3.1 Ordnungspolitische Betrachtung
Die parallele Existenz von öffentlichen Messegesellschaften, die gleichzeitig als Standortbetreiber sowie Veranstalter agieren, und privaten Wettbewerbern ohne eigene Infrastrukturen birgt das Potenzial von wettbewerblichen Verzerrungen. Grundlegend stellt sich zunächst die Frage, warum es überhaupt öffentliche Messegesellschaften gibt und welche ökonomische Rechtfertigung es für Messegesellschaften in öffentlicher Hand gibt, d. h. welchen Zweck diese erfüllen sollen bzw. welchen öffentlichen Auftrag Messeplätze für eine Stadt oder ein Bundesland erfüllen sollen.
Die Stadt Stuttgart etwa, die zu 50 Prozent an der Messe Stuttgart beteiligt ist, gibt in ihrem Beteiligungsbericht (Landeshauptstadt Stuttgart
2017, S. 177) an, dass der öffentliche Zweck der Beteiligung sich aus der Bereitstellung von Infrastruktur für kulturelle und wirtschaftsfördernde Maßnahmen ergebe. Damit liegt der genannte öffentliche Auftrag primär in der Bereitstellung der Infrastruktur, also des Messegeländes und der Messehallen, nicht aber in der Veranstaltung eigener Messen. Die Bereitstellung eines Messegeländes durch die öffentliche Hand lässt sich ordnungspolitisch am ehesten rechtfertigen, wenn damit die Grundlage für die Veranstaltung von Messen gelegt wird und positive externe Effekte von Messen in der Region – die positiven Effekte auf die Wirtschafts- und Stadtentwicklung – generiert werden können. Dazu ist es jedoch notwendig, dass die Messeinfrastruktur nicht durch ein gewinnmaximierendes Unternehmen betrieben wird, sondern strategisch günstige Entgelte für die Nutzung des Messegeländes angesetzt werden, um die positiven Externalitäten so zu internalisieren. Anders ausgedrückt würde ein rein privater Betreiber eines Messeplatzes die positiven externen Effekte, die Messen für die regionale Wirtschaft entfalten, nicht hinreichend berücksichtigen und daher zu hohe Entgelte ansetzen.
Theoretisch ließen sich positive Externalitäten der Veranstaltung von Messen auch durch Zuschüsse im Sinne von Pigou-Subventionen internalisieren. Wenn theoretisch die Gefahr besteht, dass zu wenig Messen veranstaltet werden, weil ein privater Messeveranstalter die positiven Erträge für die regionale Wirtschaft – etwa die Mehrverdienste des Hotel- und Gastronomiegewerbes und von Taxiunternehmen – nicht abschöpfen kann, so könnten theoretisch Zuschüsse für die Organisation von Messen dieses Problem lösen. Problematisch mag jedoch sein, dass die Renten einer Messe in Teilen auch in Nachbarkommunen (etwa bei dortigen Hotelbetreibern) anfallen, sodass es nicht trivial sein mag, die optimale Pigou-Subvention pro betroffener Gebietskörperschaft zu ermitteln und hier ein Koordinationsproblem zwischen den Kommunen entsteht.
Eine Verhandlungslösung à la Coase (
1960) zur Internalisierung der positiven Effekte einer Messe dürfte in der Praxis völlig ausscheiden, weil die positiven Externalitäten einer Messe auf eine Vielzahl von Akteuren wie Hotels, Restaurants und Taxiunternehmen entfallen, sodass eine Verhandlung aller indirekten Nutznießer einer Messe mit der Messegesellschaft an den überbordenden Transaktionskosten der Verhandlungen scheitern dürfte.
Subventionen für das Veranstalten von Messen à la Pigou hingegen dürften beihilferechtlich erhebliche Grenzen gesetzt sein. Vor diesem Hintergrund mag der öffentliche Betrieb eines Messegeländes, trotz eigener Ineffizienzen, sich ökonomisch als eine zweitbeste Lösung im Sinne eines „Second Best“ rechtfertigen lassen.
