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Erschienen in: Organisationsberatung, Supervision, Coaching 3/2021

Open Access 01.06.2021 | Hauptbeiträge

Wer kann, der coacht: Ein Instrument zur Messung interpersoneller Coach-Fähigkeiten

verfasst von: Alessa Antonia Müller, Prof. Dr. Heidi Möller

Erschienen in: Organisationsberatung, Supervision, Coaching | Ausgabe 3/2021

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Zusammenfassung

Es wird ein aus der Psychotherapieforschung stammendes, an Coaching adaptiertes Ratingmanual zur Messung interpersoneller Fähigkeiten vorgestellt. Es wurden Ratings für 18 Audioaufnahmen von dyadischen Coachingsitzungen von neun Coaches-in-Weiterbildung erstellt, die zu Beginn der Weiterbildung und ein Jahr später durchgeführt wurden. Das interpersonelle Verhalten und die Entwicklung der Kompetenzen von zwei Coaches-in-Weiterbildung werden exemplarisch dargestellt. Die Autorinnen ziehen das Fazit, dass sich das Instrument dazu eignet, objektive, valide und reliable Bewertungen der interpersonellen Kompetenzen von Coaches zu erstellen. Es wird ein Ausblick auf die praktische Relevanz in Weiterbildung und Coachingpraxis und zukünftige Forschung gegeben.

1 Einleitung

Bisher existieren nur wenige Beobachtungsstudien, die untersuchen, was tatsächlich während Coachingsitzungen passiert und Einfluss auf den Coachingerfolg nimmt (Gessnitzer und Kauffeld 2015). Es liegen jedoch bereits erste empirische Ergebnisse vor, die belegen, dass interpersonelle Kompetenzen des Coachs die Coach-Coachee-Beziehung und den Coachingerfolg positiv beeinflussen (z. B. Athanasopoulou und Dopson 2018; de Haan et al. 2011; Will et al. 2016). Es stellt sich die Frage, ob derartige Fähigkeiten eher stabile Charaktereigenschaften einer Person darstellen (Uhlin 2011) oder Coaches diese z. B. im Rahmen von Coachingweiterbildungen trainieren oder gar neu erlernen können. Atad und Grant (2020) sehen in evidenzbasierten Programmen der Coachingweiterbildung das Potential, interpersonelle Fähigkeiten von zukünftigen Coaches weiterzuentwickeln.
Eine weitere unbeantwortete Frage besteht darin, wie interpersonelle Fähigkeiten valide gemessen werden können. Im Kontext der Psychotherapieforschung widmet sich seit einigen Jahren ein US-amerikanisches Forschungsteam der Ohio University dem Thema der Messung von Facilitative Interpersonal Skills (FIS; deutsch: förderliche interpersonelle Fähigkeiten) von Psychotherapeut/innen (Anderson et al. 2019). Sie beschreiben interpersonelle Fähigkeiten als Kernkompetenzen, die von verschiedenen Personen, die „helfende Berufe“ ausüben (z. B. Ärzt/innen, Theolog/innen, Pädagog/innen), eingesetzt werden und von denen angenommen wird, dass sie eine Person in emotionaler und psychologischer Not ermutigen, Veränderungen in Richtung eines verbesserten Wohlbefindens einzuleiten (ebd.). Sie entwickelten eine Skala zur objektiven Messung der interpersonellen Fähigkeiten, die auf acht Dimensionen abgebildet werden. Nach einer intensiven Einarbeitung in das Instrument erstellen geschulte Dritte (d. h. weder die beteiligten Psychotherapeut/innen noch Patient/innen) mithilfe dieser Skala Ratings zum Verhalten der Psychotherapeut/innen. Bewertet werden unter anderem die Empathie, die verbale Ausdrucksfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Psychotherapeut/innen. Im Rahmen mehrerer Studien konnte empirisch belegt werden, dass Therapeut/innen sich in der Ausprägung der FIS-Kompetenzen unterscheiden und diejenigen von ihnen mit einer hohen Ausprägung bessere Behandlungsergebnisse erzielen und eine stabilere therapeutische Beziehung zu ihren Patient/innen aufbauen können als solche mit einer geringen Ausprägung (z. B. Anderson et al. 2016a, 2016b).
Da zwischen den Beratungsformaten Coaching und Psychotherapie zwar auf der einen Seite viele Unterschiede, auf der anderen Seite aber auch viele Gemeinsamkeiten existieren (vgl. z. B. Smither 2011), scheint für die Coachingforschung eine Anlehnung an Forschungsmethoden der Psychotherapieforschung ein fruchtbarer Ansatz, um offene Fragen über den Coachingprozess klären zu können (Bachkirova et al. 2015; Künzli 2006). Aus diesem Grund wurde am Fachgebiet Theorie und Methodik der Beratung der Universität Kassel das Ratingmanual zur FIS-Skala für Psychotherapie (Anderson et al. 2019) für den Coachingkontext adaptiert. Neun Coaches-in-Weiterbildung stellten Audioaufnahmen von je zwei Coachingsitzungen zur Verfügung, die sie am Anfang ihrer Coachingweiterbildung und ein Jahr später durchgeführt haben. In dem vorliegenden Artikel soll anhand der Ergebnisse der Ratings von zwei Coaches die In-Session-Skala zur Messung interpersoneller Coach-Kompetenzen vorgestellt werden.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Relevanz der interpersonellen Fähigkeiten von Coaches

