Aus rund 30 Komponenten besteht ein einzelnes Autoteil, wollten sie sich unterhalten, es entstünde ein babylonisches Sprach-Wirrwarr. Denn mehr als 15 Ländergrenzen und 100 Verarbeitungsschritte müssen bis zur Fertigstellung eines einzigen Autoteils wie etwa dem Motor passiert werden. Die Lieferketten der Automobilindustrie sind weit verzweigt. Aus England bezieht BMW die Motoren für seine Hauptmarke. Aber auch Ikonen des God-old-England wie der Mini und jeder Rolls Royce, der durch das Königreich rollt, sind Produkte des deutschen Konzerns. Kein deutscher Autobauer sei britischer als die Bayern, schreibt die "Welt" und stellt den Fortbestand der alten Lieferketten quer über den Ärmelkanal in Frage.
Am Ende steht der Verbraucher
Der Brexit gefährdet die Zusammenarbeit der Industrien, den zollrechtlichen Status der Fahrzeuge und wird die schon bei geringsten Zöllen die Kosten in die Höhe treiben, falls die Partner sich nicht auf ein Freihandelsabkommen einigen können, befürchtet der Wissenschaftler Berthold Busch in einem Gutachten für das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Am Ende zahle der Verbraucher. Die jährlichen Vorleistungen aus Großbritannien für deutsche Industrien summierten sich allein im Jahr 2014 auf einen Wert von 36 Milliarden Dollar. Neben den Autobauern müssen auch die Chemieunternehmen um den Ausgang der Brexit-Verhandlungen bangen. In die Gegenrichtung fließen ebenfalls Waren und Dienstleistungen in Milliardenhöhe.
In seiner Studie vergleicht Berthold Busch die Vorleistungslieferungen von 56 relevanten Branchen aus dem Vereinigten Königreiches in die EU und zurück. Die meisten Vorleistungsexporte der Briten stammen von Dienstleistern, die Geschäfte mit der EU und Deutschland machen, dem Großhandel und dem Finanzsektor. Aus Deutschland lieferten 15 Branchen im Jahr 2014 Vorleistungen im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar in das Königreich. Allen voran die Automobilindustrie, die Chemie und Pharmakonzerne.
Handelshemmnisse treiben Kosten in die Höhe
Diese hochregulierten Branchen müssen, wenn sie ihre Waren weiterhin in den britischen Verkehr bringen wollen, bei regulatorischen Differenzen zusätzlich zu den Zöllen noch mit Handelshemmnissen und Anpassungskosten rechnen. Die Automobilindustrie liefert fast sieben Prozent ihrer Vorleistungen in das Vereinigte Königreich und hat einen Anteil an der Wertschöpfung in Deutschland von vier Prozent. Einigen sich die Partner nicht auf zollfreien Handel und möglichst geringe nichttarifäre Handelshemmnisse, könnten die Kosten für die Industrie nachhaltig steigen.
Der europäische Binnenmarkt fußt auf den vier Grundfreiheiten freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr, freier Personenverkehr und freier Kapitalverkehr. Binnenmarkt und Zollunion gewährleisten den freien Verkehr von Waren. Indem technische Normen oder Typisierungen angeglichen oder als gleichwertig anerkannt werden, minimieren sich außerdem die nichttarifären Hemmnisse. Beim freien Dienstleistungsverkehr gilt das Prinzip der "Nichtdiskriminierung", wodurch Anbieter aus einem EU-Mitgiedsstaat mit nationalen Anbietern gleichstellt sind.
Wie lauten die Alternativen?
Auch wenn sich die Briten von der EU losgesagt haben, sollte es im Interesse der Inselregierung liegen, nun Lösungen zu erarbeiten, mit denen wirtschaftliche Schäden beiderseits des Kanals eingedämmt und Lieferketten geschützt werden. Welche handelspolitischen Modelle denkbar sind, erklären die Springer-Autoren Philip B. Whyman und Alina I. Petrescu in "Alternative Trading Models After Brexit" (Seite 303):
- Membership of the European Economic Area (the Norway model) or, alternatively, a variant of the EEA designated by advocates as ‘SIM-lite’
- Negotiating a customs union with the EU (the Turkey model)
- Bilateral agreements with the EU (the Swiss model)
- Concluding a FTA with the EU (the South Korean or South African model)
- Reliance upon WTO rules for trade with the EU (the WTO or Greenland model)
- Unilateral free trade (the Hong Kong model)
- European Free Trade Association (EFTA)
- The Commonwealth
- The Anglosphere or, as a variant, joining NAFTA
Die Bedrohung der Wertschöpfungsketten wird den Technologietransfer ausbremsen und sich indirekt auf Innovation und Produktivität auswirken warnt der Wissenschaftler Berthold Busch. "Diese Dynamischen Effekte, die weit über die gezeigten Multiplikatorwirkungen hinausgehen, gilt es, bei den Auswirkungen eines harten Brexits zu beachten."