Ein Schwerpunkt der aktuellen Materialforschung liegt auf der Entwicklung bioinspirierter Werkstoffe, deren Beschaffenheit mit der Qualität biologischer Materialien konkurrieren kann. In Aachen ließen sich jetzt Forscher von Perlmutt anregen.
Forscher suchen in der Natur nach immer neuen Anregungen für die technische Werkstoffentwicklung, dennnatürliche Materialien bestechen häufig durch ihre brillanten mechanischen Eigenschaften, die in der Regel auf einer raffinierten Anordnung und Kombination verschiedener Bausteine beruhen. Die Forschungsgruppe um Andreas Walther am Leibniz-Institut für Interaktive Materialien (DWI) in Aachen entwickelte jetzt einen Perlmutt-inspirierten Nano-Verbundwerkstoff, der bemerkenswerte mechanische Charakteristika mit Glas-ähnlicher Transparenz sowie einer hohen Gas- und Feuerbarriere kombiniert und berichten darüber in Nature Communications.
„Die innere Schicht der Muschelschale, das Perlmutt, besteht zum überwiegenden Teil aus rund 15 µm durchmessenden und etwa 0,5 µm dicken Calciumcarbonat-Plättchen, die in eine organische Matrix eingebettet sind“, schreiben die Springer-Autoren Helmut A. Schaeffer und Roland Langfeld in „Werkstoff Glas - Alter Werkstoff mit großer Zukunft“ (Seite 126). Schon bislang hat das Perlmutt zu technischen Entwicklungenangeregt. Da diese Plättchen parallel zueinander ausgerichtetsind, kommt es zu Interferenz, wenn Licht auf diese parallelen Flächen trifft. Diesen Effekt nutzt man etwa für die Herstellung von Effektlacken in der Automobilindustrie, aber auch für Nagellacke und die Lackierung von Konsumartikeln im Elektronikbereich, indem man dünne Glasplättchen in die Lacke einbringt.
Schichtsilikat-Plättchen als Perlmutt-Imitat
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Andreas Walther und sein Team setzen nun darüber hinaus auf die Entwicklung von synthetischen Schichtsilikat-Plättchen als Grundbaustein für ein Perlmutt-Imitat, das als technischer Werkstoff ebenso wie Perlmutt extrem steif und gleichzeitig bruchzäh sein soll. Die Struktur von Perlmutt ähnelt nämlich einer Ziegelmauer im mikroskopischem Maßstab: Kalziumcarbonat-Plättchen wechseln sich mit einer weichen Biopolymermasse (dem ‚Mörtel‘) ab. Während die harten Plättchen die eigentliche Last tragen und die Struktur festigen, leiten die weichen Polymerbestandteile von außen einwirkende Energie ab, was insgesamt zu einer hohen Stabilität bei verhältnismäßig geringem Gewicht führt.
Selbstanordnungseffekt sorgt für den Materialaufbau
„Bei Muscheln kann sich das Perlmutt in einem langsamen Wachstumsprozess bilden, für unser neues Hybridmaterial nutzen wir dagegen einen einfachen und schnellen Selbstanordnungseffekt“, sagt Walther. Im ersten Arbeitsschritt versehen die Wissenschaftler die hauchdünnen Schichtsilikate mit einer Hülle aus Polyvinylalkohol und lassen diese Kern/Schale-Bausteine anschließend durch Wasserentzug selbstständig aggregieren. Nach weniger als 24 Stunden ist der Nano-Verbundwerkstoff fertig.„Sind die Schichtsilikate besonders klein, erhält man ein extrem bruchzähes Material. Bei großen Schichtsilikaten, ihre Länge entspricht hier einem 3500-fachen der Dicke, entsteht dagegen ein sehr steifes und festes Material, welches in seiner Beschaffenheit an aufwendig herzustellende Faserverbundwerkstoffe heranreichen kann“, berichtet die DWI-Forscherin Paramita Das.
Transparent und Gas-undurchlässig
Für künftige Anwendungen sind nach Ansicht der Aachener Wissenschaftler besonders die Glas-ähnliche Transparenz und die extrem niedrige Gasdurchlässigkeit des Nanokomposits von Interesse. Durch diese Kombination von Eigenschaften könne das Perlmutt-Imitat neben dem Einsatz als strukturbildendes Material auch für die Lagerung von Gas und in der Verpackung von Lebensmitteln genutzt werden. Darüber hinaus könne es als Substrat und zur Verkapselung oxidationsempfindlicher organischer Elektronik in flexiblen Displays dienen.