1 Authentische Führung
Luthans und Avolio (
2003) charakterisieren eine authentische Führungskraft als selbstsicher, transparent, auf Moral und Ethik orientiert und daran interessiert, Mitarbeitende selbst zu Führungskräften zu entwickeln. Aktuell wird authentische Führung definiert „(…) as a pattern of leader behavior that draws upon and promotes both positive psychological capacities and a positive ethical climate, to foster greater self-awareness, an internalized moral perspective, balanced processing of information, and relational transparency on the part of leaders working with followers, fostering self-development“ (Walumbwa et al.
2008, S. 94). Das Modell authentischer Führung nach Walumbwa et al. (
2008) umfasst vier Verhaltenskomponenten:
Selbstbewusstheit (SB) ist die Selbstreflexion der Führungskraft, die tiefgreifende Kenntnis eigener Stärken und Schwächen, das Antizipieren der eigenen Wirkung auf andere und das Einholen von Feedback;
Transparenz in Beziehungen zu anderen (TiB) umfasst, sein wahres Ich gegenüber anderen Personen zu zeigen, ohne dabei Gedanken oder Gefühle zu unterdrücken oder sich zu verstellen;
Ausgewogene Informationsverarbeitung (AIV) erfasst die objektive Analyse relevanter Informationen beim Entscheidungsprozess, wobei Führungskräfte die Meinungen von Mitarbeitenden einholen und eigene Auffassungen zum Diskurs stellen;
Verinnerlichte moralische Perspektive (VMP) beschreibt, wie sehr das Entscheiden und Handeln einer Führungskraft durch verinnerlichte moralische Standards und Werte gelenkt wird.
Angenommen wird, dass authentisches Führungsverhalten positive Effekte auf die Einstellungen und das Verhalten von Mitarbeitenden hat (Walumbwa et al.
2008). Zahlreiche Studien ermittelten positive Zusammenhänge zwischen authentischer Führung und behavioralen und affektiven Maßen wie beruflicher Leistung der Mitarbeitenden, Engagement, organizational citizenship behavior und Berufszufriedenheit der Mitarbeitenden (Banks et al.
2016; Hoch et al.
2018).
3 Methoden
3.1 Stichprobe
An der Studie nahmen N = 91 Führungskräfte (68,5 % weiblich) aus vier Organisationen des Gesundheitssektors teil (Alter: M = 45,43, SD = 9,61, Range 26–61). Von den Befragten waren 31,1 % weniger als fünf Jahre, 38,9 % zwischen 6 und 20 Jahren und 30,0 % mehr als 20 Jahre im aktuellen Arbeitsfeld tätig. Die Rekrutierung der Teilnehmenden erfolgte im Rahmen des DFG-Projekts FIDES (Führung in Organisationen als Determinante des Schweigens von Mitarbeitern zu moralisch problematischen Sachverhalten) in welchem der Zusammenhang zwischen (un)moralischen Führungsformen und dem Verhalten von Mitarbeitenden in moralisch relevanten Situationen untersucht wird. Für das Projekt (GZ STR 1005/5‑1; WE 1504/25-1) wurde ein positives Ethikvotum erteilt. Die Fragebögen wurden mittels Onlineumfrage oder paper-pencil Variante ausgefüllt. Zur Überprüfung der faktoriellen Validität des DIAF‑S wurde nach Ausschluss von Führungskräften mit fehlenden Werten eine Stichprobe von n = 80 Führungskräften (66,7 % weiblich, Alter: M = 44,86, SD = 9,65) genutzt, für das DIAF‑F wurde auf die korrespondierende Gesamtstichprobe der Mitarbeitenden zurückgegriffen, welche nach Ausschluss von Mitarbeitenden mit fehlenden Werten ein n = 620 (76,1 % weiblich, Alter: M = 42,21, SD = 12,32) ergab.
Zur Bestimmung des Zusammenhangs zwischen Fremd- und Selbsteinschätzung authentischer Führung wurde eine Stichprobe von n = 42 Führungskräften (66,7 % weiblich, Alter: M = 44,00, SD = 8,78) und n = 259 Mitarbeitenden (76,8 % weiblich, Alter: M = 40,02, SD = 10,98) genutzt.
3.2 Instrumente
In Tab.
4 sind die internen Konsistenzen der verwendeten Verfahren dargestellt. Die Selbsteinschätzung authentischen Führungsverhalten wurde mittels DIAF‑S anhand von je vier Items pro Komponente auf einer fünf-stufigen Likertskala (von 1 =
stimme gar nicht zu bis 5 =
stimme vollkommen zu) erfasst.
Für die Fremdeinschätzung authentischer Führung wurde das DIAF‑F genutzt (Franke-Bartholdt et al.
2018), welches analog zu dem DIAF‑S aus 16 Items besteht (z. B. „Mein direkter Vorgesetzter/Meine direkte Vorgesetzte hört sich alternative Standpunkte sorgfältig an, bevor er/sie Schlüsse zieht.“). Die Items wurden auf einer fünf-stufigen Skala beantwortet (von 1 =
stimme gar nicht zu bis 5 =
stimme vollkommen zu).
Voice wurde mit der deutschen Übersetzung (Rose
2015) des Fragebogens von Liang et al. (
2012) erfasst, in dem promotive und prohibitive Voice jeweils über fünf Items erfragt werden (promotive Voice, z. B. „Die Mitarbeiter(innen) meines Arbeitsbereichs schlagen aktiv neue Projekte vor, die nutzbringend für den Arbeitsbereich sind“; prohibitive Voice, z. B. „Die Mitarbeiter(innen) meines Arbeitsbereichs trauen sich, auf Probleme im Arbeitsbereich hinzuweisen, auch wenn das die Beziehung zu anderen Kolleg(inn)en beeinträchtigen könnte.“). Die Einschätzung des Voice-Verhaltens erfolgte auf einer fünf-stufigen Skala (von 1 =
stimme gar nicht zu bis 5 =
stimme vollkommen zu).
