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27.08.2015 | Automobilelektronik + Software | Schwerpunkt | Online-Artikel

Batteriestandort Deutschland zwischen Wunsch und Realität

verfasst von: Markus Schöttle

5:30 Min. Lesedauer

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Nicht nur Batteriemodule, sondern auch Batteriezellen will Bundeskanzlerin Angela Merkel in Deutschland fertigen lassen, von deutschen Zellentwicklern. Nur wenige Energiespeicherexperten halten dies für realistisch. Die Befürworter sagen: Wenn, dann starten wir mit Post-Lithium-Techniken. Das wirft Fragen auf.

Der Elektromobilitätsgipfel der Bundesregierung im Juni dieses Jahres in Berlin hat es nochmals deutlich gemacht: In der Einschätzung, welche Rolle die deutsche Industrie in den Energiespeicherthematiken nach international politischem Willen folgend spielen soll und nach Expertenmeinung überhaupt spielen kann, klafft eine große Lücke. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel unterstrich den Anspruch der Kanzlerin in Berlin und sprach von Rückeroberung der Vormachtstellung, welche die deutsche Batterieindustrie international über Jahrzehnte besetzt hat. Ungeachtet der Diskussionen um Leitmarkt- und Leitanbieterpositionierung hilft ein Fakten-Check auf Basis von mehreren Interviews mit Energiespeicher- und Elektromobilitätsexperten.

OEMs sollten keine Batteriezellhersteller sein

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Unbestritten wird die deutsche Industrie eine bedeutende - in Teilbereichen möglicherweise führende - Rolle in den Energiespeicherentwicklungen spielen, zudem auch in der Batteriefertigung, von Modulen bis zu Systemen. So lässt sich nach Aussage der Interviewpartner ein grundsätzlich positives Stimmungsbild zeichnen, mit der Einschränkung, dass Batteriezellentwicklung und -fertigung nach Meinung der meisten Befragten auch langfristig in koreanischer und japanischer Hand bleiben wird.

LG Chem und Samsung SDI investieren in europäische Batteriezellen-Fertigung für Audi, so titelt Audi jüngst eine Pressemitteilung. "Gemeinsam mit unseren südkoreanischen Entwicklungspartnern bringen wir die Fertigung der neuesten Batteriezellen-Technologie in die EU und stärken den Wirtschaftsstandort Europa bei dieser Schlüsseltechnologie“, veröffentlichte der Audi-Beschaffungsvorstand Dr. Bernd Martens. Die Batteriezellenfertigung stellen Branchenkenner allerdings infrage. Es werde sich um Batteriemodule handeln, die mit Zellen aus koreanischen Fabriken bestückt werden: Die prognostizierten niedrigen Stückzahlen von Hybrid- und Elektrofahrzeugen in Europa würden eine Investition nicht rechtfertigen. Audi nahm im Rahmen der Recherchen keine Stellung zu den Zitaten.

Automobilhersteller Daimler, der unter anderem auch auf LG-Chem-Zellen setzt, ist mittlerweile auf Korrekturkurs: "Zukünftig kaufen wir ausschließlich Batteriezellen zu", sagte Harald Kröger in einem Interview in der Jubiläumsausgabe der ATZelektronik, die Anfang September veröffentlicht wird. Damit zieht der Leiter Entwicklung Elektrik/Elektronik & E-Drive bei Mercedes-Benz Cars einen Schlussstrich nach dem Verkauf der firmeneigenen Zellfertigung bei Litec in Kamenz. Damit hat es auch das Vorzeigeprojekt der Bundesregierung nicht geschafft. Zu wenig Rückhalt bekam Litec zudem aus der Industrie. Denn die Partner Daimler und Evonik akquirierten über Jahre unter anderem bei deutschen Zulieferern, um das Know-how und die Investitionen in die Batteriezellenentwicklung und -fertigung auf mehreren Schultern zu tragen.

Perspektiven der Zulieferer

Kröger sieht trotz dieser ersten Erfahrungen Perspektiven für deutsche Zulieferer, um im Batteriezellmarkt mitzumischen. "Wenn beispielsweise in fünf Jahren eine neue Generation von Zellen auf den Markt kommt, dann werden die Karten für uns oder andere neu gemischt - und es kann die gleiche Entscheidungssituation nochmals stattfinden, dass ein Zulieferer X oder Y sagt, ich möchte mitmachen." Ob die Fertigung dann aus Zuliefererhand in Deutschland stattfindet oder nicht, würde der Markt entscheiden. Magna macht es gerade vor, jedenfalls indirekt. Die Batteriesparte des österreichischen Entwicklungsdienstleisters wurde von Samsung SDI gekauft. Diese Geschäftseinheit wird vermutlich dann die Batteriemodule für Audi bauen, welche die Ingolstädter in der Pressemitteilung erwähnten.