Anders ist dies bei der Veranstaltung von sog. Eigenmessen, welche in Konkurrenz zu privaten Messen stehen. Für die Veranstaltung von Messen, für die sich kein privater Messeveranstalter interessiert, mag es unter Umständen eine Rechtfertigung durch die o. g. positiven Externalitäten geben, wobei allerdings auch hier darauf zu achten wäre, dass die positiven Externalitäten nicht übertrieben dargestellt werden wie es z. B. regelmäßig bei Regionalflughäfen der Fall ist. Definitiv keinen öffentlichen Auftrag bzw. keine ökonomische Begründung gibt es aber dafür, warum die Messeplatzbetreiber eigene Messen in Konkurrenz zu privaten Messeveranstaltern veranstalten sollten. Dies geht z. B. auch nicht aus dem oben zitierten Beteiligungsbericht der Stadt Stuttgart (Landeshauptstadt Stuttgart
2017, S. 177) hervor. Die Förderung der Wirtschafts- und Stadtentwicklung, welche das ursprüngliche Ziel der öffentlichen Beteiligung an einer Messegesellschaft war, kann bereits durch die Bereitstellung des Messeplatzes erreicht werden. Die eigene Veranstaltung von Messen in Konkurrenz zu privaten Messen hingegen dient faktisch primär der Gewinnerzielung. Besonders problematisch ist, dass einige öffentliche Messegesellschaften inzwischen sogar in den Bereich des Messebaus expandieren – einer klein- bis mittelständisch geprägten Branche, in der keinerlei Marktversagen erkennbar ist. Dies widerspricht klar dem öffentlichen Auftrag der Messeplätze, der nicht in der Gewinnerzielung für die kommunalen Eigentümer liegt, sondern in der bereits angesprochenen Förderung der Stadtentwicklung bzw. der regionalen Wirtschaft.
Besonders kritisch ist auch, dass öffentliche Messegesellschaften nicht nur Eigenmessen an ihrem Standort veranstalten, sondern dies auch an anderen, teilweise sogar internationalen, Standorten tun. So gibt etwa die Koelnmesse an, dass sie im Jahr 2019 die Hälfte, nämlich 25 ihrer 50 Eigenveranstaltungen, im Ausland veranstaltete.
10 Somit werden öffentliche Gelder, die eigentlich für die Wirtschafts- und Stadtförderung eines Standortes vorgesehen sind, zur Veranstaltung von Auslandsmessen verwendet. Eine stichhaltige ordnungspolitische Begründung für das Veranstalten von Messen an anderen Standorten ist nicht gegeben.
Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob bzw. inwieweit das Veranstalten von Messen durch öffentliche Messegesellschaften überhaupt sinnvoll ist. Das Messewesen in Deutschland stellt dabei international ohnehin eine Ausnahme dar. In anderen Ländern gibt es in der Regel eine klare Trennung zwischen Messeplatzbetreibern, die oft auch in öffentlicher Hand liegen, und Messeveranstaltern, die privat organisiert sind (vgl. Witt
2005, S. 7).
Aus wettbewerbspolitischer Sicht können öffentliche Unternehmen ganz prinzipiell sowohl sinnvoll als auch schädlich sein. Sinnvoll kann das Engagement öffentlicher Unternehmen in Bereichen sein, in denen es sich (a) um Produkte der öffentlichen Daseinsvorsorge handelt und zugleich (b) eine Vergabe öffentlicher Aufträge an private Auftragnehmer aufgrund von Transaktionskosten mit Problemen behaftet ist. So kann es etwa im Gesundheitswesen bei Krankenhäusern oder auch im Bildungsbereich durchaus gute Gründe für ein Nebeneinander von privaten und öffentlichen Anbietern geben (vgl. Haucap
2007b; Haucap und Coenen
2009). Öffentliche Anbieter können dann als ein gewisses Korrektiv für private Anbieter wirken, sofern die öffentlichen Anbieter gerade nicht gewinnmaximierend handeln.
11 Das Messewesen ist allerdings nicht zum Bereich der Daseinsvorsorge zu zählen, sodass diese Argumentation auf Messen keine direkte Anwendung finden kann.
Auch wenn sich für den Bereich der Infrastruktur Argumente für eine öffentliche Bereitstellung finden lassen, gilt es hier gleichwohl immer abzuwägen zwischen der direkten Bereitstellung durch den Staat oder öffentliche Unternehmen einerseits und der Beauftragung privater Unternehmen durch die öffentliche Hand andererseits. Die private Bereitstellung von Infrastruktur ist etwa im Bereich der Telekommunikation, der Energiewirtschaft und auch bei Flughäfen durchaus üblich.
