Die vorliegende Arbeit konnte am Beispiel der Beratungsbranche in Deutschland zur Erweiterung der wissenschaftlichen Perspektiven auf die Karrierewege von Frauen beitragen und damit Anknüpfungspunkte für weitere interdisziplinäre Forschungsvorhaben in diesem praxisrelevanten Bereich schaffen.
Das abschließende Kapitel fasst die zentralen Erkenntnisse dieser Arbeit synthetisiert zusammen. Es folgt eine Diskussion der Ergebnisse in Bezug auf die Forschungsfrage und eine kritische Würdigung der Vorgehensweise in dieser Arbeit. Abschließend werden relevante Fragestellungen für Anschlussforschung abgeleitet, sofern diese nicht bereits innerhalb der vorhergehenden Kapitel aufgezeigt wurden.
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7.1 Zentrale Ergebnisse hinsichtlich der Forschungsfrage
Leitend für diese Arbeit war die zentrale Forschungsfrage: Wie wirken strukturelle, institutionelle und individuelle Einflüsse auf die Karrierewege von Frauen ein, die in der Unternehmensberatung höhere Führungspositionen erreicht haben? Die erarbeiteten Erkenntnisse beruhen auf der Auswertung von zehn ausführlichen Interviews mit Frauen in höheren Führungspositionen in der Beratungsbranche sowie eines vertiefenden Fragebogens mit 27 Fragen, den insgesamt 555 ehemalige und aktive Beraterinnen aus Deutschland ausgefüllt haben, die sich selbst als weiblich identifizieren oder so gelesen werden. Der innovative Ansatz einer explorativen Methodentriangulation erlaubt erstmalig die Erhebung und Analyse qualitativer und quantitativer Daten im Forschungsfeld ‚Frauen und Karriere in der Beratungsbranche‘. Mit diesem umfangreichen Studiendesign bietet die Arbeit einen tiefen Erkenntnisgewinn im interdisziplinären Bereich zwischen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie Gender Studies.
Die Ergebnisse wurden vor dem Hintergrund des theoretischen Bezugsrahmens der Arbeit und den sich daraus ergebenden Implikationen ausgewertet und in eine eigens entwickelte Kategorisierung eingeordnet. Die dafür herangezogenen Perspektiven umfassen die Makro-Ebene mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, die Meso-Ebene mit Fokus auf Organisationen sowie die Mikro-Ebene mit individuellem Verhalten. Die Ebenen wurden systematisch mit den zahlreichen verwendeten Theorien und Konzepten kombiniert. So konnten Ergebnisse strukturiert und nicht nur in ihrem unmittelbaren Wirkungskreis, sondern darüber hinaus im Gesamtzusammenhang der Forschungsfrage analysiert werden. Im Folgenden werden die drei Ebenen nochmals herangezogen und Herausforderungen sowie Erfolgsfaktoren synthetisiert.
7.1.1 Die strukturelle Ebene: Geschlechterstereotype als hinderliche Rahmenbedingungen
Die Ergebnisse der durchgeführten Studien zeigen, dass Geschlechterstereotype in der Beratungsbranche als implizite und explizite hinderliche Rahmenbedingungen wirken. Dabei kann ein hoher Internalisierungsgrad des binären Systems in der Branche und auch innerhalb der befragten Gruppe beobachtet werden. Eigenschaften und Aktivitäten werden als ‚typisch männlich‘ und ‚typisch weiblich‘ eingeordnet und entsprechend Personen zugeschrieben. In der betrachteten Organisationskultur kristallisieren sich dabei männliche Eigenschaften als vermeintlich neutraler Maßstab und als karriereförderlich heraus. Dagegen werden weiblich konnotierte Eigenschaften mit einem geringeren Ansehen und sogar Irrationalität verbunden, die als „Makel“ abgelegt werden sollten (vgl. Interviews 1 und 5).
Diese Rahmenbedingungen stellen die Beraterinnen und weiblichen Führungskräfte vor Herausforderungen: Als Frauen werden sie an männlich geprägten Maßstäben gemessen, aus sozialen Beziehungsgeflechten ausgeschlossen und mit dem Vorwurf der Emotionalität konfrontiert, welcher ihre Professionalität untergräbt (vgl. Interviews 2 und 3). Die wirkenden Geschlechterstereotype beeinflussen zudem die Wahrnehmung und Bewertung der Führungskompetenz negativ; eine Herausforderung, die nicht nachhaltig umgangen werden kann.
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Zusätzlich wirkt die gesellschaftliche Erwartung hinsichtlich der Übernahme von Care-Arbeit und Mental Load (vgl. Schrammel 2022, Bundeszentrale für politische Bildung 2019) als Faktor auf die berufliche Entwicklung von Frauen ein. Bis auf eine Ausnahme arbeiten alle befragten Mütter in Vollzeit. Sie berichten von Care-Arbeit im Kontext der Beratungsbranche als zusätzliche Belastung für ihre Karrierewege. Kinder werden als deutlich erschwerende, sogar die „Karriere ruinierende“ Einflussfaktoren auf dem Weg in höhere Positionen genannt (vgl. Interview 3 und 6). Aufgrund der investierten zeitlichen Ressourcen können beispielsweise karriererelevante soziale Verpflichtungen nur sehr eingeschränkt wahrgenommen werden. Bei informellen Zusammenkünften mit „Kollegen an der Bar“ werden die Beraterinnen meist „kategorisch ausgeschlossen“ (Interview 9) oder müssen aufgrund der Care-Arbeit ablehnen (vgl. Interview 6). Dies trägt dazu bei, dass Frauen nicht nur seltener in Führungsrollen aufsteigen können, sondern auch häufiger in Teilzeit oder in Positionen unterhalb ihres Qualifikationsniveau mit eingeschränkter Verantwortung arbeiten.
Eine besondere Auswirkung hinsichtlich dieses Einflussfaktors hatte die Covid-Pandemie. Während der Lockdowns mussten viele Berater:innen im Homeoffice arbeiten und gleichzeitig ihre Kinder betreuen, da Einrichtungen wie Kindergärten geschlossen waren. Die betroffenen Interviewpartnerinnen berichteten, dass diese Belastung maßgeblich von ihnen allein getragen wurde und sie dies so auch in ihrem Umfeld wahrnahmen. Die Aufteilung verstärkte die bestehende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auch in Beziehungen mit ähnlichem akademischem Hintergrund und Verdienstmöglichkeiten (vgl. Interviews 2 und 6).
