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2008 | Buch

Zwischen Methodenpluralismus und Datenhandel

Zur Soziologie der kommerziellen Konsumforschung

herausgegeben von: Dominik Schrage, Markus R. Friederici

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

Der vorliegende Band ist aus den Beiträgen der Tagung „Zwischen Method- pluralismus und Datenhandel. Zur Soziologie der Marktforschung“ hervorgeg- gen, die im November 2006 am Institut für Soziologie der Universität Hamburg stattfand und von Andreas Rieper, Markus Friederici und Dominik Schrage or- nisiert wurde. Auf der einen Seite wurde damit eine Reihe früherer Tagungen der AG Konsumsoziologie fortgeführt, die sich mit anderen Instanzen des modernen Konsumgeschehens befaßt hatten – wie der Werbung, dem Shopping und der Marke. Bei diesen früheren Tagungen hatte sich die Marktforschung als ein wenig berücksichtigter Aspekt des modernen Konsums erwiesen, und so lag es nahe, diesem Desideratum eine Tagung zu widmen. Auf der anderen Seite hatte insbesondere Andreas Rieper, der professionell in der Marktforschung tätig ist, ein starkes Interesse an einer soziologischen Reflexion der Marktforschungs- Praxis bekundet, ein Interesse, dem auch weitere in der kommerziellen F- schung tätige Sozialwissenschaftler durch ihre Bereitschaft Ausdruck verliehen, aktiv mit Vorträgen an der Tagung teilzunehmen. In ihrem Verlauf ergab sich eine Vielzahl von anregenden Diskussionen, u. a. über die Chancen und Grenzen qualitativer und quantitativer Konsumf- schung, über die Schnittmengen zwischen der kommerziellen und akademischen Anlage von Untersuchungen und über die Verwertung von Datenmaterial durch die Auftraggeber – ein Spektrum, das auch in den folgenden Beiträgen zum A- druck kommt. Die meisten der in Hamburg gehaltenen Vorträge sind – unter Berücksichtigung der sehr anregenden Diskussionen – in die Beiträge dieses Bandes eingegangen; weitere Beiträge sind hinzugekommen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Zur Situierung der kommerziellen Konsumforschung

Frontmatter
Zur Soziologie der kommerziellen Konsumforschung
Auszug
Sozialwissenschaftliche Konsumforschung ist — unabhängig von den wechselnden Konjunkturen des Themas in der Soziologie — seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil dessen, was man die Infrastrukturen des modernen Massenkonsums nennen könnte — also jener Mechanismen und Verfahren, welche die Kontakte zwischen Anbietern und Kunden angesichts hochkomplexer Marktbeziehungen herstellen, vermitteln und aufrechterhalten. Diese angewandte Variante der Konsumforschung versteht sich als Teil der Marktforschung, welche das „systemati-sche Einholen und Auswerten von Informationen über Personen oder Organisationen“ betreibt, mit dem Ziel, „Einsicht zu gewinnen oder das Treffen von Entscheidungen zu unterstutzen“ — so eine kodifizierte Selbstbeschreibung (ICC/ ESOMAR 2007: 3). Als Auftragsforschung ist sie maβgeblich in die Beziehungen zwischen Anbietern und Kunden eingebunden, die im 20. Jahrhundert aufgrund technologischer Innovationen im Produktionsbereich, schnellerer und billigerer Transportwege sowie der durch Massenmedien stark gesteigerten Werbe-möglichkeiten tiefgreifende Veränderungen erfahren haben. Allein eine sich wissenschaftlicher Methoden bedienende Konsumforschung scheint in der Lage zu sein, Anbietern von Konsumgütern noch einen Überblick über das aktuelle, womöglich auch das zukünftige Kauf- und Nutzungsverhalten der immer zahlreicher werdenden und zugleich aus dem Wahrnehmungsfeld der Unternehmen gerückten potentiellen Kunden zu geben.
Dominik Schrage
Zur Rolle der Marktforschung in der Konsumgesellschaft
Auszug
„Nun, sehen Sie, Miss Ford, wir leben in einer komplizierten Gesellschaft, die es vorzieht, dem Wettbewerb alle Risiken zu entziehen. Deshalb gibt es auch mehr Meinungsforschungsinstitute als ein normaler Sterblicher zu zählen vermag. Bevor wir ein Produkt auf den Markt bringen, wollen wir erfahren, wer es kaufen wird, wie oft und was man dafür anlegen will; welche Gründe fur Bekenntnisse maβgebend sind; welche Chancen Gouverneur Stone hat, wieder gewählt zu werden; welche Waren besonders viel verlangt werden; ob Tante Bessie in der nächsten Modesaison blau oder rosa vorzieht.“ (Daniel F. Galouye, Simulacron 3, 1965)
Kay-Volker Koschel