Zu bedenken ist auch, dass der chancengleiche Wettbewerb tendenziell stets gefährdet ist, wenn öffentliche und private Unternehmen miteinander in Konkurrenz treten. Unternehmen mit öffentlichen Beteiligungen können aufgrund der staatlichen Absicherungen größere finanzielle Risken eingehen und stehen regelmäßig nicht unter dem Kostendruck, unter dem private Veranstalter stehen (vgl. von Grega
2017, S. 193). Dieser Aspekt ist vor allem in Krisensituationen von großer Bedeutung und wird mit Bezug auf die Corona-Situation in Abschn. 4 nochmals ausführlicher dargestellt.
3.2 Wettbewerbsökonomische Analyse
Die öffentliche Beteiligung an Unternehmen führt regelmäßig zu Wettbewerbsverzerrungen. Diese liegen z. B. dann vor, wenn Unternehmen mit Verlusten operieren können, welche von der öffentlichen Hand ausgeglichen werden (sog. „soft budget constraints“).
Trotz der mangelnden ordnungspolitischen Legitimation und der potenziellen Gefahr der Wettbewerbsverzerrung hat sich die aktuelle Marktkonstellation aus vertikal integrierten öffentlichen Messegesellschaften und privaten Messeveranstaltern ohne eigene Infrastruktur schon lange auf dem deutschen Markt etabliert. Welch wettbewerblichen Probleme damit potenziell einhergehen können, hat jüngst auch das Bundeskartellamt erkannt, welches aufgrund von Beschwerden privater Messeveranstalter aktuell prüft, ob eine Benachteiligung privater Veranstalter beim Zugang zu öffentlichen Messeplätzen vorliegt.
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Unter diesen Voraussetzungen sollte es klare Regeln für das Veranstalten von Messen geben, wenn prinzipiell ein chancengleicher Wettbewerb zwischen privaten Veranstaltern und öffentlichen Messegesellschaften bestehen soll. Neben den bereits angesprochenen Punkten sorgen noch weitere Aspekte für potenzielle wettbewerbliche Probleme:
Private Messeveranstalter stehen derzeit in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den öffentlichen Messegesellschaften. Die Doppelfunktion der öffentlichen Messegesellschaften, die über einen eigenen Messeplatz verfügen und gleichzeitig eigene Messen veranstalten, birgt die Gefahr der Selbstbevorzugung der eigenen Messen gegenüber Fremdmessen. Besonders kritisch an der vertikalen Integration ist, dass die Messegesellschaften, mit Ausnahme der Messe Frankfurt, alle als einheitliche GmbHs organisiert sind. Sie agieren somit als ein Unternehmen auf zwei zusammenhängenden Märkten. Ökonomisch betrachtet kann sich die Gefahr der wettbewerbswidrigen Selbstbevorzugung bei vertikal integrierten Unternehmen auf zwei Wege manifestieren: Zum einen können dezidierte Anreize bestehen, eigene Produkte oder Tochterunternehmen ohne sachliche Rechtfertigung zu bevorzugen. Zum anderen können auch in der Informationsweitergabe innerhalb eines Unternehmens oder Konzerns Nachteile für konkurrierende Anbieter entstehen.
Diese wettbewerblichen Gefahren lassen sich sehr gut auf dem deutschen Messemarkt illustrieren. Die öffentlichen Messegesellschaften, die als einheitliche GmbHs auf beiden Märkten aktiv sind, verfügen zum einen über Anreize im Sinne eines Abschottungsverhaltens zu agieren. So stellt der Betrieb des Messegeländes den vorgelagerten und die Rolle als Veranstalter den nachgelagerten Markt dar. Private Veranstalter von Messen befinden sich somit in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber den öffentlichen Messegesellschaften. Diese Situation stellt einen Wettbewerbsnachteil für private Veranstalter dar, und es besteht daher die Gefahr der Selbstbevorzugung der öffentlichen Gesellschaften. So können potenzielle private Wettbewerber aus dem Markt gedrängt oder vom Markt ferngehalten werden und zugleich können die Gesellschaften von veranstalteten Eigenmessen finanziell profitieren. Zum anderen kann die Weitergabe von Informationen über Messeanfragen, geplante Messen, Auf- und Abbauzeiten und Ähnliches auch im Wettbewerb genutzt werden, sodass nicht integrierten Messeveranstaltern ein Nachteil entsteht.
