Skip to main content

1999 | Buch

Wissen und Denken

Beiträge aus Problemlösepsychologie und Wissenspsychologie

herausgegeben von: Hans Gruber, Wolfgang Mack, Albert Ziegler

Verlag: Deutscher Universitätsverlag

insite
SUCHEN

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Wissen und Denken: Eine problematische Beziehung
Zusammenfassung
Ein wesentliches Ziel der kognitiven Psychologie besteht darin zu erklären, wie Menschen erkennen und handeln, welche Determinanten der Steuerung und Regulation des Verhaltens und Erlebens zugrunde liegen. Mit “Kognition” wird die grundlegende Eigenschaft von Lebewesen bezeichnet, nicht nur in einem energetischen, sondern auch in einem informationellen Aus tausch mit der Umwelt zu stehen. Die gemeinsame Leistung der als “kognitiv” bezeichneten Prozesse und Strukturen besteht in der “Herausbildung, Speicherung und Verwendung einer inneren Repräsentation, oder — wenn der Ausdruck nicht im Sinne einer naiv-realistischen ‘Bildertheorie’ mißverstanden wird — eines inneren Abbildes der uns umgebenden Welt” (Scheerer, 1978, S. 2f), eines semantischen Modells erster Ordnung also (Stachowiak, 1973). “Informationsverarbeitung” bezeichnet in abkürzender Weise die Genese, Struktur, Dynamik und Nutzung innerer Repräsentationen des “Kognitiven Systems Mensch”. Die alltagssprachlich nicht allzu unklar erscheinenden Worte “Denken”, “Wissen”, “Wahrnehmung”, “Gedächtnis” usw. legen nahe, daß das “Kognitive System Mensch” völlig unproblematisch in distinkte mentale Einheiten zerlegt werden kann. Allerdings ist es bis heute nicht gelungen, eine Art Periodensystem psychischer Elemente aufzustellen, im Gegenteil wird sogar die Erstellung eines solchen Systems als nicht mehr realisierbar oder erstrebenswert angesehen.
Hans Gruber, Wolfgang Mack, Albert Ziegler
2. Vorwissenseffekte bei der THOG-Aufgabe
Zusammenfassung
Ein Handicap der Forschungsarbeit in der Psychologie des Denkens und Problemlösens besteht darin, daß eine Versuchsperson, die einmal eine bestimmte Aufgabe in einem Experiment bearbeitet hat (das schließt für den Fall einer fehlerhaften Lösung meist die Aufklärung über die richtige Lösung ein), für weitere experimentelle Untersuchungen mit dieser Aufgabe wegen mangelnder Naivität nicht mehr geeignet ist. Diese forschungspraktische Schwierigkeit wird noch beträchtlich gesteigert, wenn Populationen mit besonderen Vorkenntnissen wie Schachspieler, Automechaniker oder Physiker untersucht werden sollen, aus denen Stichproben nennenswerten Umfangs ohnehin schwieriger zu rekrutieren sind. Zum Glück erfordern die meisten Denkaufgaben, die Experimentalpsychologen in ihren Labors verwenden, keine spezifischen Vorkenntnisse. Das gilt auch für die THOG-Aufgabe nach Wason (1977). Die klassische Variante nach Wason und Brooks (1979) ist abstrakt (vgl. Abbildung 1). Das Material sind geometrische Figuren, die nach einer willkürlichen Regel klassifiziert werden. Die Figuren sind ein Quadrat und ein Kreis, die die Farben schwarz oder weiß haben können. Damit gibt es also vier mögliche Figuren: schwarzes Quadrat, schwarzer Kreis, weißes Quadrat, weißer Kreis. Der Versuchsleiter teilt mit, daß er sich eine Farbe und eine Form gemerkt hat.
Till Pfeiffer
3. Wenn Wissen logisches Denken erleichtert bzw. zu verhindern scheint: Inhaltseffekte in Wasons Wahlaufgabe
Zusammenfassung