Bereits vorliegende empirische Ergebnisse legen nahe, dass interpersonelle Kompetenzen des Coachs einen Einfluss auf die Coach-Coachee-Beziehung und den Coachingerfolg haben. Einige relevante Studien werden im Folgenden kurz dargestellt.
Die Ergebnisse einer längsschnittlichen Studie mit 71 Coachees deuten darauf hin, dass allgemeine „Coach-Qualitäten“ wie die Empathie, die Authentizität und der Humor des Coachs aus der Perspektive der Coachees als besonders hilfreich für die Erreichung der Coachingziele empfunden werden (de Haan et al. 2011). Die Autoren ziehen das Fazit, dass Coaches weniger auf eine spezifische Technik setzen sollten, sondern besser neben generischen und allgemeinen Techniken (z. B. aktives Zuhören) mehrere Techniken beherrschen und entscheiden können sollten, wann sie welche spezifische Technik im Coachingprozess einsetzen.
Im Rahmen einer Beobachtungsstudie mit 19 Coach-Coachee-Dyaden kommt ein Forschungsteam der Universität Braunschweig zu dem Schluss, dass das Aufzeigen von Empathie des Coachs (z. B. durch Paraphrasieren des Gesagten und Spiegeln der Gefühle des Coachees) relevant für den Verlauf der Coachingsitzungen ist (Will et al. 2016). Sie fanden zum einen heraus, dass Coachees empathisches Verhalten des Coachs wahrnehmen, das heißt, wenn das Ratingteam beobachtete, dass der Coach während der Coachingsitzung häufig paraphrasierte, schätzten auch die Coachees ihren Coach am Ende des Coachingprozesses als empathischer ein, als wenn der Coach auf dieses Verhalten verzichtete. Des Weiteren deuten die Studienergebnisse darauf hin, dass Coachees in der direkten Interaktion positiv (d. h. zustimmend) auf empathisches Coach-Verhalten reagieren.
Athanasopoulou und Dopson (2018) fassen in einem Literatur-Review die Ergebnisse von insgesamt 84 empirischen Studien zusammen. Sie berichten, dass neben Coachee-Variablen (z. B. Persönlichkeit des Coachees) die Authentizität und Empathie von Coaches sowie angewandte Gesprächsführungstechniken wie aktives Zuhören und Reflexionsfragen positiv mit dem Coaching-Outcome zusammenhängen. Sie postulieren als weiterhin existierende Forschungslücken und bisher unbeantwortete offene Fragen: „What attributes make a good coach and how to develop them?“ (Athanasopoulou und Dopson 2018, S. 76). An diese Fragen möchten wir mit unserem Forschungsvorhaben anknüpfen.

2.2 Messung von interpersonellen Fähigkeiten

Die im vorherigen Abschnitt berichteten Studienergebnisse lassen wenig Zweifel daran übrig, dass interpersonelle Fähigkeiten von Coaches eine Relevanz für den Coachingprozess aufweisen. Es stellt sich nun jedoch die Frage, wie diese gemessen werden können, da es der Coachingforschung bisher an validen Prozessskalen mangelt (Hagen und Peterson 2014).
Will et al. (2016) überprüften in ihrer Studie den Zusammenhang zwischen Einschätzungen der aufgezeigten Empathie von 19 Coaches während der ersten Coachingsitzung aus der Perspektive (1) der Coaches, (2) der Coachees und (3) objektiver Rater. Es zeigte sich, dass die von den Coaches selbsteingeschätzte Empathie und die Einschätzungen der Coachees nicht signifikant korrelierten (r = −0,11, n.s.). Zudem korrelierte nur die von den Coachees eingeschätzte Empathie der Coaches mit den Ratings zum fremdeingeschätzten Paraphrasieren signifikant (r = 0,53, p < 0,01). Gessnitzer und Kauffeld (2015) berichten Ähnliches. Auch in dieser Studie wurde kein Zusammenhang zwischen den Einschätzungen von Coach und Coachee (N = 31 Dyaden) zu ihrer Arbeitsbeziehung und Ratings von objektiven Beobachter/innen zu tatsächlich gezeigtem Arbeitsbeziehungsverhalten während der Coachingsitzungen gefunden. Die Autorinnen beider Artikel betonen daher die Notwendigkeit, dass in zukünftigen Studien objektive Ratings von unbeteiligten Dritten vom tatsächlich gezeigten Verhalten der Coaches erstellt werden.
Ein in der Psychotherapie erfolgreich eingesetztes Instrument zur objektiven Erfassung interpersoneller Fähigkeiten („facilitative interpersonal skills“; FIS) von Psychotherapeut/innen ist das Ratingmanual von Anderson et al. (2019). Mithilfe des Ratingmanuals werden acht Dimensionen bewertet, welche interpersonelle Fähigkeiten abbilden sollen (Gumz et al. 2018): (1) Verbale Ausdrucksfähigkeit, (2) Hoffnung und positive Erwartungen, (3) Fähigkeit, glaubwürdig und überzeugend zu sein, (4) Emotionale Ausdrucksfähigkeit, (5) Akzeptanz, Verständnis und Wärme, (6) Empathie, (7) Bündnisfähigkeit und (8) Aufgreifen von Spannungen und Krisen. Das Manual kann entweder für gesamte Therapiesitzungen in session (Gumz et al. 2018; Uhlin 2011) oder als Performance Task (deutsch: Leistungstest) eingesetzt werden.
In Studien, in denen die FIS-Performance Task eingesetzt wurde (Anderson et al. 2019; Anderson et al. 2016a, 2016b), sollten die Proband/innen, nachdem ihnen kurze Videos mit nachgestellten Monologen von herausfordernden Patient/innen gezeigt wurden, darauf verbal reagieren, als ob sie in diesem Moment der/die Therapeut/in wären. Das gezeigte Verhalten der Proband/innen wurde audioaufgezeichnet und mithilfe des FIS-Ratingmanuals von geschulten objektiven Ratingteams bewertet. Dieselben Therapeut/innen führten nach ihrer Teilnahme an der Performance Task Therapieprozesse mit realen Patient/innen durch. Die Patient/innen füllten vor Therapiebeginn und nach Therapieende Fragebögen aus. In allen drei Studien zeigte sich, dass die Patient/innen, die von Personen mit hohen FIS-Werten behandelt wurden, nach Therapieende größere Therapieerfolge vorwiesen als Patient/innen von Therapeut/innen mit einem niedrigen FIS-Wert. Die Ergebnisse deuten also darauf hin, dass Therapeut/innen mit hohen interpersonellen Fähigkeiten womöglich bessere Therapeut/innen sind als solche mit gering ausgeprägten interpersonellen Fähigkeiten und dass die FIS-Skala sich gut eignet, interpersonelle Fähigkeiten reliabel zu messen (z. B. Anderson et al. 2016a; Uhlin 2011).

