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01.12.2020 | Working Capital Management | Im Fokus | Online-Artikel

Working Capital Management im Mittelstand hat Lücken

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

3:30 Min. Lesedauer
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Gerade der industrielle Mittelstand, dessen wirtschaftliche Widerstandskräfte in Krisenzeiten von verlässlichen Geldflüssen abhängen, braucht ein durchdachtes Working Capital Management. Doch laut einer aktuellen Umfrage müssen hier viele Unternehmen deutlich nachbessern.

Man ruft die Feuerwehr nicht erst ins Leben, wenn es brennt. Dies gilt auch für ein vorausschauendes, also nachhaltig und langfristig angelegtes Working Capital Management: Es kann nur dann dazu beitragen, in Krisenzeiten die Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens aufrechtzuerhalten und kurzfristige Liquiditätsengpässe ohne zusätzliche Schulden (Notkredite) zu überbrücken, wenn es dort bereits vor der Krise verankert wurde", schreiben Philipp Wetzel und Roman von Ballmoos in der Zeitschrift "Controlling & Management Review" (Ausgabe 6-7 | 2020).

So ist das Working Capital Management seit Beginn der Corona-Pandemie bei 72 Prozent der von der Boston-Consulting-Group-Tochter Inverto befragten Unternehmen aus der fertigenden Industrie stärker in den Fokus gerückt. Insgesamt gaben 65 Experten aus europäischen, meist deutschsprachigen Unternehmen, dem Beratungshaus mit Fokus auf das Supply Chain Management Auskunft zur aktuellen Lage ihrer Organisation.

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Lieferanten wollen in der Krise schnellere Bezahlung

33 Prozent der Befragungsteilnehmer geben an, dass Lieferanten wegen der Pandemie um verlängerte Zahlungsziele gebeten haben. Im Gegenzug wollten 47 Prozent eine schnellere Bezahlung ihrer eigenen Produkte. Bei rund 85 Prozent der Unternehmen hatten die Zulieferer auch Erfolg. Denn diese wollen ihnen Unterstützung bei einer Corona-bedingten Schieflage gewähren. 27 Prozent verlangten dafür nach eigenen Angaben keinen Rabatt, weil die betroffenen Lieferanten zu wichtig für das eigene Geschäft seien.

Die Erhebung zeigt allerdings auch, wo die Unternehmen, von denen rund die Hälfte einen Umsatz von mehr als 500 Millionen Euro pro Jahr erwirtschaftet, in ihrem Working Capital Management Verbesserungspotenziale heben können: Nur 52 Prozent verfügen demnach über definierte Zahlungsmodalitäten. Auch die Analyse des Working Capitals finde überwiegend durch klassisches Reporting statt. 55 Prozent machten dabei eigene Zielvorgaben, während sich 15 Prozent an einem Working Capital Benchmarking orientieren. 

Von den Unternehmen mit Umsätzen von weniger als einer Milliarde Euro sind daher rund 70 Prozent mit ihrem Finanzmanagement unzufrieden und bewerten es als "mittelmäßig" oder "schlecht". 71 Prozent der größeren Unternehmen bezeichnen es hingegen als "gut" oder "sehr gut".

Liquidität im operativen Alltag sichern

Dabei ist es laut der beiden Supply-Chain-Management-Experten Wetzel und von Ballmoos gerade in Krisenzeiten besonders wichtig, die Liquidität im operativen Alltag sicherzustellen. "Eine wirkungsvolle Kennzahl, um den Liquiditätsbedarf im Unternehmen im Sinne eines vorausschauenden Working Capital Management zu steuern, ist der Cash-to-Cash-Cycle (C2C-Cycle). Dieser erfasst die Geldumschlagsdauer im Unternehmen in Tagen zwischen Auszahlung an die Lieferanten und Einzahlung durch die Kunden inklusive der gesamten Bestandslaufzeit." Die Kennzahl setzt sich den Autoren zufolge aus den drei Komponenten

  1. Debitorenumschlag (DSO – Days Sales Outstanding),
  2. Bestandsumschlag (DIH – Days Inventories Held) und
  3. Kreditorenumschlag (DPO – Days Payables Outstanding) zusammen.

Unternehmen sollten auf kooperative Lösungen setzen

Die Experten raten Unternehmen in Krisenzeiten von "unkooperativen Zahlungszielverlängerungen" ab, da sie schwerwiegende Folgen nach sich ziehen können: "Mittelfristig kann es beispielsweise zu Lieferausfällen oder Qualitätseinbußen kommen, die dann auf das eigene Unternehmen zurückfallen", so Wetzel und von Ballmoos. 

"Viel sinnvoller sind kooperative Lösungen, die verzögerte (oder gar ausbleibende) kundenseitige Zahlungseingänge auf Kosten der Lieferanten vermeiden. Sie erlauben es Unternehmen mittels kurzfristiger Working-Capital-Finanzierungen auch in Krisenzeiten, Zahlungsziele gegenüber Lieferanten zu verlängern." Als eine der geläufigsten Lösungen, die eine kooperative Verlängerung von Zahlungszielen ermöglicht, nennen die Autoren das Reverse Factoring.

Zahlungsziele durch Reverse Factoring anpassen

Beim Reverse Factoring organisiert der Debitor, dass seine Lieferanten ihre ihm gegenüber bestehenden Forderungen an einen Factor verkaufen. Dabei bestätigt und garantiert er die von ihm geschuldeten Zahlungen im Rahmen eines abstrakten Schuldanerkenntnisses gegenüber dem Factor. Dadurch kann ein Abnehmer die Liquidität seines Lieferanten sicherstellen, was zum Beispiel in der Automobilindustrie eine große Bedeutung besitzt", erläutert Stephan Paul im Buchkapitel "Industrie 4.0 – Auswirkungen auf Finanzierungsinstrumente und -prozesse sowie den Finanzleiter der Unternehmung" (Seite 685 f.).

"Wie in vielen anderen Bereichen auch wirkt Corona hier als Brennglas, das Mängel aufdeckt und zur Verbesserung auffordert", fass Inverto-Geschäftsführer Thibault Pucken die Lage der befragten Unternehmen zusammen. Seiner Auffassung nach sollten Unternehmen das Thema Working Capital etwa mit Hilfe eines Steuerungskomitees fest in der Organisation zu verankern, das anhand von Kennzahlen die Entwicklung des Working Capitals beobachtet. "Auch sollten Zahlungsmodalitäten sowie interne Prozesse präzise definiert sein."

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