Dennoch brachte die Pandemie auch positive Veränderungen mit sich: Die reduzierte Reisetätigkeit der Berater:innen ermöglichte nach Aussage der Gesprächspartnerinnen eine größere Flexibilität und verbesserte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Möglichkeit des Homeoffice wurde als „absolut positiv“ für die persönliche Situation hervorgehoben (Interview 2) und blieb größtenteils auch nach den Lockdowns erhalten. Gleichzeitig wurde die Abhängigkeit von unzureichenden Betreuungsstrukturen deutlich, die sich nur auf systematischer Ebene verbessern lassen würden, beispielsweise mit staatlicher Hilfe und unter Einbindung der Väter beziehungsweise engen Bezugspersonen. Auffällig ist, dass das klassische Modell eines vollzeitarbeitenden Vaters in Führungsposition mit teilzeitarbeitender oder zuhause bleibender Mutter in umgekehrten Rollen nicht zu finden ist. Vollzeitarbeitende Beraterinnen in heterosexuellen Beziehungen haben nach eigenen Angaben stets einen ebenfalls vollzeitarbeitenden Mann und tragen damit den Großteil der Care-Arbeit und des Mental Loads allein. Diejenigen, die keine Kinder haben, stoßen wiederum immer wieder auf Zweifel an ihrer dauerhaften Verfügbarkeit und ihrem Engagement, unabhängig davon, ob sie überhaupt eine Familiengründung planen. Diese Aspekte in Verbindung mit den Geschlechterstereotypen und ihren Folgen können den beruflichen Erfolg und damit den Karriereweg von Frauen erheblich beeinträchtigen.
Zwar sind weder eine Anpassung an noch Ablehnung von männlich geprägten Rollenbildern und internalisierten Stereotypen gänzlich möglich, dennoch müssen die Beraterinnen und weiblichen Führungskräfte auf diese Herausforderungen reagieren. Als Strategie dafür konnte in den Interviews größtenteils Doing Masculinity identifiziert werden, also der Versuch, den männlichen Standards zu entsprechen oder sich im Auftritt sogar „als besserer Mann“ zu positionieren (vgl. Interview 3). Die Assimilation birgt jedoch das Risiko, im Vergleich zu einem männlichen Kollegen bei demselben Verhalten als weniger sympathisch angesehen zu werden (vgl. Interview 5).
Einige Interviewpartnerinnen berichten von Versuchen, der binären Geschlechterkategorisierung entgegenzutreten. Ihre alternative Strategie des Undoing Gender, also die Bestrebung, das eigene Geschlecht unsichtbar zu machen, ist ebenso nachteilsbehaftet: Der Versuch, zu verstecken, „dass man eine Frau ist“ (Interview 10), kostet im Alltag Energie und Zeit und ist nicht in nachhaltiger Weise möglich.
Eine weitere negative Folge der Rahmenbedingungen in der Beratungsbranche kann die Existenz von Queen Bees in Organisationen darstellen (vgl. Derks et al. 2016). Dieser Titel beschreibt erfolgreiche Frauen in Führungspositionen, die nicht an der Unterstützung anderer Frauen interessiert sind. Sie haben selbst erlebt, dass es an der Spitze ihres Unternehmens nur Platz für eine Frau geben kann und handeln entsprechend (vgl. AllBright 2023). Dabei ist dieses Verhalten weder die Ursache von noch ein maßgeblicher Einflussfaktor auf die Geschlechterungleichheit in Führungspositionen, sondern eine Folge davon.
Die sichtbar und unsichtbar wirkenden Geschlechterstereotype in der Beratungsbranche stellen somit in vielerlei Hinsicht hinderliche Rahmenbedingungen für die Karrierewege von Frauen dar.
7.1.2 Die institutionelle Ebene: Männliche Organisationskultur, männliche Spielregeln
Die Analyse der Ergebnisse auf der Meso-Ebene offenbart eine männliche Organisationskultur mit männlichen Spielregeln, die die Aufstiegsmöglichkeiten von Beraterinnen negativ beeinflussen. Um die Organisationskultur der Beratungsbranche als Male Gendered Organization zu klassifizieren, wurden die fünf Dimensionen von Acker herangezogen: Organisationsstrukturen, institutioneller Kontext, geschlechtsbezogene Interaktionen, Konstruktion geschlechtsbezogener Identitäten und symbolische Strukturen (vgl. 1990). Bereits die Untersuchung von Hierarchien und Machtverhältnissen legt nahe, dass Organisationsstrukturen in Beratungsfirmen oft männlich dominiert sind: Die Interviewpartnerinnen berichten von weniger als 10 % Frauen im mittleren Management oder 95 % Männern in der Geschäftsführung (vgl. Interview 2, 3 und 4), was durch Kennzahlen der Branche untermauert wird (vgl. BDU 2022). Die Existenz von männlichen Netzwerken und Seilschaften ist tief verankert, homosoziale Kooptation bestimmt die Aufstiegschancen. Frauen, die Führungspositionen erreichen möchten, sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, den Anforderungen männlicher Maßstäbe gerecht zu werden und sich auch ohne starkes Netzwerk durchzusetzen.
Der strukturelle Rahmen der Beratungsbranche umfasst größtenteils die Erkenntnisse auf Makro-Ebene, wie Geschlechterstereotype und die Zuschreibung von Care-Arbeit an Frauen, was deren Karrierechancen einschränkt. Dennoch berichten einige Interviewpartnerinnen, dass sich diese Normen in ihren Organisationen langsam ändern. Sie sehen mehr Männer in Teilzeit arbeiten, was eine graduelle Verschiebung in den Erwartungen an Führungskräfte implizieren könnte (vgl. Interview 8). Ob und wie schnell eine solche Veränderung gegebenenfalls vonstatten geht, ist jedoch nicht abzusehen.