2.3 Entwicklung von interpersonellen Fähigkeiten

Die Frage, ob interpersonelle Fähigkeiten von Berater/innen als aktuelle Zustände oder als stabile Persönlichkeitseigenschaften (state vs. trait) zu interpretieren sind, ist aktuell noch unbeantwortet (Anderson et al. 2019). Dies wirft auch die Frage auf, ob interpersonelle Fähigkeiten – z. B. im Rahmen einer Coachingweiterbildung – erlernbar sind (Uhlin 2011). Es liegen erste empirische Ergebnisse vor, die darauf hindeuten, dass Psychotherapeut/innen-in-Ausbildung, die ein Training in interpersonellen Kompetenzen erhalten haben, höhere FIS-Werte aufweisen als Proband/innen einer Kontrollgruppe, die kein Training erhalten haben (Anderson et al., 2020). Im Coachingkontext berichten Atad und Grant (2020) von einem Anstieg der interpersonellen Kompetenzen (z. B. Empathie, Mindfulness) von 149 israelischen Coaches-in-Weiterbildung nach ihrer Teilnahme an einem 9‑monatigen evidenzbasierten Coachingprogramm. Coaches-in-Weiterbildung, die keine Erfahrung als Berater/in vor Beginn der Coachingweiterbildung aufwiesen, berichteten einen höheren Anstieg ihrer interpersonellen Kompetenzen als diejenigen, die bereits Beratungserfahrung hatten (Atad und Grant 2020).

3 Forschungsfragen

Aufbauend auf dem dargestellten theoretischen Hintergrund sollen in diesem Beitrag folgende Fragen beantwortet werden:
  • Forschungsfrage 1: Was sind interpersonelle Fähigkeiten von Coaches?
  • Forschungsfrage 2: (Wie) Lassen sich interpersonelle Fähigkeiten von Coaches objektiv messen?
  • Forschungsfrage 3: Inwieweit verändert sich die Ausprägung interpersoneller Fähigkeiten von Coaches-in-Weiterbildung innerhalb eines Jahres?

4 Methode

Um dem Mangel an validen Skalen in der Coachingforschung (vgl. z. B. Hagen und Peterson 2014) entgegenzuwirken, haben wir uns, wie unter anderem von Bachkirova et al. (2015) postuliert, an einem validierten Instrument aus der Psychotherapieforschung orientiert. Im Folgenden werden die Gütekriterien des adaptierten Ratingmanuals zur Messung interpersoneller Coach-Kompetenzen und die abgebildeten Dimensionen vorgestellt.

4.1 Überprüfung der Gütekriterien des adaptierten Ratingmanuals zur Messung interpersoneller Coach-Kompetenzen

Das FIS-Ratingverfahren von Anderson et al. (2019) diente als Grundlage für das Forschungsvorhaben. Um eine Skala zu erhalten, die für den Coachingkontext passend ist, wurde das FIS-Ratingverfahren adaptiert. Das Wording der Beschreibungen der Dimensionen wurde angepasst und an gängigen Coaching-Kompetenzmodellen validiert (Norwig 2020). Daraufhin wurde die Skala mit Audioaufnahmen und anonymisierten Transkripten von realen Coachingsitzungen erprobt (Gödecke 2020). Nach einer intensiven Einarbeitung in die Skala absolvierten zwei Raterinnen mithilfe der adaptierten Skala unabhängige In-Session-Ratings: Alle fünf Minuten wurde die Audioaufnahme angehalten, um Ratings auf den acht Dimensionen anzufertigen. Bewertet wird jede Dimension mit je einem Item auf einer fünfstufigen Skala (1–5), auf der ein Rating von 3 als durchschnittliche oder gewöhnliche Ausprägung der Kompetenz interpretiert wird. Die Interrater-Reliabilität zwischen den beiden Raterinnen ist mit ICC = 0,41 als „ausreichend“ zu bezeichnen (Fleiss et al. 2013).

