Skip to main content

2008 | Buch

Auf der Suche nach neuer Sicherheit

Fakten, Theorien und Folgen

herausgegeben von: Hans-Jürgen Lange, H. Peter Ohly, Jo Reichertz

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Hans-Jürgen Lange, H. Peter Ohly, Jo Reichertz Am 11. September 2001 stürzten in New York zwei Türme ein. Mit dem Kollaps der Twin - wers bekam die Sicherheitsarchitektur mancher westlicher Länder Risse. Das führte in vielen Ländern des Westens dazu, dass das gesamte Konzept der Inneren Sicherheit neu überdacht und überarbeitet wurde. Auch wenn 9/11 nicht der wirkliche Beginn der Neuordnung der - neren Sicherheit im Westen war – der hatte schon früher begonnen –, muss 9/11 wegen seiner tief greifenden Auswirkungen dennoch als ganz zentrales geschichtliches Ereignis angesehen werden. Medien, regionale wie überregionale, und der allgemeine Prozess der Mediatisierung spielten bei dem Prozess der Neuordnung und deren Legitimierung eine wichtige und auch qualitativ neue Rolle, da sich alle Beteiligten – Terroristen, Politiker, Wissenschaftler etc. – ihrer bedienten. Besonders markante, weil dramatische und theatrale Großereignisse wie die Anschläge vom 11. September 2001 in New York oder die vom 11. März 2004 in Madrid sind medial gut vermittelbar und dienen deshalb oft dazu, Neuorientierungsprozesse anzustoßen bzw. bereits ablaufende zu deuten und zu rechtfertigen. So gaben die Terroranschläge in New York in fast allen westlich orientierten Staaten (für alle Akteure) den symbolischen Kataly- tor ab, mit dem teils weit reichende Veränderungen der Politik der Inneren Sicherheit legi- miert wurden und immer noch werden (vgl. z. B. Reichertz 2003, Hitzler/Reichertz 2003, Heitmeyer/Soeffner 2004, Lange 2005, Kemmesies 2006).

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Auf der Suche nach neuer Sicherheit — Eine Einführung

Auf der Suche nach neuer Sicherheit — Eine Einführung
Auszug
Am 11. September 2001 stürzten in New York zwei Türme ein. Mit dem Kollaps der Twin Towers bekam die Sicherheitsarchitektur mancher westlicher Länder Risse. Das führte in vielen Ländern des Westens dazu, dass das gesamte Konzept der Inneren Sicherheit neu überdacht und überarbeitet wurde. Auch wenn 9/11 nicht der wirkliche Beginn der Neuordnung der inneren Sicherheit imWesten war — der hatte schon früher begonnen —, muss 9/11 wegen seiner tief greifenden Auswirkungen dennoch als ganz zentrales geschichtliches Ereignis angesehen werden.
Hans-Jürgen Lange, H. Peter Ohly, Jo Reichertz

