Das OLG Köln hat im Oktober 2024 nach jahrelangem Rechtsstreit zugunsten ehemaliger Postbank-Aktionäre gegen die Deutsche Bank entschieden. Der Fall beleuchtet Lücken im Übernahmerecht und zieht weite Kreise. Eine juristische Einordnung.
Die Deutsche Bank hat am 7. Oktober 2010 den Aktionären der Deutschen Postbank ein - am Ende erfolgreiches - freiwilliges Übernahmeangebot zu 25 Euro pro Anteilsschein unterbreitet. Jedoch wurde bereits am 12. September 2008 eine Vereinbarung zwischen dem Frankfurter Geldhaus und der Deutschen Post als Hauptaktionärin der Postbank geschlossen. Diese sogenannte Ursprungsvereinbarung beinhaltete den Erwerb von 29,75 Prozent des Grundkapitals zu einem Preis von 57,25 Euro pro Aktie. Nur wenige Tage später erreichte die Finanzkrise mit dem Insolvenzantrag der Lehman Brothers Holdings im Wege des sogenannten "Chapter 11"-Verfahrens seinen Höhepunkt. In den Folgejahren hat die Postbank-Übernahme die Justiz umfangreich beschäftigt.
Zahlreiche Aktionäre, die das Übernahmeangebot 2010 angenommen hatten, machen geltend, die Deutsche Bank wäre bereits im September 2008 nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet gewesen, ein Übernahmeangebot zu dem deutlichen höheren Preis zu unterbreiten und verlangen Zahlung der Differenz. Konkret geht es um die Frage, ob die Deutsche Bank durch ihre Vereinbarungen mit der Deutschen Post faktisch schon auf mehr als 30 Prozent der Anteile Zugriff hatte.
Wertpapierübernahmegesetz sieht 30-Prozent-Schwelle vor
Um Aktionäre von Gesellschaften, deren Papiere an regulierten Märkten gelistet sind, davor zu schützen, dass ihnen plötzlich ein dominierender Mehrheitsgesellschafter gegenüber steht, sieht das Wertpapierübernahmegesetz (WpÜG) Schutzmechanismen vor. Wer die Kontrolle über solche Unternehmen erlangt, hat dies zu veröffentlichen und allen anderen Aktionären ein Erwerbsangebot zu unterbreiten. Kontrolle liegt dabei bereits vor, wenn der Bieter mindestens 30 Prozent der Stimmrechte selbst hält oder sie ihm aufgrund bestimmter Voraussetzungen zugerechnet werden. Die Wahl der 30-Prozent-Schwelle wurde gewählt, da hier bereits die Mehrheit der vertretenen Stimmrechte in einer (typischen) Hauptversammlung erreicht werden kann.
Da die Deutsche Bank im September 2008 bereits einen Eigen- beziehungsweise Handelsbestand an Postbank-Aktien von rund drei Prozent hielt, beschäftigten sich sämtliche Gerichtsverfahren im Anschluss mit der Frage um die Zurechnung von 29,75 Prozent der Aktien aus der Ursprungsvereinbarung, die ein Überschreiten der Schwelle und damit (Nach-)Zahlungsansprüche begründen.
OLG Köln entschied im Oktober erneut
In seinem Urteil vom 13. Dezember 2022 (Aktenzeichen: II ZR 14/21) hat der Bundesgerichtshof (BGH) zu den rechtlichen Vorgaben im Bezug auf Inhalt und Reichweite des vor allem in Reden stehenden § 30 I 1 Nr. 2 WpÜG Stellung genommen, der eine Zurechnung von Aktien begründet, "die einem Dritten gehören und von ihm für Rechnung des Bieters gehalten werden". Er verwies die Sache an das Oberlandesgericht (OLG) Köln zur neuen Verhandlung zurück und gab Hinweise zu einer Gesamtbetrachtung der dem Bieter zuzuordnenden wirtschaftlichen Chancen und Risiken, die eine Zurechnung begründen kann. Nun hat mit Urteil vom 23. Oktober 2024 (Aktenzeichen: 13 U 231/17) das OLG Köln eine Zurechnung der Stimmrechte aus den Aktien der Ursprungsvereinbarung an die Deutsche Bank bejaht und zugunsten der ehemaligen Aktionäre entschieden.