Bosch ist scheinbar gut im Rennen. Mit der Erfahrung nach dem geplatzten Joint Venture mit Samsung (SBLimotive) versucht man nun mit neuen Partnern den Anschluss in der Batteriefertigung nicht zu verlieren. Joachim Fetzer geht sogar einen Schritt weiter: "Eine Batteriezellen-Fertigung am Standort ist nicht vom Tisch", sagt das Mitglied des Bereichsvorstands Gasoline Systems mit der Zuständigkeit Elektromobilität bei Robert Bosch. Dabei denkt der national und international angesehene Batterieexperte an die Post-Lithium-Generation.

Lesen Sie mehr zu Innovationen in der Energiespeichertechnik auf Seite 2.

Innovationssprünge in der Energiespeichertechnik mit Kontroversen

Entweder wir springen auf die Post-Lithium-Generation auf oder das Thema Batteriezellenfertigung in Deutschland ist ganz vom Tisch, so lautet ein weiteres Fazit der Gespräche mit der ATZ. Mit Post-Lithium ist in erster Linie Lithium-Schwefel-Technik gemeint, die derzeit allerdings unter zeitlichen und technischen Gesichtspunkten kritisch beäugt wird.

Dr. Gerhard Hörpel vom Batterie-Forschungsinstitut Meet in Münster beispielsweise sieht einen eventuellen Serieneinsatz von Lithium-Schwefel-Rezepturen erst nach 2030 für realistisch. Fetzer spricht von 2025. Kröger ist ebenfalls Optimist: Lithium-Schwefel-Zellen könnten meiner Ansicht nach vor 2030 bereits in Serienfahrzeugen kommen. Technisch sprechen laut mehreren Batterieentwicklern wie auch dem Forscher Hörpel gegen Lithium-Schwefel: "Die gravimetrische Energiedichte ist verlockend gut, die volumetrische ist allerdings schlecht. In dem Kampf um Bauraum und Gewicht könnte diese Post-Lithium-Strategie unterliegen, zumal die Innovationsprünge bei Lithium-Ionen-Technik groß und die Perspektiven in den kommenden 15 Jahren vielversprechend sind. Setzt man in Deutschland demzufolge auf eine Karte, könnte es wieder kritisch werden - und Wunsch und Wirklichkeit divergieren erneut.

Lernprozesse einrechnen

Ein weiterer Aspekt ist beim Aufbau von Zellfertigungs-Know-how zu beachten: Ohne Großserienerfahrung lässt sich Entwicklungs-Know-how nicht aufbauen, wie auch aus dem Artikel "Elektromobilität neu Bewerten" aus der ATZelektronik 6-2014 hervorgeht. Die Lernprozesse in Pilotanlagen wie die am KIT in Karlsruhe oder ZSW in Ulm sind nicht repräsentativ, meinen nicht nur Christoph Theis und Markus Hackmann im Interview mit der ATZelektronik.

Kröger widerspricht: Zellfertigung ist nicht so revolutionär, als dass wir nun den Anschluss verpasst haben. Ich glaube fest daran, in einer der nächsten Generationen von Batteriezellen ist ein Markteintritt für neue Player und deutsche Unternehmen absolut machbar. Dennoch gibt der Mercedes-Mann zu denken: "Ich bin mir nicht so sicher, ob wir in Deutschland überhaupt eine eigene Zellfertigung brauchen, um den Anspruch des Leitmarkts oder Leitanbieters zu erfüllen." Er sehe beispielsweise auch keine Probleme für den deutschen Werkzeugbau, nur weil er keine Chips fertigt, obwohl keine dieser Maschinen ohne Chips funktioniert. "Der Batteriezellenmarkt funktioniert gut, und eine Abhängigkeit von den entsprechenden Herstellern, wie es ebenfalls immer wieder zu hören ist, sehe ich überhaupt nicht, betont Kröger. "Ich habe in keinem anderen Bereich einen derart harten und dynamischen Wettbewerb erlebt, und das ist gut so. Die Besten werden gewinnen. Und die Besten entwickeln auch eigeninitiativ und kreativ neue Zellchemien. Innovationstechnisch bewegt sich derzeit eine Menge."

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