vergleich dieser Ausführungen mit dem Resümee von Neudecker (1988) zur Statuenaufstellung in römischen Villen, der den stark werte- und ideologiebasierten Zugriff der achtziger Jahre mit der (insbesondere in der angelsächsischen Archäologie) relativistischen Tendenz der vom Einfluß der postmodernistischen Strömungen geprägten Forschung in den letzten Jahrzehnten deutlich vor Augen führt. Interessant ist dabei, daß beide Interpretationen bei allen forschungsideologischen Unterschieden die thematische und ikonographische Offenheit der Aufstellungen (im Kontrast zur neuzeitlichen Praxis fest strukturierter, ikonographisch eng kontrollierter und vergleichsweise eindeutiger Kombinationen und Botschaften) und den daraus resultierenden Assoziationreichtum betonen („ein raffiniertes Geflecht reichster Assoziationsmöglichkeiten“, Neudecker (1988, S. 125).
Die im Folgenden referierte Raumtheorie geht im Wesentlichen auf Pietro Janni (1984) zurück und löste in den folgenden Jahrzehnten insbesondere im Bereich der Alten Geschichte eine intensive Debatte um die antike Raumwahrnehmung im Allgemeinen, historische Weltbeschreibung, Anthropologie der Raumwahrnehmung und Kartographie im Besonderen aus. Mit großem Verzug erreichten diese althistorischen Raumdebatten in den frühen 2000er Jahren auch die Archäologien (institutionalisiert etwa im Exzellenzcluster Topoi Berlin).
Rekonstruktionsversuche im Sinne hodologischer Raumerschließungsmodelle wendeten auf die Villa Hadriana an u. a. Ytterberg (2005) und Chiapetta (2008).
William Chambers, Designs of Chinese buildings, furniture, dresses, machines, and utensils (London 1757). Zu William Chambers Gartentheorie und Gartenpraxis s. Dobai II (1975, S. 530–533, 1059–1061); Quaintance (2002).
Zum Aspekt des Chinesischen bei Chambers im Kontext der Gartentheorie der Zeit Sirén (1990, S. 62–83); Tabarasi (2007, S. 116–131); Phibbs (2017, S. 255–257).
Zum Assoziationsprinzip im Kontext der Gartenkunst vgl. Schepers (1980, S. 129–135), zu Joseph Addisons Beitrag zur englischen Gartentheorie ebd. S. 110–139; Tabarasi (2007, S. 86–92).
Publiziert in William Chambers, Plans, Elevations, Sections and Perspective Views of the Gardens and Buildings at Kew in Surrey (1763). Vgl. Desmond (2007) (Geschichte von Kew Gardens); Sirén (1990, S. 71–76).
Aus der uferlosen Literatur zu Lancelot Capability Brown seien lediglich angeführt Stroud (1975); Turner (1985); Brown (2011); Brown-Williamson (2016) sowie die exzellente Analyse der Gartenstrukturelemente bei Phibbs (2017).
William Gilpin, Three essays: On picturesque beauty; on picturesque travel; and on sketching landscape to which is added a poem, on landscape painting (London 1794, S. 7 f.).
Aus der unüberschaubaren Literatur zur Gartendebatte des 18. Jahrhunderts seien lediglich die ausführlichen und zugleich aufschlußreichen Diskussionen bei Dobai (1974 ff.) und Tabarasi (2007) erwähnt (ebd. 9–29 eine exzellente Einführung in den ideologischen Dualismus von französischem und englischem Garten); einführend zu den einzelnen Gartentheoretikern Wimmer (1989).
Plin. Epist. 2, 17, 5 undique valvas aut fenestras non minores valvis habet atque ita a lateribus, a fronte quasi tria maria prospectat. Zur Problemtik der hinter dieser in der archäologischen Diskussion vielzitierten Passage steht s. Förtsch (1993) 90 f. (jedoch m. E. zu kritisch im Hinblick auf die Bedeutung des bildhaft gerahmten Panoramablicks). Übrigens scheint der Effekt eines Landschaftstriptychons durch eine entsprechende, dreiteilige Fensterarchitektur bei Plinius in englischen Landhäusern des achtzehnten Jahrhunderts durch bay windows, also die Integrierung polygonaler Erker in die Fassaden, explizit nachgeahmt worden zu sein, etwa in der Südfront von Croome oder in Newton Park (Bath): “The next object is a statue of Ceres in a retired spot, the arcade appearing with a good effect, and through three divisions of it, the distant prospect is very finely” A. Young, A Sixths Month Tour through the Southern Counties I (London 1771, S. 134 f.). Vgl. Phibbs (2017, S. 217).
Batty Langley, New Principles of Gardening, or the Laying out and Planting Parterres, Groves, Wildernesses, Labyrints, Parks etc. (1728, Taf. 14). Vgl. Dobai (1974, S. 562 f.).
Was die bisweilen wie englische Gärten anmutenden Landschaftsdarstellungen im Kontext von Villendarstellungen in der römischen Wandmalerei betrifft, so ist methodisch schlichtweg nicht zu klären, ob es sich um wilde Landschaften oder vom Menschen gestaltete Landschaftsgärten handelt. Zur römischen Landschaftsmalerei vgl. Croisille (2010) und besonders die für die hier behandelten Fragen nach Landschafts- und Raumauffassung äußerst relevante, ausführliche Studie Hinterhöller-Klein (2015).
Zu den Idiosynkrasien des englischen Gartens und des mit ihm verbundenen, ideologischen Anspruchs s. von Buttlar (1989, S. 74); Bredekamp (2013, S. 113 f.).
The works of the late Aaron Hill, Esq; in four volumes. Consisting of Letters on Various Subjects, and of Original Poems, Moral and Facetious. With an Essay on the Art of Acting. Volume I (London 1753, S. 199–210). David (1968, S. 148–51, mit zeichnerischer Umsetzumg der ohne Illustration publizierten Gartenbeschreibung von Hill S. 149, Abb. 18); Dobai I (1974, S. 572 f.).
„Daß Price und Knight Browns Landschaftsgärten kritisieren, verwundert nicht, daß aber auch der Brown-Verteidiger William Mason in der zweiten Fassung seines Lehrgedichts „Der Englische Garten“ (1784) vorschlagen konnte, armer Leute Kinder malerische verkleidet als lebendige Staffagefiguren in pittoresken Gartenszenen herumlaufen zu lassen, zeigt die Perversion des ursprünglich moralischen Anspruchs der Gartenkunst.“ (von Buttlar (1989, S. 74).
Welche antike Gartentheorie? Das merkwürdige Verhältnis von Natur, Raum und Bedeutung in den Kunstlandschaften des jüngeren Plinius und der Villa Hadriana