4.2 Dimensionen interpersoneller Coach-Kompetenzen

Im Folgenden werden die acht Dimensionen, die in der Skala zu interpersonellen Coach-Kompetenzen abgebildet sind, kurz dargestellt.
(1)
Mit der Dimension verbale Ausdrucksfähigkeit wird abgebildet, inwieweit der Coach sprachlich kompetent wirkt. Spricht er/sie klar, verständlich und eindeutig; kommuniziert er/sie die eigenen Gedanken offen und direkt; wird der Klang der Stimme als melodisch wahrgenommen?
 
(2)
Die Kategorie positive Erwartungshaltung misst, inwieweit der Coach dem Coachee gegenüber Optimismus und positive Veränderungserwartungen ausdrückt und (implizit oder explizit) die Selbstwirksamkeit des Coachees, dessen Coachingziele zu erreichen, stärkt.
 
(3)
Die Dimension Fähigkeit, glaubwürdig und überzeugend zu sein bildet ab, wie authentisch der Coach wirkt und inwieweit der Coach den Coachee dazu bringt, eine neue Sichtweise einzunehmen. Vermittelt er/sie dem Coachee ein genaues und differenziertes Verständnis der Bedeutung und Zusammenhänge des Problems des Coachees?
 
(4)
Bei der Kategorie emotionale Ausdrucksfähigkeit wird bewertet, wie hoch der emotionale Ausdruck der Aussagen des Coachs ist, das heißt Emotionen (z. B. Freude, Interesse) transportiert werden.
 
(5)
Die Dimension Akzeptanz, Verständnis und positive Wertschätzung misst, inwieweit der Coach dem Coachee Akzeptanz und Wertschätzung entgegenbringt (z. B. er/sie dem Coachee vermittelt, dass Fehler und Verletzlichkeiten respektiert und anerkannt werden).
 
(6)
Mit der Dimension Empathie wird abgebildet, wie verständnisvoll der Coach auf subjektive Erfahrungen des Coachees reagiert (d. h. wie hoch ist sein/ihr Verständnis von ausgedrückten Gedanken und Gefühlen des Coachees?).
 
(7)
Die Kategorie Bündnisfähigkeit bildet ab, inwieweit der Coach in der Lage ist, eine Arbeitsbeziehung mit dem Coachee aufzubauen (z. B. eine Atmosphäre der Zusammenarbeit herzustellen).
 
(8)
Die Dimension Aufgreifen von Spannungen und Krisen misst die Fähigkeit des Coachs, sensibel mit interpersonellen Spannungen und Krisen, die während des Coachings aufkommen können, umzugehen.
 

4.3 Stichprobe und Material

Das Material wurde im Rahmen eines sechssemestrigen postgradualen Studiengangs zu Coaching, Organisationsberatung und Supervision einer deutschen Management School erhoben. Sechs der neun Teilnehmer/innen waren weiblich. Vier Personen gaben an, dass sie zum Zeitpunkt der Datenerhebung zwischen 36–45 Jahre alt waren, zwei Personen waren zwischen 26–35 Jahre alt und je eine Person unter 26 Jahre und über 56 Jahre alt. Eine Person machte keine Angaben zum Alter. Die Coachingsitzungen wurden zu Beginn der Coachingweiterbildung (Messzeitpunkt 1) und ein Jahr später (Messzeitpunkt 2) durchgeführt und auf Audio aufgenommen. Zwischen den Messzeitpunkten lagen etwa 250 h Trainingseinheiten zu verschiedenen Coaching- und Beratungsthemen (z. B. Teamcoaching, Gruppendynamik, Konfliktmanagement).
Die Coachingsitzungen wurden zum ersten Messzeitpunkt mit Peers (d. h. anderen Coaches-in-Weiterbildung) durchgeführt und hatten eine durchschnittliche Länge von 57 min. Zum zweiten Messzeitpunkt handelte es sich um Klient/innen, die die Coaches-in-Weiterbildung selbst auswählten. Die Audios zum zweiten Messzeitpunkt waren im Durchschnitt 83 min lang. In allen Coachingsitzungen wurden arbeitsbezogene Themen besprochen (z. B. Karriereberatung, berufliche Rollendefinition, Work-Life-Balance). Nach Übermittlung beider anonymisierten Audiodaten wurden die Ratings von geschulten Rater/innen mit Psychologiestudium erstellt. Für die Coaches-in-Weiterbildung wurde ein individueller Ergebnisbericht angefertigt und zur Verfügung gestellt. Neben Informationen zur angewandten Skala enthielt der Bericht eine Übersicht über die erreichten Globalwerte (d. h. die Mittelwerte über alle acht Dimensionen der interpersonellen Fähigkeiten hinweg) sowie Mittelwerte, Minimal- und Maximalwerte je Dimension zu beiden Messzeitpunkten. Die individuellen Werte wurden darüber hinaus mit dem Mittelwert je Messzeitpunkt der Gesamtstichprobe (d. h. allen teilnehmenden Coaches-in-Weiterbildung) verglichen. Der Vergleich zur Gesamtstichprobe sowie die Gegenüberstellung der individuellen Werte zu T1 und T2 wurden grafisch in Spinnennetzdiagrammen dargestellt. Pro Coach wurden außerdem zwei Sequenzen à fünf Minuten aus den Coachingsitzungen transkribiert, um die quantitativen Ratings nachvollziehbar am qualitativen Material abzubilden. Hierfür wählten wir je eine Sequenz der Dimensionen mit dem höchsten und dem niedrigsten Mittelwert.

