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08.10.2013 | Fahrzeugtechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Teil 3: 50 Jahre Porsche 911 - Die Perfektionierung des Fahrwerks

10 Min. Lesedauer

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Der Porsche 911 feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Seit 1963 steht der Sportwagen aus Zuffenhausen für Rennsporterfolge und Fahrspaß kombiniert mit hoher Alltagstauglichkeit. Über sieben Generationen und fünf Jahrzehnte hinweg ist der Sportwagen stetig technisch verbessert und mit jeder Modellreihe weiter entwickelt worden. Um mit dem 911er bei Sportlichkeit und Sicherheit stets an der Spitze zu bleiben, waren immer neue Fahrwerkstechnologien nötig. So spiegelt der Werdegang des Porsche 911 auch die Meilensteine in der Fahrwerksentwicklung der letzten 50 Jahre wider.

In einem dreiteiligen Beitrag beleuchten die Autoren Harrer, Görich, Reuter und Wahl von Porsche die Fahrwerksentwicklung des Porsche 911 über sieben Generationen hinweg. Betrachtet wird die Entwicklung der Achsen, Lenkung und der Fahrdynamik. Der erste Teil umfasst die Entwicklung wichtiger Konzeptmerkmale und die erste Generation, den Ur-911. Der zweite Teil behandelt die zweite Generation, die G-Serie, bis zur vierten Generation, den Typ 993. Der dritte Teil reicht von der fünften Generation, dem Typ 996, bis zur aktuellen siebten Generation, dem Typ 991.

Teil 3: Von der fünften Generation bis zum aktuellen Porsche 911 (Typ 991)

Entwicklung Achsen, Lenkung und Fahrdynamik

Die fünfte Generation - 996

Zur Erweiterung des Produktportfolios nach unten wurde im Februar 1992 eine intelligente Plattformstrategie verabschiedet, welche die neue Boxster Baureihe zusätzlich zur Baureihe 911 aus einem modularen Sportwagenbaukasten bedienen konnte. So konnten sowohl neue Kundensegmente als auch Kostenpotenziale durch ein weitreichendes Gleichteilkonzept erschlossen werden. Ein Jahr nach dem Boxster ging 1997 der Typ 996 als fünfte Generation des Porsche 911 in Serie. Mit ihm begann eine neue Ära. Ab dem 996 sind die Sechszylinder-Boxermotoren wassergekühlt. Die Karosserie wurde vollkommen erneuert, die Steifigkeit und Festigkeit der Strukturen erheblich vergrößert. Dies ermöglichte auch die Weiterentwicklung der Radaufhängungen.

An der Vorderachse wird das bewährte Prinzip der Federbeinachse beibehalten, die Radführung aber überarbeitet, insbesondere um den weiter zunehmenden Komfortansprüchen gerecht zu werden. So wird der bislang starre Dreieckslenker aufgelöst und durch eine Querstrebe mit Längslenker ersetzt. Diese sind über ein elastisches Element verbunden, dessen gezielte Steifigkeit eine Verbesserung des Abrollkomforts ebenso gewährleistet wie die Vorspurkorrektur unter Bremskräften. Lenker, Radträger und der neu an die geänderten Karosseriestrukturen angepasste Vorder-achsquerträger sind aus Aluminium. Die Rohre des Zweirohrdämpfers sind konisch gezogen, um minimales Gewicht zu erreichen (Einsparung 170 Gramm je Dämpfer). Die Federn sind desachsiert, um unter Seitenkräften das Verklemmen des Stoßdämpfers zu minimieren und ein feinfühliges Ansprechen der Federung zu erreichen [1]. Die Federn selbst sind als Kegelstumpffedern mit moduliertem Drahtdurchmesser ausgeführt. Dadurch bleibt die Bauhöhe klein und die Feder kann oberhalb des Rades positioniert werden. So kann das Dämpferbein nahe an das Rad rücken, wodurch Störkrafthebelarm und Spreizungswinkel klein bleiben. Als weitere Maßnahme zur Komfortverbesserung werden Feder und Dämpfer getrennt über Gummielemente in der Fahrzeugstruktur abgestützt.

