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2009 | Buch

Wirklichkeit

Über Wissen und andere Definitionen der Wirklichkeit, über uns und Andere, Fremde und Vorurteile

verfasst von: Heinz Abels

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

Buchreihe : Studientexte zur Soziologie

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Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung und Überblick – auch ein kleiner Dank
„Wissen ist zu einem Leitbegriff der gegenwärtigen Gesellschaft geworden.“ So beginnt eine aktuelle Sammlung von Beiträgen über „Neue Perspektiven der Wissenssoziologie“. (Tänzler, Knoblauch, Soeffher 2006, S. 7) Als Beispiele nennen die Herausgeber Schlagworte wie »Wissensgesellschaft« oder »Wissensmanagement«, unter denen man sich alles und nichts vorstellen könne. Deshalb, folgern sie, sei die »Wissenssoziologie« herausgefordert, „zur Paradoxie der, wie es bei Ulrich Beck heißt, »zweiten, reflexiven Moderne« Stellung zu nehmen, die von sich ( … ) kein angemessenes Bewusstsein zu haben scheint.“ (ebd.)
Heinz Abels
1. Prolegomena über Wissen und Wirklichkeit
Im Jahre 1969 kam in Deutschland ein Buch mit dem merkwürdigen Titel „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ heraus. Geschrieben hatten es Peter L. Berger, der 1929 in Wien geboren wurde und später in die USA ging, und Thomas Luckmann, der 1927 in Jesenice (Slowenien) geboren wurde und nach einigen Jahren in den USA an verschiedenen deutschen Hochschulen lehrte. Beide waren in den 1950er Jahren Schüler von Alfred SchÜtz, einem erst spät bekannt gewordenen phänomenologischen Soziologen, an der New Yorker New School of Social Research.
Heinz Abels
2. Wissen und Wirklichkeit. Einleitende skeptische Fragen und erste Antworten
Dem Arzt und Analytiker Sigmund Freud (1856-1939) war aufgefallen, dass viele der vom ihm behandelten Patientinnen unter dem Eindruck einer Verführung in ihrer Jugend standen. Eine genauere Analyse zeigte dann, dass diese Hysterikerinnen eine solche Verführung nicht wirklich erlebt hatten, sondern sie phantasierten. Für diese »Tatsache« führte Freud den Begriff der »psychischen Realität« ein. (Freud 1914, S. 56) Diese subjektive, phantasierte „Wirklichkeit“ beeinflusste das Denken und Handeln der Patientinnen massiv, war also objektiv wirklich, solange sie sich dessen nicht bewusst waren.
Heinz Abels
3. Über vage Weltgewissheit, natürliche Einstellungen und Handeln in der selbstverständlichen Lebenswelt
Die phänomenologische Soziologie will herausfinden, wie Menschen die Welt der Phänomene, also die soziale Wirklichkeit, in der sie leben, erfahren, wie sie mit ihr umgehen und wie sie in ihr handeln. Sie will Schicht um Schicht freilegen, wie sich der Mensch die Wirklichkeit ordnet. Das ist der aufklärerische Anspruch dieser Soziologie. Sie will nicht nur die Routine des Alltagsdenkens und die harmlose Gedankenlosigkeit (Abels u. Stenger 1986, S. 56) aufdecken, sondern auch das „falsche Bewusstsein“ und die Macht der Ideologie. Insofern hat diese Theorie auch eine praktische Relevanz, und eine „grundlegende Funktion der Theorie besteht darin, erfolgversprechende Lösungen für grundsätzliche Probleme des täglichen Lebens vorzuschlagen und dem Menschen bei seiner handelnden Orientierung in der Welt zu helfen.“ (Luckmann 1979a, S. 200) Indem sie die strukturellen Bedingungen des Denkens und Handelns von Menschen aufzeigt, hofft sie, Reflexion in Gang zu setzen und rationalem Handeln den Weg zu bereiten.
Heinz Abels
4. Grundlagen des Wissens in der Alltagswelt
Die so genannte Wirklichkeit ist das Ergebnis von Kommunikation.1
Heinz Abels
5. Symbolische Ordnung: Über Institutionen, Legitimierungen und die Überwältigung von Alternativen
Die Wirklichkeit ist schon geordnet, bevor wir auf die Bühne des Lebens treten, und sie ist uns als so selbstverständlich nahe gebracht worden, dass wir gar nicht merken, was uns Individuen da alles fordernd und zwingend (aber auch stützend!) gegenübersteht. Umso mehr lohnt es sich, den Prozess nachzuzeichnen, in dem Gesellschaft zur objektiven Wirklichkeit wird. Dafür führe ich den Gedanken der Institutionalisierung weiter und zeige, wie die Objektivität der institutionalen Welt zur zwingenden Faktizität wird.
Heinz Abels
6. Soziale Maßnahmen zur Stützung oder Erzeugung einer symbolischen Wirklichkeit
Nach dem, was wir oben über die Objektivität der institutionalen Welt und ihre Verfestigung zur sozialen Selbstverständlichkeit gelesen haben, scheint sich das Problem der Legitimation der symbolischen Sinnwelt nicht allzu oft zu stellen. Sie scheint seit je zu bestehen und vollkommen selbstverständlich zu sein. Alle Institutionen, sozialen Prozesse und Rollen sind durch die symbolische Sinnwelt zu einem wohl geordneten Ganzen integriert.
