Kleine und mittelständische Betriebe (KMU) stehen in Europa unter einem hohen Wettbewerbsdruck. Ein Wandel von der linearen zu einer Kreislaufwirtschaft trägt dazu bei, die Kosten und den Ressourcenverbrauch zu senken. Mithilfe von KI können die Prozesse optimiert werden.
Große Sprachmodelle und darauf basierende Anwendungen wie ChatGPT sind im Mainstream angekommen und erfreuen sich großer Akzeptanz. Künstliche Intelligenz (KI) ist als möglicher Enabler für die Verbesserung von Prozessen und Produkten in der Diskussion. Gleichzeitig steht die deutsche Wirtschaft im Angesicht globaler Krisen vor der Herausforderung, die Resilienz ihrer Lieferketten zu erhöhen und die Abhängigkeit von externen Energie- und Rohstofflieferanten zu verringern. Hierfür kann die Kreislaufwirtschaft entscheidende Beiträge liefern: In Kombination mit digitalen Technologien bietet sie die Chance, Ressourcen einzusparen und Produktionsprozesse im Hinblick auf CO2-Verbrauch und Energie zu optimieren. Auch die Wiederverwendung von Komponenten gehört zum wissenschaftlichen Fokus. Die Wirtschaft muss nicht nur effizienter, sondern auch nachhaltiger werden. Basierend auf den Sustainable Development Goals (SDGs) der UN, hat die Bundesregierung daher die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) erarbeitet. KI wird bezüglich Effizienz und Nachhaltigkeit in der Produktion eine Schlüsselrolle spielen.
Anzeige
Nachhaltigkeit umfasst den ökologischen, den ökonomischen und den sozialen Blickwinkel. Grundsätzlich bedeutet Nachhaltigkeit, nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als ersetzt werden können. In diesem Sinne ist eine Produktion dann nachhaltig, wenn sie ressourcenschonend und -effizient arbeitet, indem sie beispielsweise Ausschuss vermeidet oder gebrauchte Einzelteile oder Baugruppen wiederverwendet (Remanufacturing). Die Nutzung gebrauchter oder recycelter Komponenten spart Geld und CO2, was zu einem Wettbewerbsvorteil führen kann. Das wiederum sichert die Zukunft eines Unternehmens. Hier treffen sich die ökologische und die ökonomische mit der sozialen Dimension von Nachhaltigkeit: Die soziale meint, dass Menschen unter guten Bedingungen arbeiten und dafür fair entlohnt werden können. Das soll künftig auch für Zulieferer gelten. So will es das neue Lieferkettengesetz, das im Januar 2024 in Kraft getreten ist. Damit sollen soziale Standards in die Produktion implementiert werden.
Der Informationsaustausch zwischen den Akteuren und die Dokumentation des Produktlebenszyklus sind Basis für eine funktionsfähige Kreislaufwirtschaft.
KI unterstützt Kreislaufwirtschaft
Die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) zielt auf die Transition der linearen Wirtschaftsweise ab, indem sie versucht, Rohstoffe möglichst lang im Kreislauf zu halten. Dabei soll möglichst wenig Abfall erzeugt werden, indem Produkte wiederverwendet (Reuse), so oft wie möglich repariert (Repair) und ganz am Ende ihres Lebenszyklus möglichst umfassend recycelt (Recycling) werden. Reuse, Repair und Recycling sind drei der zehn sogenannten R-Strategien der Kreislaufwirtschaft. [1]
Mithilfe von KI können die Daten im Sinne einer Kreislaufwirtschaft intelligent genutzt werden
Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft benötigt dabei Daten zum Produkt. Hier eine Auswahl:
Aus welchem Material besteht das Produkt?
Wurden die Materialien weiterbearbeitet? Falls ja, wie?
Aus welchen Stoffen setzen sich die Materialien zusammen?
Wie genau wurde das Produkt gefertigt?
Wie kann es repariert werden? (Reparaturanleitungen)
Welche Bauteile wurden besonders stark benutzt und welche nicht?
Anzeige
Diese Daten können den unterschiedlichen Stakeholdern in der Kreislaufwirtschaft bei ihren Aufgaben helfen. Ein Produktdesigner kann beispielsweise ein Produkt im Hinblick auf verbesserte Nachhaltigkeit (re-)designen, wenn er weiß, welche Verfahren der Wiederverwendung oder des Recyclings prinzipiell infrage kommen. Auch Informationen darüber, warum ein Produkt noch nicht gut recycelt werden kann, helfen bei der Verbesserung des Designs. Der Recycler wiederum kann seine Anlagen besser parametrisieren, wenn er die genaue Zusammensetzung eines Produktes und der Materialien kennt. Der Informationsaustausch zwischen den einzelnen Akteuren der Kreislaufwirtschaft und die vollständige Dokumentation des Lebenszyklus eines Produktes sind Schlüsselfaktoren.
Der Digitale Produktpass als Schritt zur Kreislaufwirtschaft
Für die Organisation der Daten bietet sich der Digitale Produktpass (DPP) an. Dieser wird - beginnend mit Batterien mit einer Kapazität von über 2 kWh - in der EU ab 2027 für immer mehr Produktgruppen verpflichtend. [2] Noch ist nicht abschließend festgelegt, welche produktbezogenen Informationen genau enthalten sein sollen. Auch ist noch nicht fixiert, wie Format und Austausch der Daten aussehen sollen. Der Produktpass soll unter anderem dazu dienen, die im Lieferkettengesetz geforderte Transparenz herzustellen. Er eignet sich aber auch für die Umsetzung der R-Strategien der Kreislaufwirtschaft mithilfe von KI. Daran forschen unter anderem das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und die SmartFactory-KL (SFKL).
