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04.07.2018 | Wirtschaftsrecht | Schwerpunkt | Online-Artikel

Reformiertes Insolvenzrecht macht nicht alles besser

verfasst von: Anne Steinbach

5:30 Min. Lesedauer

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​​​​​​​​​​​​​​Bisher hat die Modernisierung des deutschen Insolvenzrechts zwar Hürden genommen, aber auch etliche Probleme gebracht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage unter Sanierungs- und Insolvenzexperten.

Sechs Jahre ist es jetzt her, dass das "Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen", kurz ESUG, das deutsche Insolvenzrecht modernisierte. Ziel sollte es sein, den Unternehmen verbesserte Restrukturierungschancen zu ermöglichen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Doch was sagen die Betroffenen dazu? Um dieser Fragen nachzugehen, haben das Beratungsunternehmen McKinsey und die Wirtschaftskanzlei Noerr rund 350 Sanierungs- und Insolvenzexperten befragt, darunter Anwälte, Richter, Rechtspfleger, Insolvenzverwalter, Gläubiger und Mitarbeiter von Banken, die alle der gleichen Meinung sind: In Sachen Insolvenzmaßnahmen und Restrukturierung in Deutschland ist noch Luft nach oben.

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Restrukturierung der betrieblichen Unternehmenskrise

Rund 26.000 Unternehmen haben 2013 in Deutschland Insolvenz angemeldet. Jedoch spielen sich die meisten Unternehmenskrisen außerhalb der amtlichen Statistik ab, die lediglich die gerichtlichen Insolvenzverfahren erfasst. 


Vorteile und Schwächen des deutschen Insolvenzrechts

Ein Großteil der Befragten bestätigt, dass die Änderungen des ESUG das deutsche Insolvenzrecht verbessert haben. Immerhin 47 Prozent geben an, dass dies "voll und ganz" beziehungsweise "größtenteils" zutrifft. Weitere 46 Prozent stimmen dieser Aussage "eher zu". Nach überwiegender Meinung der Befragten (70 Prozent) haben die Neuerungen der Insolvenzordnung einen Mentalitätswechsel herbeigeführt: Eine Insolvenz wird jetzt auch als Chance verstanden.

Gleichzeitig deckt die Befragung Schwächen auf, die sowohl das deutsche Insolvenzrecht selbst betreffen, als auch strukturelle Rahmenbedingungen. "Die Studie bestätigt den Eindruck der Überforderung mancher Amtsgerichte bei Unternehmensinsolvenzen", sagt der für die Studie bei Noerr federführende Partner Thomas Hoffmann. 89 Prozent der Befragten stimmen der These zu, dass die Insolvenzgerichte in Deutschland professionalisiert werden müssen. 38 Prozent halten dies für "sinnvoll", 50 Prozent sogar für "erforderlich".

Mehr Richter für Insolvenzgerichte


"Weniger Gerichte, aber mehr Richter für die Betreuung von komplexen Verfahren wünschen sich die befragten Experten", fasst Klaus Kremers, für die Studie bei McKinsey zuständiger Partner, das Ergebnis der Befragung zusammen. 60 Prozent halten mindestens eine Halbierung der Anzahl der Insolvenzgerichte für erforderlich. Komplexe Verfahren sollten nach Meinung von 53 Prozent aller Befragten von mehr als einem Richter betreut werden – dieser Aussage stimmen sogar 61 Prozent der Richter zu.

Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren im Gespräch


Kritisch fällt auch der Blick auf das Instrumentarium des deutschen Insolvenzrechts aus. Ein Großteil der Befragten – 70 Prozent – plädiert dafür, ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Deutschland einzuführen, "in dem ein angenommener Restrukturierungsplan auf eine Gläubigergruppe begrenzt werden kann".

"Deutschland verfügt – anders als die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft – noch nicht über ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren. Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit dem am 01.03.2012 in Kraft getretenen ESUG dafür entschieden, auf die Schaffung solcher Verfahren zu verzichten und stattdessen die Sanierungsoptionen im Insolvenzverfahren zu erweitern und verbessern", fasst Springer-Autor Heinz Vallender im Buchkapitel "Maßgeblichkeit der Insolvenzreife von Unternehmen" (Seite 1792).

Problematisch sei dies insbesondere in Bezug auf die Restrukturierung von präventativen Finanzverbindlichkeiten, die vor der Krise schützen könnten, so Klaus Kremers, verantwortlicher Partner von McKinsey.

"Deutschland ist eines der ganz wenigen europäischen Länder, das in diesem Bereich nichts vorzuweisen hat, und deshalb werden nach wie vor wirtschaftlich bedeutsame und vor allem finanzielle Restrukturierungen deutscher Unternehmen über das vielfach erprobte englische Scheme of Arrangement implementiert", erklärt Lars Westpfahl von der Beratungsfirma Freshfields Bruckhaus Deringer im Interview mit dem Magazin return. Dabei wurde bereits vor einem Jahr ein Richtlinien-Entwurf für ein präventives Sanierungsverfahren in Brüssel der EU-Kommission vorgelegt. "Mit dem Erlass ist aber nicht vor Ende dieses Jahres zu rechnen", meint Noerr-Partner Thomas Hoffmann. 