Die Kategorie der geschlechtsbezogenen Interaktionen in der Beratungsbranche ist stark von männlichen Kommunikationsmustern geprägt: Die Interviewpartnerinnen berichten von „politischen Spielchen“, die für Frauen oft schwer zu navigieren sind (vgl. Interview 3). Diese Muster zeigen sich darin, dass Verhalten und Eigenschaften, die mit Führung assoziiert werden, häufig männlich konnotiert sind, was zu Ungerechtigkeiten in Beförderungsprozessen führen kann. Die Konstruktion geschlechtsbezogener Identitäten wird durch stereotype Erwartungen und das von der männlichen Norm abweichende äußere Erscheinungsbild verstärkt. Frauen erleben mitunter eine Reduzierung auf ihr Geschlecht oder müssen „zusätzliche Kraft und Energie-Arbeit“ (Interview 2) investieren, um als Führungskraft ernst genommen zu werden.
Die Analyse der symbolischen Strukturen innerhalb der Beratungsunternehmen offenbart tiefgreifende Herausforderungen für Frauen auf ihrem Karriereweg. Die Diskurse, Symbole und Kategorisierungen in diesen Organisationen begünstigen eine Stereotypisierung und Abwertung stereotypisch weiblicher Handlungen. Beispielsweise wird emotionales Verhalten als unsachlich und weniger valide wahrgenommen, was dazu führt, dass Beraterinnen sich an männlichen Normen orientieren müssen, um beruflichen Erfolg zu haben. In einem Umfeld, das durch Dominanz und Wettbewerbsorientierung geprägt ist, kann sich nach Angabe einer Interviewpartnerin Erfolg darin manifestieren, wer die meisten Überstunden leiste, die härteste Haltung gegenüber den Kunden zeige oder abends mehr Alkohol konsumiere (vgl. Interview 10). Hier lässt sich die Male Gendered Organization in besonders deutlicher Ausprägung beobachten.
Die Interviews zeigen, dass trotz öffentlich kommunizierter Bemühungen die tatsächlichen Veränderungen hinsichtlich einer Gleichstellung der Geschlechter in Beratungsunternehmen oft stagnieren und die Branchendiskussion von einer rhetorischen Modernisierung geprägt ist. Trotz punktueller Verbesserungen bleibt die Male Gendered Organization eine männliche Organisationskultur mit männlichen Spielregeln, wobei das mangelnde Bewusstsein für Genderdiversität und nicht-binäre Geschlechtsidentitäten weiterhin ein Desiderat darstellen.
Eine Folge dieser Organisationskultur ist Tokenism, also die Repräsentation marginalisierter Gruppen durch Einzelpersonen (vgl. Kanter 1977). Wie ein Aushängeschild wird dabei die einzige Frau in einer Führungsposition in einem Beratungsunternehmen unter anderem im Marketing und Recruiting verwendet. Ihre Existenz wird als Rechtfertigung dafür genutzt, dass es jede Frau schaffen könnte (vgl. Interview 10) und teilweise sogar als vorteilhaft für ihre Sichtbarkeit und Chancen inszeniert. Die Konsequenzen für die Betroffene sind jedoch subtil und vorwiegend negativ. Sie zeigen sich erst im Verlauf der Karriere: So gaben mehrere Interviewpartnerinnen an, dass sie selbst „sehr lange Probleme hatte[n], das Thema Gender als Thema anzuerkennen“ (Interview 2), da sie Geschlechtergerechtigkeit als gegeben annahmen. Nach dem Erreichen erster Führungspositionen im Beratungsumfeld realisierten sie jedoch, dass eine ungleiche Machtverteilung in der Branche nach wie vor besteht. Als einzige Frau und Token unter männlichen Führungskräften ergab sich eine Art „Kanarienvogel-Status“ (Interview 4), der oft mit Isolation, eingeschränktem Zugang zu Netzwerken und der Notwendigkeit einherging, stellvertretend für andere marginalisierte Gruppen wie beispielsweise alle Eltern oder ethnische Minderheiten sprechen zu müssen. Zudem entstehen durch die repräsentative Funktion als Token auch Zusatzaufgaben, die nicht karriererelevant sind und Zeit und Energie kosten (vgl. Interview 1). Darunter fallen Mentoring- oder Rolemodel-Funktionen für jüngere Kolleginnen, die ohne weibliche Vorbilder, Sponsorinnen oder Mentorinnen geringere Chancen auf einen Karriereaufstieg haben (vgl. Fragen 4, 5, 6, 7 im Fragebogen).
Der Status quo erfordert eine signifikante Veränderung in der Geschlechterverteilung auf Führungsebene, um die Herausforderungen von Tokenism zu überwinden. Die Umsetzung der Frauenquote für DAX-Unternehmen betrachten die befragten Frauen daher als hilfreich. Zum einen würden durch das damit ausgelöste Bewusstsein auch Kund:innen genauer prüfen, wer von Beratungsseite auf Projekten eingesetzt werde, zum anderen wäre aus Sicht einiger Interviewpartnerinnen eine solche Quote auch für die Beratung hilfreich, um Tokenism zu überwinden (vgl. Interviews 7 und 9).
Die männlich geprägte Organisationskultur und die Wirkung von Geschlechterstereotypen beeinflussen auch die Bewertung von weiblichen Führungskräften. In beiden Erhebungen konnte eine Stereotypinkongruenz (Role-Congruity-Theory, vgl. Eagly, Karau 2002) bei Frauen in der Branche festgestellt werden, die nach Angaben der Interviewpartnerinnen bereits beim Berufseinstieg spürbar ist: So berichtet eine Senior Managerin, dass sie trotz gleicher Leistung stets weniger ernst genommen wurde als ihre männlichen Kollegen. Eine andere Managerin wurde fälschlicherweise für eine Messehostess gehalten, während ihr männlicher Kollege als technischer Fachmann angesprochen wurde, obwohl beide die gleiche Aufgabe ausführten (vgl. Interview 5). Die Geschlechterstereotype und männlichen Spielregeln der Branche führen zu einer Rolleninkongruenz von Frauen und dem Beratungsberuf im Allgemeinen sowie einer Führungsfunktion im Besonderen. Diese Wahrnehmungsverzerrung kann im alltäglichen Handeln negative Auswirkungen auf die jeweiligen Leistungserwartungen und -bewertungen der Beraterinnen durch ihr Umfeld haben. Frauen wird also tendenziell weniger zugetraut und sie müssen sich im Vergleich zu Männern „zehn Mal mehr beweisen“ (Interview 10). Dass die Kompetenz weiblicher Führungskräfte häufiger infrage gestellt wird, gab dementsprechend drei Viertel der befragten Beraterinnen in der Umfrage an, Zweifel an der Kompetenz von Männern beobachtete dagegen nur ein Viertel (vgl. Frage 12 ff. im Fragebogen).