Moral Courage wurde über sechs Items des Moral Potency Questionnaire von Hannah und Avolio (
2010) in der deutschen Übersetzung von Rose (
2015) erfasst. Die Führungskräfte schätzten ihre Mitarbeitenden hinsichtlich des Festhaltens an moralischen Prinzipien auf einer fünf-stufigen Likerstskala ein (von 1 =
stimme gar nicht zu bis 5 =
stimme vollkommen zu; z. B. „Die Mitarbeiter(innen) meines Arbeitsbereichs übernehmen Verantwortung und greifen ein, wenn sie eine moralisch problematische Handlung beobachten.“).
Die Arbeitsleistung wurde über zwei Items erfasst (Robinson
1996): Die Führungskraft beurteilte die Leistung der eigenen Mitarbeitenden im Vergleich zu anderen Teams und gab weiterhin an, wie die Mitarbeitenden vermutlich ihre eigene Leistung im Vergleich zu der anderer Teams einstufen würde. Die Einschätzung erfolgte auf einer sieben-stufigen Likertskala (1 =
deutlich schlechter bis 7 =
deutlich besser). Da beide Items hoch miteinander korrelierten (
r = 0,58,
p < 0,001) wurde ein Gesamtwert für Arbeitsleistung gebildet.
3.3 Analysen
Die Auswertung der Daten erfolgte mit dem Statistikprogramm IBM SPSS Statistics (Version 25.0.,
2017). Eine Ausreißeranalyse ergab keine multivariaten Ausreißer. Vereinzelt traten fehlende Werte auf, die durch einen paarweisen Ausschluss berücksichtigt wurden.
Zur Prüfung der faktoriellen Validität des DIAF‑S wurden mittels konfirmatorischer Faktorenanalysen (CFA) verschiedene, theoretisch abgeleitete Modelle getestet. Für die Vergleichbarkeit des DIAF‑S mit dem DIAF‑F bei der Bestimmung des Zusammenhangs zwischen selbst- und fremdeingeschätzter authentischer Führung, wurde zusätzliche die faktorielle Validität des DIAF‑F bestimmt. Die Berechnung erfolgte mit dem Programm IBM SPSS AMOS (Version 26,0; Arbuckle
2014). Zur Prüfung des globalen Modell-Fits wurde unter Verwendung der Maximum-Likelihood Schätzmethode der χ
2-Test herangezogen. Zur Beurteilung des Gesamt-Fits eines Modells empfehlen Hu und Bentler (
1999) bei geringem Stichprobenumfang (
N ≤ 250) zusätzlich die Kombination aus verschiedenen Fit-Indizes: Comparative Fit Index (CFI), Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA) und Standardized Root Mean Square Residual (SRMR). Zur Interpretation der Indizes wurden die von Hu und Bentler (
1999) vorgeschlagenen Cut-Off-Werte genutzt: CFI ≥ 0,95, RMSEA < 0,06 (bei
N ≥ 250) bzw. < 0,08 (bei
N ≤ 250) und SRMR < 0,09. Zudem wurden die Modelle mittels χ
2-Differenz-Test miteinander verglichen.
Zusätzlich wurde für eine differenzierte Erfassung der faktoriellen Binnenstruktur des DIAF‑S eine explorative Faktorenanalyse (EFA) durchgeführt. Aufgrund der Annahme korrelierender Faktoren wurde eine Hauptachsenanalyse mit obliquer Rotation (Promax, Kappa = 4) angewandt. Das Extraktionskriterium für die Anzahl der Faktoren war die Parallelanalyse nach Horn (
1965; umgesetzt mit O’Connor
2000).
Zur Prüfung der Kriteriumsvalidität wurden korrelative Zusammenhänge zwischen DIAF‑S und organisationalen Außenkriterien betrachtet. Aufgrund moderater Zusammenhänge zwischen dem DIAF‑S mit Alter und Tätigkeitsdauer der Führungskräfte wurden Zusammenhänge mit Außenkriterien mittels Partialkorrelationen bestimmt. Das α‑Niveau wurde Bonferroni-korrigiert, was zu einem α′ = 0,05/9 ≈ 0,006 führte. Um den Vergleich zwischen DIAF‑S und DIAF‑F zu ermöglichen, wurde zur Berechnung der Kriteriumsvalidität auf die vierfaktorielle Struktur authentischer Führung zurückgegriffen.
Für die Bestimmung des Zusammenhangs zwischen fremd- und selbsteingeschätzter authentischer Führung wurden die Angaben der Führungskräfte einbezogen, für die eine direkte Zuordnung zu ihren Mitarbeitenden aufgrund des Teamcodes möglich war. Pro Führungskraft wurde der Mittelwert über alle Fremdeinschätzungen gebildet und mit der Selbsteinschätzung korreliert. Hierfür standen die Datensätze von
n = 42 Führungskräften und
n = 259 Mitarbeitenden zur Verfügung. Für jede Führungskraft lagen zwischen 2 und 15 Fremdeinschätzungen vor (
Mdn = 6). Um die Güte der Interrater-Übereinstimmung beurteilen zu können, wurde für jedes Team der
rWG-Wert (within-group correlation) berechnet. Um verschiedene Antworttendenzen bei der Beurteilung durch die Mitarbeitenden zu berücksichtigen, wurden Werte für die Annahme eines gleichverteilten Antwortmusters (stetige Gleichverteilung) und einer Antworttendenz, die dem Lenciency Bias unterliegt (Verhalten wird tendenziell besser eingeschätzt, als es eigentlich ist; leicht schiefe Verteilungsannahme) berechnet (LeBreton und Senter
2008). Das α‑Niveau wurde für die Zusammenhänge zwischen selbst- und fremdeingeschätzter authentischer Führung Bonferroni-korrigiert, was zu einem α′ = 0,05/10 ≈ 0,005 führte.
4 Ergebnisse
4.1 Deskriptive Statistik der Items, Komponenten und Gesamtskala
Tab.
1 stellt relevante Kennwerte (deskriptive Statistik, Trennschärfen) der 16 Items dar; Tab.
4 die deskriptiven Statistiken der Komponenten und der Gesamtskala ebenso wie die Korrelationen zwischen demographischen Variablen und DIAF‑S. Aufgrund der beobachteten Zusammenhänge wurden das Alter und die Tätigkeitsdauer als Kontrollvariablen in die folgenden Berechnungen der Zusammenhänge zwischen dem DIAF‑S und den Kriterien einbezogen.