Eigenverwaltung bisher eher kritisch


Mit dem Inkrafttreten des durch die ESUG reformierten Insolvenzrechts wurden dem Schuldner Möglichkeiten eröffnet, die Vorbereitung und Durchführung des Insolvenzverfahrens eigenverantwortlich zu gestalten. 

"ESUG-Verfahren beinhalten die Einleitung eines Insolvenzverfahren mit dem Ziel, das Unternehmen unter einem Schutzschirm nach § 270b InsO [Insolvenzordnung; Anmerkung der Redaktion] oder im Rahmen einer vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO über einen Insolvenzplan zu sanieren und das Verfahren von Anfang an gemeinsam mit den wichtigsten Gläubigern im Rahmen eines sogenannte vorläufigen Gläubigerausschusses zu gestalten und mitzubestimmen", so der allgemein gültige Rechtstext der ESUG.

Was jedoch anfangs hochgelobt wurde, stellt sich heute als mangelhaft heraus. Mit gesenkten Hürden ist es für insolvente Firmen mittlerweile einfacher in den Sanierungsprozess zu treten. Dabei behält der Schuldner die Verfügungsgewalt über die Insolvenzmasse, er unterliegt lediglich der Aufsicht durch einen Sachwalter, der die "wirtschaftliche Lage des Schuldners" prüft und "die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung" überwacht, stellt Springer-Autor Detlef Specovius im Buchkapitel "Insolvenzverwalter 2.0: Die Rolle des Sachwalters" heraus (Seite 1710). 

Laut der Studie jedoch, unterstützen 87 Prozent der Befragten die These, dass eigenverwaltende Organe wie Insolvenzverwalter haften sollten, und 88 Prozent befürworten eine Beschränkung der Eigenverwaltung.

Die Springer-Autoren Bernd Heesen und Vinzenth Wieser-Linhart stellen im Buchkapitel "Insolvenzrecht kompakt" die Vor- und Nachteile der Eigenverwaltung heraus (Seite 34-35):

Vorteile der Eigenverwaltung
Nachteile der Eigenverwaltung
Keine Einarbeitungszeit
Hoher Beratungsaufwand für ein insolvenzunerfahrenes Management
Kontinuität der Unternehmensführung
Misstrauen gegenüber dem Management
Sanierung unter Vollstreckungsschutz
Finanzierung der Lohnkosten durch Insolvenzgeld

Was sich die Befragten der Studie jedoch in Bezug auf die Eigenverwaltung wünschen, sind klare Gesetze, die wirklich sinnvolle Sanierungsinstrumente stärken, erklärt Klaus Kremers. 

To Do: Deutschland zum Restrukturierungsstandorts machen


Bisher waren es vor allem die USA und England, die im Bereich der Sanierungsgestaltung klassische Vorreiter waren. 

"Es entwickelte sich zunehmend ein Wettbewerb der Sanierungsrechtsordnungen, der auch Deutschland zu einer Modernisierung zwang. Resultat ist ein wettbewerbsfähiges Sanierungsrecht, das verschiedene Instrumente auch zu einer eigenverantwortlichen Sanierung bereithält und weltweit konkurrenzfähig ist, aber bislang kein außer- oder vorinsolvenzrechtliches Sanierungsinstrument bereithält. Aus diesem Grund und weil in Deutschland die sogenannte Sanierungskultur noch nicht endgültig Einzug in das Wirtschaftsverständnis gefunden hat, steht der Sanierungsstandort Deutschland in einem regen internationalen Wettbewerb", so Wolf R. von der Fecht im Buchkapitel "Internationalisierung des Sanierungsrechts" (Seite 2128).

Laut Noerr-Partner Thomas Hoffmann können "die in der Studie aufgedeckten Verbesserungspotentiale in der vom Gesetzgeber angekündigten Evaluierung des ESUG Ansatzpunkte sein, um die Restrukturierung von Unternehmen attraktiver zu machen". Das sind zusammengefasst die folgenden Punkte:

  • Professionalisierung der Insolvenzgerichte: 89 Prozent der Befragten sprechen sich für mindestens eine Halbierung der Anzahl an Insolvenzgerichten aus.
  • Vorinsolvenzliches Verfahren: Eine deutliche Mehrheit von 70 Prozent hält die Einführung eines solchen Verfahrens in Deutschland für "sinnvoll" oder sogar "erforderlich".
  • Höhere Haftung in der Eigenverwaltung: Nach Mehrheit der Befragten sollten eigenverwaltende Organe wie ein Insolvenzverwalter haften. Zudem sollten Eigenverwaltungsverfahren nur für zuverlässige Schuldner möglich sein.

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