Ein Forscherteam der Universität Bayreuth hat den Prozess der Seidenherstellung in der Spinne entschlüsselt und auch im Detail erfolgreich nachahmen können. Die auf diese Weise hergestellte biomimetische Spinnenseide zeigt erstaunliche Eigenschaften.
Spinnenseide ist ein technologisch hochinteressantes Material, weil sie Festigkeit und Elastizität in einzigartiger Weise verbindet. Sie ist stärker belastbar als alle anderen in der Natur vorkommenden oder vom Menschen produzierten Fasern. Einem Forscherteam an der Universität Bayreuth um Thomas Scheibel ist es jetzt erstmals gelungen, den Prozess der Seidenherstellung in der Spinne vollständig zu entschlüsseln und dabei die Gründe aufzuklären, weshalb Spinnenseide so außerordentlich belastbar ist.
Aufbauend auf diesen Einsichten in das ‚Know-how‘ der Spinne haben die Wissenschaftler aus biotechnologisch hergestellten Spinnenseidenproteinen Fasern entwickelt, die genauso belastbar sind wie das natürliche Vorbild. „Das Ergebnis hat uns selbst überrascht“, berichtet Prof. Scheibel. „Denn die auf diesem Weg hergestellte biomimetische Seide besitzt tatsächlich eine mechanische Belastbarkeit wie natürliche Spinnenseide. Damit stehen die Türen jetzt weit offen für das Erkunden von Anwendungsmöglichkeiten, wie etwa in der Textilindustrie oder der Medizintechnik.“
Grundstrukturen der Spinnenseidenproteine
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Jede Faser aus Spinnenseide enthält Millionen von Proteinen, die auf einzigartige Weise miteinander vernetzt sind. Jedes Protein besteht dabei aus drei Teilen, aus sogenannten Domänen: Eine lange Kette von kurzen, sich hundertfach wiederholenden Aminosäuresequenzen bildet die große Kerndomäne. An ihrem einen Ende befindet sich eine Molekülgruppe, die eine freie Aminogruppe enthält und deshalb „N-terminale Domäne“ heißt; am anderen Ende der Kette hängt eine Molekülgruppe, die wegen ihrer Carboxy-Gruppe (COOH) als „C-terminale Domäne“ bezeichnet wird.
„Die herausragenden Eigenschaften der Spinnenseide resultieren aus dem Zusammenspiel dieser drei Proteindomänen“, erläutert Thomas Scheibel. „Dabei hängen die Festigkeit, Elastizität und weitere mechanische Eigenschaften einer Seidenfaser entscheidend davon ab, aus welchen Aminosäuren sich die Kerndomäne zusammensetzt. In dieser Hinsicht gibt es große Unterschiede von Seidenart zu Seidenart und von Spinne zu Spinne. Die C- und die N-terminale Domäne sind hingegen bei allen Spinnen annähernd gleich. Sie übernehmen wichtige Steuerungsfunktionen, wenn es darum geht, die einzelnen Spinnenseidenmoleküle in eine reißfeste Seidenfaser zu verarbeiten. Die Bedeutung dieser beiden Steuerdomänen ist in früheren Forschungsarbeiten häufig unterschätzt worden.“
Von der kugelförmigen Mizelle bis zur fertigen Seidenfaser
„Diese kugelförmige Anordnung der Seidenprotein-Paare ist eine extrem stabile Speicherform, die eine ungewollte Faserbildung komplett unterdrückt“, erklärt Scheibel. „Sie hat zugleich den Vorteil, dass sie die Seidenproteine so vororientiert, dass sie für eine rasche Faserproduktion zur Verfügung stehen.“ Denn sobald die Spinne eine Faser benötigt, drückt sie die Spinnlösung aus dem Drüsensack in den Spinnkanal. Hier werden störende Wassermoleküle, die sich noch an den Oberflächen der Seidenproteine befinden, entfernt. Zugleich sinkt der pH-Wert, so dass die bisher losen N-terminalen Domänen der Seidenprotein-Paare ihre Struktur schalterartig ändern und sich mit anderen N-terminalen Domänen verklammern. Durch die im Spinnkanal vorherrschenden Scherverhältnisse erhalten die vernetzten Seidenproteine ihre endgültige Ausrichtung als Fasern. Die Spinne kann die Fasern dann aus dem Spinnkanal herausziehen, indem sie beispielsweise ihre Hinterbeine zu Hilfe nimmt.