5 Ergebnisse

5.1 Vergleich der interpersonellen Fähigkeiten zwischen Messzeitpunkten

Der globale Wert der interpersonellen Fähigkeiten (d. h. über alle acht Dimensionen hinweg) der neun Coaches betrug im Durchschnitt (d. h. über alle fünfminütige Ratingsequenzen hinweg) M = 3,64 (SD = 0,63) zum ersten Messzeitpunkt (T1) und M = 3,75 (SD = 0,66) zum zweiten Messzeitpunkt ein Jahr später (T2). Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied der Mittelwerte von interpersonellen Coach-Kompetenzen zwischen den beiden Messzeitpunkten, t(8) = 0,85, p = 0,419. Die Range der Globalwerte erstreckte sich zu T1 zwischen 3,10 und 4,25, zu T2 zwischen 3,34 und 4,26.

5.2 Zwei Fallstudien

Im Folgenden werden die Ergebnisse von zwei Coaches-in-Weiterbildung vorgestellt. Während Coach 1 zu Beginn des Coachingprogramms (T1) weniger als ein Jahr Beratungserfahrung vorweist, blickt Coach 2 bereits auf 1–3 Jahre Beratungserfahrung als Beraterin zurück. In Tab. 1 sind Beispielsequenzen aus den vier Coachingsitzungen und dazugehörige Beschreibungen des Ratings abgebildet. Da es in keiner Coachingsitzung von beiden Coaches zu einer Spannung kam, ist keine Sequenz für die Dimension Aufgreifen von Spannungen und Krisen abgebildet.
Tab. 1
Darstellung der Dimensionen von interpersonellen Coach-Kompetenzen an Beispielsequenzen und Beschreibung der jeweiligen Ausprägung
Dimension
Beispielsequenz
Beschreibung der Ausprägung
(1) Verbale Ausdruckfähigkeit
Coach: Ich würde gerne noch weiterschauen, was dich unterstützen kann. Ich kann mir vorstellen, dass das Thema Wut auch ein sehr persönliches Thema ist und nicht nur im beruflichen Kontext eine Rolle spielt. Das könnte man sich in der Psychoanalyse nochmal genauer angucken: Woher kommt es denn?
(Coach 2, T1)
Der Coach zeigt in dieser Sequenz eine überdurchschnittliche verbale Ausdruckfähigkeit, was dadurch deutlich wird, dass der Coach klar, verständlich und eindeutig spricht und eigene Gedanken dem Coachee gegenüber offen und direkt mitteilt
(2) Positive Erwartungshaltung
Coach: Ich glaube, dass das jetzt auch in dir arbeitet. Lass es ein Stück weit zu. Das wird auch im Hinterkopf irgendwo arbeiten und verarbeitet werden. Und dadurch bewegt sich auch schon mal was.
(Coach 2, T1)
Die positive Erwartungshaltung des Coachs ist hoch ausgeprägt. Der Coach drückt positive Veränderungserwartungen aus und fördert damit das Selbstvertrauen des Coachees
(3) Fähigkeit, glaubwürdig und überzeugend zu sein
Coach: Also ich bin jetzt mal mutig. Im Vorgespräch hast du auch davon gesprochen, dass es Irritationen gibt über die Wahrnehmung deines Selbst und dessen, wie du im Außen wahrgenommen wirst.
Klientin: Genau. Also ich habe den Eindruck, ich werde im Außen anders wahrgenommen, als ich mich innerlich sehe.
Coach: Wenn wir deine Chefin fragen würden, würde die das aber so beschreiben, wie du auch?
Klientin: Keine Ahnung. Ich habe keine Ahnung.
Coach: Okay. Das wäre ja interessant zu wissen.
Klientin: Soll ich sie nach einem Feedback fragen? (…) Das hört sich spannend an, erfordert natürlich aber auch Mut.
(Coach 1, T1)
Der Coach wirkt sehr authentisch und gibt Hinweise und Impulse, die den Coachee in ihrem Coachingziel weiterbringen. Es wird dem Coachee ein neuer Blickwinkel auf das Anliegen geboten
(4) Emotionale Ausdruckskraft
Coach: Wenn ich mich richtig erinnere, hatten Sie letztes Mal den Wunsch nach klarerer Abgrenzung geäußert. Sie sind ja heute mit dem Wunsch hierhergekommen, sich das in Abgrenzung zueinander anzugucken, die Rollen.
(Coach 1, T2)
Der Coach ist emotional sehr engagiert. Unter anderem durch eine angenehme und passende Sprachmelodie wird Interesse am Thema des Coachees und Akzeptanz dem Coachee gegenüber transportiert
(5) Akzeptanz, Verständnis und positive Wertschätzung
Coach: Wie kann ich mir das vorstellen, wenn du wütend wirst? Was passiert dann?
Klientin: Ich muss ganz klar trennen zwischen Arbeit und privat. Bei der Arbeit, wenn ich wütend bin, krieg ich Bauchschmerzen. (…) Im Privatleben gehen dann auch Mal Dinge kaputt – Teller, Gläser. (…) Ja, das kann man sich bei mir nicht so gut vorstellen, aber tatsächlich.
Coach: Aber den Teil gibt es. (…) Ich würde da gerne nochmal ein bisschen dran bleiben. (…)
Klientin: Eigentlich ist es gut, mal zu gucken, wie man diese Wut produktiv einsetzen kann. Weil diese Wut hat sehr viel Kraft.
(Coach 2, T1)
Während der Coachingsitzung ist eine deutliche Akzeptanz spürbar, unter anderem durch den Versuch des Coachs, das Erleben und die Wahrnehmung des Coachees nachzuvollziehen und hierdurch Fehlern und Verletzlichkeiten des Coachees mit Verständnis zu begegnen (z. B. fragt der Coach mehrmals nach, um die Aussagen des Coachees nachvollziehen zu können). Der Coach drückt auf diese Weise eine bedingungslose positive Wertschätzung aus
(6) Empathie
Coach: Wie geht es dir jetzt nach dieser Sitzung und nach dem, was wir hier besprochen haben?
Klientin: Ja, das war schon anstrengend. Aber es ist schon gut, einfach zu gucken, was steht denn dahinter? Also, dass man so das Gefühl hat, man kann da weiterarbeiten. (…)
C: Ich glaube, dass das jetzt auch in dir arbeitet.
K: Ich vermute das auch.
(Coach 2, T1)
Der Coach erfasst Aspekte vom Erleben und Anliegen des Coachees und teilt eigene Einschätzungen zum Erleben des Coachees. Der Coach versucht, ein tieferes Verständnis der Situation, der Gefühle und der Bedürfnisse des Coachees zu erhalten
(7) Bündnisfähigkeit
Coach: Um nochmal auf das Ziel zu gucken und das, was Sie sich wünschen für die Sitzung heute, wäre es gut, wenn wir jetzt ein bisschen dahin gucken: Was kann jede von diesen Rollen? Was kann jeder Teil von Ihnen? Wo stecken dort Kompetenzen?
(Coach 1, T2)
Der Coach baut erfolgreich eine Arbeitsbeziehung zum Coachee auf und hält diese über die Coachingsitzungen hinweg aufrecht. Der Coach versucht, ein Wir-Gefühl herzustellen, und wirkt sehr engagiert, gemeinsam mit dem Coachee an seinem Coachingthema zu arbeiten
(8) Aufgreifen von Spannungen und Krisen
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Bei Coach 1 wurde von T1 zu T2 ein besonders starker Anstieg der interpersonellen Coach-Kompetenzen festgestellt (MT1 = 3,52, MT2 = 4,23). Der Coach verbesserte sich von durchschnittlichen Werten (d. h. Ratings um 3) zu überdurchschnittlichen Werten (d. h. Ratings um 4) auf den Dimensionen emotionale Ausdrucksfähigkeit und Empathie und von leicht überdurchschnittlichen zu weit überdurchschnittlichen Werten auf den Dimensionen verbale Ausdrucksfähigkeit, Bündnisfähigkeit und Akzeptanz, Verständnis und positive Wertschätzung. Coach 1 erhielt zu T1 den zweitniedrigsten und zu T2 den zweithöchsten Globalwert von allen teilnehmenden Coaches-in-Weiterbildung. Die Veränderung der individuellen Kompetenzen des Coachs von Messzeitpunkt 1 zu Messzeitpunkt 2 ist in Abb. 1 grafisch abgebildet.
Coach 2 wies zum ersten Messzeitpunkt bereits überdurchschnittliche Kompetenzratings auf fast allen Dimensionen auf (außer auf der Dimension positive Erwartungshaltung) und hielt sich konstant auf diesem Niveau (MT1 = 4,22, MT2 = 4,26). Coach 2 erzielte zu beiden Messzeitpunkten den höchsten Globalwert von allen teilnehmenden Coaches-in-Weiterbildung (Abb. 2).