Aus dem Merkmal "für Rechnung" ergibt sich, dass der Bieter die wesentlichen Chancen und Risiken aus den betreffenden Aktien tragen muss. Dazu gehören die Chancen und Risiken bzgl. einer Veränderung des Börsenkurses, die Chancen einer Dividendenzahlung oder auch die Frage, wer das Insolvenzrisiko der Zielgesellschaft und damit der erworbenen Aktien trägt, wobei die Zuordnung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten maßgebend ist. Hinzukommen muss die Möglichkeit, auf die Stimmrechtsausübung des Eigentümers der Aktien Einfluss zu nehmen.
Erwerber trägt Risiko der Veränderung des Börsenkurses
Hierzu hat das OLG wichtige Feststellungen getroffen: Aufgrund der Vereinbarung eines Festpreises für die Aktien lag es nahe, das Risiko der Veränderung des Börsenkurses dem Erwerber zuzuordnen. In der Ursprungsvereinbarung wurde zudem die Chancen auf Dividenden auch wirtschaftlich beim Erwerber gesehen, da zum einen für die Dividendenberechtigung im Geschäftsjahr 2008 eine feste Ausgleichszahlung vereinbart wurde und die Parteien damals von einem Vollzug im ersten Quartal 2009, mithin vor der erwarteten Hauptversammlung der Postbank für 2009 ausgingen.
Beachtenswert ist die Zuordnung des Insolvenzrisikos. Zwar trägt dies grundsätzlich der Erwerber. Die Frage, ob das Insolvenzrisiko zurückverlagert wurde aufgrund, von Verkäufergarantien zum Nichtvorliegen von Insolvenzgründen, kann zwar gestellt werden. Hier war dieses Risiko aus der Garantieverletzung aber nur mit einer Haftungssumme von 25 Prozent des Kaufpreises abgesichert, was einer gleichwertigen Rückverlagerung im Weg stand. Spannend wäre gewesen, ob bei Vereinbarung einer MAC-Klausel (Material Adverse Change), das heißt einer Rückabwicklungsoption bei Eintritt wesentlicher, negativer gesamtwirtschaftlicher oder geschäftsbezogener Umstände, die Analyse anders ausgefallen wäre.
Deutsche Bank hatte Einfluss auf Stimmrechtsausübung
Die Deutsche Bank hatte zudem aufgrund eines vereinbarten Zustimmungsvorbehalts in Bezug auf Dividendenausschüttungen der Postbank die Möglichkeit gehabt, Einfluss auf die Stimmrechtsausübung diesbezüglich zu nehmen. Hier lässt sich natürlich hinterfragen, ob der tatsächlichen Ausübung dieser Rechte zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ursprungsvereinbarung nicht kartellrechtliche oder bankenaufsichtsrechtliche Vollzugsvorbehalte entgegenstanden. Bemerkenswert ist hier, dass das Gericht den vertraglichen Abreden losgelöst dieser behördlichen Genehmigungen den Vorrang einräumt und die Zurechnung als gegeben erachtet.
Trotz der doch unterschiedlichen Interpretation der befassten Gerichte in den vergangenen Jahren und der nicht endgültig geklärten Rechtslage unterstellte das OLG der Deutschen Bank bereits bei Abschluss der Ursprungsvereinbarung Kenntnis vom Kontrollerwerb und entschied im Sinne der klagenden Aktionäre.
Durch die Konkretisierung und Auslegung der Zurechnungstatbestände hat das OLG Köln der - für übernahmerechtliche Zwecke - vermeintlich unverbindlichen Ursprungsvereinbarung zur Verbindlichkeit verholfen. Ob nur vorübergehend oder endgültig bleibt anhand des weiteren Verfahrensgangs abzuwarten.