Tab. 1
Itemkennwerte des DIAF‑S
Selbstbewusstheit (SB) |
1 | 90 | 2,00 | 5,00 | 4,22 | 0,87 | 0,30 | 0,22 | −0,87 | −0,10 |
5 | 90 | 1,00 | 5,00 | 3,26 | 0,74 | 0,62 | 0,51 | 0,22 | 0,82 |
8 | 91 | 1,00 | 5,00 | 4,44 | 0,69 | 0,28 | 0,28 | −1,67 | 5,63 |
12 | 90 | 2,00 | 5,00 | 3,82 | 0,77 | 0,50 | 0,38 | −0,13 | −0,47 |
Transparenz in Beziehungen (TiB) |
2 | 91 | 1,00 | 5,00 | 4,14 | 0,75 | 0,47 | 0,59 | −0,88 | 1,96 |
9 | 90 | 3,00 | 5,00 | 4,42 | 0,62 | 0,60 | 0,47 | −0,58 | −0,57 |
13 | 90 | 3,00 | 5,00 | 4,21 | 0,66 | 0,49 | 0,67 | −0,26 | −0,73 |
16 | 91 | 1,00 | 5,00 | 3,82 | 0,97 | 0,47 | 0,60 | −0,82 | 0,73 |
Verinnerlichte moralische Perspektive (VMP) |
3 | 90 | 3,00 | 5,00 | 4,44 | 0,69 | 0,38 | 0,48 | −0,85 | −0,46 |
6 | 91 | 2,00 | 5,00 | 4,42 | 0,68 | 0,30 | 0,40 | −0,97 | 0,63 |
10 | 90 | 1,00 | 5,00 | 3,81 | 0,89 | 0,38 | 0,39 | −0,31 | −0,14 |
14 | 90 | 3,00 | 5,00 | 4,47 | 0,60 | 0,38 | 0,51 | −0,65 | −0,50 |
Ausgewogene Informationsverarbeitung (AIV) |
4 | 87 | 1,00 | 5,00 | 4,00 | 0,81 | 0,40 | 0,41 | −1,09 | 2,77 |
7 | 91 | 3,00 | 5,00 | 4,34 | 0,67 | 0,42 | 0,63 | −0,53 | −0,72 |
11 | 91 | 2,00 | 5,00 | 4,12 | 0,76 | 0,40 | 0,45 | −0,52 | −0,15 |
15 | 91 | 3,00 | 5,00 | 4,53 | 0,66 | 0,43 | 0,43 | −1,07 | 0,01 |
Die Itemschwierigkeiten lagen im niedrigen Bereich (3,26 ≤
M ≤ 4,53). Die Schwierigkeiten der Komponenten und der Gesamtskala waren mit Werten zwischen 3,94 (SB) und 4,28 (VMP) ebenfalls niedrig. Alle Items wiesen eine Schiefe < |2| und Kurtosis < |7| auf, was eine Normalverteilung nahelegt (West et al.
1995). Für alle Items ergab sich eine linksschiefe, rechtssteile Verteilung.
Die Trennschärfen lagen überwiegend im akzeptablen Bereich: Bezogen auf die Gesamtskala im Bereich von 0,28 <
rit‑G < 0,62, für die jeweiligen Komponenten im Bereich von 0,22 <
rit‑K < 0,67. Auffällig waren die geringen Trennschärfen von zwei Items der Komponente SB mit Werten
rit‑K < 0,30 sowie die geringen Trennschärfen der Items der Komponente VMP (
rit‑G < 0,40) (Tab.
1).
4.2 Reliabilität
Die interne Konsistenz der Gesamtskala des DIAF‑S ist mit einem Cronbachs Alpha von 0,82 als gut einzustufen. Die internen Konsistenzen der Komponenten lagen im Bereich von 0,55 (SB) ≤ α ≤ 0,77 (TiB). Für die Komponenten TiB, VMP und AIV lassen sich unter Berücksichtigung der geringen Itemanzahl die internen Konsistenzen als befriedigend bis gut einstufen. Die Komponente SB fiel durch eine niedrige interne Konsistenz auf, die als unzureichend eingestuft wird.
4.3 Faktorielle Validität
Für die Überprüfung der faktoriellen Binnenstruktur des DIAF‑S wurden in CFA vier Modelle gegeneinander getestet: (1) Ein Modell mit vier interkorrelierten Faktoren, die die Komponenten authentischer Führung abbilden (Walumbwa et al.
2008), (2) ein Modell mit vier Faktoren erster Ordnung und einem Faktor zweiter Ordnung (Gesamtwert authentische Führung), (3) ein Modell mit zwei interkorrelierten Faktoren entsprechend der Befunde der explorativen Faktorenanalyse des DIAF‑F (Franke-Bartholdt et al.
2018) und (4) ein Modell mit einem Globalfaktor authentischer Führung, auf dem alle 16 Items luden. Um die Vergleichbarkeit des DIAF‑S mit dem DIAF‑F zu gewährleisten, wurden alle vier Modelle ebenfalls für das DIAF‑F getestet. Die Ergebnisse sind Tab.
2 zu entnehmen.
Für das DIAF‑S erwiesen sich das Modell 1 mit vier interkorrelierten Faktoren (
\( \overline{r} \) = 0,50) und das Modell 2 mit vier Faktoren erster Ordnung und einem Faktor zweiter Ordnung am ehesten geeignet, um die Daten der Selbsteinschätzung authentischer Führung abzubilden. Modell 1 und Modell 2 unterschieden sich nicht signifikant voneinander, auch die verschiedenen Fit-indizes unterschieden sich nicht in ihrer Höhe. Die Fit-Indizes RMSEA und SRMR lagen unter den Cutoff-Werten von Hu und Bentler (
1999), der CFI-Wert erreichte allerdings für keines der beiden Modelle den gewünschten Cutoff-Wert. Beide Modelle erklärten die Datenstruktur signifikant besser auf als Modell 3 und 4. Da sparsamere Modelle komplexeren Modellen vorzuziehen sind (Steiger
1990), wurde das weniger komplexe Modell 1 mit vier interkorrelierten Faktoren fokussiert. Bei Betrachtung der Modifikationsindizes fiel auf, dass zwischen elf Items spezifizierte Korrelationen zwischen den Fehlervarianzen zu einem besseren Modell-Fit führen würden.
