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24.09.2015 | Automobilproduktion | Schwerpunkt | Online-Artikel

Mehr Ergonomie in der Produktion

verfasst von: Stefan Schlott

5 Min. Lesedauer

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Allein in Deutschland zahlen Unternehmen für krankheitsbedingte Fehlzeiten von Mitarbeitern jährlich rund 129 Milliarden Euro. Wie viele Fehltage davon auf unergonomische Arbeitsplätze zurückzuführen sind, ist nicht erfasst. Und die Anforderungen an die Arbeitsplatzgestaltung werden in Zukunft noch steigen.

Arbeitsmedizinische Erkenntnisse, der demografische Wandel, die Einführung von Lean-Production-Methoden und die Vorbereitungen auf die Prinzipien von Industrie 4.0 bringen steigende Anforderungen an die Arbeitsplatzgestaltung mit sich.

Ergonomie am Arbeitsplatz

Mit jeder neuen Modellreihe müssen Automobilhersteller und -zulieferer eine Vielzahl von Produktionsanlagen anpassen oder neu planen. Mit Blick auf die Ergonomie richtet sich der Fokus dabei insbesondere auf die Arbeitsplätze, an denen Mitarbeiter manuelle Montage- und Logistiktätigkeiten ausführen. Die ideale Arbeits- und Sitzhöhe, die Schonung der Wirbelsäule und die richtige Beleuchtung sind wichtige Kriterien bei der Arbeitsplatzgestaltung. Zu den Grundregeln für einen optimal gestalteten Arbeitsplatz zählt dabei, Arbeiten über Brusthöhe hinsichtlich einer Entlastung der Schulter-Nacken-Muskulatur sowie verbesserter Blutzirkulation zu vermeiden und dynamische Tätigkeiten zu begünstigen. Gleichzeitig gilt es, Belastungswechsel zu ermöglichen, um einseitige körperliche Belastung zu vermeiden und die Leistungsfähigkeit zu steigern, und nicht zuletzt Belastungen, zum Beispiel durch Hebehilfen oder leichtere Werkstoffe, zu minimieren.

Assistenzsysteme in der Produktion

In ihrem Fachbuch "Die perfekte Produktion" setzen sich Jürgen Kletti und Jochen Schumacher mit den Bausteinen auseinander, die zu mehr Effizienz und Effektivität führen. In vielen Unternehmen fokussiert man sich demnach immer noch mit großer Anstrengung auf die Steigerung der Leistung und damit auf den Ausstoß einzelner Prozessschritte. Um den Leistungszuwachs auch nutzen zu können, würden Losgrößen und Auslastung erhöht. Das Ziel sei dabei stets eine Stückkostenreduzierung zur Gewinnsteigerung beziehungsweise zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Doch die Autoren warnen auch: "Die erzielten Verbesserungen verpuffen jedoch häufig, wenn die einzelnen Prozessschritte untereinander nicht richtig abgestimmt sind."

Welche Maßnahmen im Einzelnen getroffen werden können und welche Assistenzsysteme dabei hilfreich sein können, beschrieben Frank Hannemann und Thomas Krüger bereits in ihrem Aufsatz „Assistenzsysteme in der Produktion“ in der ATZ 4/2013. Demnach verfolgt Volkswagen das Ziel, die Ergonomie entlang des gesamten Produktentstehungsprozesses zu optimieren und hat dementsprechend bereits zahlreiche Maßnahmen untersucht und eingeleitet. Dazu zählen Clipsetzassistenten, Orthesen zur Entlastung der Gelenke oder die Verwendung von Robotern als Handingsassistenten. Allerdings, so die Autoren, stellen die Assistenzsysteme nur einen Baustein im ergonomischen Konzept von Volkswagen dar. Der Fokus müsse auf einer optimalen Produktentwicklung liegen, die eine unbedenkliche Herstellbarkeit gewährleistet.

Überlastung mit Informationen

Mit kognitiven Systemen für die Werkerassistenz in manuellen Montageumgebungen befasst sich auch ein Autorenteam des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) der Technischen Universität München (TUM). Ihr Aufsatz "Digitale Assistenzsysteme zur alterungsgerechten Integration von Werkern in die variantenreiche Montage" in ATZproduktion 3-4/2009 kommt dabei zu dem Schluss, dass digitale Assistenzsysteme in der manuellen Montage, wie zum Beispiel Augmented Reality, in bisherigen Konzepten suboptimal gestaltet sind und infolgedessen gerade bei alternden Belegschaftsstrukturen nur in geringem Maße eine effiziente und ergonomisch sinnvolle Werkerführung gewährleisten.