Ausgewählte Handlungsfelder

Frontmatter
Präventionskonzepte
Auszug
Gegenwärtig gibt es kaum ein Thema in der Kriminologie, das so breit und umfassend diskutiert wird wie Kriminalprävention. Kriminalpräventive Projekte, Bemühungen, Initiativen und deren Institutionalisierung haben in den letzten ca. 20 bis 30 Jahren zumindest in den westlichen Industrieländern enorm zugenommen. Vor allem die „Kommunale Kriminalprävention“ (KKP) hat sich zu einem „Renner“ (Hope/Shaw 1988) entwickelt. (1996) spricht vor allem hinsichtlich gemeindebezogener Projekte von einer „explosion of research and policy discourse since the late 1970’s“ (120; vgl. auch Obergfell-Fuchs 2001: 3). In den USA ist die Zahl der kriminalpräventiven Programme nicht mehr überschaubar. Allein für die zehn Jahre zwischen 1965 und 1975 schätzt man mehr als 6.500 einzelne Ansätze (Wright/Dixon 1977).
Helmut Kury
Kriminalität
Auszug
Kriminalität gehört zur Normalität von Gesellschaften. Schon der Soziologe [1895] erkannte, dass die Existenz von sozialen Normen notwendig auch die Abweichung von diesen Normen beinhaltet, und dass daher eine „störungsfreie“ soziale Ordnung nicht denkbar ist; selbst nicht in einem Kloster, da hier andere und strengere Verhaltensnormen gelten. Diese grundlegende Erkenntnis mag den Opfern einesWohnungseinbruchs oder eines ebay-Betrugs nicht zum Trost gereichen, hat jedoch die Forschung dazu angeregt, das Phänomen Kriminalität aus sehr unterschiedlichen Perspektiven zu behandeln.
Dietrich Oberwittler, Jost Reinecke
Organisierte Kriminalität
Auszug
Wenn man sich mit der „Organisierten Kriminalität“ beschäftigt, stößt man sofort auf die zentrale Frage: Gibt es sie überhaupt? Andererseits ist auch festzustellen, dass es fast zur täglichen Erfahrung eines Zeitung lesenden Menschen gehört, dass er auf Informationen wie z.B. „Kinderhändler-Ring aufgedeckt“ stößt. Dabei soll an dieser Stelle nicht die Art der Straftat problematisiert werden, sondern der Verweis in der Überschrift ist wichtig. Hier wird berichtet, dass eine wie auch immer geartete Kriminalitätshandlung aufgedeckt wurde, an der verschiedene organisierte Personen beteiligt waren. Etwas, das den Blick auf eine besondere Schwere der Straftat lenken soll mit dem Hintergrund: „Berufsverbrecher“. Dies ist nicht ein neuerliches Phänomen: Vor einigen Jahren fand man in den Zeitungen Berichte über die (italienische) Mafia und in den Kinos liefen Filme über Al Capone und die „Five-Points-Bande“ in Chicago — gleichfalls „Berufsverbrecher“ oder eben „organisierte Formen“ der Kriminalität.
Karlhans Liebl
Terrorismus—Im Zentrum der politischen Debatte, immer noch an den Rändern der Forschung?
Auszug
Die Diskussion über die Innere Sicherheit hat durch die Anschläge des 11. September 2001 einen neuen Referenzpunkt erhalten. Terrorismus hatte zwar bereits zuvor — in Westeuropa insbesondere in den 1970er Jahren — eine hervorgehobene Position in der sicherheitspolitischen Debatte gespielt (vgl. Schmid/Crelinsten 1993, Chalk 1996, Engene 2004). Dennoch stellen die Terrorakte von New York, Washington und Pennsylvania eine Zäsur für die Entwicklung und Ausgestaltung der Politik der Inneren Sicherheit dar. Denn während der Terrorismus in den meisten Staaten Europas während der 1990er Jahre im Vergleich zu anderen Problemfeldern — etwa organisierte Kriminalität oder illegale Einwanderung — deutlich an politischer Aufmerksamkeit eingebüßt hatte, steht das Thema nach dem 11. September 2001 wieder im Zentrum der sicherheitspolitischen Diskussion. Das gilt umso mehr, seitdem mit den Anschlägen von Madrid (März 2004) und London (Juli 2005) sowie zahlreichen, zum Teil nur durch Zufall vereitelten Terrorplanungen offenkundig geworden ist, dass auch europäische Städte zu den Anschlagzielen islamistisch-terroristischer Gruppierungen zählen. Die Regierungen und Parlamente in Europa und Nordamerika haben — im Einzelnen freilich mit unterschiedlichen Akzenten — mit organisatorischen Reformen der Sicherheitsbehörden, einem signifikanten Ausbau der Kompetenzen für Polizei, Strafjustiz und Geheimdienste sowie einer Beschneidung von Freiheitsrechten auf die neue Gefahrenlage reagiert (vgl. Walter et al. 2004, Zimmermann/Wenger 2007).1 Zugleich hat die internationale Kooperation im Bereich der Terrorismusbekämpfung erheblich an Bedeutung gewonnen (vgl. Müller/Schneider 2006, Schneckener 2007a).
Wilhelm Knelangen
Von der Pathogenie des Strafvollzugs
Rationale Erklärung für ein irrationales Phänomen
Auszug
Der beste Strafvollzug, so glauben die meisten Politiker und wohl auch viele Praktiker, ist der, von dem man nichts hört. Daher sind Ereignisse wie der Mord an einem 20-jährigen Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg im November 2006 gleichermaßen erschütternd wie lehrreich. Lehrreich insofern, als nach dieser Tat eine hektische politische Betriebsamkeit einsetzte, die nicht nur die Tatsache zutage brachte, dass Gewalt im Vollzug quasi an der Tagesordnung ist, sondern auch die längst überfällige Verabschiedung eines Jugendstrafvollzugsgesetzes beschleunigen dürfte. Dabei hatte der Entwurf für dieses Gesetz lange in den Schubladen der Ministerialbeamten gelegen; er konnte wegen der politischen Diskrepanzen zwischen Bund und Ländern aber nicht in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden.
Michael Alex, Thomas Feltes

