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11.06.2013 | Wertpapiergeschäft | Schwerpunkt | Online-Artikel

Der Markt verdirbt die Moral

verfasst von: Anja Kühner

4:30 Min. Lesedauer
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Ein wissenschaftliches Experiment hat es belegt: Je größer ein Markt, umso schwerer hat es die Moral. Die Bamberger Wirtschaftsprofessorin Nora Szech hat den Werteverfall gemeinsam mit ihrem Bonner Kollegen Armin Falk bewiesen.

Noch vor 20 Jahren waren Banker angesehene Menschen. Doch seit Jahren wettert nicht nur die Occupy-Bewegung gegen diese Berufsgruppe. Selbst angesehene Manager tun dies. Die "Süddeutsche Zeitung" zitierte jüngst Franz Fehrenbach, Chef des Stuttgarter Industriekonzerns Bosch, er halte die Geschäftsmethoden vieler Banker für „unerträglich und unmoralisch“. Bei so einem Verhalten drehe sich ihm „der Magen um“.

Nun belegten die beiden Wirtschaftswissenschaftler Szech und Falk, dass es bei einem funktionierenden Markt generell schwierig ist, den eigenen moralischen Kompass einzusetzen. Auf die Idee zum Experiment kam Falk, den es stört, dass Ökonomen heute kaum noch über Moral reden. Adam Smith, der Urvater der Ökonomen, sei selbst Moralphilosoph gewesen. Also experimentierten die Forscher. Ihre Ergebnisse stellten sie in der Mai-Ausgabe der amerikanischen Wissenschaftszeitschrift „Science“ vor – und die Ergebnisse schlugen Wellen.

Das Experiment

Falk und Szech stellten die Teilnehmer ihres Experiments vor die Entscheidung, in einer Welt von Angebot und Nachfrage für Geld eine Sünde zu begehen. Sie sollten sich entweder für Geld oder für das Überleben einer Labormaus entscheiden. Die Mäuse stammten aus einem medizinischen Forschungslabor, das genetisch veränderte Mäuse für Experimente züchtet. Mäuse, bei denen diese Manipulationen versagten, werden von dem Labor vergast. Die Teilnehmer des Experiments von Falk und Szech musste sich entscheiden: Verzichten sie auf das Geld, retten sie das Leben der Maus und die Wirtschaftswissenschaftler zahlen dem Labor die Unterhaltskosten bis zum natürlichen Ableben der Maus. Nehmen sie das Geld, wird die Maus – wie ursprünglich geplant – vergast.

Um die moralischen Grundlagen der Teilnehmer herauszufinden, musste jeder zunächst einzeln wählen, ob er 10 Euro gewinnt und dafür die Maus sterben muss – oder ob er auf das Geld verzichtet und die Maus überlebt. Um den Markt zu simulieren, waren die Teilnehmer dann entweder „Verkäufer“ oder „Käufer“. Jeder Verkäufer erhielt eine Maus, jeder Käufer 20 Euro. Sie durften miteinander verhandeln, mussten aber nicht. Einigten sie sich auf einen Deal, bekam der Verkäufer den vereinbarten Preis, der Käufer behielt das restliche Geld – und die Maus starb.

Das Ergebnis: Marktteilnehmer schieben Werte beiseite

Immerhin 45 Prozent der Teilnehmer entschieden sich – ganz auf sich allein gestellt – für das Geld. In den Marktverhandlungen lag die Quote bei 75 Prozent. Auf dem Markt schoben also wesentlich mehr Teilnehmer die Moral beiseite. Nur 15 bis 20 % der Teilnehmer lehnten jegliches Handeln um das Leben der Maus ab und hielten damit ihren eigenen Moralvorstellungen stand. 

Im Markt-Experiment lag der Durchschnittspreis für das Leben einer Maus anfangs bei 6,40 Euro. Von Runde zu Runde sank der Preis, in der zehnten Runde war das Leben einer Maus unter fünf Euro wert. In der Markt-Situation war die Moral also nicht nur von Anfang an geringer als bei den Einzelentscheidungen. Zusätzlich verfiel sie mit der Zeit noch weiter.

„Wenn man sieht, wie auch andere die moralischen Normen verletzen, wird es einfacher“, sagt Nora Szech. „Man teilt die Schuld“, schlussfolgerte sie in einem Interview für die "Deutsche Welle". Je größer der Markt, umso schwerer sei es zu sehen, dass man als Einzelner einen Einfluss auf den Markt habe. „Es ist eine wichtige Logik dass man denkt, meine Handlung macht keinen Unterschied“, so Szech. Gerade in größeren Märkten, wozu auch die Börse zähle, gebe es viel Distanz zu den Folgen des eigenen Handelns. „Man denkt, meine Entscheidung ist nicht wichtig, denn ich kann sowieso nichts ändern. Wenn ich es nicht mache, dann macht es jemand anderes“, beschreibt die Forscherin. Nur so lasse sich erklären, weshalb wir uns täglich dafür entscheiden, dass andere Menschen unter unseren Entscheidungen leiden. Theoretisch erklären viele Menschen, sie wären gegen Kinderarbeit oder Tierquälerei. Doch als Verbraucher kaufen sie im Supermarkt billiges Fleisch aus Mastbetrieben und Textilien aus Billiglohnländern, wo schlechte Arbeitsbedingungen wie beispielsweise in Bangladesh herrschen.

Unmoral ist markt-immanent

Egal ob der Fall Uli Hoeneß oder Anwälte und Banker, die mit komplizierten Trust- und Unternehmenskonstrukten in Steueroasen bei der Steuerhinterziehung halfen, die Bankberater mit ihrer auf Provision gerichteten Beratung oder der Finanzjongleur, der mit seinen Deals die Nahrungsmittelpreise in die Höhe trieb – sie alle sahen ihre individuelle Verantwortung für das Marktgeschehen als gering an und die Moral ging in der Masse baden.

Fokus auf Profite und Preise

Marktstrukturen, wie sie an Börsen allgegenwärtig seien, könnten Händler laut Szech dazu verleiten, weniger auf die moralische Dimension und mehr auf Profite und Preise zu fokussieren. „Dies gilt auch für den Privatinvestor, wenn er darüber nachdenkt, wie er seine Rente absichert“, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. Möglicherweise gerate auch bei dieser Fokussierung auf Renditen der ethische Aspekt einer Anlageoption in den Hintergrund.

Allerdings halten sich auch die Kreditinsitute mit Informationen über unethische Investments wie die Geldanlage in Rüstung oder Finanzierung von Kernkraft im deutschen Markt in der Regel bedeckt, wie Autorin Anita Mosch im BANKMAGAZIN schreibt: "Einen Bewegungszwang verspüren die Geldinstitute noch nicht, denn die Regulierer setzen auf Freiwilligkeit." Und weiter: "Es ist nicht absehbar, dass sich für Banken in Sachen Ethik-Transparenz etwas ändert."

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