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Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 2/2022

Open Access 14.03.2022 | Einwurf

Wirtschaftsinformatik-Forschung für die und mit der Praxis

Bericht vom Panel auf der 17. Internationalen Tagung Wirtschaftsinformatik am 21. Februar 2022

verfasst von: Matthias Knoll, Susanne Robra-Bissantz, Linda Grogorick

Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik | Ausgabe 2/2022

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Seit dem Schwerpunktheft 332 der HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik (April 2020) zum Thema Forschung für die Praxis widmen sich immer wieder einzelne Beiträge unter der neu eingeführten Rubrik diesem aktuellen und wichtigen Themenkomplex. Was lag daher näher, das Thema in Form eines Panels auf der diesjährigen Tagung der Wirtschaftsinformatik WI 2022 aufzugreifen.
Dabei stand die Forderung nach einer Third Mission von Universitäten und Hochschulen aus gesellschaftlicher Sicht im Vordergrund des Panels. Denn neben Forschung und Lehre ist hier zunehmend auch der Wissenstransfer in oder besser der Wissensaustausch oder die Wissenskooperation mit Wirtschaft und Gesellschaft ein wesentlicher Gestaltungsbereich in der strategischen Ausrichtung – mit den entsprechenden organisatorischen Strukturen und dedizierten Angeboten an die externen Partner.
Ziel des Organisationsteams und der Panelisten war es entsprechend, den 34 Besucher:innen Ideen und Anregungen mit auf den Weg zu geben, um Barrieren in Wissenskooperationen zu erkennen und Lösungen zum Abbau dieser Barrieren zu erarbeiten.
Doch ehe diese Ideen und Anregungen durch gemeinsame Diskussion erarbeitet wurden, war zunächst ein spontanes Meinungsbild interessant. Dabei zeigte sich, dass sich in einer Matrix aus Häufigkeit und Intensität der Forschungskooperationen zwischen Praxis und Wissenschaft fast alle im oberen rechten Quadranten verorteten, also intensiv und oft auf unterschiedlichste Weise kooperieren. Ein positives Signal, gleichwohl nannten die Besucher:innen typische Barrieren, wie eine anschließend kooperativ erstellte Word-Cloud (Abb. 1) zeigt.
Diese Word-Cloud bot den Ausgangspunkt für eine erste Einschätzung der sieben Panelisten und die sich daran anschließende lebhafte Diskussion, in die auch das Publikum eingebunden war.
Die Panelisten repräsentierten dabei sowohl die Wissenschaft (Prof. Dr. Alfred Benedikt Brendel, TU Dresden, Dr. Ricarda Schlimbach, Post-Doc TU Braunschweig und Christoph Ziegler, Projektbevollmächtigter beim Projektträger Karlsruhe am KIT), als auch Bindeglieder zwischen Wissenschaft und Praxis (Prof. Dr. Frank Danzinger, HS Augsburg und Fraunhofer IIS sowie Dr. Benedikt Höckmayr, Innovationslabor Josephs Nürnberg) und die Praxis (Dr. Michael Durst, Itonics GmbH und Dr. Stefan Reinheimer, BIK GmbH).
In seiner ersten Einschätzung zum Abbau von Barrieren plädierte Christoph Ziegler für die Entwicklung von „Grenzobjekten“. Grenzobjekte werden in diesem Fall von Wissenschaft und Praxis gleichermaßen entwickelt und im Kooperationskontext veröffentlicht. Sie „regeln“ die Zusammenarbeit, lassen dabei jedoch die Logik der jeweiligen Systeme (Wissenschaft und Praxis) unangetastet und leisten damit gewissermaßen eine erste Übersetzungsleistung zwischen den Partnern.
Michael Durst plädierte für eine pragmatische Herangehensweise in Kooperationen. Statt lange im Voraus geplanter starrer Strukturen sollen agile Konzepte eine dynamische Entwicklung ermöglichen, ohne dabei das klare Ziel zu verlieren.
Stefan Reinheimer schlug für die Suche nach geeigneten Kooperationen die Form einer Börse vor, auf der sich Interessierte nach dem Vorbild bekannter Partnerbörsen austauschen und ihre „Passgenauigkeit“ ausloten können.