Validität als Prestigewert der kommerziellen Konsumforschung

Frontmatter
Theorie der feinen Daten
Über den Konsum von Zahlen und Tabellen
Auszug
Es gibt viele Daten über Konsum. Doch es gibt Weniges über den Konsum dieser Daten. Dabei ist der ökonomische Wert von Daten über Konsum augenfällig: Je unbekannter die Märkte sind, je unsicherer die Informationen über die Akzeptanz eines Produkts sind, als um so begehrter erweisen sich Daten über Märkte: Sie stellen darin augenscheinlich selbst ein gefragtes Konsumgut dar. Das Verständnis dieser Daten und ihres Gebrauchs ruft konsequenterweise auch nach einer konsumsoziologischen Fragestellung. Dabei stellt sich zuallererst die Frage, was denn genau konsumiert wird. Konsumiert werden symbolische Güter, die, als Konsequenz des oben genannten Begehrens, Konsumenten und Konsum vornehmlich in Form von Diagrammen und Reihen numerischer Werte erscheinen lassen, die über Alter, Geschlecht, Einkommen, Milieu, Kaufgewohnheiten und Absichten potentieller Konsumenten berichten. Zeigt sich darin auch anderes und mehr als der Wunsch nach Informationen über den Konsum? Wie ist dieses Wissen zu verstehen?
Felix Keller
Zwischen Schein und Sein
Die Bedeutung der Marktforschung für die Werbewirtschaft und ihre Werbung
Auszug
Das Bild eines „gestörten“ Verhältnisses zwischen Vertretern der Werbeindustrie und Marktforschern scheint auf den ersten Blick zu wenig Fragen Anlaß zu geben. Bei aller Unterschiedlichkeit der Definitionen, was „gute“ Werbung ausmacht, wird von kaum jemandem in Frage gestellt, daß ein gewisses Maß an Kreativität dazu gehört. Im Gegenteil: Kreativität wird vielmehr als notwendige Voraussetzung für den Wettlauf um die Aufmerksamkeit des Publikums angesehen und als eine der grundlegenden Erfolgsstrategien der Werbung allgemein akzeptiert. Hierbei erscheinen alle externen Einflüsse, die der Kreativität Grenzen setzen — wie z.B. geringe Budgets für die Kommunikationsmaßnahmen, durch Wissenschaft oder Marktforschung generierte „qualitative“ und „quantitative“ Erkenntnisse oder gar Zielvorgaben — auf den ersten Blick als ein Hemmnis der Kreativität (vgl. Leven 1996; Schnierer 2002a), und die in diesem Zusammenhang operierenden Akteure werden schnell, wie z.B. der Berufsstand der Marktforscher, zu einem „Feindbild“ der Werber stilisiert (vgl. Nerdinger 1990: 118). Dieser erste Eindruck wird durch immer neue (und doch gleiche) Aussagen von Praktikern aus dem Bereich der Werbung genährt, die sich wechselseitig über Testverfahren oder über die angeblich „mangelnde Risikobereitschaft“ ihrer Auftraggeber beklagen. Wirft man einen Blick auf vorhandene Studien zur Durchdringung der Werbewirtschaft mit Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung, scheint sich das Bild einer allgemein kritischen Haltung der Werber gegenüber den Methoden empirischer Forschungsarbeit auch auf den zweiten Blick zu bestätigen. So kommt Thomas Schierl im Rahmen einer qualitativen Grundlagenstudie zu der Erkenntnis, daβ es zwar Anzeichen für die Durchdringung der Werbung mit Erkenntnissen der Kommunikations- und Werbeforschung gibt, die „Diffusion strukturalen Wissens“ sich aber als ein langfristiger und zäher Prozeβ darstellt, der zudem nicht auf der aktiven Aneignung der Werbeakteure basiert (Schierl 2002a: 478f.).
Thomas Heun