Politik der Inneren Sicherheit

Frontmatter
Akteure der Inneren Sicherheit: Vom Öffentlichen zum Privaten
Auszug
Folgt man der Website des Bundesinnenministeriums, so umfasst die Innere Sicherheit ein „breites Themenspektrum“ und reicht „von der Kriminalitäts-, Terrorismus- und Extremismusbekämpfung über Verfassungsschutz, Geheim- und Sabotageschutz sowie Bevölkerungsschutz im Krisenfall bis zu Bundespolizei, Waffenrecht oder Sicherheit in der Informationstechnik“ (Bundesministerium des Innern 2006).
Thomas Feltes
Innere Sicherheit im Bund, in den Ländern und in den Kommunen
Auszug
Die Politik der Inneren Sicherheit ist im Wesentlichen im Bereich der Innenpolitik angesiedelt, wenngleich auch angesichts der Entwicklungen in der organisierten Kriminalität (OK), des Terrorismus und des zusammenwachsenden Europas internationale Dimensionen bestehen und in steigendem Maße außenpolitische Aspekte erfassen (siehe die Beiträge von Frevel und Heinrich/Lange in diesem Band). Zunehmend treten Aspekte der Privatisierung und Ökonomisierung hinzu (siehe die Beiträge von Beste und Folkers in diesem Band). Als Thema der Innenpolitik ist die Sicherheitspolitik entsprechend des föderalen Staatsaufbaus sowie in Anerkennung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts differenziert zu betrachten, denn die damit verbundenen Kompetenzzuschreibungen an einzelne Akteure (siehe den Beitrag von Feltes in diesem Band) sowie die verschiedenen Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten haben im Laufe der bundesdeutschen Entwicklung ein komplexes Mehrebenensystem in der Inneren Sicherheit erschaffen.
Hans-Jürgen Lange, Bernhard Frevel
Auf dem Weg zu einer europäischen Architektur der Inneren Sicherheit
Auszug
In einem zunehmend zusammenwachsenden Europa bestehen und entstehen neue Risiken und Probleme, denen im Sinne von Sicherheit, Frieden, Freiheit und Grundrechtsschutz begegnet werden muss. Kriminalität und Terrorismus, Fundamentalismen und Gewaltbereitschaft gefährden die Staaten, die Gesellschaften, die Wirtschaft und auch die einzelnen Bürgerinnen und Bürger in Europa. Entgegen des früheren Verständnisses von Innerer Sicherheit wird eine europäische und internationale Sicherheitspolitik bedeutsamer, die nicht mehr trennscharf von der äußeren Sicherheit abgrenzbar ist.
Bernhard Frevel