Eine EFA mittels Parallelanalyse ergab für das DIAF‑S drei Faktoren, welche 37,96 % der Varianz aufklärten und moderat miteinander korrelierten (0,32 <
r < 0,44). Tab.
3 sind die Faktorladungen zu entnehmen. Alle vier Items der Komponente TiB sowie drei Items der Komponente SB luden auf Faktor 1. Die Items der Komponente AIV luden gemeinsam mit Item 1 der Komponente SB auf Faktor 2. Alle Items der Komponente VMP wiesen die höchsten Ladungen auf Faktor 3 auf und zeigten somit eine Einfachstruktur auf.
Für das DIAF‑F zeigte das Modell 1 mit vier interkorrelierten Faktoren (
r̄ = 0,85) den besten Modell-Fit. Die Fit-Indizes RMSEA und SRMR lagen unter, der Index CFI über den von Hu und Bentler (
1999) empfohlenen Cut-Off-Werten. Modell 1 erklärte die Datenstruktur des DIAF‑F signifikant besser auf als die drei Alternativmodelle, wobei Modell 2 mit vier Faktoren erster Ordnung und einem Faktor zweiter Ordnung und Modell 3 mit zwei interkorrelierten Faktoren ebenfalls zufriedenstellende Fit-Indizes aufwiesen (Tab.
2).
Tab. 2
Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalysen für DIAF‑S und DIAF‑F
DIAF‑S | 1 | 138,65 | 98 | 0,004 | 0,86 | 0,07 | 0,08 | – | – | – |
2 | 140,28 | 100 | 0,005 | 0,86 | 0,07 | 0,08 | 1,63 | 2 | 0,443 |
3 | 171,85 | 103 | 0,001 | 0,76 | 0,09 | 0,09 | 33,20 | 5 | <0,001 |
4 | 199,48 | 104 | 0,001 | 0,67 | 0,11 | 0,09 | 60,83 | 6 | <0,001 |
DIAF‑F | 1 | 368,91 | 98 | 0,001 | 0,96 | 0,07 | 0,04 | – | – | – |
2 | 397,65 | 100 | 0,001 | 0,96 | 0,07 | 0,04 | 27,74 | 2 | <0,001 |
3 | 466,27 | 103 | 0,001 | 0,95 | 0,08 | 0,04 | 97,36 | 5 | <0,001 |
4 | 772,38 | 104 | 0,001 | 0,90 | 0,10 | 0,06 | 403,47 | 6 | <0,001 |
Tab. 3
Faktorladungen der Items auf Basis der explorativen Faktorenanalyse
Selbstbewusstheit (SB) |
1 | Ich erbitte Rückmeldung, um meinen Umgang mit anderen zu verbessern | 0,16 | 0,31 | −0,13 |
5 | Ich kann genau beschreiben, wie meine Fähigkeiten durch andere beurteilt werden | 0,63 | 0,10 | 0,04 |
8 | Ich verstehe, wo meine Stärken und Schwächen liegen | 0,37 | 0,11 | −0,12 |
12 | Ich bin mir selbst klar bewusst, welche Wirkung ich auf andere habe | 0,36 | 0,15 | 0,17 |
Transparenz in Beziehungen zu anderen (TiB) |
2 | Ich sage offen das, was ich wirklich denke, sodass andere wissen, woran man ist | 0,70 | −0,09 | 0,03 |
9 | Ich schaffe Transparenz und Klarheit, indem ich andere offen über Anliegen informiere, die mir wichtig sind | 0,55 | 0,30 | −0,09 |
13 | Ich bringe anderen gegenüber klar zum Ausdruck, welche Gedanken und Ideen ich habe | 0,59 | 0,05 | 0,07 |
16 | Ich sage offen, wie ich mich wirklich fühle, und verstelle mich nicht | 0,75 | −0,15 | 0,06 |
Verinnerlichte moralische Perspektive (VMP) |
3 | Ich handele in Übereinstimmung mit meinen Überzeugungen und Werten | 0,01 | −0,18 | 0,76 |
6 | Ich stütze mich auf meine Überzeugungen und Werte, um wichtige Entscheidungen zu treffen | −0,02 | 0,13 | 0,42 |
10 | Ich widersetze mich, wenn ich zu Dingen gedrängt werde, die im Widerspruch zu meinen Überzeugungen und Werten stehen | 0,19 | 0,03 | 0,32 |
14 | Ich richte meine Handlungen nach meinen moralischen Überzeugungen und Werten aus | 0,00 | 0,06 | 0,66 |
Ausgewogene Informationsverarbeitung (AIV) |
4 | Ich frage aktiv auch nach Standpunkten, die meine Überzeugungen in Frage stellen | 0,06 | 0,34 | 0,20 |
7 | Ich höre mir alternative Standpunkte sorgfältig an, bevor ich Schlüsse ziehe | −0,25 | 0,89 | 0,14 |
11 | Ich analysiere erst objektiv alle relevanten Informationen, bevor ich eine Entscheidung treffe | 0,11 | 0,61 | −0,07 |
15 | Ich ermutige andere, offen auch gegensätzliche Sichtweisen zu äußern | 0,16 | 0,51 | −0,05 |
4.4 Zusammenhänge zu Kriterien
Die Korrelationen zwischen den Außenkriterien Arbeitsleistung, Voice und Moral Courage und DIAF‑S sind Tab.
4 zu entnehmen.
TiB (r = 0,25, p < 0,05), VMP (r = 0,29, p < 0,01) und der Gesamtwert des DIAF‑S (r = 0,30, p < 0,01) korrelierten signifikant positiv mit der durch die Führungskraft eingeschätzten Leistung der Mitarbeitenden. Für SB (r = 0,11, p = 0,320) und AIV (r = 0,18, p = 0,102) fanden sich keine signifikanten Zusammenhänge.
