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Erschienen in:

01.11.2019 | Hauptbeiträge

Wie Fiktionalität das soziale Imaginäre (re)organisiert:

Rolf Hochhuths Der Stellvertreter und die Entstehung sozialer Identitäten

verfasst von: Marcela Knapp

Erschienen in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie | Sonderheft 2/2019

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Zusammenfassung

In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, wie fiktionale Kunst auf das soziale Imaginäre einwirkt und es verändert. Am Beispiel der öffentlichen Rezeption von Rolf Hochhuths Theaterstück Der Stellvertreter (1963) zeige ich, wie sich soziale Identität aus dem Ästhetischen speist. Hochhuths Stellvertreter markiert den Beginn der westdeutschen Auseinandersetzung mit der Frage nach Schuld am Holocaust und bildet einen kulturellen Ausgangspunkt für die 68er-Bewegung. Indem das dokumentarische Theater eine neue Form der Individualität, des Denkens und des Fühlens hervorbringt, reorganisiert es soziale Wirklichkeit und greift durch ästhetische Formgebung aktiv in das soziale Imaginäre ein. Werke fiktionaler Kunst spielen bei der Hervorbringung bzw. Schöpfung sozialer Identität eine besondere Rolle, denn Kunst ist laut Wolfgang Iser dem Prinzip des Ästhetischen unterworfen. Das Prinzip des Ästhetischen ist formgebend und spricht somit das Sein der Psyche an – hier folge ich dem Sozialphilosophen Cornelius Castoriadis. Am Beispiel von Hochhuths Stellvertreter möchte ich darlegen, wie es der Kunst gelingt, ein neues Wahrnehmungsmuster zu etablieren, das durch die öffentliche Debatte zu einer neuen „Sensorialitätsordnung“ (Rancière) führt. Diese neue Ordnung transformiert den Begriff des Politischen, der als primäre soziale imaginäre Bedeutung (Castoriadis) zu den gesellschaftskonstitutiven Begriffen westlicher Demokratien gehört.

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Fußnoten
1
Dieser Gedanke durchzieht Isers Werk von seiner Antrittsvorlesung (vgl. 1970) bis zu seinem Spätwerk (vgl. 1991).
 
2
Die vollständige Analyse dieser Fallstudie findet sich im Kapitel „The Creation of the Social: Rolf Hochhuth’s The Deputy“ meiner Doktorarbeit (vgl. Knapp 2016, S. 135–168).
 
3
Der literarische Text steht hier für eine bestimmte Struktur, die den Kunstcharakter von Werken ausmacht und sich durch eine Dopplungsstruktur auszeichnet (vgl. Iser 1991, S. 382 f.–383).
 
4
Sie weisen somit auch die diesem Diskurs zugrundeliegende Ästhetik von Selbstbefragung und Demut zurück. Interessanterweise eignet sich der AfD-Diskurs allerdings das Imaginäre des Politischen an, das in der Stellvertreter-Debatte begründet liegt, indem es rechte Positionen als durch den Mainstream unterdrückte Wahrheiten „öffentlich benennt“. Mit der Opferrhetorik („Die Deutschen werden unterdrückt“) und den rhetorischen Grenzüberschreitungen (Schießbefehl auf Kinder an den Grenzen) entsteht hier ein Diskurs, dessen spezifische identitätsbegründende Ästhetik noch eingehender zu untersuchen wäre.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Wie Fiktionalität das soziale Imaginäre (re)organisiert:
Rolf Hochhuths Der Stellvertreter und die Entstehung sozialer Identitäten
verfasst von
Marcela Knapp
Publikationsdatum
01.11.2019
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Österreichische Zeitschrift für Soziologie / Ausgabe Sonderheft 2/2019
Print ISSN: 1011-0070
Elektronische ISSN: 1862-2585
DOI
https://doi.org/10.1007/s11614-019-00380-1

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