Markt und Innere Sicherheit

Frontmatter
Zur Ökonomie der Inneren Sicherheit
Auszug
In Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte ist die ausreichende Erfüllung der Rechtsstaatsaufgabe Innere Sicherheit keine Selbstverständlichkeit. Öffentliche Ausgaben für innere Sicherheit konkurrieren mit Ausgaben für andere staatliche Leistungen um knappe Etatmittel. Es stellt sich die Frage, in welcher Höhe Ausgaben für innere Sicherheit angemessen sind. Fließen zu viele oder zu wenige Steuermittel in diesen Bereich? Soll der Staat seine Aktivitäten ausdehnen oder einschränken? Zur Beantwortung dieser Fragen ist es notwendig, sich die ökonomische Dimension des Problems zu vergegenwärtigen. Dabei geht es nicht so sehr darum, Geldbeträge für bestimmte Sicherheitsmaßnahmen zu ermitteln und nach möglichen Finanzierungsquellen zu suchen. Vielmehr steht das grundlegende ökonomische Problem im Vordergrund, dass Ressourcen, die für eine bestimmte Verwendung eingesetzt werden, für eine alternative Verwendung nicht mehr zur Verfügung stehen. In einer Welt knapper Ressourcen, aber unbegrenzter Bedürfnisse der Menschen ist es nicht sinnvoll, Ressourcen beliebig auf irgendwelche Verwendungen zu verteilen. Es werden Kriterien benötigt, anhand derer man Aussagen über einen „effizienten“ Einsatz der knappen Ressourcen treffen kann, d.h. eine Verwendung der Ressourcen zur bestmöglichen Bedürfnisbefriedigung der Menschen. Erst auf dieser Grundlage ist es möglich zu beurteilen, ob zu viele oder zu wenige Ressourcen in einen bestimmten Bereich fließen und ob durch eine andere Verwendung der Ressourcen eventuell ein höherer Nutzen für die Bürger erreicht werden kann. Während für viele öffentliche Aufgabenbereiche derartige Kriterien erarbeitet worden sind (so gibt es eine eigenständige Gesundheits-, Verteidigungs- oder Bildungsökonomie), existiert bisher kein geschlossenes Theoriegebäude einer „Ökonomie der Inneren Sicherheit“.
Cay Folkers, Jürg Weißgerber
Zur Privatisierung verloren geglaubter Sicherheit in der Kontrollgesellschaft
Auszug
Wird der Versuch unternommen, neuere Entwicklungen im kontrollpolitischen Sektor empirisch zu gewichten und analytisch auszuloten, so ist es zunächst hilfreich, einen genaueren Blick auf die einschlägigen Termini zu werfen, mit denen diese Prozesse beschrieben werden. Das gilt besonders für jene Kennzeichnung, die als „Privatisierung sozialer Kontrolle“ eine offenkundige Abkehr vom staatlichen Gewaltmonopol, mindestens aber eine Funktionsverlagerung innerhalb desselben nahe legen will. Denn das klassische Gegensatzpaar staatlich vs. privat taugt wenig zur Analyse des kontrollpolitischen Formwandels, der sich zweifelsohne in den vergangenen 30 bis 40 Jahren in Deutschland vollzogen hat. Zwar ist Bewegung geraten in das Ensemble des staatlichen Gewaltmonopols, einer schleichenden oder gar wachsenden Privatisierung dieser legitimen Form physischer Gewaltsamkeit sollte allerdings nicht ohne erhebliche