Als weiteres Highlight der Vorderachse des 996 ist die Lage des Lenkgetriebes und der Spurstangen zu erwähnen. 34 Jahre lang war die Zahnstangenlenkung hinter der Radmitte positioniert. Das völlig neue Fahrwerkslayout des Typs 996 gestattet es nun erstmals, das Lenkgetriebe vor der Vorderachse und unterhalb der Radmitte zu platzieren. Damit ist die für eine optimale Lenkpräzision notwendige Position umgesetzt worden. Wie schon bei der LSA-Hinterachse des 993, wird auch an der Vorderachse des 996 durch konsequent funktionsorientierte Ausrichtung der Lenker und Spurstangen bestmögliche Vorspur-Elastokinematik realisiert. Sowohl unter Seitenkräften als auch unter Bremskräften gehen die Vorderräder in Nachspur. So wird durch das Seitenkraftuntersteuern ein harmonisches Kurveneinleiten erreicht und durch das Bremskraftuntersteuern die Fahrstabilität beim Bremsen in der Kurve nachhaltig verbessert. Unabhängig davon kann der Querlenker sehr steif gelagert werden, wodurch ein Maximum an Sturzsteifigkeit entsteht. Charakteristisch ist für ein sportliches Lenkgefühl ist außerdem die starre Montage des Lenkgetriebes auf dem Vorder-achsquerträger.

Als Hinterachse für den Porsche 996 wurde mit weiterer Feinabstimmung die LSA-Hinterachse aus der vierten Generation übernommen. Neu sind der Hinterachsquerträger und die Seitenteile zur Aufnahme der strukturseitigen Lenkerlager, die an die neuen Karosseriestrukturen angepasst werden mussten. Damit erreicht der Porsche 911 bezüglich Radführung an Vorder- und Hinterachse ein Niveau, dass hinsichtlich Kinematik und Elastokinematik nur noch wenig Raum für signifikante Verbesserungen bietet.

Die Reifen des 996 wurden an der Vorderachse hinsichtlich der Dimension 205/50 beibehalten, jedoch der Raddurchmesser von 16 Zoll auf 17 Zoll erhöht. Damit ergibt sich eine Vergrößerung des Abrollumfangs um 4 Prozent. An der Hinterachse wird bei gleichbleibender Felgenmaulweite von 9 Zoll die Reifen auf 255/40 ZR 17 vergrößert, wodurch der Abrollumfang ebenfalls um 4 Prozent vergrößert wird. Um den 911 für eine Höchstgeschwindigkeit von 280 km/h zu ertüchtigen, wurde bei der Neukonstruktion der Karosserie eine Verlängerung des Radstands um 78 Millimeter auf nunmehr 2350 Millimeter umgesetzt.

All diese Maßnahmen leisten ihren Beitrag zu einem harmonischen Fahrverhalten des Porsche 996. Besonders auffallend ist der signifikante Zuwachs an Agilität und Stabilität. (siehe Bilder 1 und 2 des zweiten Serienteils). Mit der Einführung der Allradversion des 996 im Laufe des Jahres 1998 wird die Fahrdynamikregelung unter dem Label "Porsche Stability Management" (PSM) zur Serienausstattung im Porsche 911.

Die sechste Generation - 997

Mit dem Porsche 997 geht 2004 die sechste Generation des 911 in Serie. Ausgestattet mit zwei Motorvarianten, treibt die S-Version mit 355 PS Leistung und einem Drehmoment von 400 Nm die Fahrleistungen in neue Dimensionen. Höchstgeschwindigkeiten von über 290 km/h gilt es zu beherrschen. Gleichzeitig fordert das Lastenheft Präzision und Perfektion sowie ein Höchstmaß an Agilität und Fahrsicherheit.

Insbesondere die Reifen waren von den gesteigerten Fahrleistungen und den vom Lastenheft geforderten Performancesteigerungen betroffen. Die damit verbundene Steigerung der Reifenbreite auf 235 mm vorn und 265 bzw. 295 mm für die S-Version (Bild 1) war nur in Verbindung mit einer Vergrößerung des Abrollumfangs von 2,5 Prozent an der VA und 5 Prozent an der Hinterachse realisierbar. Nur so konnte vermieden werden, dass die Seitenwandhöhe auf inakzeptable Werte absinkt (Bild 2).