Besonders im Beförderungskontext wird die Spannung zwischen geschlechterstereotypen Erwartungen an Frauen und den Anforderungen an eine Führungskraft deutlich. Männlich geprägte Kriterien dominieren die Beförderungsprozess: Eine Senior Managerin, die aus einem Assessment als die Beste hervorging, erhielt den Hinweis, sie sei „zu pushy“ – eine Kritik, die deutlich macht, dass die Erwartungen an weibliches Verhalten in der Führung oft im Widerspruch zu den geforderten Durchsetzungsfähigkeiten stehen. Andere Interviewpartnerinnen beschreiben, wie sie sich an stereotype männliche Verhaltensweisen anpassen mussten, um ihre Chancen auf beruflichen Aufstieg zu verbessern (vgl. Interview 3, 7 und 10). Dieses Auftreten kann die Karriereentwicklung unterstützen, gleichzeitig aber auch „Sympathiepunkte kosten“ (Interview 3), wie bereits auf Makro-Ebene hinsichtlich der Strategie des Doing Masculinity erklärt.
In Bezug auf die Role-Congruity-Theory zeigen die gewonnen Erkenntnisse, dass Frauen in der Beratung unsichtbaren, männlich geprägten Bewertungsmaßstäben gegenüberstehen, die die Wahrnehmung ihrer Kompetenz und Leistung negativ beeinflussen. Männliche Führungskräfte hingegen profitieren von einem höheren Maß an Rollenkongruenz und stereotypischen Erfolgsattributen, was ihren Karriereweg erleichtert und die Herausforderungen der Kolleginnen im Gesamtkontext verdecken kann.
Auch in Bezug auf das Lack-of-Fit-Model (vgl. Heilman 1983) spielen Geschlechterstereotype eine entscheidende Rolle, insbesondere hinsichtlich der spezifischen Anforderungen an Berater:innen in höheren Positionen. Hier wurde in den Interviews der Person-Rollen-Fit, der Person-Job-Fit, der Person-Organisation-Fit und der Person-Gruppe-Fit untersucht (vgl. ebd.). Ein geringer Person-Rollen-Fit validiert die Ergebnisse der Role-Congruity-Theory: Die Wahrnehmung und Bewertung des Erfolgs weiblicher Führungskräfte wird verzerrt. Ein mangelnder Fit kann zudem auch selbst wahrgenommen werden, was zu einem geringeren Engagement und einer verminderten Leistungsfähigkeit führen kann.
Hinsichtlich des Person-Job-Fits sind die Anforderungen an Berater:innen, insbesondere in Führungspositionen, stark von den männlich geprägten Spielregeln beeinflusst. Stereotypisch männliche Eigenschaften wie Dominanz und Selbstbewusstsein werden als erforderlich erachtet. Frauen, die diese Eigenschaften in ihrer Rolle umsetzen können, zeigen einen hohen Person-Job-Fit, was sich positiv auf ihre Karriere auswirkt. Umgekehrt führt ein geringer Person-Job-Fit oft zu einer schlechteren Leistungsbewertung, unabhängig vom tatsächlichen Erfolg.
Für den dritten Aspekt, den Person-Organisation-Fit, ist die Unternehmenskultur ein entscheidender Aspekt, wobei die männlich dominierte Kultur in der Beratungsbranche häufig zu einer geringen Passung für Frauen führt. Mikroaggressionen und stereotype Zuschreibungen fördern ein Gefühl der Ausgrenzung (vgl. Interview 5), was sich negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirkt. Zudem beschränkt sich die Rolle von weiblichen Mitarbeiter:innen in einigen Beratungsorganisationen nach Aussage mehrerer Interviewpartnerinnen auch heute noch überwiegend auf Assistenztätigkeiten und Beraterinnen-Positionen unterhalb des Managements. Diese Verteilung wirkt sich negativ auf den Person-Organisation-Fit aller weiblichen Führungskräfte in diesen Unternehmen aus, da Rollenklischees bedient und reproduziert werden.
Lediglich hinsichtlich des Person-Gruppe-Fits berichten einige Interviewpartnerinnen von positiven Erfahrungen in männlich dominierten Teams, in denen sie sich nicht benachteiligt, sondern integriert fühlten. Dem gegenüber standen Berichte über kompetitive Teamkulturen und „Ellenbogen-Mentalität“ (Interview 8), die zu einem geringeren Leistungsengagement oder sogar zur Kündigung führten.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass für weibliche Führungskräfte tendenziell ein Lack-of-Fit in der Beratungsbranche vorliegt. Dies zeugt von der Existenz einer Male Gendered Organization und einer ungünstigen Unternehmenskultur hinsichtlich der Karrierechancen von Frauen. Diese Kultur wirkt sich auch auf die Regeln für Erfolg und Misserfolg in der Branche aus.
In der vorliegenden Arbeit konnten einige solcher Regeln identifiziert werden, darunter branchenübergreifende Erfolgsfaktoren wie Engagement, Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, einen großen Anteil der Lebenszeit in die Arbeit zu investieren. Viele der befragten weiblichen Führungskräfte betonen, dass harte Arbeit und der Fokus auf die eigenen Umsatzzahlen entscheidend sind, um in der Branche erfolgreich zu sein (vgl. Interviews 2 und 10). Dass sich dieses notwendige Engagement mit der Übernahme von Care-Arbeit schwerer umsetzen lässt, stabilisiert die Ungleichheit der den Geschlechtern jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen. Durch die bereits beschriebene Verzerrung der Kompetenzwahrnehmung und -bewertung können Beraterinnen zudem bei gleicher Leistung Nachteile erfahren. Auch müssen sie, wie im vorangegangenen Kapitel zur Makro-Ebene beschrieben, Zeit und Energie zur Bewältigung von Geschlechterstereotypen oder deren Folgen (u. a. Tokenism) investieren. Es bleiben also weniger Ressourcen für die Erfüllung männlich geprägter Spielregeln, um den beruflichen Aufstieg in der Branche gleichermaßen zu realisieren.