Promotive und prohibitive Voice zeigten ähnliche Zusammenhänge zu authentischer Führung: SB korrelierte jeweils am höchsten (promotive Voice: r = 0,44, p < 0,006; prohibitive Voice: r = 0,50, p < 0,006) mit beiden Voice-Arten. Promotive und prohibitive Voice wiesen mit TiB (0,32 ≤ r ≤ 0,36, p ≤ 0,006) und AIV (0,28 ≤ r = 0,29, p ≤0,01) kleine bis moderate Korrelationen auf. Zum Gesamtwert des DIAF‑S ergaben sich für beide Voice-Arten moderate Korrelationen (0,44 ≤ r ≤ 0,47 p < 0,006). Für VMP und promotive (r = 0,15, p = 0,172) sowie prohibitive Voice (r = 0,15, p = 0,166) fanden sich keine Zusammenhänge.
Zu Moral Courage traten positive Zusammenhänge zwischen SB, TIB, AIV und dem Gesamtwert auf (0,29 ≤
r ≤0,36,
p ≤ 0,01). Es ließ sich kein Zusammenhang zwischen Moral Courage und VMP feststellen (
r = 0,09,
p = 0,413) (Tab.
4).
Tab. 4
Deskriptive Statistiken, Reliabilitäten und Interkorrelationen der eingesetzten Skalen
1. Geschlecht | 89 | 1,00 | 2,00 | 1,69 | 0,47 | – | | | | | | | | | | | |
2. Alter | 89 | 26,00 | 61,00 | 45,43 | 9,61 | 0,10 | – | | | | | | | | | | |
3. TD | 90 | 1,00 | 3,00 | 1,99 | 0,79 | 0,11 | 0,58** | – | | | | | | | | | |
4. SB | 91 | 2,50 | 5,00 | 3,94 | 0,51 | 0,11 | 0,31** | 0,17 | (0,55) | | | | | | | | |
5. TiB | 91 | 2,75 | 5,00 | 4,15 | 0,59 | 0,23* | 0,37** | 0,35** | 0,48** | (0,77) | | | | | | | |
6. VMP | 91 | 3,00 | 5,00 | 4,28 | 0,50 | −0,08 | 0,48** | 0,21* | 0,21 | 0,22* | (0,65) | | | | | | |
7. AIV | 91 | 2,25 | 5,00 | 4,26 | 0,53 | 0,19 | 0,26* | 0,05 | 0,38** | 0,34** | 0,13 | (0,69) | | | | | |
8. DIAF‑S Gesamt | 91 | 3,06 | 5,00 | 4,16 | 0,39 | 0,15 | 0,46** | 0,30** | 0,75** | 0,77** | 0,54** | 0,68** | (0,82) | | | | |
9. Promotive Voice | 91 | 1,60 | 5,00 | 3,84 | 0,76 | 0,17 | 0,20 | 0,06 | 0,44** | 0,32** | 0,15 | 0,29* | 0,44** | (0,90) | | | |
10. Prohibitive Voice | 91 | 2,20 | 5,00 | 3,61 | 0,71 | 0,05 | 0,10 | 0,02 | 0,50** | 0,36** | 0,15 | 0,28* | 0,47** | 0,79** | (0,85) | | |
11. Moral Courage | 87 | 1,83 | 5,00 | 3,51 | 0,71 | −0,07 | 0,21* | −0,02 | 0,29* | 0,31** | 0,09 | 0,29** | 0,36** | 0,58** | 0,66** | (0,87) | |
12. Leistung | 86 | 3,00 | 7,00 | 4,98 | 0,91 | 0,07 | 0,05 | 0,06 | 0,11 | 0,25* | 0,29* | 0,18 | 0,30* | 0,16 | 0,30* | 0,15 | (0,74) |
4.5 Zusammenhänge zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung
Die deskriptiven Statistiken sowie Interkorrelationen der selbst- und fremdeingeschätzten authentischen Führung sind Tab.
5 zu entnehmen.
Tab. 5
Deskriptive Statistiken, Reliabilitäten und Interkorrelationen der Selbst- und Fremdeinschätzung
1. DIAF‑S SB | 42 | 2,75 | 4,75 | 3,99 | 0,47 | (0,51) | | | | | | | | | |
2. DIAF‑S TiB | 42 | 2,75 | 5,00 | 4,07 | 0,62 | 0,54** | (0,79) | | | | | | | | |
3. DIAF‑S VMP | 42 | 3,00 | 5,00 | 4,26 | 0,52 | 0,25 | 0,26 | (0,72) | | | | | | | |
4. DIAF‑S AIV | 42 | 3,25 | 5,00 | 4,23 | 0,50 | 0,63** | 0,34* | 0,23 | (0,71) | | | | | | |
5. DIAF‑S Gesamt | 42 | 3,19 | 4,88 | 4,14 | 0,41 | 0,82** | 0,76** | 0,56** | 0,76** | (0,86) | | | | | |
6. DIAF‑F SB | 259 | 1,00 | 5,00 | 3,47 | 0,93 | 0,35* | 0,51** | 0,05 | 0,22 | 0,41* | (0,84) | | | | |
7. DIAF‑F TiB | 259 | 1,00 | 5,00 | 3,74 | 0,94 | 0,51** | 0,62** | 0,27 | 0,33* | 0,60** | 0,87** | (0,82) | | | |
8. DIAF‑F VMP | 258 | 1,50 | 5,00 | 3,95 | 0,73 | 0,29 | 0,41* | 0,09 | 0,10 | 0,32* | 0,81** | 0,77** | (0,81) | | |
9. DIAF‑F AIV | 258 | 1,25 | 5,00 | 3,66 | 0,95 | 0,31* | 0,44** | 0,01 | 0,16 | 0,33* | 0,91** | 0,81** | 0,77** | (0,87) | |
10. DIAF‑F Gesamt | 259 | 1,38 | 5,00 | 3,70 | 0,79 | 0,40* | 0,54** | 0,11 | 0,22 | 0,46** | 0,97** | 0,93** | 0,89** | 0,94** | (0,94) |
Für die Interrater-Übereinstimmung der Fremdeinschätzung des Führungsstils ergaben sich für verschiedene Verteilungsannahmen (stetig und leicht schief) für alle Komponenten und die Gesamtskala Werte, die nach LeBrenton und Senter (
2008) auf eine moderate bis hohe Übereinstimmung innerhalb der Teams hinweisen. Für die Annahme einer stetigen Gleichverteilung wies die Komponente AIV den niedrigsten Wert, die Komponente VMP den höchsten Wert in der Übereinstimmung auf (0,68 ≤
rwg ≤ 0,81). Für die Annahme einer leicht schiefen Verteilung erreichte die Komponente AIV den niedrigsten Wert, die Komponente VMP den höchsten (0,52 ≤
rwg ≤ 0,71).