Die Vorderachse wurde im Konzept vom 996 übernommen, aber in wesentlichen Punkten weiterentwickelt. Die Spurweite wurde um 21 Millimeter auf 1486 Millimeter vergrößert, wodurch die Wanksteifigkeit ohne Komfortverlust zunimmt. Hierzu musste der Vorderachsquerträger neu entwickelt werden. Durch die Ausführung als Al-Druckgussteil in „Magsimal“ konnte sogar noch eine Gewichtseinsparung von 0,5 Kilogramm erreicht werden. Das Schwenklager der Vorderachse wurde für die durch den größeren Abrollumfang der Räder erhöhten Lasten neu dimensioniert. Im Rahmen dieser Überarbeitung konnte eine Zunahme der Sturzsteifigkeit von 10 Prozent realisiert werden. Das beim Typ 996 bisher zwischen Längs- und Querlenker eingesetzte Gummimetalllager wurde beim 997 durch ein hydraulisch bedämpftes Lager ersetzt, um raderregte Schwingungen effektiv zu unterdrücken ohne die elastokinematischen Eigenschaften zu beeinflussen.

Die bewährte Zahnstangenlenkung mit hydraulischer Lenkunterstützung bleibt auch im 997 erhalten. Um die Manövriereigenschaften zu verbessern, kommt erstmals eine variabel geteilte Verzahnung der Zahnstange zum Einsatz. Diese gestattet einen Kompromiss zwischen gut dosierbarem Geradeauslaufverhalten und reduziertem Lenkaufwand beim Parkieren. In einem Lenkwinkelbereich von 30 Grad bis 270 Grad wird die Lenkübersetzung ausgehend von 17,1 auf den Wert von 13,8 reduziert. Die Anzahl der Lenkumdrehung verringert sich gegenüber dem Vorgänger von 3 auf 2,62. Der Wendekreis von 10,9 Meter kann trotz der größeren und breiteren Räder beibehalten werden. Die Rückmeldungen aus der Fachpresse zu Lenkgefühl und Lenkpräzision erreichen beim 997 einen positiven Höhepunkt und stellen eine hohe Messlatte für die in der nächsten 911 Generation einsetzende elektromechanische Servolenkung dar.

Auch an der Hinterachse wird der Vergrößerung des Abrollumfangs der Reifen Rechnung getragen und die Spurweite ebenfalls um 30 Millimeter auf 1534 Millimeter vergrößert. Der Radträger wird wie das Schwenklager der Vorderachse zu einem Hohlteil in Al-Kokillenguss und die Anlenkpunkte der Lenker werden neu arrangiert. Damit gelingt es, eine vergrößerte Abstützbasis für das Sturzmoment und mit Blick auf die gesteigerten Antriebsmomente 25 Prozent mehr Antisquat zu erreichen.

Im 997 kommt zum ersten Mal in der Geschichte des 911 ein aktives Dämpferregelsystem, genannt "Porsche Active Suspension Management" (PASM), zum Einsatz. Ziel ist es, den Zielkonflikt zwischen Fahrdynamik und Fahrkomfort ein Stück weit aufzulösen. Mit dieser Maßnahme stößt der 997 auch hinsichtlich Fahrdynamik in neue Dimension vor. Die maximale Querbeschleunigung bei stationärer Kreisfahrt erreicht Werte von über 1,05 g. Gleichzeitig erstreckt sich der lineare Bereich der Lenkradwinkelcharakteristik bis zu 0,8 g. Das sind absolute Traumwerte und sprechen für die Präzision und Perfektion der Radführung. Auch hinsichtlich Stabilität (siehe Bild 1 des zweiten Serienteils) und Agilität (siehe Bild 2 des zweiten Serienteils) werden nochmals signifikante Verbesserungen gegenüber dem Vorgängermodell erreicht.