“Woran liegt es, daß die Antworten in Aufgaben zum deduktiven Denken so stark vom konkreten Inhaltsbereich abhängen, auf den sich die Aufgaben beziehen?” fragt Evans (1991) und rückt damit die als Inhaltseffekte bekannten Befunde in den Fokus der aktuellen denkpsychologischen Forschung. Daß es solche Effekte gibt, ist bereits seit langem bekannt (z. B. Wilkins, 1928), darüber, wie sie theoretisch zu behandeln sind, gibt es jedoch bis heute keinen Konsens. Ungeklärt ist etwa die Frage, ob inhaltsunspezifische Ansätze deduktiven Denkens wie die Theorie der mentalen Modelle (Johnson-Laird, 1983; Johnson-Laird, Byrne & Schaeken, 1992) oder Theorien der mentalen Logik (z. B. Braine, 1990; Rips, 1994) zu ihrer Erklärung ausreichten oder ob man nicht vielmehr inhaltspezifische Ansätze brauchte, wie dies in neuerer Zeit verstärkt postuliert wird (z. B. Cheng & Holyoak, 1985; Gigerenzer, 1995). Mit der Entdeckung, daß sich durch eine geschickte Wahl der inhaltlichen Einkleidung logisch korrektes Schließen nicht nur erleichtern, sondern anscheinend auch verhindern läßt (z. B. Byrne, 1989; Cosmides, 1989), stellt sich eine viel weitreichendere Frage: Muß man generell logische Gültigkeit als Kriterium für rationales Denken aufgeben und stattdessen nach pragmatischen, “psycho-logischen” Kriterien suchen? Diese Fragen werden im folgenden exemplarisch anhand von Inhaltseffekten beim Schlußfolgern mit Konditionalaussagen in Wasons Wahlaufgabe diskutiert.
Sieghard Beller
4. Experten und das Vier-Karten-Problem: Sind die Besserwisser auch die Besserdenker?
Zusammenfassung
Ein wichtiger Teil unseres täglichen Denkens besteht im Testen von Hypothesen (Krems, 1994; Mack, 1995). Insbesondere Experten, also Personen, die in ihrer Domäne herausragende Leistungen zeigen, begegnen im Verlauf ihrer Expert is ierung einer Vielzahl von Problemen, für deren Lösung sie nicht auf vorhandene Lösungsmuster zurückgreifen können. In dieser Situation befindet sich beispielsweise die Physikerin, die eine numerische Abbildung eines Phänomens anstrebt, ein Schachspieler, der versucht, seine Eröffnung zu perfektionieren oder eine Bridgespielerin, die die Effizienz von Bietsystemen für bestimmte Kartenkonstellationen abschätzen muß. In diesen Fällen ist es nicht nur notwendig, Hypothesen zu erstellen, sondern vor allem auch, sie effizient zu überprüfen; denn Experten können sich falsche Hypothesen in ihrem Wissensbestand kaum leisten; beispielsweise kostet Schachspieler eine einzige Ungenauigkeit in der Eröffnungsphase nicht selten bereits die gesamte Partie.
Albert Ziegler
5. Analoges Denken
Zusammenfassung
Im August 1990 überfielen irakische Streitkräfte Kuwait. Die USA und die mit ihr alliierten Streitkräfte reagierten schnell und bezogen Position an der Grenze zwischen Saudi-Arabien und Kuwait, um weitere Eroberungsabsichten des Iraks zu vereiteln. Als Saudi-Arabien gesichert schien, tauchte eine neue Frage auf: Sollten die Streitkräfte in Saudi-Arabien die Iraki angreifen, um sie zu zwingen, Kuwait zu verlassen? Die Debatte darüber in den Vereinigten Staaten war heftig und die gängigsten Argumente derjenigen, die einen Angriff befürworteten, bestanden aus einer Analogie: Der irakische Führer, Saddam Hussein, ist genauso wie Adolf Hitler, und wenn man seine militärischen Aggressionen nicht sofort stoppt, wird er andere Länder angreifen und der Preis, ihn