Vorbehalte das Wort geredet werden. Vielmehr bietet sich in diesem Zusammenhang eine Sprachregelung an, die neuerdings vom Wandel der „Kontrollkulturen“ ausgeht (vgl. Hess et al. 2007). Der belesene und kriminologisch vorbelastete Zeitgenosse weiß indes sofort, um wen es in dieser Hinsicht hauptsächlich geht: David Garland und seine richtungsweisenden kontrolltheoretischen Entwürfe. In seinen Arbeiten (z.B. Garland 2001, 2004, 2007) sucht man den Privatisierungsbegriff an exponierter Stelle denn auch vergebens. Ihm geht es vor allem um die Frage nach dem Ende der „Resozialisierungsidee“, man könnte in übertragener Form auch von Resozialisierungsideologie sprechen, und dem Aufkommen „neuer“ bzw. altbekannter Strafformen und (technisch) fortgeschrittener Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen in sog. Hochkriminalitätsgesellschaften.
Hubert Beste
Technik und Systeme der Inneren Sicherheit
Auszug
Die Sicherheitsbehörden nutzen seit ihrer Entstehung Technik in unterschiedlichen Weisen zur Aufgabenerfüllung und Organisation. Mit der Einführung des Computers entstand ein umfassendes und leistungsfähiges technisches System, das auf der einen Seite mit der Utopie einer totalen Machbarkeit der Sicherheit vor Kriminalität, auf der anderen Seite mit der Dystopie eines allmächtigen Überwachungsstaates verbunden wurde. Beide Aspekte nahmen in ihrer Bedeutung für die öffentliche Diskussion in den letzten Jahren ab, obwohl die Potenziale technikgestützter Kriminalitätsbekämpfung rapide anwuchsen. In den Vordergrund hingegen traten unterschiedliche Problemstellungen, die sich aus der Technisierung für die Sicherheitsbehörden ergaben. Zu nennen sind beispielsweise neue Formen der Kriminalität im Internet, aber auch problembelastete Technikeinführungen wie bei INPOL-neu oder die bislang noch nicht erfolgte Einführung des Digitalfunks. Hierbei stellen sich die Fragen, wie und unter welchen Bedingungen die Technisierung der Sicherheitsbehörden erfolgt, ob sie von der dynamischen Technikentwicklung überfordert sind und welche Folgen sich daraus für das System der Inneren Sicherheit ergeben. Erst in letzter Zeit werden, als Folge der erheblich erweiterten Befugnisse und Fähigkeiten der Sicherheitsbehörden im Zuge der Terrorismusbekämpfung, vor allem die aktuellen Tendenzen ihrer umfänglichen Datenerfassungs- und -verarbeitungskapazitäten wieder verstärkt thematisiert und kritisch beleuchtet.
Stephan Heinrich
polizei.de oder: Verändert das Internet die Praxis polizeilichen Arbeitens?
Auszug
Die deutsche Polizei ist in den vergangenen Jahren durch zwei politisch und ökonomisch motivierte Maßnahmen tiefgreifend verändert worden: zum einen durch die Einführung der Neuen Steuerung und der damit verbundenen völlig neuartigen ergebnis- und zielorientierten Steuerung polizeilichen Handelns, zum anderen durch die flächendeckende Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien.
Sylvia Marlene Wilz, Jo Reichertz