Verschärft wird diese Problematik durch die oben bereits dargestellten Charakteristika von Messen als zweiseitige Märkte. Durch die Netzeffekte – viele Aussteller ziehen viele Messebesucher an und viele Messebesucher ziehen viele Aussteller an – kommt es oftmals zur Herausbildung von Leitmessen. Die parallele Veranstaltung von zwei oder mehreren kleineren Messen wäre hier nicht immer effizient. Dies impliziert, dass es erhebliche Markteintrittsbarrieren für die Veranstaltung einer Messe zu einem bestimmten Thema geben kann, sofern zu diesem Thema bereits eine etablierte Leitmesse existiert. Bei der Beurteilung, ob einem Unternehmen nach § 19a GWB eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt, spielen Netzeffekte nach § 18 Absatz 3a GWB in der Beurteilung der Markstellung eines Unternehmens eine wichtige Rolle.
Klare Regeln, wie sie bspw. bei regulierten Netzbetreibern im Energiebereich gelten, wären hier hilfreich, damit eine echte Chancengleichheit zwischen öffentlichen Messegesellschaften und privaten Messeveranstaltern herrscht. Ein illustratives Beispiel mag die Deutsche Bahn bieten: Auch im Bahnbereich gibt es eine öffentliche Infrastruktur – die Bahntrassen, Bahnhöfe und einige andere Teile der Schieneninfrastruktur– und Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt zwischen der Deutschen Bahn als öffentlichem Unternehmen und privaten Anbietern im Güter- und auch Personenverkehr, wie bspw. Transdev, Abellio oder Flixtrain. Die Deutsche Bahn ist verpflichtet, ihren Wettbewerben zu angemessenen Konditionen einen diskriminierungsfreien Zugang zu ihren Bahntrassen, Bahnhöfen und anderen Teilen der Infrastruktur zu gewährleisten, der es Wettbewerbern auch finanziell ermöglicht, wirksam mit der Deutschen Bahn zu konkurrieren.
13 Die Regulierung fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bundesnetzagentur, deren Aufgabe als Regulierungsbehörde in der Aufrechterhaltung und der Förderung des Wettbewerbs in sogenannten Netzmärkten liegt.
Allerdings ist auch zu konstatieren, dass es sich beim Betrieb von Messeinfrastrukturen nicht um resistente natürliche Monopole wie im Falle der Bahninfrastruktur oder der Energienetze handelt. Eine Übertragung der Regulierung von Bahn- und Energienetzen oder gar eine regulierte Entflechtung erscheinen daher nicht unbedingt geboten. Gleichwohl können erhebliche Abhängigkeiten entstehen, weil die geographische Verlagerung einer Messe von einem Standort an einen anderen zwar nicht unmöglich ist, aber mit erheblichen Wechselkosten verbunden ist, auch weil Messen oft viele Jahre im Voraus geplant werden. Zudem kann die Gefahr bestehen, dass vertikal integrierte Messegesellschaften bei der Abwanderung einer Messe mit der Veranstaltung einer eigenen Messe zu einem Thema drohen unter Nutzung des Standortvorteils. Zudem ist die Gefahr des „Ideenklaus“ im Messebereich besonders akut, da die Organisation von Messen – abgesehen eben von der Infrastruktur – nicht besonders kapitalintensiv ist und Messen in der Regel einen langen Vorlauf haben, sodass bei einer drohenden Abwanderung oft ein erheblicher Zeitraum besteht, um eine eigene Konkurrenzmesse zu entwickeln. Der Aufbau eigener, privater Messeinfrastrukturen – etwa als Rückwärtsintegration – hingegen ist schon deshalb schwierig, weil der deutsche Markt durch zahlreiche öffentliche Infrastrukturbetreiber sehr gut besetzt ist und öffentliche Infrastrukturbetreiber – aufgrund der o. g. Externalitäten zurecht – nicht denselben Anforderungen an die Eigenkapitalrendite unterliegen wie private Gesellschaften.