zu stoppen, würde immer höher werden. Natürlich führten die Gegner eines Angriffs auf den Irak ihre eigene Analogie ins Feld: Irak sei wie Vietnam, wenn die Vereinigten Staaten angriffen, würden sie in einen nicht zu gewinnenden Krieg mit zahlreichen Verlusten verwickelt werden. Allerdings erwies sich die Analogie mit Hitler als überzeugender, und im Februar 1991 griffen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten an. Man könnte also sagen, daß die Entscheidung für den Krieg durch eine Analogie herbeigeführt wurde (vgl. Spellman & Holyoak, 1992).
Bruce D. Burns
6. Problemlösen und Hypothesentesten
Zusammenfassung
Schaut man in Fachwörter- oder Lehrbüchern nach, was man unter Problemlösen versteht, findet man ziemlich einheitlich die Definition, daß Problemlösen darin besteht, einen Anfangszustand in einen Zielzustand zu überführen. Allerdings wissen die Problemlöser noch nicht, wie und welche Mittel sie einsetzen sollen, um den Zielzustand zu erreichen. Zum Beispiel liegt ein Problem dann vor, wenn man möglichst schnell und billig von Berlin (das ist der Anfangszustand) nach Frankfurt (das ist der Zielzustand) reisen muß, und man sowohl mit dem Flugzeug, mit der Bahn, dem eigenen Auto usw. (das sind die Mittel) fahren kann.
Regina Vollmeyer, Bruce D. Burns
7. Intelligenz und Wissen
Zusammenfassung
Menschen werden im Laufe ihres Lebens mit einer Fülle von Anforderungen konfrontiert. Es sind im wesentlich zwei Arten von Anforderungen zu unterscheiden: Anforderungen, die die physikalische Umgebung stellt und Anforderungen, die von der sozialen Umwelt erhoben werden. Anforderungen aus der physikalischen Umgebung fallen meist erst dann auf, wenn die routinemäßige Anwendung sensomotorischer Fertigkeiten nicht gelingt. Allen Anforderungen ist gemeinsam, daß sich eine Person in einer bestimmten Situation befindet. Das, was die Person tut, hängt sowohl von der Person selbst ab als auch von dem, was außerhalb der Person ist. Dieses Verhältnis, Verhalten = f(Person, Situation), erscheint zunächst trivial, aber die Betrachtung eines konkreten Verhaltens zeigt, daß es auf den unterschiedlichsten Ebenen erklärt werden kann. Die Orientierung in Raum und Zeit ist beispielsweise schon ein ziemlich komplexes Zusammenspiel von sensorischen und motorischen Systemen. So nehmen wir nicht einfach ein chaotisches Gewirre von Farbflecken, Kanten, Schattierungen, Bewegungen, Geräusche usw. wahr, sondern erleben die Welt als geordnet. Wir nehmen nicht einfach wahr, sondern nehmen etwas als etwas wahr.
Wolfgang Mack
8. Soziale Kognitionen und Inferenzen
Zusammenfassung
Als im November 1997 der frischgebackene Fußballnationalspieler Jens Jeremies in der Mitte der Saison seinen Wechsel vom TSV 1860 München zum FC Bayern München bekannt gab, war die Münchner Fußballszene gespalten. Der bayerische Kultusminister Zehetmair outete sich als Löwenfan und sprach von einer Charakterlosigkeit des Spielers. Dieser hatte nach eigenem Bekunden zu dem Verein gewechselt, der bereits als Kind sein Traumverein war. Natürlich wurde ihm der Wechsel mit einem Jahressalär versüßt, das vermutlich die eingefleischtesten Löwenfans zu ähnlichen Charakterlosigkeiten hingerissen hätte. Dennoch mußte sich Jeremies die nächsten Bundesligaspiele Pfiffe gefallen lassen und auf zahlreichen Plakaten, die Löwenfans im Olympiastadion schwenkten, lesen, daß er ein Verräter sei. In den gleichen Spielen skandierten dieselben Fans “Bernhard Winkler, Fußballgott” . Natürlich hatte besagter Spieler Winkler nicht seine gesamte Fußballkarriere bei TSV 1860 München verbracht und sollte deshalb - unter Anwendung der gleichen Fanlogik - als Charakterschwächling und Verräter gelten.