Aufgrund moderater bis hoher Korrelationen zwischen verschiedenen Komponenten und der Gesamtskala selbsteingeschätzter authentischer Führung mit Alter (0,38 ≤ r ≤ 0,55, p < 0,05) und mit Tätigkeitsdauer (0,44 ≤ r ≤ 0,57, p < 0,05) wurden nachfolgend Partialkorrelationen gerechnet.
Zwischen der Fremd- und Selbsteinschätzung fanden sich für die Gesamtskala (r = 0,46, p < 0,005) und für SB (r = 0,35, p < 0,05) und TiB (r = 0,62, p < 0,005) moderate bis hohe Zusammenhänge. Bei AIV korrelierten Selbst- und Fremdeinschätzung nicht miteinander (r = 0,16, p = 0,325), auch bei der Komponente VMP bestand keine Korrelation (r = 0,09, p = 0,565).
5 Diskussion
Der Beitrag umfasst die Prüfung und Validierung der ersten deutschen Selbsteinschätzungsform des Inventars zur Erfassung authentischer Führung – DIAF‑S.
Geprüft wurden die Güte und die faktorielle Binnenstruktur. Zur Beurteilung der Kriteriumsvalidität wurden organisationale Außenkriterien – Leistung, Voice-Verhalten und Moral Courage – herangezogen und der Zusammenhang zwischen selbst- und fremdeingeschätzter authentischer Führung betrachtet. Das DIAF‑S wurde mittels Selbsteinschätzungen von N = 91 Führungskräften und Fremdeinschätzungen von N = 259 Mitarbeitenden geprüft.
Zwischen authentischer Führung und Alter sowie Tätigkeitsdauer traten signifikante Zusammenhänge auf. Ältere und länger tätige Führungskräfte schätzten sich auf allen Ebenen authentisch führender ein als jüngere bzw. als Führungskräfte, die kürzer tätig waren. Eine Erklärung könnte darin bestehen, dass ein positives Selbstbild und die Wahrnehmung des eigenen Führungsverhaltens über die Zeit hinweg durch passende Situationen bestätigt und verstärkt werden.
Die Itemschwierigkeiten sind als leicht einzuordnen. Entsprechend schätzten sich die Führungskräfte im Durschnitt auf allen Komponenten hoch ein, was durch den Vergleich mit der Fremdeinschätzungsform (DIAF‑F, Franke-Bartholdt et al.
2018) mit mittleren Itemschwierigkeiten, zusätzlich verdeutlicht wird. Bei einem Selbsteinschätzungsverfahren wie dem DIAF‑S sind erhöhte Mittelwerte zu erwarten, da insbesondere Führungskräfte einem positiven Bias gegenüber dem eigenen Verhalten unterliegen können (Yammarino und Atwater
1997). Die Items repräsentieren erstrebenswertes Verhalten, sodass sozial erwünschtes Antwortverhalten wahrscheinlicher wird. Die Differenzierung zwischen Personen mit hoher und niedriger Merkmalsausprägung wird demnach erschwert. Insbesondere die Komponente VMP, welche das Ausrichten der Führungskraft an hohen moralischen Standards erfasst, wies den höchsten Mittelwert und die geringste Trennschärfe auf. Umso wichtiger ist, die beiden Formen zur Selbst- und Fremdeinschätzung ergänzend einzusetzen, um beide Perspektiven zu erfassen. Die Itemtrennschärfen lagen für den Großteil der Items im angestrebten mittleren Bereich, wobei zwei Items der Komponente SB mit einer Trennschärfe
rit < 0,30 als kritisch zu betrachten sind. Gegenüber den hervorragenden Trennschärfen des DIAF‑F fallen die Trennschärfen des DIAF‑S allerdings deutlich geringer aus, was auf die homogene Stichprobe und eine damit verbundene Varianzeinschränkung zurückzuführen sein kann.
Die psychometrischen Eigenschaften des DIAF‑S sind überwiegend als befriedigend bis gut zu bewerten. Die Reliabilitäten der Komponenten TiB, AIV, VMP und der Gesamtskala lagen im befriedigenden bis guten Bereich, während die Reliabilität von α = 0,55 für die Komponente SB nicht als zufriedenstellend angesehen werden kann. Daher sollten die Items der Komponente SB überarbeitet werden. Einen Ansatz liefert das Ergebnis der EFA, bei welcher sich die Items der Komponenten SB und TiB gemeinsam auf Faktor 1 wiederfanden, während Item 1 der Komponente SB gemeinsam mit den Items der Komponente AIV auf Faktor 2 lud. Bei einer explorativen Betrachtung der Reliabilität für die Faktorenlösung der EFA ergaben sich befriedigende interne Konsistenzen: Für Faktor 1 mit drei Items der Komponente SB und vier Items der Komponente TiB ein Cronbachs Alpha von 0,74, für Faktor 2 mit Item 1 der Komponente SB und vier Items der Komponente AIV ein Cronbachs Alpha von 0,66 und für Faktor 3 mit den Items der Komponente VMP ein Wert von 0,65. Durch die Hinzunahme von Item 1 zu der Komponente AIV fällt die Reliabilität von 0,69 auf 0,66, weswegen eine Überarbeitung von Item 1 erfolgen sollte.