Auf dem deutschen Messemarkt gab es schon Fälle, in denen sich die angesprochenen Befürchtungen manifestiert haben. So veranstaltete etwa Reed Exhibitions, ein privater Messeveranstalter, viele Jahre lang die Fachmesse Showtech in Berlin. Im Jahr 2013 kündigte die Deutsche Theatertechnische Gesellschaft (DTHG), die bislang ideeller Träger der Showtec war, an, nicht mehr mit Reed Exhibitions zusammenarbeiten zu wollen. Gleichzeitig verkündete die Messe Berlin, dass sie ihr Messegelände nicht mehr zu Verfügung stellen würde. Stattdessen werde man mit der DTHG nun eine eigene Fachmesse, die Stage Set Scenery, im Jahr 2015 veranstalten.
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Ein weiteres wettbewerbliches Problem ergibt sich mit Blick auf die Frage, wie private Messeveranstalter Aufträge generieren. Dies findet häufig auf Eigeninitiative der Veranstalter statt. Für die Durchführung einer Messe bedarf es dann allerdings immer eines Partners, der sein Messegelände zur Verfügung stellt. Hier offenbaren sich nun die bereits angesprochenen wettbewerblichen Probleme vertikal integrierter Unternehmen. Ein privater Messeveranstalter ist für einen Messeplatzbetreiber auch immer ein Wettbewerber bezüglich seiner Rolle als Messeveranstalter. Sollte etwa das Themengebiet der von einem privaten Veranstalter geplanten Messe zu nah an einer Eigenmesse des öffentlichen Messeplatzbetreibers liegen, so hat dieser einen Anreiz, die geplante Messe des privaten Veranstalters auf seinem Messegelände abzulehnen. Die öffentliche Messegesellschaft hat kaum Anreiz, ein Konkurrenzprodukt zu ihren eigenen Veranstaltungen zu begünstigen.
Generell sind die Anreize der öffentlichen Messegesellschaften in Bezug auf die Vergabe von Terminslots für privat organisierte Messen schwächer ausgeprägt als für eigene Messen. In ihrer Rolle als Messeplatzbetreiber profitieren die öffentlichen Messegesellschaften bei privat organisierten Messen durch Mieteinnahmen. Die öffentlichen Eigentümer profitieren zudem durch die positiven Effekte für die regionale Wirtschaft von der Ausrichtung von Messen an ihrem Standort. Aus Perspektive der Rolle als Messeveranstalter unterstützen sie damit allerdings auch immer ihre privaten Wettbewerber. Diese Situation bringt nicht nur die Gefahr, dass die öffentlichen Veranstalter die Austragung privater Fremdmessen unterbinden, sondern auch, dass sie das Potenzial einer solchen Messe erkennen und diese als eigene Veranstaltung durchführen. Dadurch profitieren sie weiterhin von den oben genannten Effekten sowie zusätzlich von den Einnahmen der Messeveranstaltung. Gleichzeitig stärken sie auch ihre Marktposition im Vergleich zu anderen Messeveranstaltern.
Diese Strategie wird oft auch bei großen Digitalkonzernen wie Amazon, Apple oder Google bemängelt. So wird Amazon etwa vorgeworfen, attraktive Produkte von Händlern auf dem Amazon Marketplace durch eigene Produkte zu ersetzen und die Produkte von unabhängigen Händlern im Ranking zu benachteiligen.
15 Ähnliche Untersuchungen und Verfahren gibt es auch gegen Apple und Google.
Dies alles zeigt, dass die oben beschriebene Gefahr nicht nur theoretischer Natur ist. Ähnliche Fälle werden auch auf dem deutschen Messemarkt berichtet. So wurde von der Messe Husum, einer privaten Messegesellschaft, bis zum Jahr 2014 die internationale Leitmesse der Windenergiebranche ausgerichtet. Im Jahr 2011 kündigte die Messe Hamburg, eine öffentliche Messegesellschaft, an, dass sie zeitgleich eine internationale Messe zu diesem Thema veranstalten werden. Nach jahrelangem Streit konnte man sich schlussendlich darauf einigen, dass man die Messe zukünftig gemeinsam austragen wird, allerdings jetzt am Standort Hamburg. Am Standort Husum wird dafür alle zwei Jahre eine Messe stattfinden, die sich an den deutschsprachigen Markt richtet.