7.1.3 Individuelle Ebene: Doing Gender als Herausforderung für Frauen
Das Doing Gender erwies sich in der durchgeführten Untersuchung als ein zusätzlicher Aufwand, dem Frauen – unabhängig von ihrer Karrierestufe – in der Beratung ausgesetzt sind. Die Interviews mit weiblichen Führungskräften verdeutlichen, dass Geschlecht als Einflussfaktor auf die berufliche Entwicklung eine wichtige Rolle spielt. Auffällig ist, dass dieser Einfluss oft erst im Laufe der Karriere wahrgenommen wird: Einige Interviewpartnerinnen berichten von einer gewissen „Naivität“ zu Beginn ihrer Karriere (Interview 5). Die Notwendigkeit für geschlechtsspezifische Förderprogramme in der Beratung erschien ihnen als eher gering (vgl. Interviews 1 und 7). Sie alle bezeichnen diese Programme jedoch heute als sehr relevant und die auf Makro- und Meso-Ebene genannten Herausforderungen als Gründe für diese Relevanz. Das Bewusstsein für die Schwierigkeiten von Frauen im Umgang mit dem eigenen, als weibliche gelesenen Geschlecht in einer männlich geprägten Organisationskultur wächst also retrospektiv.
In Bezug auf die Strategien, mit denen Beraterinnen Herausforderungen auf Mikro-Ebene begegnen, setzen die befragten weiblichen Führungskräfte auf unterschiedliche Ansätze: Wie bereits erwähnt werden hauptsächlich stereotypisch männliche Verhaltensweisen adaptiert (Doing Masculinity) oder der Versuch unternommen, das eigene Geschlecht zu neutralisieren (Undoing Gender). Einzelne Interviewpartnerinnen berichten von einer bewussten Betonung der Weiblichkeit (Doing Femininity); so trägt eine Senior Managerin seit ihrer Beförderung hohe Schuhe, eine Partnerin kleidet sich wieder bunter. Gemein haben sie, dass sie diese Strategie nur wählen, weil sie hohe Führungspositionen erreicht haben und „niemandem mehr etwas beweisen müssen“ (Interview 10 sowie Fragen 15, 16 und 17 im Fragebogen).
Diese Haltung zeigt, wie sehr die männlich geprägten Erfolgsfaktoren internalisiert werden. Die Normen und Werte der Male Gendered Organization haben einen tiefen Einfluss auf Selbstbild und Verhalten der Beraterinnen. Stereotypisch männliches Auftreten und Verhalten werden als Maßstab und notwendige Voraussetzung für Erfolg in Führungspositionen übernommen (vgl. Interviews 3 und 10). Langfristig kann das nach Aussage der Interviewpartnerinnen jedoch hohe persönliche Kosten verursachen, da insbesondere Doing Masculinity auf Dauer als emotional und psychisch belastend beschrieben wird (vgl. Interviews 1 und 10). Erschwerend kommt hinzu, dass einige der in der Umfrage erreichten Frauen auch von intersektionalen Diskriminierungen betroffen sind, etwa aufgrund ihrer Herkunft oder sexuellen Orientierung. Diese mehrschichtigen Benachteiligungen stellen zusätzliche Herausforderungen dar, die sie in ihrer Karriere bewältigen müssen (vgl. Frage 27).
Insgesamt verdeutlichen die Interviews, dass Frauen in der Beratungsbranche durch Doing Gender vor dauerhaften und vielschichtigen Hindernissen stehen. Alle Strategien im Umgang mit dem eigenen Geschlecht im Berufskontext haben gemeinsam, dass sie von den Beraterinnen zusätzliche Kraft, Zeit und andere Ressourcen erfordern. So geben dreiviertel der Umfrageteilnehmerinnen an, regelmäßig mentale Kapazitäten dafür nutzen zu müssen, wie weiblich sie sich präsentieren (vgl. Frage 19). Rund zwei Drittel (vgl. Frage 20) betreiben sogar tatsächlichen Aufwand in Form der besonderen Aufbereitung des Äußeren (Schönheitshandeln, vgl. Degele 2004). Das Ziel ist vor allem die Steuerung der Außenwahrnehmung und die Navigation in einer Umgebung, in der Weiblichkeit einerseits oft unsichtbar gemacht wird und andererseits negativ behaftet ist. Typisches Schönheitshandeln ist nach Angabe der Interviewpartnerinnen ein dezentes Make-Up und professionelles Outfit in gedeckten Farben, was als „sehr seriös“ (Interview 5) beschrieben wird. Hier zeigt sich die Aneignung des männlichen Branchenideals und die Tendenz zu Assimilation oder Undoing Gender erneut.
Hinsichtlich des Schönheitshandelns ist eine Veränderung im Laufe der Karriere zu beobachten: Während in den Anfangsjahren oft die beschriebene Anpassung an männliche Ideale dominiert, um nicht als weiblich wahrgenommen zu werden und entsprechende Nachteile zu erfahren, eröffnen höhere Positionen und zunehmende berufliche Sicherheit größere Spielräume. Weibliche Führungskräfte können ihr Auftreten und Aussehen bewusster inszenieren, ohne dass dies zwangsläufig zu einer Infragestellung ihrer Kompetenz führen muss (vgl. Interviews 3 und 5). Dies berichten auch zahlreiche Teilnehmerinnen der Umfrage (vgl. Frage 15 ff. im Fragebogen).
Unabhängig von dieser Veränderung bleibt Schönheitshandeln für Frauen in der Beratung ein Risikofaktor für die Kompetenzwahrnehmung sowie eine permanente Zusatzleistung, die von ihnen verlangt, ihr Äußeres strategisch zu managen, um nicht auf ihr Geschlecht und die damit verbundenen Eigenschaften reduziert zu werden. Dieser zusätzliche Aufwand ist für Männer weitgehend unsichtbar, was zu ungleich verteilten Ressourcen und Lasten zwischen den Geschlechtern in der Beratungsbranche führt.