5.3 Beantwortung der Forschungsfragen

Forschungsfrage 1: Was sind interpersonelle Fähigkeiten von Coaches? Das Ratingverfahren von interpersonellen Coach-Kompetenzen bildet interpersonelle Fähigkeiten von Coaches auf acht Dimensionen ab: (1) Verbale Ausdruckfähigkeit, (2) Positive Erwartungshaltung, (3) Fähigkeit, glaubwürdig und überzeugend zu sein, (4) Emotionale Ausdruckskraft, (5) Akzeptanz, Verständnis und positive Wertschätzung, (6) Empathie, (7) Bündnisfähigkeit und (8) Aufgreifen von Spannungen und Krisen.
Forschungsfrage 2: (Wie) Lassen sich interpersonelle Fähigkeiten von Coaches objektiv messen? Die Ergebnisse von zwei Pilotstudien (Gödecke 2020; Norwig 2020) deuten darauf hin, dass sich das adaptierte Ratingmanual zur Messung interpersoneller Coach-Kompetenzen dazu eignet, objektiv, valide und reliabel die Fähigkeiten von Coaches zu messen.
Forschungsfrage 3: Inwieweit verändert sich die Ausprägung interpersoneller Fähigkeiten von Coaches-in-Weiterbildung innerhalb eines Jahres? Die Ergebnisse der zwei vorgestellten Fallstudien lassen die Interpretation zu, dass Coaches im Rahmen einer Weiterbildung ihre interpersonellen Kompetenzen steigern können (z. B. Coach 1), während z. B. Personen, deren interpersonelle Kompetenzen zu Beginn des Coachingprogramms bereits sehr hoch ausgeprägt waren, vermutlich keine großen Steigerungen mehr erwarten können (z. B. Coach 2). Im Mittel zeigte sich keine signifikante Veränderung der neun Coaches-in-Weiterbildung, die an unserer Studie teilnahmen.