Heinz Abels
7. Subjektive Wirklichkeit: Über Sozialisation, Transformationen und self-fulfilling prophecy
Im soziologischen Sinne ist Wirklichkeit nichts, was für sich bestünde und nur im Singular existierte, sondern kann nur gedacht werden als Wirklichkeiten für konkrete Individuen, die in einer bestimmten Gesellschaft leben. Diese Wirklichkeiten werden von dem, was sich in dieser Gesellschaft an Institutionen und Wissen ergeben hat, beeinflusst. Die Institutionen und das kollektive Wissen bilden den Rahmen der vielen subjektiven Wirklichkeiten. In diesem Rahmen werden die Individuen sozialisiert, d. h. mit dem vertraut gemacht, was in dieser Gesellschaft als angemessenes Denken und Handeln gilt.
Heinz Abels
8. Die Pluralisierung der symbolischen Wirklichkeit und das Problem der modernen Identität
Ulrich Beck schildert in seinem Buch „Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne“ eine Wirklichkeit, die „aus den Fugen zu geraten scheint“ (Beck 1986, S. 12). Aus den Fugen geraten ist sie aus verschiedenen Gründen. Stichworte genügen: Aufklärung geglaubter Gewissheiten und der Verlust von Sicherheiten, Sinnkrise, Rationalisierung der Arbeit und ungleiche Lebenslagen, globale Risiken und Zerstörung der Natur, Widersprüchlichkeit und Beliebigkeit politischer Legitimationen. Die Gesellschaft ist sich selbst zum Risiko geworden.
Heinz Abels
9. Das Wissen über uns und die Anderen
Wir haben oben festgestellt, dass wir über die gesellschaftliche Wirklichkeit nur in Ausschnitten und dort oft auch nur ziemlich vage Bescheid wissen. Nur „die Wirklichkeit der Alltagswelt“, die „um das »Hier« meines Körpers und das »Jetzt« meiner Gegenwart herum angeordnet“ ist (Berger u. Luckmann 1966, S. 25), ist uns vertraut. Hier ist unser Wissen „detailliert, klar, bestimmt und widerspruchsfrei“ (Luckmann u. Luckmann 1983, S. 27). Je weiter weg die Bereiche um diesen Kern herum liegen, umso diffuser und allgemeiner ist es. Und über die entferntesten Bereiche wissen wir so gut wie gar nichts.
Heinz Abels
10. Wir und „die“ Anderen: Über Ethnozentrismus, Insider und Outsider
Es ist ein Grundzug der Kultur, dass ein Mensch dem außerhalb seines eigenen Kreises lebenden Menschen aufs tiefste misstraut, also dass nicht nur ein Germane einen Juden, sondern auch ein Fußballspieler einen Klavierspieler für ein unbegreifliches und minderwertiges Wesen hält. Robert Musil 1
Heinz Abels
11. Störung der kulturellen Ordnung: Die Erfahrung des Fremden im eigenen Land
Soziologen interessieren sich für gesellschaftliche Strukturen und Prozesse. Sie fragen, wie Gesellschaft funktioniert, welche Funktion die einzelnen Teile haben und wie sich die Gesellschaft wandelt. Und natürlich interessieren sie sich für das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Eine besondere Frage ist, wie Individuen miteinander umgehen, und diese Frage behandele ich unter der Perspektive, wie sie dabei Wirklichkeit für sich und für die Anderen konstruieren. Wie an anderer Stelle gezeigt wurde, dienen diese Konstruktionen der Wirklichkeit dazu, gewohnte Erfahrungen zu berechtigten Erwartungen an das Denken und Handeln der anderen zu verallgemeinern. Das erfolgt kontinuierlich, und so entsteht eine „selbstverständliche“, gemeinsame Wirklichkeit. Sozialisationsprozesse stellen sicher, dass „normale" Erwartungen „normales“ Denken und Handeln nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn jemand diese normale Sozialisation nicht durchlaufen hat oder aus irgendeinem Grund die sozialen Spielregeln nicht beherrscht oder gar nicht akzeptieren will?
Heinz Abels
12. Vorurteil
… vielleicht die kürzeste Definition des Vorurteils: von anderen ohne ausreichende Begründung schlecht denken.1
Heinz Abels
13. Triebabfuhr
Logische Argumente sind ohnmächtig gegen affektive Interessen. Selbst die scharfsichtigsten Menschen benehmen sich wie Schwachsinnige, wenn eine verlangte Einsicht einem Gefühlswiderstand begegnet.1
Heinz Abels
14. Vorurteile entstehen in einer Krise der kulturellen Orientierungen
Vorurteile entstehen auch in einer Krise der kulturellen Orientierung, und sie dienen dazu, eine alte Sinnwelt zusammenzuhalten. Zur Untermauerung dieser These muss ich noch einmal auf die oben1 angesprochen Pluralisierung der symbolischen Welt zurückkommen.
Heinz Abels
Backmatter
Metadaten
Titel
Wirklichkeit
verfasst von
Heinz Abels
Copyright-Jahr
2009
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-91985-0
Print ISBN
978-3-531-16773-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-91985-0