Transfers zwischen akademischer und kommerzieller Forschung

Frontmatter
Qualitative Marktforschung als Akteur in der Produktentwicklung
Auszug
Aufgrund ihrer sozialen Wirkungen wurde die Entwicklung technischer Konsumgüter und die Rolle der daran beteiligten Akteure zu einem beliebten Thema soziologischer Forschung (vgl. Weingart 1989; Rammert 2000). Dabei herrschte lange Zeit die Annahme vor, daß vornehmlich Experten aus der technisch-öko-nomischen Sphäre, wie Unternehmer, Ingenieure und Erfinder, technischen Produkten ihre Gestalt und Funktion verleihen und daß diese dann im Verlauf ihrer Diffusion zu Handlungsnotwendigkeiten für ihre Nutzer werden. Später sollte die Frage nach der ungeplanten Aneignung und dem kreativen Umgang mit Konsumgütern die Perspektive umkehren und den Nutzern eine größere Rolle bei Technisierungsprozessen zusprechen. Trotz dieser paradigmatischen Wende mangelt es jedoch an empirischen Fallstudien, welche versuchen, die Genese neuer Technologien explizit aus den Interdepenzen und Interaktionen zwischen Produktions- und Konsumtionssphäre zu erklären. In den meisten Fällen werden sie als gegeben vorausgesetzt, jedoch nicht näher untersucht (vgl. Hörning 1996). Auch unterlassen es viele Arbeiten, sich mit den Mitteln zu beschäftigen, mit denen auf immer weiter verfeinerte Weise Konsumgüter auf den Markt gebracht werden und denen Konsumenten noch vor der eigentlichen Nutzung ausgesetzt sind: Absatz- und Werbestrategien, Produkt- und Preisgestaltung, Distributions- und Verkaufsbedingungen (vgl. Orland 1999). Wer sich demnach mit der kreativen Aneignung neuer Konsumgüter beschäftigt, muß „Produktion“ und „Konsumtion“ als Teile eines komplexen Kreislaufs sehen und kann sich nicht mehr nur mit der Frage beschäftigen, wie technische Konsumgüter in alltägliche Handlungen eingebaut werden.
Edvin Babic, Thomas Kühn
Der „soziale Raum“ der Lebensstile und Prominenten
Auszug
Mit Hilfe von Medien-Nutzer-Typologien werden auf der Basis von sozio-de-mographischen Merkmalen und/oder Lebensstilen Publikumssegmente unter-schieden. Bislang wurde in diesem Zusammenhang relativ oft der Sinus-Lebens-weltenansatz verwendet (Becker/Nowack 1982), relativ selten der Ansatz von Pierre Bourdieu. Letzterer basiert darauf, daß mit Hilfe der Korrespondenzanalyse auf der Basis einer Vielzahl von Merkmalen des Lebensstils ein „sozialer Raum“ aufgespannt wird, dessen Dimensionen als „:okonomisches Kapital“ und „kultu-relles Kapital“ bzw. als „Kapitalvolumen“ und „Zusammensetzung von ökono-mischem und kulturellem Kapital“ interpretiert werden können. Im Rahmen die-ser Arbeit werden zusätzlich zu den Lebensstilmerkmalen präferierte Prominente zur Konstruktion des „sozialen Raumes“ einbezogen. Der so konstruierte „sozia-le Raum“ wird um Elemente der Fernsehpräferenzen erweitert, so daß die Lebens-stile als Publikumssegmente interpretiert werden können und eine sehr detaillierte Mediennutzer-Typologie entsteht. In diesem „sozialen Raum“ können auch Produktpräferenzen lokalisiert werden, was hier am Beispiel gängiger Erfrisch-ungsgetränke gezeigt wird.
Andreas Mühlichen, Jörg Blasius