Soziale Konstruktion der Inneren Sicherheit

Frontmatter
Kriminalitätsfurcht
Erscheinungsformen, Trends und soziale Determinanten
Auszug
In den letzten Jahren ist die Kriminalitätsfurcht in zunehmendem Maße ein Thema sowohl in der Wissenschaft als auch in der öffentlichen Diskussion geworden. Damit wird dem Tatbestand Rechnung getragen, dass sich das subjektive Erleben von Kriminalität nicht auf die Viktimisierung beschränkt, sondern die Sorge um kriminelle Bedrohung mit einschließt. Manche Autoren meinen gar, dass die Kriminalitätsfurcht für das Alltagserleben und die Lebensqualität eine größere Bedeutung habe als die Viktimisierung und darum besonderer Aufmerksamkeit bedürfe. Und manche polizeilichen Maßnahmen — wie z.B. vermehrte Polizeipräsenz — haben inzwischen oft mehr die Reduktion von Kriminalitätsfurcht zum Ziel als die Reduktion von Kriminalität.
Karl-Heinz Reuband
Erweiterung des Sicherheitsbegriffs
Auszug
Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs bzw. der erweiterte Sicherheitsbegriff entstammt ursprünglich der militärischen und sicherheitspolitischen Diskussion. Er orientiert sich an der Auflösung der strikten, historisch bedingten Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit. Unter Innerer Sicherheit werden dabei diejenigen Fragen und Problemlagen verstanden, die sowohl Staat als auch Gesellschaft aus sich selbst heraus bedrohen. Die äußere Sicherheit hingegen besteht in der Abwesenheit von äußeren Eingriffen in die Staatssphäre bzw. der entsprechenden Vorsorge. Der Wegfall der Blockkonfrontation zwischen Ost und West in Folge der Reformprozesse in Osteuropa und des Zerfalls der Sowjetunion führten in den 1990er Jahren in der NATO dazu, die neue weltpolitische Lage als Ausgangssituation für neue Strategien und Aufgabenstellungen zu nehmen und auf neue Sicherheitsbedingungen hin auszurichten (vgl. Bundesakademie für Sicherheitspolitik 2001). Von wesentlicher Bedeutung dafür sind die Zunahme von regional begrenzten Krisen, die nicht mehr als klassische Stellvertreter- Konflikte wie in der Ära der Blockkonfrontation zu verstehen waren. Diese Krisen werden vor allem als Low Intensity Conflicts ( — LIC —, vgl. van Creveld 1998) oder asymmetrische Kriegsführung (vgl. Münkler 2002) thematisiert und zeichnen sich dadurch aus, dass sie vor allem in Form von Bürgerkriegen innerstaatliche Konflikte eskalieren und auf Grund ihrer Folgen wie Flüchtlingsbewegungen, dem Zusammenbruch kompletter Infrastruktursysteme sowie Verelendungserscheinungen zur Destabilisierung ganzer Regionen führen. Überregionale Bedeutung kommt diesen Krisen auf Grund ihrer antizipierten Wirkung auf die westlichen Staaten zu: Migrations- und Fluchtbewegungen, Kriegsökonomien (Waffen- und Drogenhandel), aber schlussendlich auch terroristische Bewegungen werden als indirekte und direkte Bedrohungen verstanden.
Stephan Heinrich, Hans-Jürgen Lange
Soziale Kontrolle im öffentlichen Raum
Auszug
Gegenwärtige Entwicklungen der Maßnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit wurden bereits verschiedentlich beschrieben. In einer Reihe von Studien wurden dabei insbesondere Veränderungen der Mechanismen sozialer Kontrolle, d. h. der Strategien, die von den Instanzen sozialer Kontrolle mit dem Ziel der Verhinderung oder Sanktionierung kriminellen Verhaltens verfolgt werden, nachgezeichnet. Im Rahmen systematischer Bestandsaufnahmen dieser Strategien wurde ein Wandel der Formen strafrechtlicher Sozialkontrolle herausgearbeitet. Betrachtet man mit Scheerer soziale Kontrolle als ein „Ensemble all dessen (...), was unerwünschtes Verhalten verhindern soll und/oder faktisch verhindert (...) sowie all dessen, was auf unerwünschtes Verhalten reagiert“ (Scheerer 2000: 167), so überwiegen gegenwärtig in diesem Ensemble präventive gegenüber reaktiven Mechanismen strafrechtlicher Sozialkontrolle.
Stefanie Eifler
Raum und Architektur der Inneren Sicherheit
Auszug
Im sozialwissenschaftlichen Mainstream wurde bisher vernachlässigt, dass sich die Arrangements der Inneren Sicherheit im städtischen Raum auch in baulichen Gestalten und räumlichen Zeichen manifestieren. Dies ist eine Folge des Durkheimschen Paradigmas, soziale Tatsachen nur durch soziale Tatsachen zu erklären. Die Ende der 70er Jahre im Umfeld des Bundeskriminalamts geführte fachliche Auseinandersetzung mit Architektur und Raum als Gegenstand der Inneren Sicherheit ist in der Soziologie weitgehend ohne Resonanz geblieben (vgl. z.B. Clarke 1979, Newman 1979). Sie wurde in Deutschland nur vereinzelt in der einschlägigen Literatur unter planungswissenschaftlicher Perspektive fortgesetzt (z.B. Flade 1986), während es unter der Perspektive einer auf Architektur und Städtebau bezogenen Kriminalprävention international einen kontinuierlichen Diskurs dazu gab (vgl. z.B. Clarke 1992, Crouch et al. 1999, Crowe 2000, Jacobs 1961, Newman 1972, Soomeren/Woldendorp 1997, Schweitzer et al. 1999, Stummvoll 2002).
Herbert Schubert
Medien und Innere Sicherheit
Auszug
Das Thema Medien verknüpft sich auf komplexeWeise mit Aspekten von Kriminalität, Gewalt und Innerer Sicherheit. Zunächst lässt sich zeigen, dass sich Medien allerArt, insbesondere aber Bilder und Texte, seit jeher auf die Vermittlung von Gewaltgeschehen beziehen (vgl. Groebner 2003). Das menschliche Interesse an Gewaltgeschehen und die entsprechende Neugier lassen sich analog zum Non-helping-Bystander-Syndrom („Gaffer“) auf eine These der Evolutionspsychologie zurückführen. Danach ist das Anschauen von Gewalt- und Gefahrensituationen weniger als Charakterdefizit einzuschätzen, sondern dient eher der eigenen Risikoabschätzung, gewissermaßen als Vorbereitung auf eventuelle Situationen mit ähnlichen Risiken.
Joachim Kersten

