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10.04.2025 | Wirtschaftspolitik | Nachricht | Nachrichten

Wirtschaft sieht Licht und Schatten im Koalitionsvertrag

verfasst von: dpa, Andrea Amerland

6 Min. Lesedauer

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CDU, CSU und SPD haben sich in Zeiten der Wirtschaftsflaute auf gemeinsame Vorhaben verständigt. Kann der Umschwung gelingen? Die Reaktionen fallen durchwachsen aus.

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ruft gemischte Reaktionen aus der Wirtschaft hervor. Mehrere Verbände äußern sich erleichtert über den raschen Abschluss der Verhandlungen.

Der Industrieverband BDI spricht von Ansätzen für dringend notwendige, entschlossene Strukturreformen. Entscheidend sei nun eine rasche Umsetzung. "Mit dem zügigen Abschluss der Verhandlungen sind Union und SPD dem Ernst der Lage und den Erwartungen der Wirtschaft gerecht geworden", sagt Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Der Koalitionsvertrag setze wichtige Signale für Investitionen und Wachstum. Die steuerliche Entlastung der Unternehmen komme allerdings deutlich später als es notwendig wäre. 

"Der Anfang ist gemacht"

Ähnlich äußert sich DIHK-Präsident Peter Adrian: "Der Anfang ist gemacht, mehr Mut muss folgen." Die Parteien haben nach seinen Worten viele richtige Maßnahmen vereinbart, aber nicht konsequent die Stärkung der Wirtschaft zum Maßstab gemacht. Der Einstieg in die Unternehmenssteuerreform erst ab 2028 komme zu spät: "Insgesamt reicht das vorliegende Paket allein nicht, um eine echte Trendwende zu schaffen."

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger betont mit Blick auf die schnelle Einigung, "Deutschland ist wieder auf dem Platz". Diese Geschwindigkeit sei auch im Regierungshandeln nötig. "Deutschland muss schneller, besser und wettbewerbsfähiger werden." Die Arbeit an der Wirtschaftswende dulde keinen Aufschub. "Wir brauchen eine Standortrenovierung mit Tempo", fordert Dulger.

Für die Bauindustrie ist ein Verhandlungsergebnis in so kurzer Zeit zunächst ein gutes Signal, auf das die deutsche Wirtschaft und Industrie gewartet habe. "Ob mit dem Verhandlungsergebnis auch inhaltlich der Weg für Wachstum, Entbürokratisierung und Vereinfachung eingeschlagen wird, muss sich zeigen", sagt der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller.  

Dirk Wohltorf, Präsident des Immobilienverband Deutschland (IVD) sieht keinen Grund zum Jubeln: "Die von der Immobilienwirtschaft erhoffte Wohnwende bleibt aus. Der große Befreiungsschlag für den Wohnungsneubau und die politische Fokussierung auf mehr Wohneigentum hätte anders verhandelt und vereinbart werden müssen."

"Wirksame Medizin, aber auch einige bittere Pillen"

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks sieht in dem Koalitionsvertrag "wirksame Medizin, aber auch einige bittere Pillen". Vieles könne sich in die richtige Richtung drehen, sagt Präsident Jörg Dittrich. "Ob dies zu einer echten Wirtschaftswende führt, muss sich erst noch zeigen." 

Nach Ansicht der Stiftung Familienunternehmen und Politik weist der Koalitionsvertrag in die richtige Richtung. "Es ist zu begrüßen, dass die Koalition von Steuererhöhungen absieht", sagt Vorstand Rainer Kirchdörfer. "Enttäuschend bleibt, dass der Einstieg in niedrigere Unternehmenssteuern erst 2028 erfolgen soll."

Wirtschaftsweise: Leider kein Wachstumsprogramm

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, beklagt, dass es dem Papier der drei Parteien an Ambitionen mangele. "Der Koalitionsvertrag von Union und SPD ist ein Kompromiss, der den Status quo weitgehend beibehält und zentrale Zukunftsfragen unzureichend adressiert."

Auch nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer fällt die angekündigte Wirtschaftswende deutlich bescheidener aus als ursprünglich in den Wahlprogrammen dargestellt. "Das ist leider kein Wachstumsprogramm", sagt Schnitzer der Funke Mediengruppe. Dies überrasche allerdings kaum, da die Koalitionsparteien einerseits Steuererhöhungen und andererseits Steuersenkungen forderten.

"Koalitionsvertrag gleicht eher einer trüben Lampe"

Florian Swyter vom Gesamtverband der Personaldienstleister bewertet den Koalitionsvertrag zwiegespalten. Deutschland brauche eine handlungsfähige Regierung. "Doch statt eines leuchtenden Signals für einen wirtschaftlichen Aufbruch gleicht der Koalitionsvertrag eher einer trüben Lampe: Ein bisschen Licht, aber leider auch reichlich Schatten."

Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst begrüßt vor allem ein Vorhaben der schwarz-roten Koalition: "Die Einrichtung eines Ministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung ist ein Meilenstein für Deutschland und das lange erwartete Aufbruchssignal der neuen Bundesregierung."

"Fortschritte - und Baustellen"

Auch Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist zwiegespalten. "Ein Koalitionsvertrag mit echten Fortschritten - und Baustellen", lautet sein Fazit. Während bei der Steuerlast für die deutsche Wirtschaft Hoffnung bestehe, bleiben Friedrich Merz und seine Koalitionäre aber Antworten schuldig, etwa bei der Rente. Vieles klinge hier nach einem "Weiter so". Ein fatales Signal an die junge Generation, als gäbe es die demografische Krise nicht, so Hüther weiter.

Wie die meisten Wirtschaftsverbände zieht der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB) nach der Präsentation des Koalitionsvertrags ein gemischtes Fazit. "Unsere Erwartungen wurden nur teilweise erfüllt", erklärt Marc S. Tenbieg, geschäftsführender Vorstand des DMB. "Die vorgesehene Möglichkeit, Ausrüstungsinvestitionen künftig mit bis zu 30 Prozent abzuschreiben, ist ein wirkungsvolles Signal. Diese Maßnahme stärkt die Innovationskraft der KMU, fördert wirtschaftliche Dynamik und kann zum dringend benötigten Wachstumsschub beitragen." Tenbieg begrüßt zudem die geplanten Infrastrukturinvestitionen im Rahmen des Finanzpakets: "Sie können wichtige Impulse setzen - vorausgesetzt, sie werden schnell und unbürokratisch umgesetzt."

Wirtschaftsexperten blicken skeptisch auf Koalitionsvertrag

Große Wirtschaftsforschungsinstitute blicken skeptisch auf die Regierungspläne von Union und SPD. Damit allein werde man die Probleme der deutschen Wirtschaft kaum lösen können, sagte Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft bei Vorstellung einer Konjunkturprognose in Berlin. "Das bloße Abarbeiten des Koalitionsvertrags allein wird kaum ausreichen." 

Es gebe zwar Lichtblicke, die zeigten, dass die Parteien die Kernprobleme erkannt hätten. "Aber es gibt leider auch entscheidende Leerstellen", sagte Kooths. Unter anderem nannte er fehlende Lösungsansätze bei den sozialen Sicherheitssystemen und für Arbeitsanreize. Insgesamt hätten sich Union und SPD eher Maßnahmen zur Bekämpfung von Symptomen vorgenommen als ein wirkliches Umsteuern. Nun komme es darauf an, ob zum Beispiel konsequent Subventionen abgebaut würden.

Wissenschaftler Torsten Schmidt vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung sieht in den schwarz-roten Plänen zwar das Potenzial für Wirtschaftswachstum. Die geplante Senkung des Strompreises dürfte energieintensive Branchen stützen, die Förderung von Start-ups Wachstum stärken. Auch beim Bürokratieabbau gebe es gute Ideen. Der Koalitionsvertrag enthalte insgesamt eine Reihe guter Ansätze, diese seien oft aber sehr vage formuliert."Von daher muss man abwarten, was in den nächsten Jahren davon tatsächlich umgesetzt wird und wie dann die Effekte auf das Wirtschaftswachstum sein werden", erklärte Schmidt.

Arbeitsrechtliche Fragen unbefriedigend

"Wir freuen uns, dass nun neben den Online-Betriebsratssitzungen und Betriebsratsversammlungen auch die Option, online zu wählen, fest im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden soll", meint Nils Schmidt, Vorstand des DFK- Verband für Fach – und Führungskräfte. "Allerdings ist uns als Interessensvertretung von über 150 Sprecherausschüssen in Deutschland sehr wichtig, dass nicht nur das Betriebsverfassungsgesetz entsprechend angepasst wird, sondern auch das Sprecherausschussgesetz für die betriebliche Interessensvertretung der Leitenden Angestellten", so Schmidt weiter.

"Die vorgesehene Beibehaltung der Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung befürworten wir ausdrücklich", sagt Diana Nier, Ressortleiterin Nationale Politik & Public Affairs beim DFK ein. "Inwieweit jedoch die Berücksichtigung einer wöchentlichen statt täglichen Höchstarbeitszeit zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen soll, bleibt jedoch konkret abzuwarten", bemerkt Nier. Insbesondere sehen viele Teilzeitvereinbarungen eine Verkürzung der Anzahl der Arbeitstage vor. Kritisch wird auch die Beibehaltung der Ruhezeiten vom DFK bewertet, die gerade in der globalen und digitalen Arbeitswelt für viele Probleme sorgen.

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