Die kommerzielle Konsumforschung und das Internet

Frontmatter
Personalisierter Massenkonsum und das Internet
Auszug
Obwohl knapp zwei Drittel aller Deutschen mittlerweile das Internet nutzen (vgl. SevenOne Media GmbH 2005: 14f.), und obwohl im letzten Jahr laut (2007) knapp 700 Mio. Euro1 in Online-Werbung investiert wurden, stellt sich der Online-Markt gegenwärtig immer noch als relativ offenes Feld dar. Derm: Noch gibt es keine etablierten Konventionen, wie (Methoden), wo (thematisches Umfeld) und für wen (Ziel-bzw. Nutzergruppen) zu werben und wie das am besten zu messen sei. Auch für die Einordnung in den Marketingmix2 der Unternehmen gibt es noch keine Standardlösungen. Das Internetals Werbemarkt — stellt somit sowohl Unternehmen und Werbe-Agenturen, als auch Marktforscher vor groβe Probleme. Denn die Formen klassischer Werbung scheinen die Möglichkeiten des Internet nicht adäquat zu nutzen. Zudem wird klar: Internet ist nicht gleich Internet.
Stefan Meißner
Transparente Märkte in interaktiven Wertschöpfungsprozessen
Synchrone Konsumforschung mit vernetzten Konsumenten
Auszug
Open Innovation, Open Source, Interaktive Wertschöpfung, Social Software, Prosumenten, Location-Based-Services, Data-Mining, RFID, Long Tail, Crowdsourcing sowie Kundenkarten und 3D-Drucker gehoren zu den Schlagworten, die eine Wandlung sowohl der Konsumgüterproduktion als auch die Markt- und Konsumforschung markieren. Obwohl jene Innovationen auf vielfaltigen und ganz unterschiedlichen Informationstechniken beruhen, befördern sie zwei grundsätzliche Entwicklungen im Verhältnis von Produzenten und Konsumenten. Die erste Entwicklung gibt Konsumenten ausgebaute Möglichkeiten, sich an der Produktion zu beteiligen. Als so genannte Prosumenten produzieren Konsumenten ihre Konsumgüter selbst. Die Produktionsbereiche, in denen Konsumenten eigenständig produzieren können, werden vielfach mit den Begriffen, „Open Source“ „Open Innovation“, Interaktive Wertschöpfung oder, „Crowdsourcing“ benannt. Die zweite Entwicklung geht mit dem Data-Mining und einer globalen Informationalisierung einher, die die Informationsflut innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette vom Rohstoff bis hin zum Konsumenten durchschaubarer macht. Insbesondere Kundenkarten, Identifikationschips (RFID) und computerunterstützte Kundenkontakte vor Ort (Location-Based Services) ermöglichen Datenspuren, die die Konsumpräferenzen von Individuen für die Konsumforschung transparent werden lassen.
Andreas Schelske
Nachwort
Auszug
Obgleich kommerzielle Markt- und Konsumforschung — in radimentärer Form — von der Sache her wohl schon betrieben wird, seit es Märkte gibt — dies kann bis in die frühsten Zeiten des Fernhandels zurückverfolgt werden — hat sich dieses Tätigkeitsfeld, als eigenständige Branche und Profession, recht spät erst etabliert. Vieles spricht dafür, daß die Institutionalisierung dieses Feldes erst Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts richtig in Gang kam, dann aber sehr schnell Geschwindigkeit aufnahm (vgl. Ott 1976). Denn schon bald gehörte die Markt- und Konsumforschung zum festen Repertoire dessen, was auf verschiedenste Entscheidungsprozesse in Unternehmen regelmäßig Einfluß nahm, und heutzutage ist es für die meisten großen, aber auch für viele mittiere und selbst kleine Unternehmen längst Usus geworden, sich durch entsprechende Markt- und Konsumforschung irritieren und instruieren oder auch nur rückversichern und berahigen zu lassen, gerade wenn es um die Planung, Durchführung und Auswertung bestimmter Marketingaktionen geht.
Kai-Uwe Hellmann
Backmatter
Metadaten
Titel
Zwischen Methodenpluralismus und Datenhandel
herausgegeben von
Dominik Schrage
Markus R. Friederici
Copyright-Jahr
2008
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-91056-7
Print ISBN
978-3-531-15470-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-91056-7