Bürger und Rechtsstaat

Frontmatter
Innere Sicherheit und bürgerrechtliche Freiheit Von der „Rettungsfolter“ bis zur elektronischen Rundumüberwachung
Auszug
Unter dem Eindruck der Ereignisse am 11. September 2001 äußerten manche Kommentatoren die Erwartung, dass nach den verheerenden Terroranschlägen in den USA nichts mehr so sein werde wie vorher. In der Tat zogen viele Regierungen, nicht nur die der USA, weitreichende Konsequenzen aus den Terrorakten, die die Entwicklung der Politik im Weltmaßstab bis heute prägen. Signifikant war auch die Geschwindigkeit, mit der in Deutschland die sog. Sicherheitspakete I und II mit ihrer Fülle an Gesetzesänderungen vom Parlament beraten und verabschiedet wurden. Nach einem wegen seiner Kürze „unerhörten Verfahren“ (Hirsch 2002: 16) änderte der Bundestag am 14.12.2001 allein 17 Gesetze.
Martin Kutscha
Freiwilliger Verzicht auf Bürgerrechte
Auszug
Zahlreiche Grund- und Menschenrechte enthalten Freiheitsgarantien, denen im Sicherheitsbereich wesentliche Bedeutung zukommt. Im Vordergrund stehen einmal Verbürgungen von Privatsphären als Grenzen staatlicher Ermittlungsbefugnisse: Unverletzlichkeit derWohnung (Art. 13 GG), Post- und Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 GG) und die Privat- und Intimsphäre (Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Hinzu kommen zahlreiche Handlungsfreiheiten, welche den Status als politisch aktiver und mitverantwortlicher Bürger überhaupt erst konkretisieren: Meinungsfreiheit (Art. 5 GG), Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 8, 9 GG). Hierzu zählen aber auch Mitwirkungsrechte am Gemeinwesen, wie etwa die Freiheit der Parteien (Art. 21 GG) und das Wahlrecht (Art. 10 i.V.m. Art. 28, 38 GG). Zahlreiche solcher Rechte finden sich nicht allein im Grundgesetz, sondern auch in internationalen Konventionen (etwa: Europäische Menschenrechtskonvention mit Zusatzprotokollen) und in einigen Landesverfassungen.
Christoph Gusy
Sicherheitsgewährleistung im kooperativen Verfassungsstaat
Auszug
Die Einrichtung einer „guten Ordnung des Gemeinwesens“ (Boldt 2001: 3) als Aufgabe der Hoheitsgewalt hat lange Tradition; seit etwa dem 15. Jahrhundert verbinden wir mit diesem Konzept den Begriff der Polizei (vgl. Knemeyer 1963: 168ff.). Entwicklungsgeschichtlich ist für den Bereich der Polizey ein Rückzug des Staates vom Anspruch allgemeinerWohlfahrt hin auf die Garantie der öffentlichen Sicherheit zu verzeichnen. Bereits 1770 stellt der Göttinger Staatsrechtler Johann Stephan Pütter fest, Aufgabe der Polizei (als Organisation) sei die „cura avertendi mala futura“, nicht hingegen die „promovendae salutis cura“ (Pütter 1770: § 321).1 Ihre prominente praktische Vollendung findet diese Einsicht im berühmten „Kreuzberg-Urteil“ des preußischen Oberverwaltungsgerichts2, und seither liegt sie rechtsstaatlichen Regelungskomplexen des Polizeiwesens zugrunde.
Martin Morlok, Julian Krüper