6 Diskussion

Es wurden in dieser Studie erste Schritte unternommen, den bisher offenen Fragen näherzukommen, wie interpersonelle Fähigkeiten objektiv gemessen werden können und ob interpersonelle Coach-Kompetenzen erlernbar sind. Es wurde hierfür ein adaptiertes In-Session-Ratingmanual an Audioaufnahmen von Coachingsitzungen, die von Coaches-in-Weiterbildung eines postgradualen Studiengangs durchgeführt wurden, angewandt. Im Folgenden gehen wir auf praktische Implikationen, die auf Basis der Ergebnisse getroffen werden können, auf Ideen für zukünftige Forschung und Limitationen der aktuellen Studie ein.

6.1 Praktische Implikationen

Da sich das Ratingverfahren als valides und reliables Instrument zur Messung interpersoneller Fähigkeiten von Coaches herausgestellt hat, kann dieses zukünftig in verschiedenen Kontexten angewandt werden. Zum einen könnten die Ratings dafür genutzt werden, dass Coaches-in-Weiterbildung im Rahmen der Coachingweiterbildung spezifisch an den Dimensionen arbeiten, auf denen sie ein Kompetenzdefizit aufweisen. Eine Möglichkeit, den Coaches-in-Ausbildung ihre Ratings zu vermitteln, wäre, eine Messung der Kompetenzen zu Beginn der Weiterbildung vorzunehmen und ihnen Rückmeldung in Form eines individuellen Berichts mit transkribierten Sequenzen der Coachingsitzungen, in denen Fähigkeiten besonders gut und weniger optimal gezeigt wurden, zu geben. So könnten die Fähigkeiten mit Optimierungsbedarf z. B. als Thema im Rahmen von Lehrcoachings bearbeitet werden. Um eine potentielle Steigerung der Kompetenzen zu ermitteln, empfiehlt sich eine erneute Messung am Ende der Weiterbildung. So kann ein möglicher Entwicklungsfortschritt der Coaches-in-Weiterbildung für die Anwärter/innen selbst, die Ausbilder/innen und beteiligten Lehrcoaches und -supervisor/innen an Zahlen und Grafiken verdeutlicht werden.
Während sich in unserer Stichprobe im Mittel kein signifikanter Unterschied der interpersonellen Kompetenz der Coaches-in-Weiterbildung zwischen Messzeitpunkt 1 und Messzeitpunkt 2 zeigte, gab es durchaus Proband/innen, deren Ausprägung der Fähigkeiten zunahm. Bei Coach 1 stieg der Globalwert der acht Kompetenzen besonders stark (d. h. um fast einen Punkt auf der fünfstufigen Skala) an. Coach 2 hingegen, der schon zum ersten Messzeitpunkt hohe (d. h. überdurchschnittliche) interpersonelle Kompetenzen aufwies, hielt diese auf einem konstanten Level. Der Coach wies zu Beginn der Coachingweiterbildung bereits eine Beratungsausbildung und erste Beratungserfahrung vor. Unsere Ergebnisse gehen somit in eine ähnliche Richtung wie die von Atad und Grant (2020). Zwar berichten die Autoren von einem durchschnittlichen Anstieg der interpersonellen Fähigkeiten der Coaches ihrer Stichprobe, aber Coaches-in-Weiterbildung mit vorheriger Beratungserfahrung berichteten einen signifikant geringeren Anstieg ihrer Kompetenzen nach Teilnahme am Coachingprogramm als Noviz/innen der Beratungsszene.
Die Ergebnisse deuten also möglicherweise auf einen differenzierten Effekt der Coachingweiterbildung auf die interpersonellen Fähigkeiten von Coachinganwärter/innen hin. Während Personen auf einem durchschnittlichen Niveau der Kompetenzen zu Beginn der Weiterbildung ihre Fähigkeiten signifikant steigern können, profitieren Personen mit vorheriger Erfahrung womöglich weniger stark von den Elementen zur Steigerung der interpersonellen Fähigkeiten der Coachingweiterbildung. Es sollten also besonders für die Coaches-in-Weiterbildung mit durchschnittlichen (oder gar unterdurchschnittlichen) Kompetenzratings zu Beginn der Weiterbildung Möglichkeiten geschafft werden, in denen ihre interpersonellen Fähigkeiten weiter ausgebaut werden können. Anderson et al. (2020) berichten von Erfolgen eines Trainings zur Steigerung der interpersonellen Fähigkeiten von Psychotherapeut/innen-in-Ausbildung. Im Rahmen dieses Trainings werden den Proband/innen in Form von Videoclips gute und schlechte Reaktionen auf schwierige Therapiesituationen demonstriert. Darauffolgend sollen sie für jede Situation hilfreiches Verhalten üben. Derartige Trainings könnten zukünftig auch in der Coachingweiterbildung eingesetzt werden, um besonders Coaches-in-Weiterbildung mit durchschnittlichen oder unterdurchschnittlichen Kompetenzen zu unterstützen.
Messungen der interpersonellen Kompetenz sind nicht nur für den Weiterbildungskontext bedeutsam. Ähnlich wie Pilot/innen, die im Rahmen der jährlichen Fliegerärztlichen Tauglichkeitsuntersuchung physisch und psychisch untersucht werden, könnten sich auch Coaches von Zeit zur Zeit einer differenzierten Analyse ihrer interpersonellen Kompetenz unterziehen. Intervisions- und Supervisionsgruppen von Coaches, aber auch Einzelsupervisionen können gezielt vor dem Hintergrund objektiver Messungen gestaltet werden. Allein und mit anderen wäre es möglich, unzureichend ausgeprägte Dimensionen interpersoneller Kompetenz nachzusozialisieren und weiterzuentwickeln. Ratings würden auf diese Weise einen Beitrag für berufliches Lebenslanges Lernen (LLL; Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2000) leisten und die Qualitätssicherung der Profession unterstützen.