Ricarda Schlimbach betonte die hohe Bedeutung von Konferenzen und Panels wie diesem, schlug jedoch vor, eine kostenfreie oder deutlich kostenreduzierte Teilnahme einzuführen, da Praxispartner die mitunter hohen Gebühren nicht bezahlen können oder wollen. Zudem würden sich interaktive Workshop-Formate unter Nutzung von Design-Thinking-Ansätzen eignen, um Kooperationsformen, Problemstellungen und Ziele gemeinsam kreativ zu finden und zu präzisieren.
Alfred Benedikt Brendel hob auf die naturgemäß konträren Interessen von Wissenschaft und Praxis ab. Es muss ein wechselseitiges Geben und Nehmen entstehen, ohne dass dabei die berechtigten Interessen beider Seiten leiden. So könnten etwa wissenschaftliche Erkenntnisse empirisch anhand von Daten validiert werden, die im Austausch über Interviews und Umfragen entstehen.
Frank Danzinger betonte die hohe Bedeutung von Vorphasen, in denen wichtige Eckpunkte der späteren Kooperation angesprochen werden müssen. Gleichzeitig schlug er – ähnlich den Überlegungen von Ricarda Schlimbach und Stefan Reinheimer – Communities vor, die durch intrinsisch motivierte Teilnehmende leben.
In eine sehr ähnliche Richtung argumentierte Benedikt Höckmayr. So könnten die zuvor angesprochenen Grenzobjekte in Form offener Orte ausgestaltet werden, an denen Wissenschaft erfahrbar wird. Gleichzeitig muss allen Beteiligten bewusst sein, dass all diese Strukturen und Aktivitäten mit einem angemessenen Budget unterlegt sein müssen.
In der sich anschließenden Diskussion ergänzten sich die unterschiedlichen Argumente, auch aus dem Publikum, zu einem informativen und umfassenden Gesamtbild.
Für die Suche und Wahl von Partnern sind dabei Netzwerke, die über den Visitenkartentausch hinausgehen, ein zentrales Instrument. Gleichwohl wird deutlich, dass das Thema gerade für KMU schwierig abzubilden ist, beispielsweise weil finanzielle und personelle Ressourcen zu knapp sind. Auch mag es Berührungsängste geben, die es gezielt abzubauen gilt. Dies könnten informelle Austauschmöglichkeiten im Rahmen offizieller Anlässe übernehmen, wie etwa Konferenzen oder Messen. Denn man kann (und darf) eine solche Kooperation mit der Wissenschaft auch als Marketing begreifen. Die Wissenschaft könnte in diesem Kontext in Publikationen vielleicht noch stärker auf das Engagement und die durch die Mitwirkung der Praxis gewonnenen Erkenntnisse hinweisen, ohne dass dabei die Wissenschaftlichkeit der Veröffentlichung gefährdet wäre. Wichtig ist: Die Interessenlage aller Beteiligten muss allen bewusst sein. Primäres Ziel der Wissenschaft ist der Erkenntnisgewinn, während die Praxis monetären Gewinn erzielen muss. Zudem herrsche in der Wissenschaft naturgemäß eine andere „Geschwindigkeit“ als in der Praxis. Häufig sei die Wissenschaft an neuesten Forschungsergebnissen interessiert, weniger an einer langfristigen Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse. Vielleicht, so eine Idee, könnte ein „Key Account Manager“ auch in der Wissenschaft die Situation unterstützen. Gleichzeitig bestand Einigkeit, dass die Freiheit der Forschung und das Ziel der Abstraktion in der Forschung gewährleistet sein muss, es könne nicht schwerpunktmäßig oder sogar ausschließlich Auftragsforschung geben.
Gerade in größeren Unternehmen sei es zudem für das Personal auch auf der Arbeitsebene motivierend, wenn es die Möglichkeit hat, eigene Ideen einzubringen und kooperativ forschend aktiv zu werden. Grundsatzfragen gibt es in jedem Unternehmen, hier könnte die Wissenschaft als „Enabling Factor“ beitragen, denn solche Grundsatzfragen können durchaus auch dort betrachtet werden.