Die siebte Generation - 991

Trotz größerer Produktdifferenzierung zwischen Boxster und 911 kann das über zwei Generationen weiterentwickelte, modulare Baukastenprinzip weiter verfeinert werden. Beispielsweise ist die Vorderachse als Gleichteilkonzept für beide Modellreihen ausgelegt. Die verwendete Federbeinvorderachse nach McPherson-Bauweise ist eine vollständige Neuentwicklung und hat eine Vielzahl von technischen Änderungen gegenüber dem Vorgänger erfahren. Hauptursachen hierfür sind die größeren Raddurchmesser und -breiten (+30/+12 Millimeter) sowie die Spurweitenänderung um +46 Millimeter beim Basismodell und +53 Millimeter bei den S-Modellen. Weitere Änderungen sind auf die geometrische Integration der elektromechanischen Lenkung und der aktiven Wankstabilisierung "Porsche Dynamic Chassis Control" (PDCC) zurückzuführen.

Der Vorderachsträger ist einteilig ausgeführt in Al-Kokillenguss. Neben den Radführungsaufgaben bildet der Vorderachsträger die untere Lastebene zur Aufnahme der Lasten im Frontalcrash und trägt wesentlich zur Verwindungssteifigkeit des Vorderwagens bei. Mit dem Typ 991 wird die hydraulische Lenkunterstützung endgültig durch eine elektromechanische Servolenkung mit achsparallel angeordnetem Elektromotor abgelöst. Die Lenkung ist starr mit dem Vorderachsträger verschraubt und liegt weiterhin vor der Radmitte.

Zahlreiche Komponenten der Vorderachse bestehen aus Aluminium und sorgen für geringere ungefederte Massen. Die Radträger der Vorderachse werden wie beim Vorgänger in Al-Kokillenguss gefertigt und konnten bezüglich Steifigkeit und Gewicht verbessert werden. Die Vorderachse wurde mit einem Leichtbau-Federbein entwickelt. Zur Umsetzung der gestiegenen Fußgängerschutzvorschriften musste die Stützlagerhöhe um 40 Millimeter abgesenkt werden. Diese Absenkung führte zur Entwicklung eines längenoptimierten Dämpfers. Die 911 Allrad- und Hecktriebvarianten nutzen ein gemeinsames Federbein im Gegensatz zum Vorgänger mit zwei unterschiedlichen Federbeinvarianten in Abhängigkeit vom Antriebskonzept.

Auf Grund der Erhöhung des Radstandes beim 991 um 100 Millimeter musste auch die Hinterachse um 70 Millimeter nach hinten verschoben werden. Dazu wurde eine neue 5-Lenker Achse mit vorneliegender Spurstange entwickelt. Der Bauraum der neuen Raddimensionen (19 Zoll für das Basisfahrzeug und 20 Zoll für die S-Modelle) wurde ausgenutzt, um eine maximal mögliche Abstützbasis der Achslenker darzustellen. Hierdurch konnte die Sturzsteifigkeit der Achse und die Vorspurmomentensteifigkeit deutlich gesteigert werden. Die Fahrpräzision der Hinterachse erreicht damit im Porsche 911 einen neuen Bestwert.

Die neue Mehrlenker-Hinterachse ist über einen starren Achsträger mit der Karosserie verschraubt. Die Gesamtfahrzeugsteifigkeit konnte hierdurch signifikant verbessert werden. Zur Sicherstellung der Fahrkomforteigenschaften wurden die lokalen Steifigkeiten an den Karosserieanbindungspunkten optimiert. Weiterhin kommen speziell entwickelte Gummi-/Metall-Lenkerlager mit reduzierten dynamischen Steifigkeiten zur Anwendung. Der Zielkonflikt zwischen hoher Achssteifigkeit und Rollgeräuschisolation konnte somit ebenfalls stark entschärft werden.

Trotz der beengten Bauraumverhältnisse im Hinterwagen des Porsche 911 ist es mit der neuen Mehrlenker-Hinterachse gelungen, statt dem passiven Spurlenker auch die zwei elektromechanischen Aktoren der Hinterachslenkung geometrisch zu integrieren. Weiterhin zeichnet die Mehrlenkerhinterachse im 991 eine Lenkbarkeit von über +/- 3 Grad Radeinschlagwinkel aus.

Literaturhinweis

[1] Becker, C.: Porsche 911 – Die Evolution, Motorbuch Verlag Stuttgart, 1997

Teil 1: Wichtige Konzeptmerkmale und der Ur-911
Teil 2: Von der G-Serie bis zur vierten Generation

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