6.2 Ausblick in zukünftige Forschung

Im Rahmen zukünftiger Forschung sollten Ratings von weiteren Coachingprozessen mit dem adaptierten Ratingmanual erstellt werden. Das Vorgehen sollte mit einer größeren Stichprobe repliziert und mit weiteren Maßen in Zusammenhang gebracht werden. So könnten mögliche Zusammenhänge der FIS-Kompetenzen und Persönlichkeitsfacetten der Coaches oder der Working Alliance zwischen Coach und Coachee (Baron und Morin 2009) untersucht werden. Besonders interessant wären In-Session-Ratings verschiedener Coachingprozesse (d. h. Coachees) eines Coachs. Auf diese Weise könnte überprüft werden, ob interpersonelle Fähigkeiten tatsächlich (nur) Coach-spezifisch sind oder (auch) vom Coachee bzw. der Working Alliance zwischen Coach und Coachee und den behandelten Coachingthemen abhängig sind. Außerdem sollte untersucht werden, ob sich wie in der Psychotherapie auch im Coaching zeigt, dass eine höhere Ausprägung der interpersonellen Fähigkeit des Coachs zu höherem Outcome des Coachees führt.
Darüber hinaus ist die Erstellung einer deutschsprachigen Performance Task für den Coachingkontext geplant. Auch diese könnte z. B. in Coaching-Weiterbildungsprogrammen genutzt werden. So könnten eine Vorselektion von Bewerber/innen oder individuelle Lernpläne auf Basis der FIS-Ratings stattfinden.

6.3 Limitationen

Die hier berichteten Ergebnisse beziehen sich auf eine kleine Stichprobe (n = 9) und zwei Fallstudien. Aus diesem Grund sind die Ergebnisse nicht generalisierbar. Nicht alle Inhalte der Coachingweiterbildungen waren explizit auf die Entwicklung von interpersonellen Fähigkeiten der Coaches-in-Weiterbildung fokussiert. Darüber hinaus unterschied sich der Kontext der Coachingsitzungen zu den beiden Messzeitpunkten. Während die Coaches-in-Weiterbildung zum ersten Messzeitpunkt einen Mitstudierenden coachten, war es beim zweiten Messzeitpunkt ein selbst ausgewählter „echter“ Coachee. Einerseits könnte es eine größere Herausforderung dargestellt haben, ein Coachinggespräch mit echten Klient/innen zu führen. Auf der anderen Seite konnten sich die Proband/innen zum zweiten Messzeitpunkt ihre Coachees frei auswählen, während es zum ersten Messzeitpunkt auf Kommiliton/innen beschränkt war. Insgesamt erscheinen weitere empirische Überprüfungen des Ratingverfahrens dringend notwendig.
Darüber hinaus sollte an dieser Stelle diskutiert werden, dass es nicht auszuschließen ist, dass das Raterteam möglicherweise einem Bias unterlag, z. B. einem Halo-Effekt. Der Halo-Effekt stellt einen Beurteilungsfehler dar, der beschreibt, dass die Ausprägung einer Dimension womöglich die Ausprägung anderer Bewertungsdimensionen „überstrahlt“, wodurch diese nicht differenziert genug beurteilt werden (Büttner 2008). Das heißt, es besteht die Möglichkeit, dass die Ratings verzerrt waren in der Form, dass, wenn eine Dimension hoch bewertet wurde, andere Dimensionen „automatisch“ ebenfalls hoch geratet wurden. Die Rater/innen waren darüber hinaus nicht blind in Bezug auf den Messzeitpunkt. Es ist somit noch nicht final beantwortet, wie objektiv objektive Rater/innen tatsächlich sind oder inwieweit z. B. die verspürte Sympathie gegenüber dem zu bewertenden Coach oder das Wissen über den Messzeitpunkt Einfluss auf die Ratings nimmt.

6.4 Fazit

Die berichteten Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich das adaptierte Ratingmanual dazu eignet, interpersonelle Fähigkeiten von Coaches objektiv zu messen. Die Ratings können zum Beispiel in Coaching-Weiterbildungsprogramme integriert werden. Es zeigt sich jedoch auch Bedarf an weiterer Forschung, vor allem im Hinblick auf die Stabilität von interpersonellen Fähigkeiten.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Wer kann, der coacht: Ein Instrument zur Messung interpersoneller Coach-Fähigkeiten
verfasst von
Alessa Antonia Müller
Prof. Dr. Heidi Möller
Publikationsdatum
01.06.2021
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Organisationsberatung, Supervision, Coaching / Ausgabe 3/2021
Print ISSN: 1618-808X
Elektronische ISSN: 1862-2577
DOI
https://doi.org/10.1007/s11613-021-00712-9

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