Auf dieser Basis gab es konkrete Vorschläge, wie etwa die Möglichkeit für gemeinsame Promotionen (Kooperationspromotionen), die vielleicht sogar nach dem Vorbild dualer Studiengänge ausgestaltet sein könnten oder bei denen Personal der Unternehmen gleichzeitig fest in die Wissenschaftsstrukturen eingebunden ist. Aber auch die an Hochschulen für angewandte Wissenschaften sehr zahlreich unterstützten Praxisprojekte, Studien- und Abschlussarbeiten sind attraktive Verbindungspunkte von Wissenschaft und Praxis. Gerade in Master-Studiengängen könnten Abschlussarbeiten in Verbindung mit Unternehmen und der Wissenschaft die angesprochene Übersetzungsarbeit leisten. In einer solchen Konstellation können theoretische Ansätze aus laufenden Dissertationen unter Betreuung auf konkrete Fragen des Unternehmens angewandt werden, was wiederum als „Proof of Concept“ in die Promotion einfließen kann. Das erleichtert das Verständnis der Praxis für wissenschaftliche Überlegungen, denn häufig fehlen Beteiligten aus der Praxis vertiefte Kenntnisse über aktuelle Strukturen in der und neueste Inhalte aus der Wissenschaft. Nicht zuletzt auch, weil Forschungsergebnisse nicht immer unmittelbar im Unternehmensalltag umgesetzt beziehungsweise angewandt werden können und daher irrtümlich vielfach praxisfern wirken.
Eine weitere Option besteht darin, einfach aktiv zu werden, Partner zu suchen und ein interessantes Thema gemeinsam zu beleuchten, ohne dass dabei sofort ein definierter monetärer oder wissenschaftlicher Nutzen erkennbar ist. Hierfür könnte man beispielsweise einen Tag in der Woche reservieren, etwa einen „Forschungsfreitag“ oder ganz gezielt Gespräche mit Unternehmen, aber auch Kammern und Verbänden vereinbaren („Eine Stunde mit ….“). Häufig führen solche Aktivitäten zu „großen Themen“, die dann entsprechend über Drittmittel finanziell ausgestattet gemeinsam beforscht werden.
Am Schluss der lebhaften Diskussion standen als erste Ansätze die folgenden Gestaltungsempfehlungen:
  • Nutzung unterschiedlichster Verfahren zur Findung und Bearbeitung der „richtigen“ Fragestellung, aber auch zum Abbau typischer Kommunikationsprobleme zwischen Wissenschaft und Praxis – Sichtweisen der Beteiligten harmonisieren, Grenzobjekte definieren
  • Investition in Vorphasen – wechselseitiges Kennenlernen und Verstehen der lang- und kurzfristigen Sichten der Beteiligten
  • Etablierung pragmatischer, lösungsorientierter Prozesse auf beiden Seiten
  • Schaffung von Räumen und Netzwerken, in denen man sich (regelmäßig oder spontan) trifft und wechselseitig Einladungen ausspricht – ins Gespräch kommen und im Gespräch bleiben
  • Intensivierung praxisorientierter Veröffentlichungen
  • Verstärkte Kooperationen von Unternehmen mit Universitäten und Hochschulen im unmittelbaren Umland
Mit diesen Impulsen schloss die etwas mehr als einstündige Veranstaltung. Vielleicht ist ein Follow-up auf einer der folgenden Tagungen sinnvoll, um an diese Ergebnisse anzuknüpfen? Vielleicht entstehen daraus aber auch Beiträge für die HMD und ihre Rubrik „Forschung für die Praxis“?
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Metadaten
Titel
Wirtschaftsinformatik-Forschung für die und mit der Praxis
Bericht vom Panel auf der 17. Internationalen Tagung Wirtschaftsinformatik am 21. Februar 2022
verfasst von
Matthias Knoll
Susanne Robra-Bissantz
Linda Grogorick
Publikationsdatum
14.03.2022
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik / Ausgabe 2/2022
Print ISSN: 1436-3011
Elektronische ISSN: 2198-2775
DOI
https://doi.org/10.1365/s40702-022-00858-9

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