Wissenschaft und Innere Sicherheit

Frontmatter
Wissenschaft und Innere Sicherheit
Auszug
In diesem Kapitel sollen der wissenschaftliche Werdegang und die Desiderate auf dem Forschungsgebiet der Inneren Sicherheit angesprochen werden. An Stelle einer geschlossenen Ausarbeitung der Einschätzung eines oder weniger Autoren zum Thema haben wir denWeg der unmittelbaren Befragung der Vertreter einer Reihe von Forschungsansätzen gewählt. In unserem Anschreiben wurde gebeten, auf maximal drei Seiten folgende Fragen zu beantworten:
1
In welchem Arbeitsgebiet der Inneren Sicherheit haben Sie vor allem in Ihrer beruflichen Laufbahn wann und wo gearbeitet?
 
2
Wie hat sich aus Ihrer Sicht dieses Arbeitsgebiet in dieser Zeit entwickelt?
 
3
Welche Problemstellungen werden in diesem Arbeitsgebiet zurzeit diskutiert?
 
4
Wie würden Sie Ihren theoretischen oder methodischen Ansatz in diesem Arbeitsgebiet skizzieren und zu welchen anderen wissenschaftlichen Gebieten gibt es wesentliche Bezüge?
 
5
Nennen Sie bitte bis zu fünf für Sie wegweisende Publikationen aus diesem Arbeitsgebiet.
 
Thomas Feltes, Axel Groenemeyer, Susanne Krasmann, Hans-Jürgen Lange, Klaus Neidhardt, Helge Peters, Jo Reichertz, Fritz Sack

Szientometrische Analyse

Frontmatter
Die Inneren Sicherheit im Spiegel der deutschsprachigen Literatur
Auszug
Zur Thematik der Inneren Sicherheit liegt eine beträchtliche Zahl von Publikationen vor. Eine Suche ergab über die letzten 36 Publikationsjahre mehr als 9.000 deutsche Titel. Im Folgenden wird die Datengrundlage für diese Literaturübersicht erläutert. Anschließend wird der so gewonnene Datenkorpus quantitativ analysiert, womit u.a. ein Überblick zu relevanten Autoren und deren Kooperationen sowie zu thematischen „Konjunkturen“ gegeben wird.
H. Peter Ohly
Ausblick zur Sicherheitsforschung
Auszug
Die Beiträge der einzelnen Autoren haben nicht unbedingt den gleichen Tenor oder sind nahtlos anschlussfähig, was in Anbetracht der unterschiedlichen Schulen, der verschiedenen Arbeitsgebiete und der jeweils unterschiedlichen Themenstellung hier nicht anders zu erwarten ist. Trotzdem können generelle gemeinsame Trends festgestellt werden.
Hans-Jürgen Lange, H. Peter Ohly, Jo Reichertz
Backmatter
Metadaten
Titel
Auf der Suche nach neuer Sicherheit
herausgegeben von
Hans-Jürgen Lange
H. Peter Ohly
Jo Reichertz
Copyright-Jahr
2008
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-91212-7
Print ISBN
978-3-531-16124-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-91212-7