Markus Dresel, Albert Ziegler, Christine Ziegler
9. Zur Rolle des Wissens beim komplexen Problemlösen
Zusammenfassung
Obwohl der menschliche Alltag im wesentlichen durch Routineabläufe bestimmt ist, sieht sich jeder Mensch immer wieder Situationen ausgesetzt, die ihn vor Probleme stellen. Es müssen Entscheidungen unter Informationsdefizit und Zeitdruck getroffen werden. Die Erforschung des menschlichen Verhaltens in derartigen komplexen Problemsituationen unter kontrollierten Laborbedingungen gelang erst durch die Verfügbarkeit von Computersimulationen, die es ermöglichen, Menschen mit Merkmalen und Anforderungen komplexer, realer Problemsituationen zu konfrontieren und sie dabei zu beobachten (Strohschneider & Schaub, 1995). Die Merkmale komplexer Situationen, die in Form computersimulierter Szenarien Einzug in die psychologische Forschung hielten (z. B. LOHHAUSEN: Dörner, Kreuzig, Reither & Stäudel, 1983), lassen sich durch folgende Begriffe kennzeichnen:
  • Komplexität: Art und Anzahl der Variablen
  • Vernetztheit: Art und Anzahl der Verknüpfungen zwischen den Variablen
  • Eigendynamik: Systemzustand ändert sich ohne Eingriff
  • Intransparenz: Elemente, Zusammenhänge oder Entwicklungen sind unbekannt
  • Polytelie: Vorhandensein unterschiedlicher (mitunter kontradiktorischer) Ziele
  • Zieloffenheit: nur vage, oft komparativ formulierte Ziele (z. B. “besser”, “größer”)
Harald Schaub, Ralph Reimann
10. Wie denken und was wissen Experten?
Zusammenfassung
“A theory of cognition or reasoning that fails to embrace phenomena or facts of expertise is almost certainly incorrect. No theory of cognition or reasoning can be complete without embracing and explaining the phenomena of expertise.” (Hoffman & Gilhooly, 1997, S. 241) Mit diesen provokativen Statements eröffneten Robert Hoffman und Ken Gilhooly das Themenheft “Domains, Paradigms, and Methods in the Study of Expertise” der Zeitschrift Thinking and Reasoning, einem Organ, das dem Verständnis menschlicher Denkprozesse, insbesondere Prozessen des Schlußfolgerns, gewidmet ist. Da die Untersuchung formaler Denkprozeduren — z. B. des Einsatzes logischer Schlüsse beim Problemlösen — durch unterschiedliches Vorwissen von Versuchspersonen erschwert wird, wurde Wissen in der Denkpsychologie häufig als Störvariable definiert und durch Konstanthaltung experimentell kontrolliert, oft genug durch Verwendung von Gegenstandsbereichen, in denen kein Vorwissen bei den Versuchspersonen vorhanden sein konnte. Hoffman und Gilhooly verlangten nun, gerade die “Verunreinigungen”, die das unterschiedliche Wissen von Versuchspersonen unterschiedlichen Expertisegrads bei deren Denkprozessen verursacht, als thematische Varianz zu betrachten, die aufzuklären ist.
Hans Gruber
Backmatter
Metadaten
Titel
Wissen und Denken
herausgegeben von
Hans Gruber
Wolfgang Mack
Albert Ziegler
Copyright-Jahr
1999
Verlag
Deutscher Universitätsverlag
Electronic ISBN
978-3-663-08225-5
Print ISBN
978-3-8244-4327-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-663-08225-5