Bei der Prüfung der Binnenstruktur des DIAF‑S und DIAF‑F per CFA wurden analog zum Vorgehen von Franke-Bartholdt et al. (
2018) verschiedene Modelle geprüft: Modell 1 mit vier interkorrelierten Faktoren, Modell 2 mit vier Faktoren erster und einem Faktor zweiter Ordnung, Modell 3 mit zwei interkorrelierten Faktoren und Modell 4 mit einem Faktor.
Für das DIAF‑S erreichten das Modell 1 mit vier interkorrelierten Faktoren und das Modell 2 mit vier Faktoren erster und einem Faktor zweiter Ordnung gleiche Kennwerte in den Fit-Indizes und unterschieden sich nicht signifikant voneinander. Beide Modelle bildeten die Daten im Vergleich zu den Alternativmodellen signifikant besser ab, wiesen allerdings einen eingeschränkten Gesamt-Fit auf. Aus Sparsamkeitsgründen sollte auf das weniger komplexe Modell 1 mit vier interkorrelierten Faktoren SB, TiB, AIV und VMP zurückgegriffen werden.
Für das DIAF‑F wies das Modell mit vier interkorrelierten Faktoren einen zufriedenstellenden Gesamt-Fit auf und war den drei Alternativmodellen signifikant überlegen. Somit konnte die von Franke-Bartholdt et al. (
2018) gefundene vierfaktorielle Struktur für die Fremdeinschätzungsform authentischer Führung bestätigt werden.
Zusammenfassend erklärte ein Modell mit den interkorrelierten Faktoren SB, TiB, AIV und VMP beide Formen zur Beurteilung authentischer Führung im Vergleich zu den Alternativmodellen am besten. Die vierfaktorielle Struktur entspricht der von Walumbwa et al. (
2008) postulierten, welche mehrfach empirisch nachgewiesen werden konnte (Franke-Bartholdt et al.
2018; Neider und Schriesheim
2011). Entsprechend ist ein Vergleich der Selbst- und Fremdeinschätzungsform auf Komponentenebene möglich.
Für das DIAF‑S konnte allerdings kein zufriedenstellender Gesamt-Fit erreicht werden. Die Ergebnisse der CFA sollten aufgrund der geringen Stichprobengröße von
n = 80 mit Vorsicht interpretiert werden, da bei kleinen Stichproben häufiger Schätzprobleme auftreten (Bühner
2010) und die vorliegende Anzahl an ProbandInnen unter den Empfehlungen der erforderlichen Größe zur Berechnung von CFA liegt (Schermelleh-Engel et al.
2003).
Die unzureichende Passung eines Modells mit vier interkorrelierten Faktoren für das DIAF‑S gibt Anlass, die Struktur authentischer Führung in der Selbsteinschätzung weiter zu erforschen. Einen Ansatz dazu liefert das Ergebnis der EFA, bei der sich eine dreifaktorielle Lösung ergab. Die Items der Komponenten SB und TiB fanden sich auf einem gemeinsamen Faktor wieder, lediglich Item 1 der Komponente SB lud mit den Items der Komponente AIV auf Faktor 2. Wenn man das Item betrachtet („Ich erbitte Rückmeldung, um meinen Umgang mit anderen zu verbessern.“) wird deutlich, dass es inhaltlich um das Einholen von Informationen geht, was eine für AIV charakteristische Prozesskomponente nahelegt. Auf Grund der geringen Trennschärfe (
rit‑K = 0,22) und der hohen Hauptladung auf Faktor 2 sollte das Item sprachlich überarbeitet oder entfernt werden. Die mit explorativen Analysen gefundene Faktorenstruktur entspricht nicht der von Walumbwa et al. (
2008) postulierten Struktur, lässt sich aber mit einem alternativen Modell authentischer Führung nachvollziehbar erklären: In der
Theory of Embodied Authentic Leadership (Ladkin und Taylor
2010) findet sich der Verhaltensaspekt der
Selbstgesinnung, der die Komponenten SB und TiB beschreibt. Selbstgesinnung bedeutet, ein tiefgehendes Bewusstsein für das eigene Gefühlsleben zu haben und entscheiden zu können, ob Emotionen zum Ausdruck gebracht werden. Wichtig ist dabei, dass Führungskräfte auch Schwächen zeigen können und sich Mitarbeitende über deren offenen Umgang damit mit der Führungskraft identifizieren. Dies fördert das Vertrauen und tiefere Beziehungen. Somit kann die Komponente SB als vorausgehende Bedingung angenommen werden, die TiB fördert. Die zweite Verhaltenskomponente
Bezüge herstellen nach Ladkin und Taylor (
2010) kann als Pendant zur Komponente AIV gesehen werden. Es geht um die Wichtigkeit des sozialen Austausches, um Entscheidungen zum Wohl der Organisation zu treffen. Hierbei können auch Meinungen geäußert werden, die nicht in Übereinstimmung mit denen der Führungskraft stehen. Diese muss sich infolgedessen an die kontextuellen Anforderungen anpassen und Informationen von den Mitarbeitenden einholen. Zuletzt beinhaltet die Verhaltenskomponente der
Führungsentscheidungen, dass die Führungskraft die Identität der Gruppe spiegelt und den Rahmen für Entwicklungsprozesse schafft, was durch geteilte moralische Werte gefördert wird. Entsprechend kann dies der DIAF‑S Komponente der VMP zugeordnet werden. Ein weiteres dreifaktorielles Modell authentischer Führung stellt Whitehead (
2009) vor. Eine authentische Führungskraft ist „(1) (…) self-aware, humble, always seeking improvement, aware of those being led and looks out for the welfare of others; (2) fosters high degrees of trust by building an ethical and moral framework; and (3) is committed to organizational success within the construct of social values” (Whitehead
2009, S. 850). Die Eigenschaften unter (1) bilden damit die Komponenten SB und TiB ab, unter (2) werden Aspekte der Komponente VMP dargestellt und (3) deckt sich im weiteren Sinne mit der Komponente AIV.