Ein weiteres zentrales Ergebnis auf Mikro-Ebene betrifft die Rolle von Netzwerken und Mentoring für die Karriereentwicklung. Der Zugang zu beidem ist für Frauen oft begrenzt, da traditionelle berufliche Netzwerke häufig von Männern dominiert werden. Dies muss nicht zwangsläufig auf ein bewusstes Ausschließen von Frauen zurückzuführen sein, sondern kann sich auch in unbewussten Vorurteilen in Bezug auf die Auswahl von Netzwerkpartner:innen und Mentees begründen. Männer in Führungspositionen neigen dazu, Personen zu bevorzugen, die ihnen ähnlich sind (Thomas-Kreislauf, vgl. AllBright 2017), was Frauen systematisch benachteiligen kann. Netzwerke und Mentoring-Programme, die speziell auf Frauen zugeschnitten sind, könnten entsprechend der durchgeführten Umfrage ein Mittel sein, um dem entgegenzuwirken (vgl. Frage 4 f.).
Als ein ähnlicher Erfolgsfaktor für die Karriereentwicklung konnte in beiden Studien Sponsoring identifiziert werden. Da dieses im Gegensatz zu Mentoring nicht nur auf beratende Unterstützung, sondern auf das aktive Schaffen von Beförderungsoptionen abzielt, ist der Zugang zu Sponsor:innen im eigenen Unternehmen laut drei Viertel der befragten Beraterinnen „unverzichtbar“ oder „sehr wichtig“ für die eigene Karriere (vgl. Frage 7). Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse, dass Frauen im Vergleich zu Männern nicht gleichermaßen Zugang zu diesen formellen und informellen Unterstützungsmechanismen haben. Neben der homosozialen Kooptation männlicher Führungskräfte verstärkt der Mangel an weiblichen Führungskräften in hochrangigen Positionen diese Problematik. Die Sichtbarkeit der eigenen Leistung kann jedoch dazu führen, als Beraterinnen trotz der Situation eine:n Sponsor:in zu finden, wie mehrere Interviewteilnehmerinnen bestätigen.
In den Interviews wurde Sichtbarkeit zudem als allgemeiner Erfolgsfaktor identifiziert: Frauen müssten ihre Leistung aktiv vermarkten und sich selbst ins Gespräch bringen, das sei aus Sicht einer Interviewpartnerin „das A und O“ (Interview 6). Dabei wird klar, dass Erfolg in der Beratungsbranche nicht allein durch fachliche Leistung erreicht wird, sondern auch durch die Bereitschaft, in einem herausfordernden Umfeld Präsenz zu zeigen und die eigene Kompetenz proaktiv zu vermitteln. Da männliche und weibliche Führungskräfte für gleiche Verhaltensweisen jedoch unterschiedlich bewertet werden, sind die Voraussetzungen für beruflichen Erfolg entsprechend heterogen. Beraterinnen tragen das Risiko, für Selbstvermarktung aufgrund von Geschlechterstereotypen negativ bewertet zu werden (vgl. Interviews 3 und 10), was die Erfüllung dieses Erfolgsfaktors erschwert.
Besondere Relevanz unter den Ergebnissen verdient der Aspekt der monoedukativen Bildung. Die Auswirkungen segregierter Lernumgebungen, insbesondere von Mädchenschulen und Mädchenklassen, auf die berufliche Laufbahn von Frauen wurden bislang in Bezug auf die Beratungsbranche nicht untersucht. Obwohl nur circa 0,5 % der Schulen in Deutschland reine Mädchenschulen sind, gaben vier der zehn Interviewpartnerinnen an, monoedukative Bildung erhalten zu haben. Sie führen ihren beruflichen Erfolg unter anderem auf das Fehlen von geschlechterbezogenen Rollenerwartungen und den ausbleibenden Vergleich mit Jungen in ihrer schulischen Entwicklung zurück. Die Tatsache, dass immerhin ein Zehntel der Beraterinnen in der quantitativen Befragung ebenfalls in einer solchen Umgebung unterrichtet wurden (vgl. Frage 8), verstärkt die Annahme, dass diese Form der Bildung positive Effekte auf die spätere Karriere haben könnte.
Theoretisch unterstützt wird dies durch die Hypothese, dass koedukative Umgebungen unbewusste hierarchische Strukturen zwischen den Geschlechtern verfestigen, was Mädchen in ihrer Selbstentfaltung benachteiligen kann. So zeigte sich in früheren Studien, dass sich Schülerinnen in getrennten Klassen dominanter und vielseitiger in Fächern wie Physik behaupten können. (vgl. Metz-Göckel 2005) Besonders bemerkenswert ist auch, dass über die Hälfte der befragten Beraterinnen aus monoedukativen Systemen über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren getrennt unterrichtet wurde, was laut Flaake (2006) zu einer nachhaltigen Entwicklung von Selbstvertrauen und Kompetenz führen kann.
Zwar lässt sich auf Grundlage der Daten kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Besuch einer Mädchenschule und der Berufswahl ‚Beraterin‘ oder dem Erfolg in dieser Branche nachweisen, doch legen die Ergebnisse nahe, dass Frauen in diesen Umgebungen möglicherweise „erfolgsfördernde Charaktereigenschaften wie ein selbstbewusstes Auftreten und Durchsetzungsstärke“ (vgl. Interview 4) erwerben, die in der Beratungsbranche von Vorteil sind. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass auch andere Faktoren, wie die soziale Herkunft und der akademische Hintergrund, einen Einfluss auf die Schul- und Karrierewege dieser Frauen haben könnten.
Insgesamt regen die Ergebnisse dieser Studie zu weiterführender Forschung an, um Hypothesen über den Zusammenhang zwischen monoedukativer Bildung und beruflichem Erfolg systematisch zu überprüfen. Dabei könnten insbesondere die Dauer und Intensität der Geschlechtertrennung, der Einfluss des familiären Hintergrunds sowie die Entwicklung von Selbstbewusstsein und Führungskompetenzen im Mittelpunkt stehen.