So sei es eine Grundforderung der Arbeitsphysiologie, den arbeitenden Menschen nicht mit Informationen zu überlasten. Diese Forderung ist bereits in der europäischen Maschinenrichtlinie 2006/42/EG festgelegt und könne entsprechend für den Anwendungsbereich der manuellen Montage interpretiert werden. Das Problem, so die Autoren weiter, stelle sich heute weniger in der Informationsbeschaffung, als mehr in ihrer Verdichtung, Auswahl und bedarfsgerechten Bereitstellung dar. Um einen fehlerfreien Arbeitsablauf zu ermöglichen, seien deshalb Strukturen und Prozesse notwendig, die die Situation des Menschen beurteilen und die Handlungsplanung koordinieren.

Lesen Sie mehr über Mensch-Maschine-Kooperationen und neue Steuerungskonzepte auf Seite 2.

Mensch-Maschine-Kooperation

Der Einsatz von stationären beziehungsweise mobilen sowie individuellen Assistenzsystemen mit intuitiven Benutzerschnittstellen kann eine Entlastung des Mitarbeiters bei körperlichen und geistigen Tätigkeiten bewirken. Darauf weisen Alfons Botthof und Ernst Andreas Hartmann in ihrem Buch "Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0" hin. Die Automatisierung und Übernahme monoton belastender Aufgaben durch Assistenzsysteme ermöglicht demnach die angemessene und flexibel anpassbare Einbindung des Mitarbeiters in Steuerungs- und Regelungsprozesse. Von besonderer Bedeutung sei in diesem Zusammenhang die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für eine Kooperation zwischen Mensch und Technik. Dabei sind die Roboter- und Steuerungshersteller zwischenzeitlich ein gutes Stück weitergekommen.

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Roboter personensicher zu betreiben, gilt seit jeher als sicherheitstechnisches Muss und entwicklungstechnische Herausforderung gleichermaßen. Mechanisch blockierende Festanschläge an den Drehachsen, Schutzgitter und Lichtschranken glichen in automatisierten Fabrikhallen bislang aus, was über Jahrzehnte lang Alltag schien: eine mangelnde Sensibilität der Roboter für ihre Umwelt.

Neue Steuerungskonzepte als Basis

Neue Steuerungskonzepte basieren auf mehreren Überlegungen: Da mit den "sensiblen" Robotern nicht mehr der theoretisch mögliche, sondern nur noch der tatsächliche Arbeitsbereich des Roboters überwacht werden muss, ergibt sich für die Fertigungslayouter zunächst einmal ein deutlicher Platzgewinn. Dazu kommen ein wirtschaftlich interessanter Verzicht auf aufwendige Sicherheitseinrichtungen und nicht zuletzt die Möglichkeit, völlig neue Anlagenkonzepte zu realisieren. So lassen sich mit der Technik die sensorischen Stärken des Menschen mit der Arbeitsleistung und der enormen Belastbarkeit eines Roboters kombinieren. Dadurch können Automatisierungsaufgaben, die sich bislang nicht wirtschaftlich realisieren ließen, durch kostengünstigere Teilautomatisierungen umgesetzt werden.

Bereits 2008 realisierte Mercedes-Benz in der Serienproduktion der C-Klasse eine Mensch-Maschine-Kooperation in der bis dahin kraftaufwendigen Federbeinmontage. Auch Audi hat im Stammwerk Ingolstadt zwischenzeitlich einen Roboter im Serieneinsatz, der Hand in Hand mit dem Menschen arbeitet - ohne Sicherheitsabsperrung und ideal angepasst an den Arbeitstakt des Mitarbeiters. Es ist die erste Mensch-Roboter-Kooperation im Volkswagen-Konzern, die in der Endmontage zum Einsatz kommt. Diese innovative Technik bei der Montage der Kühlmittelausgleichsbehälter erleichtert die Arbeit in der Fertigung und verbessert die Ergonomie.

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