Zusammenfassung
Die unbestrittene Notwendigkeit einer Reform des Psychotherapeutengesetzes könnte die Chance eröffnen, die Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten zu überdenken und von Grund auf neu zu gestalten. Dieser Beitrag schlägt vor, die psychotherapeutische Ausbildung „von der Profession her“ zu konzipieren. Ausgehend von der Frage, was ein guter Psychotherapeut gelernt haben muss, entwirft er einen Studiengang, der von Anfang an auf dieses Berufsziel ausgerichtet ist. Diese Direktausbildung vermittelt psychotherapeutische Kompetenzen auf der Basis einer breiten psychologischen, medizinischen und sozialwissenschaftlichen Bildung, fördert gezielt soziale Kompetenzen und ermöglicht frühzeitig klinische Erfahrungen. Sie endet nach sechs Jahren mit einer Staatsprüfung und Approbation für den Beruf des Psychotherapeuten. Anschließend durchlaufen die approbierten Psychotherapeuten eine vierjährige berufsbegleitende Weiterbildung zum Erwachsenen- oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Nach der Hälfte des Studiums, also nach drei Jahren, entscheiden sich die Studierenden für eines der wissenschaftlich anerkannten Verfahren; anschließend studieren sie teilweise verfahrensbezogen, zum größeren Teil verfahrensübergreifend. Das Studium schließt ein praktisches Jahr ein, das als Halbtagspraktikum die letzten vier Semester begleitet. Hochschulen, die diesen Studiengang anbieten wollen, müssen das Promotionsrecht besitzen und über eine psychotherapeutische Forschungsambulanz verfügen. Sie kooperieren mit den anerkannten Ausbildungsstätten, die bei der Durchführung des Studiums mitwirken und die vierjährige, berufsbegleitende Weiterbildung fachlich gestalten.
Abstract
The undisputed necessity of a reform of the Psychotherapist Act could open up the chance to reconsider the training of psychological psychotherapists and to completely renew the structure from the ground up. This article proposes that psychotherapy training should be designed based on the profession itself. Starting from the question of what a good psychotherapist needs to have learnt, a study curriculum is drafted which is structured towards this professional target from the very beginning. This direct training imparts psychotherapeutic competence based on a broad psychological, medical and social scientific education, encourages targeted social competences and enables clinical experience in advance. The training terminates after six years with a state examination and qualification for the profession of psychotherapist. Subsequently, qualified psychotherapists undertake a four-year in-house advanced professional education to an adult or pediatric and adolescent psychotherapist. After completing half of the study period, i.e. after three years, students decide on one of the scientifically recognized courses and subsequently the study course is partly procedure-related and mostly interprocedural. The study incorporates a practical year which accompanies the last four semesters as a half day practical training. Universities which want to offer this study course must be qualified to award doctorates and have a psychotherapy research walk-in clinic. They must also cooperate with recognized training partners who participate in the course of the study and professionally structure the four-year in-house advanced professional education.
Notes
Christa Rohde-Dachser sprach einmal sarkastisch von den „Kollegen Nicht-Nicht“; sie selbst war als Soziologin zur Ausbildung zugelassen worden.
Anstelle des Terminus „Direktausbildung“ wird in diesem Beitrag im Weiteren von „Direktstudium“ gesprochen. Tatsächlich zielt der hier entwickelte Vorschlag auf ein Studium – mit anschließender Weiterbildung. Sollte sich dieses oder ein ähnliches Modell durchsetzen, werden sich beide Begriffe – Direktstudium und Direktausbildung – erübrigen. Dann wird es einen Studiengang Psychotherapie geben.
Wem diese Darstellung etwas überspitzt erscheint: Auch in der Geschichte der Verhaltenstherapie gab es „Gurus“ wie Wolpe, Vic Meyer, Marks, Kanfer, Beck, Seligman), wie es auch unter den Psychoanalytikern solche gab, die keine Schule gründeten wie Argelander, Loch, A.E. Meyer.
Das war insbesondere der Initiative von Max Eitingon vom Berliner Psychoanalytischen Institut zu verdanken. Im Jahr 1924 legte er eine internationale Fassung der Ausbildungsrichtlinien vor, die 1925 von der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung verabschiedet wurde.
Die Chance, auch ohne akademische Vorbildung die analytische Ausbildung zu beginnen, ergriffen viele Frauen, denen ein Studium zu jener Zeit großenteils versagt blieb.
Wenn Greve und Greve (2009) die Entwicklung der Psychotherapie aus der Psychologie heraus mit der Entstehung der Ingenieurswissenschaft aus der Physik heraus vergleichen, haben sie Recht – soweit sie die verhaltenstherapeutische Psychotherapie meinen.
Eine Sichtweise, die auch durch das Forschungsgutachten von Strauß et al. (2009) bestärkt wird.
Die Bundespsychotherapeutenkammer veröffentlichte 2012 eine Liste von Kernkompetenzen, die neben fachlich-konzeptionellen Kompetenzen auch Personale und Beziehungskompetenzen umfassen. Diese Liste entspricht in weiten Teilen den Ergebnissen einer ausführlichen Literaturstudie von Kahl-Popp (2007).
Der Anspruch, ein Bachelor-Abschluss möge zu einem Beruf qualifizieren, wird allerdings auch von anderen Studiengängen – wie z. B. dem Lehramtsstudium – nicht wirklich eingelöst. Es ist durchaus denkbar, dass Studierende des hier vorgeschlagenen Direktstudiums nach dem ersten Teil der Staatsprüfung eine berufliche Tätigkeit aufnehmen. Außerdem können ihnen bei einem Wechsel in ein anderes Studienfach die erbrachten Studienleistungen anerkannt werden.
Mit dieser Bestimmung wird die alte, weitgehend ungültig gewordene Unterscheidung in Fachhochschulen und Universitäten aufgegeben. Der Wissenschaftsrat hatte (2010) angeregt, zukünftig nur noch zwischen Hochschulen mit und ohne Promotionsrecht zu unterscheiden. Bei Hochschulen mit Promotionsrecht ist davon auszugehen, dass sie „forschungsstark“ sind und ihren wissenschaftlichen Nachwuchs fördern. Es ist durchaus denkbar, dass auch medizinische Hochschulen ein Direktstudium zum Psychotherapeuten anbieten.
Ein Studium generale wird unter verschiedenen Bezeichnungen (etwa als Studium fundamentale oder Studium universale) vor allem an modernen, privaten Hochschulen angeboten, zum Beispiel in Witten-Herdecke, an der Bucerius Law School in Hamburg und der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.
An dieser Stelle und im Folgenden soll nicht zwischen der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie und der analytischen Psychotherapie unterschieden werden.
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Ich danke dem Vorstand der Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten für die zahlreichen und wertvollen Anregungen.
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Körner, J. Plädoyer für eine Direktausbildung zum Psychotherapeuten. Forum Psychoanal 29, 235–257 (2013). https://doi.org/10.1007/s00451-013-0134-3
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