Die durchgeführte qualitative Untersuchung zeigt, dass weibliche Führungskräfte in der Beratungsbranche aufgrund von tief verankerten Geschlechterstereotypen und strukturellen Ungleichheiten nach wie vor erheblichen Herausforderungen gegenüberstehen. Die quantitative Befragung bestätigt diese Annahmen anhand einer umfassenden Stichprobe.
Damit wurden die existierenden Erkenntnisse zu Frauen in der Beratungsbranche (vgl. Dornheim 2015, Grass 2006, Rudolph 2004, Hördt 2002) bekräftigt: Die zwangläufige Wahrnehmung ihres weiblichen Geschlechts im strukturellen, institutionellen und individuellen Kontext kann einen negativen Einfluss auf die Karrierewege von Beraterinnen in höhere Führungspositionen haben, der von außen nicht immer ersichtlich ist.
7.2 Kritische Würdigung der Arbeit
Die Arbeit positioniert sich in der sozialwissenschaftlichen und organisationssoziologischen Genderforschung und setzt die Forschung im Bereich Frauen und Karriere im Beratungskontext in Deutschland knapp zehn Jahre nach der letzten einschlägigen Veröffentlichung durch Dornheim (2015) fort. In einem interdisziplinären Ansatz wurden verschiedene theoretische Konzepte und Studien aus der sozialwissenschaftlichen Genderforschung sowie Wirtschafts- und Organisationssoziologie integriert. Hinsichtlich des Vorgehens wurde ein innovativer methodischer Ansatz gewählt und große Sorgfalt auf Arbeitsweise und Dokumentation gelegt. So konnte im Rahmen einer Methodentriangulation die Erhebung qualitativer Daten mit der Erhebung quantitativer Daten kombiniert werden. Die Sorgfalt drückte sich dabei vor allem in einer stetigen Begründung der ausgewählten Vorgehensweise, erhobenen Aspekte und Anknüpfungspunkte aus. Zudem wurde neben einer Diskussion in einem Dissertationskolloquium jeweils ein Pretest zur Verbesserung der Qualität und Tiefe der quantitativen und qualitativen Erhebungsmaterialien durchgeführt.
In der qualitativen Studie konnten insgesamt 12 Interviewpartnerinnen gewonnen werden, wobei zwei sich nachträglich entschieden, die Einwilligung zur Nutzung der Daten zurückzuziehen, unter anderen aus Sorge um die Anonymität der eigenen Person. Diese Sachlage verdeutlicht die Sensibilität und Relevanz eines Forschungsfeldes, in dem aufgrund der geringen Anzahl an Frauen in höheren Führungspositionen schon wenige Informationen ausreichen könnten, um Einzelpersonen zu identifizieren und vertrauliche Informationen gegen diese zu verwenden. Diese besonderen Spezifika sollten auch in zukünftigen wissenschaftlichen Arbeiten in diesem Bereich berücksichtigt werden.
Die zehn verbleidenden Interviews wurden sorgfältig mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel (2009) ausgewertet. Hierbei entstand mit fast eintausend Textstellen sortiert in sechs Code-Gruppen ein umfangreicher Datensatz, der sowohl Erkenntnisse aus zitierten Veröffentlichungen widerspiegelt als auch neue Aspekte hervorbringt. Eine Limitation besteht in der Homogenität der Interviewgruppe, welche die Möglichkeit zur Einbeziehung verschiedener Diversitätsdimensionen einschränkt. Dem Wunsch, intersektional zu forschen und Kategorien wie beispielsweise Race oder sexuelle Orientierung miteinzubeziehen, konnte nicht in vollem Umfang entsprochen werden. Dies ergab sich vor allem aus den Kategorien selbst: Die sexuelle Orientierung ließ sich innerhalb der untersuchten Gruppe ethisch nicht systematisiert und extern erfassen und entsprechende Personen konnten somit nicht gezielt für ein Interview gewonnen werden. Bei Race bestand neben der sehr geringen Verfügbarkeit von BiPoC unter Führungskräften zudem die Gefahr von Tokenism. Die Suche nach entsprechenden Interviewpartnerinnen wurde daher eingestellt, es konnten jedoch durch Zufall eine nicht-heterosexuelle sowie eine im Ausland geborene Führungskraft interviewt werden. Dadurch wurden relevante Diskriminierungsdimensionen und deren Interdependenzen mit Gender zumindest eingeschränkt berücksichtigt.
Dieser Limitation steht die Stärke der verwendeten Methodentriangulation gegenüber. Durch die Erhebung quantitativer Daten im Anschluss an die Interviews konnten relevante Aspekte aus den Ergebnissen erneut aufgegriffen und deren Validität und Zuverlässigkeit geprüft werden. Insbesondere für die neuen Erkenntnisse rund um monoedukative Bildung als möglichen Einflussfaktor auf die Karriere war dieses Vorgehen wertvoll. Zudem wurden in den Freitextantworten der digitalen Fragebögen die Aspekte Race und sexuelle Orientierung neben dem Gender als zusätzliche Herausforderungen einer weiblichen Führungskraft in der Beratungsbranche genannt. Hier konnte die Qualität und Tiefe der Ergebnisse hinsichtlich intersektionaler Kategorien verbessert werden. Die Triangulation hat also die Qualität der Erkenntnisse steigern können.