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Im Hinblick auf die großen Digitalkonzerne hat der Gesetzgeber allerdings mit der im Januar 2021 in Kraft getretenen 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB-Digitalisierungsgesetz“) reagiert. Eine zentrale neue Vorschrift (§ 19a GWB) erlaubt dem Bundeskartellamt ein früheres und effektiveres Eingreifen, insbesondere gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne. Das Bundeskartellamt kann Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, bestimmte wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen. Beispiele für Verhaltensweisen, die nach der neuen Vorschrift untersagt werden könnten, sind die Selbstbevorzugung von konzerneigenen Diensten.
17 Auf EU-Ebene gibt es im Gesetz über digitale Märkte, dem Digital Markets Act (DMA), der im Mai 2023 in Kraft getreten ist, inzwischen ein ähnliches Verbot der Selbstbevorzugung für digitale Torwächter („Gatekeeper“). Gerade weil öffentliche Unternehmen eine Vorbildfunktion haben sollten, wäre zu überlegen, im Messebereich ähnliche Regeln im Zuge einer Selbstverpflichtung, keine Selbstbevorzugung zu betreiben, im Rahmen eines Codes of Conduct zu etablieren.
Neben der Eigeninitiative privater Messeveranstalter werden auch Messen über Ausschreibungen vergeben. Hier wird schnell deutlich, warum es keinen chancengleichen Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen geben kann. Zum einen verfügen die öffentlichen Messegesellschaften über ein eigenes Messegelände. Allein dieses verschafft ihnen einen Kostenvorteil gegenüber den privaten Messeveranstaltern, welche die Messegelände anmieten müssen. Den öffentlichen Messegesellschaften stehen aufgrund ihrer Doppelfunktion als Betreiber und Veranstalter ganz andere Möglichkeiten bezüglich der Kostenkalkulation zur Verfügung. Außerdem sind die privaten Messeveranstalter darauf angewiesen kostendeckend bzw. gewinnorientiert zu haushalten. Bei den öffentlichen Messegesellschaften besteht die Gefahr, dass sie diesem Kostendruck nicht ausgesetzt sind. Wie bereits vorher beschrieben, können sie aufgrund einer möglichen staatlichen Absicherung viel größere finanzielle Risiken eingehen.
Die aufgezeigten wettbewerblichen Probleme zeigen, dass unter derzeitigen Bedingungen keine echte Chancengleichheit am Messestandort Deutschland herrscht. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2016 auf Initiative des FAMA ein Code of Conduct entwickelt, der faire und verlässliche Rahmbedingungen für den Messestandort Deutschland schaffen sollte. Der FAMA vertritt rund 40 Messeveranstalter in Deutschland, die größtenteils privatrechtlich organisiert sind.
18 Der angesprochene Code of Conduct spricht unter anderem die Chancengleichheit bei der Vergabe von Terminslots, einen transparenten und fairen Umgang miteinander oder auch den Schutz von Veranstaltungsthemen und Geschäftsgeheinissen an (vgl. FAMA
2016). Bisher kam es allerdings von Seiten der großen öffentlichen Messegesellschaften noch zu keiner Beteiligung bzw. Teilnahme an diesem Verhaltenscodex.
Um in Zukunft einen fairen Wettbewerb bzw. eine Chancengleichheit am deutschen Messestandort erreichen zu können, ist es aufgrund der angesprochenen wettbewerblichen Problematiken aber unerlässlich, dass man sich auf gemeinsame faire Regeln einigt. Die derzeitige Situation ist aus wettbewerblicher Sicht problematisch. Dabei müssen öffentliche Messegesellschaften nicht einmal explizite Anreize für ihre Mitarbeiter zur Bevorzugung eigener Messen vorgeben. Der unternehmensinterne Informationsfluss und das mangelnde Bewusstsein für Compliance können bereits problematisch sein. Ein Code of Conduct kann hier helfen, das Bewusstsein für Compliance zu schärfen. Dies gilt umso mehr, als dass öffentliche Unternehmen eine gewisse Vorbildfunktion einnehmen sollten.