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23.06.2017 | Working Capital Management | Interview | Online-Artikel

"Unternehmen bunkern massiv Geld im Working Capital"

verfasst von: Sylvia Meier

4 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Bernd Heesen

ist Geschäftsführender Gesellschafter der internationalen Führungsakademie Berchtesgadener Land (IFAK-BGL) und Inhaber der ABH Partner in München. 

Die Working-Capital-Situation vieler Unternehmen hat sich deutlich verschlechtert. Bernd Heesen bezieht im Interview Stellung zu diesen Entwicklungen und erklärt, welche Maßnahmen das Liquiditätsmanagement ergreifen sollte. 

Springer Professional: Herr Heesen, eine Studie der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) zeigt, dass sich die Working-Capital-Situation der 40 größten Handelsunternehmen massiv verschlechtert hat. Unternehmen warten immer länger auf ihr Geld. So beträgt die Kapitalbindungsdauer bei den 40 größten Handelsunternehmen in der DACH-Region inzwischen durchschnittlich 57 Tage, bei Sportartikeln und Luxusgütern 86 Tage. Überraschen Sie diese Studienergebnisse? 

Bernd Heesen: Es wundert immer wieder, dass massiv Geld im Working Capital lange gebunkert wird und damit gebunden ist, häufig zu Lasten der Liquidität. Diesen daraus entstehenden eventuellen Liquiditätsengpässen kann aber entgegengewirkt werden, wenn die Kreditoren, also Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, erst spät oder wenn möglich mit den gleichen Vorratslager-Reichweiten, gezahlt werden. Ebenfalls gilt, dass die Kreditoren wenn möglich später als die Debitoren, also Forderungen, angewiesen werden sollten. Dies ist ja nicht neu. Was aber eigentlich seit langer Zeit besonders im produzierenden Gewerbe passiert, ist die Verlagerung von eigenen Problemen auf die Lieferanten. Existieren keine entsprechenden Alternativen für den Vertrieb, dann kann der große Kunde den kleineren Lieferanten geradezu beherrschen. Beim Handel hat sich das Problem erst mit dem Siegeszug des Internets und des Online-Einkaufs mehr und mehr entwickelt.

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Bisher haben wir die Ist Zahlen analysiert, viel erkannt und auch viel kritisiert, denn die HESE GmbH zeigt doch massive Schwächen. Wir haben auch theoretisch gesagt, was man denn hätte tun müssen, aber die Zielzahlen haben wir weder benannt, noch …

Wie kommt es Ihrer Ansicht nach zu dieser Entwicklung? Wollen Handelsunternehmen den Kunden bewusst mit großzügigen Zahlungsbedingungen entgegenkommen oder ist hier schlichtweg das Forderungsmanagement nicht konsequent genug? 

Der Endkunde bestellt und hat (kundenfreundlich) lange Zeit, eine definitive Kaufentscheidung zu treffen. Fällt seine Entscheidung positiv aus, dann ist aber die Zahlung auch noch nicht erfolgt. Die Handelsunternehmen müssen viel länger auf Zahlungen warten als noch vor einigen Jahren. Klar, dass es auch Kataloge und Versandhandel gab – aber dies waren wenige darauf spezialisierte Häuser und in der Regel mit weniger Wettbewerb als heute.

Textilien kann ich inzwischen überall im Netz kaufen und alle bieten ungefähr den gleichen Service und die gleichen Zahlungsfristen. Noch schwieriger wurde die Situation, nachdem den Kunden noch mehr Service geboten wurden. Retouren sind selbstverständlich, teilweise kostenlos. Sie zwingen aber den Handel, einerseits eine eigene Organisation aufzubauen und andererseits zu pokern. Wird das gelieferte Teil gekauft, muss der Handel nicht mehr lagern, jedoch das Produkt nachordern. Kunden schreiben zu müssen, dass das entsprechende Teil erst in Kürze wieder zur Verfügung stehen wird, ist ärgerlich. Wird das Teil aber nicht gekauft, dann muss erneut (nach Kontrolle) eingelagert werden und eventuell ist vorweg schon nachgeordert werden. Somit hat der Handel in den vergangenen Jahren selbstverständlich ein steigendes (Net) Working Capital akzeptieren müssen. Für die Verkürzung des kreditorischen Ziels, wie in der Studie genannt, ist sicherlich die EU-Direktive zum Zahlungsverzug mit ausschlaggebend gewesen. Freiwillig verzichtet wohl niemand auf zwölf Tage zinsfreie Finanzierung. 

Was können diese Unternehmen tun, um das Working Capital zu verbessern? 

Das wird wohl schwierig, da wettbewerbsbedingt im Onlinehandel Zahlungs- und Retourenfristen nicht so einfach verkürzt werden können. Dafür ist die Auswahl von Anbietern im Netz inzwischen viel zu groß. Hier wird es wohl vielmehr auf noch besseres internes Logistik- und Prozessmanagement ankommen. Pauschal möchte und kann ich hier auch keine Empfehlungen geben.

Welche Kennzahlen sind Ihres Erachtens besonders aufschlussreich, um Schwachstellen im Working Capital Management aufzudecken?

Generell gilt es Bestände zu reduzieren, Forderungen früh zu erhalten und im Umkehrschluss Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen entsprechend spät anzuweisen. Davon hängt dann die Ausstattung mit Liquidität ab.
Die vier Punkte

  • Bestände,
  • Debitoren,
  • Kreditoren und
  • Kasse/Bank

lassen sich recht schön im Cash Cycle und im Cash Conversion Cycle (CCC), also der Geldumschlagsdauer, darstellen.

Wie erfolgen die Berechnungen?

Der Cash Cycle errechnet sich wie folgt:

Kreditorisches Ziel, das heißt wann zahlen wir unsere Eingangsrechnungen, in Tagen 
- Debitorisches Ziel, das heißt, wann erhalten wir unsere Ausgangsrechnungen, in Tagen
+ Reichweite Kasse/Bank, ebenfalls in Tagen
= Cash Cycle

Der Saldo sollte positiv sein, besonders wenn die Kreditoren absolut größer als die Debitoren sind. Ich empfehle auch, einen beziehungsweise den nächsten Zahllauf Personal aus der Liquidität erst herauszurechnen. Personalzahlläufe können wir nicht schieben.

Kreditorisches Ziel, in Tagen
- Debitorisches Ziel, in Tagen
+ Reichweite Kasse/Bank, in Tagen
= Cash Cycle I
- 1 Zahllauf Personal
= Cash Cycle II

Wichtiger als der Saldo ist aber die Struktur der drei Komponenten. Die zentralen Fragen sind: Passt das Bild zusammen und macht das so Sinn. Darüber hinaus stelle ich mir immer noch den Cash Conversion Cycle heraus. Der Cash Conversion Cycle errechnet sich wie folgt:

 Debitorisches Ziel, in Tagen
- Kreditorisches Ziel, in Tagen
+ Reichweite Bestände, ebenfalls in Tagen

Hier sollte der Saldo möglichst niedrig sein, gerne auch negativ. Das ist sogar gut (siehe die Discounter), da der Lieferant dann das Anlagevermögen finanziert.

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