Das DFKI setzt das DPP-Konzept in Forschungsprojekten prototypisch um. Das Projekt Circthread [3] lotet mit 30 weiteren europäischen Partnern die Möglichkeiten des Konzepts des Digital Threads aus. Gemeint ist damit eine Art digitaler Faden, der sich durch den gesamten Produktlebenszyklus zieht. In einem Informationssystem wird gespeichert, wo sämtliche Daten über ein Produkt zu finden sind. Diese können am Ende des Lebenszyklus genutzt werden, um zu entscheiden, was mit dem Produkt geschehen soll: ob sich Remanufacturing lohnt oder ob das Recycling ökonomischer ist (und wie es genau realisiert werden kann). Auch kann überlegt werden, ob einzelne Komponenten noch einmal genutzt werden können.
Der Demonstrator beurteilt in einer KI-basierten optischen Qualitätskontrolle Bauteile auf den Erhaltungszustand .
Ein DPP auf Basis der sogenannten Verwaltungsschale (VWS; engl. Asset Administration Shell, AAS) wurde im Projekt Recirce (Digital Lifecycle Record for the Circular Economy) unter der Bezeichnung Digital Lifecycle Passport (DLCP) konzipiert und implementiert. [4] Die Produktinformationen werden über eine benutzerfreundliche Webapplikation für Menschen verständlich dargestellt, können aber auch zur Steuerung von Maschinen genutzt werden, da sie maschinenlesbar sind. Kombiniert mit einer KI-basierten Objekterkennung, wird damit in einem Use Case eine Sortieranlage gesteuert. Das hybride KI-System sortiert Elektroschrott nach definierten Kriterien, etwa ob ein Gerät einen Akku enthält und deshalb potenziell gefährlich ist.
Ein hybrides KI-System sortiert Elektroschrott nach definierten Kriterien, etwa ob ein Gerät einen Akku enthält
Der DPP ist auch ein wichtiges Thema des Green-AI Hubs Mittelstand, der zur KI-Initiative des Bundesumweltministeriums gehört und KI-Lösungen für mehr Ressourceneffizienz fördert. [5] Kern des Projektes sind 20 KI-Pilotanwendungen, die in jeweils sechs Monaten bei Pilot-KMU umgesetzt werden, darunter die Optimierung von Logistik, von Wareneinsatz im Handwerk oder digital integrierte Lösungen für die Wartung von Anlagen.
Um „KI für Ressourceneffizienz" für interessierte Unternehmen erlebbar zu machen, wurde ein mobiler Demonstrator mit dem Namen Produktionsinsel Skye [6] entwickelt, der anschaulich zeigen soll, wie die R-Strategie Reuse in die Produktion integriert werden kann: In der SFKL wird in einem Demonstrator-Ökosystem ein Modell-Lkw gefertigt. Die Organisation der Produktionsschritte wird mittels Software-Agenten gesteuert, die über Datenräume auf einer Art digitalem Marktplatz Services einbinden können, entweder als Maschinenfähigkeiten oder als Software. Mit Skye ist es gelungen, gebrauchte Bauteile ebenfalls als Angebot auf dem digitalen Marktplatz verfügbar zu machen. Technisch kommt ein DPP zum Einsatz, der Informationen zum jeweiligen Bauteil zur Verfügung stellt. Der Demonstrator selbst beurteilt in einer KI-basierten optischen Qualitätskontrolle Bauteile auf den Erhaltungszustand und sortiert sie in eine von vier Qualitätskategorien ein. Anschließend wird ein Preis für das Gebrauchtteil ermittelt, das CO2-Einsparpotenzial prognostiziert und ein Lagerplatz im angeschlossenen Teilelager reserviert. Wird im Produktionssystem der SFKL ein neuer Modell-Lkw konfiguriert und werden die Services zu einer Lieferkette zusammengestellt, wird auch das Angebot gemacht, ein gebrauchtes Bauteil zu verwenden, so es denn verfügbar ist. Kunden können nun entscheiden, ob in einem neu zu produzierenden Lkw Gebrauchtteile verbaut werden sollen, denn so können Preis und CO2-Verbrauch reduziert werden. Die Informationen aus der VWS des gebrauchten Bauteils werden in die Gesamtinformation zu jedem Lkw integriert, sodass der Lebenszyklus in der VWS vollständig abgebildet ist.
Die Kreislaufwirtschaft von morgen
Die genannten Forschungsprojekte zeigen, wie das Zusammenspiel von Kreislautwirtschaft und KI funktionieren kann. Allerdings ist die Datenlage aktuell noch lückenhaft. Oft fehlen an entscheidenden Stellen Informationen, um Entscheidungen KI-automatisiert oder menschenbasiert treffen zu können. Auch die Kompetenzen, um die entsprechenden Daten nutzbar zu machen und zu analysieren, sind noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Hier setzt das Datenkompetenzzentrum für Circular Economy Daten (Dace) an, dessen Aufgabe die hochschul- und institutionenübergreifende Vernetzung von Informatik- und KI-Forschern mit Experten für Kreislaufwirtschaft und Ökobilanzierung ist. [7] Das Ziel: voneinander lernen. Zuerst müssen Datenlücken geschlossen und Datenformate definiert werden. Dann werden Verfahren gesammelt und erprobt, um aus den Daten automatisiert umfassende Nachhaltigkeitsbewertungen abzuleiten. So kommen wir einer KI-basierten Kreislaufwirtschaft ein gutes Stück näher.
Springer Professional
Künstliche Intelligenz
Frank Urbansky: Wie die KI die Kreislaufwirtschaft revolutionieren kann.
Die im Laufe eines Jahres in der „adhäsion“ veröffentlichten Marktübersichten helfen Anwendern verschiedenster Branchen, sich einen gezielten Überblick über Lieferantenangebote zu verschaffen.