Die erwarteten moderaten Zusammenhänge zwischen den Außenkriterien Arbeitsleistung, Voice und Moral Courage konnten für SB, TiB und AIV und den Gesamtwert bestätigt werden und sind als vielversprechend zu werten. So fanden sich ähnliche hohe Zusammenhänge für die Kriteriumsvalidität wie beim DIAF‑F. Hypothesenkonträr fielen die Zusammenhänge zwischen VMP und promotive und prohibitive Voice und Moral Courage aus. Hier ergaben sich kleine, nicht signifikante Korrelationen. Die befragten Führungskräfte schätzten sich sehr homogen auf allen Komponenten, insbesondere aber bei VMP ein, sodass hier mit einer Varianzeinschränkung und damit Korrelationsminderung zu rechnen ist. Zusätzlich spiegeln die Items zur verinnerlichten moralischen Perspektive innere Vorgänge wider und kein direkt beobachtbares Verhalten. Damit dieser Aspekt authentischer Führung mit sichtbarem, aktivem Verhalten wie Voice und Moral Courage zusammenhängen kann, muss das Verhalten auch wahrnehmbar sein.
Bei der Betrachtung der Übereinstimmung zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung wurden moderate bis hohe Werte für die Übereinstimmung der Mitarbeitenden innerhalb eines Teams erreicht. Damit kann die Bildung des Mittelwerts als zulässig erklärt werden (LeBreton und Senter
2008). Allerdings ist zu beachten, dass die Varianz in der Übereinstimmung recht hoch ausfiel. Die Einschätzung des Führungsstils kann durchaus auch innerhalb eines Teams variieren, da eine Führungskraft auf Grund von Unterschieden im Leader-Member-Exchange zu verschiedenen Mitarbeitenden eine unterschiedliche Beziehungsqualität haben kann. Dies kann zu unterschiedlichen Beurteilungsmustern des Führungsstils führen (Estel et al.
2019). Für die Komponenten SB, TiB und den Gesamtwert fanden sich moderate bis hohe Zusammenhänge zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung. Der größte Zusammenhang bestand für die Komponente TiB: Diese bildet den relationalen Aspekt zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften ab und kann daher von beiden Seiten gleichermaßen gut über gezeigtes Verhalten eingeschätzt werden. Die Schwierigkeit der Einschätzung nicht sichtbaren Verhaltens einer verinnerlichten moralischen Perspektive zeigte sich auch durch den nicht gefundenen Zusammenhang zwischen Fremd- und Selbsteinschätzung. Metanalytisch wurde für ethische Führung, die große Überschneidungen mit authentischer Führung aufweist, die größte Effektstärke gegenüber transformationaler oder dienender Führung für den Unterschied zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung gefunden (Lee und Carpenter
2018). Es ist anzunehmen, dass gerade bei Inhalten zu moralischem Verhalten eine große Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung auftritt.
7 Transfer
Mit dem DIAF‑S liegt nun neben der Fremdeinschätzungsform, dem DIAF‑F, ein weitgehend reliables und valides Instrument zur Selbstbeurteilung authentischen Führungsverhaltens vor. Die Ergebnisse dieser Studie weisen auf überwiegend gute psychometrische Eigenschaften hin und zeigen bezüglich organisationaler Außenkriterien vielversprechende Ergebnisse. Zu berücksichtigen ist die niedrige interne Konsistenz der Komponente SB, weswegen bei einer Einzelnutzung des DIAF‑S eine alternative Struktur authentischer Führung empfohlen wird. Diese basiert auf drei Faktoren, die die Selbsteinschätzungsform anhand theoretischer Alternativmodelle erklären kann und bei deren Anwendung sich interne Konsistenzen im befriedigenden Bereich (0,65 ≤ α ≤ 0,74) ergaben.
Für den Abgleich zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung kann auf das vierfaktorielle Modell mit den Komponenten SB, TiB, AIV und VMP zurückgegriffen werden und somit eine gemeinsame Nutzung des DIAF‑S mit dem DIAF‑F empfohlen werden. Mit Hilfe dieser beiden Formen des DIAF lassen sich multiperspektivisch Aussagen zum authentischen Führungsstil ableiten. Darin besteht ein immenser Vorteil gegenüber der alleinigen Betrachtung des Führungsverhaltens aus Selbst- oder Fremdperspektive, da gemeinsam Erwartungen an den Führungsstil eruiert und Verbesserungsmaßnahmen bei auftretenden Diskrepanzen eingeleitet werden können (Franke-Bartholdt et al.
2018).
Für das Führungskräfte-Coaching stellt das DIAF‑S ein wichtiges Instrument dar, da mit den verhaltensnahen Items das Rollenverständnis und die Vorbildfunktion, insbesondere zum Umgang mit moralischen Sachverhalten, reflektiert werden können. Gerade in diesem Bereich weisen die Befunde dieser Studie auf eine große Diskrepanz zwischen selbst- und fremdwahrgenommen Verhalten hin.
Entsprechend kann der Abgleich zwischen den von den Mitarbeitenden wahrgenommenem Führungsverhalten und der Selbsteinschätzung der Führungskraft Anstoß geben, um Abweichungen zu ermitteln. Auf Basis dieser Abweichungen können Führungskräfte einen sicheren Umgang mit möglichen Unzulänglichkeiten als Führungskraft lernen und sich weiterentwickeln. Bei der Beurteilung der Selbsteinschätzung sollte auch der Kontext beachtet werden: Wenn es im Rahmen eines Führungskräfte-Coachings gezielt darum geht, den eigenen Führungsstil zu reflektieren und diesen weiter zu entwickeln, antworten Führungskräfte ehrlicher und gestehen Unzulänglichkeiten eher ein als in anderen Situationen (Lee und Carpenter
2018). Im Kontext der Standortbestimmung, wenn beispielsweise auf Basis des Führungsstils personelle Entscheidungen getroffen werden, wird sozial erwünschtes Antwortverhalten sehr wahrscheinlich. Aus diesem Grund sollten gerade dann Fremdbeurteilungen eingeholt werden, um diesen Effekt abzuschwächen.
Weiterhin kann mit Hilfe des DIAF das nomologische Netzwerk authentischer Führung erforscht und erweitert werden und Erkenntnisse und Wissen über eines der bedeutendsten Merkmale im organisationalen Kontext zu gewinnen: Sich selbst treu zu sein und damit eine Vertrauenskultur zu schaffen, die einen offenen Diskurs fördert.