Auszug
Die Bedeutung kleiner Gruppen für das menschliche Dasein kann kaum überschätzt werden. Unsere soziale Praxis nimmt diese Bedeutsamkeit auf und bildet aktiv kleine Gruppen, wenn es schwieriger wird: Einzelrichter vs. Schöffengericht, Minister vs. Kabinett, Doktorvater vs. Promotionsprüfungsausschuss etc. Implizit glauben wir, dass bereits durch die Bildung dieser Gruppen, Gremien, Ausschüsse die Qualität der vorgeschlagenen Lösung auf ein höheres Niveau gehoben wird. Dass es sich hierbei vielfach um eine Illusion handelt, kann man an Planungsfehlern (Elbphilharmonie, Berliner Flugplatz, Stuttgart 21,…) oder auch Entscheidungen mit katastrophalem Ausgang wie z. B. in der bemannten Raumfahrt (Challenger), militärischer Interventionen oder Finanzspekulationen(Lehman Brothers oder deutsche Landesbanken) entnehmen. Sicherlich sind Fehlentscheidungen auch durch optimal angeleitete Gruppen nicht generell vermeidbar, aber wir haben uns bisher noch nicht darauf eingestellt, die Qualität von Gruppenlösungen zu hinterfragen und zu optimieren. Gruppen können uns in der Tat helfen, unsere Lebenswelt besser zu bewältigen, dazu jedoch muss man genauer hinschauen, unter welchen Bedingungen und mit welcher Vorgehensweise diese Gruppenentscheidungen höherer Qualität erreichbar sind. Sie stellen sich nämlich nicht automatisch ein. Bisher haben wir uns noch zu wenig darüber Gedanken gemacht, wie man dieses unterstellte Ziel der optimalen Lösungsqualität durch Gruppen auch erreichen kann. Viele alltagspsychologische Ideen sind Grundlage für das gemeinsame Vorgehen und Scheitern in der Gruppeninteraktion (Harmonie, Kohäsion, Konfliktvermeidung, Gleichbehandlung), teilweise werden diese Ziele auch von außen durch professionelle Moderatoren verfolgt. Fast immer fehlen dabei die theoretische Fundierung und die empirische Überprüfung, denn die konkrete Aufgabenstellung muss jeweils das spezifische Vorgehen bestimmen und nicht etwa als generelles Prinzip die Harmonie in der Gruppe (Witte
2012). Wenn diese Voraussetzungen aber geschaffen wurden, empirisch gut gestützte Moderationsmethoden für die spezifischen Problemstellungen existieren und gut ausgebildete ModeratorInnen eingesetzt werden können, dann hat man, ähnlich wie bei der Entwicklung von neuen PKWs, Assistenzsysteme zur Verfügung, die im
übertragenen Sinne Verkehrstote verringern, Unfälle vermeiden und einen wohl angepassten, sparsamen Verkehrsfluss ermöglichen. Sich z. B. der Einparkhilfe zu überlassen, trifft zuerst einmal auf Skepsis. Erst über die Erfahrung mit diesen Assistenzsystemen wird man diese schätzen lernen. Ähnlich ist es mit der Assistenz durch GruppenmoderatorInnen, die muss man auch erst schätzen gelernt haben, bevor man auf sie vertraut. In Zukunft werden auch elektronische Hilfsmittel für ihre Durchführung eingesetzt werden (Unger und Witte
2007). Bisher hat man noch allzu sehr auf die menschlichen Fähigkeiten vertraut und bei der Moderation auf die menschlichen Anlagen durch die Evolution gesetzt (siehe Witte, in diesem Bd.). In gewissen Bereichen ist das auch erfolgreich, aber führt in vielen Bereichen auch zu katastrophalen Ergebnissen (Seelheim und Witte, in diesem Heft). Es macht eben wenig Sinn mit einem Smart im Gelände zu fahren oder mit einem Landrover (SUV) in der Innenstadt parken zu wollen. Auch ein Formel-1-Rennen wird man nur mit einer Spezialkonstruktion gewinnen können. Wahrscheinlich befinden wir uns beim Umgang mit Gruppen noch auf dem Niveau der anfänglichen Motorisierung. Wenn man das Potenzial dieser kleinen Gruppen erkannt haben wird, dann werden auch Forschung und Entwicklung verstärkt einsetzen, um die Probleme angemessen anzugehen. Dieses Heft kann ein Funke sein, der in der Praxis die Nachfrage auslöst, sich bei den entsprechenden Problemstellungen eine professionelle Moderation einzukaufen, weil man nicht scheitern darf oder das beste Ergebnis erzielen möchte (Fischer, in diesem Heft). Man muss sich aber aktiv in diesem Bereich umschauen, damit man immer die neueste Entwicklung mitbekommt. Auf dem technischen Gebiet ist das für viele Akteure eine Selbstverständlichkeit, auf dem sozialen Gebiet vertrauen wir eher der Küchenpsychologie oder implizit der Evolution und sozialen Repräsentation. Dann wird auch deutlich, dass die Aufgaben eines Vorgesetzten und eines Gruppenmoderators sehr verschieden sind, zumindest wenn man sich moderne Entwicklungen anschaut (Graf, in diesem Heft). Ein guter Vorgesetzter ist nicht zwingend ein guter Moderator oder sollte überhaupt diese Rolle einnehmen. …