In Bezug auf die genannte intersektionale Geschlechterperspektive kann dieser Arbeit eine Neigung zu Binarität attestiert werden. Diese ergibt sich aus der starken traditionellen Prägung des Untersuchungsgegenstands ‚Beratungsbranche‘, die sowohl in vergangenen Veröffentlichungen als auch den durchgeführten Studien sichtbar wird. So konnte keine offen nicht-binäre Interviewpartner:in und nur zwei anonyme nicht-binäre Personen in der Befragung von rund 555 Personen gewonnen werden. Diese Zentralität von Zweigeschlechtlichkeit fällt möglicherweise zu Lasten einer differenzierten, feministischen Betrachtung der Thematik: Gender als alleinige Kategorie ist nicht geeignet, Ungleichheiten zu erklären, es ist vielmehr notwendig
[…] dass wir uns von einer Einzelkategorienorientierung in der Theoretisierung lösen müssen und stattdessen breitere, integrierte, nuanciertere Rahmen nutzen sollten, die es uns ermöglichen, Ungleichheiten in Organisationen umfassender zu hinterfragen. Wir rahmen diese These in Bezug auf fünf verschiedene Ansätze: Intersektionalität, dekoloniales Denken, Ökofeminismus, Queering und Theoretisierung jenseits des Menschlichen. In diesen fünf Bereichen erkennen wir theoretisches, empirisches und methodologisches Potenzial für die weitere Entwicklung der geschlechtsspezifischen Organisationsforschung aus und mit feministischen Perspektiven. (Rodriguez, Guenther 2022, S. 3)
Dieser intersektionale Ansatz sollte zukünftig mehr berücksichtigt werden und wird im folgenden und abschließenden Kapitel zu Forschungsdesideraten wieder aufgegriffen.
7.3 Ausblick auf weitere Forschungsfelder
Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, welche Herausforderungen die Karrierewege von Beraterinnen in Deutschland beeinflussen. Die Erkenntnis, dass viele dieser Einflüsse bislang eher unbekannt und teilweise für Nicht-Betroffene unsichtbar sind, demonstriert weiteren Forschungsbedarf. Dies wird durch den empirischen Forschungsstand zu Frauen im Consulting in Abschnitt 4.2 Studienlage zu Frauen in der Beratungsbranche untermauert, der aufgezeigt hat, dass bisher nur wenige Veröffentlichungen speziell an dieser Schnittstelle angesiedelt sind. In der Vergangenheit verstrichen teilweise lange Zeitspannen von einem Jahrzehnt bis zur jeweiligen Anschlussforschung, was eine kontinuierliche wissenschaftliche Evaluation der Situation erschwert.
Zu den in dieser Arbeit vorgestellten Erkenntnissen bieten sich somit mindestens drei Anknüpfungspunkte zur weiteren wissenschaftlichen Untersuchung an:
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Eine Untersuchung der Veränderungen der identifizierten negativen Einflüsse im Verlauf der Zeit bietet die Möglichkeit, die Dynamik dieser Einflüsse zu verstehen und ihre Entwicklung im Kontext gesellschaftlicher und institutioneller Bemühungen zu betrachten. Durch eine systematische Analyse, beispielsweise mittels Längsschnittstudie, können Ursachen für die Persistenz der negativen Einflüsse und Handlungsoptionen identifiziert werden.
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Eine detailliertere Betrachtung der identifizierten Erfolgsfaktoren könnte zur Ableitung praktischer Implikationen führen, die den Organisationen dabei helfen, kurzfristig positive Veränderungen für weibliche Mitarbeiter:innen zu erzielen und die Kultur langfristig so zu gestalten, dass sowohl mehr Frauen als auch andere unterrepräsentierte Gruppen in Führungspositionen gelangen.
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Die Durchführung spezifischer Forschung zu monoedukativer Bildung und ihrem potenziellen Einfluss auf die berufliche Entwicklung bietet die Möglichkeit, tiefergehende Erkenntnisse über die Mechanismen und Effekte dieses Bildungsansatzes zu gewinnen. Dies umfasst die Untersuchung der Auswirkungen von monoedukativen Schulen auf die akademische Leistung, die Entwicklung von Fähigkeiten und Kompetenzen, das Berufswahlverhalten und die spätere Karriereentwicklung. Durch eine differenzierte Analyse könnten Empfehlungen für Bildungspolitik und -praxis abgeleitet werden, die langfristig dazu beitragen, dass sich mehr Frauen für eine Karriere in bislang männerdominierten Berufen entscheiden. Weitere detaillierte Ansätze für Desiderate finden sich in Abschnitt 6.6.1 Potenzieller Erfolgsfaktor I: Monoedukative Bildung).
Denkbar wären zudem qualitative Forschungsvorhaben mit einem anderen Fokus:
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Interviews mit Frauen in leitenden Positionen, die die Branche verlassen haben, um genauer zu verstehen, welche Faktoren dazu geführt haben und welche Einflüsse diesbezüglich auf hochrangige Managerinnen einwirken;
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eine Befragung männlicher Führungskräfte, um deren Wahrnehmung der Situation für Beraterinnen zu ermitteln und sie für mehr Diversität und Gleichberechtigung zu sensibilisieren;
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eine Analyse der Strategien von Frauen in hohen Führungspositionen, die Familie und Karriere vereinbaren, um Herausforderungen und Lösungsoptionen für die Branche zu identifizieren;
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eine Untersuchung der Anforderungen der Generation Z an das Consulting, um zu verstehen, wie junge Frauen gewonnen und langfristig gehalten werden können;
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eine Betrachtung von Best Practices und Trends im Ausland, um effektive Maßnahmen zur Förderung der Geschlechtervielfalt und -gleichstellung nachzuvollziehen.
Generell wäre es zudem wünschenswert, das Consulting hinsichtlich des Geschlechterverständnisses als nicht ausschließlich binär zu betrachten, auch wenn sich in dieser Arbeit gezeigt hat, dass diese zweigeschlechtliche Prägung bis heute wirkt. Es konnte keine offen non-binäre Führungskraft in der deutschen Beratungsbranche identifiziert werden und nicht einmal ein Prozent der in der Umfrage erreichten Berater:innen gab an, sich nicht als cis-geschlechtlich zu identifizieren. Wissenschaftliche Untersuchungen würden Realitäten abseits der binären Norm sichtbar machen und helfen, besser zu verstehen, welchen Einflüssen non-binäre Personen unterliegen. Hier können intersektionale Ansätze helfen, einen breiteren Fokus zu setzen.
Die vorliegende Arbeit konnte theoretisch und empirisch fundiert zeigen, dass das männlich geprägte Verständnis der Führungsrolle in der Beratungsbranche sowie die Erwartungen an Beraterinnen auf Geschlechterstereotypen basieren und nach wie vor Ungleichheiten manifestieren. Die Vertiefung dieser Erkenntnis und letztendlich der Transfer in die Praxis, wird Aufgabe zukünftiger Forschungsvorhaben sein.
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