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Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 1/2024

Open Access 08.01.2024 | Schwerpunkt

Blockchain-Technologie im Supply Chain Management – Anwendungspotenziale und Kompetenzlücken

verfasst von: Andreas Jede, Frank Bensberg, Tabea Klein

Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik | Ausgabe 1/2024

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Zusammenfassung

Unternehmen und anwendungsorientierte Forschung weisen der Blockchain-Technologie enorme Potenziale in diversen Sektoren zu. Besonders erfolgversprechend erscheint dabei der Einsatz von Blockchain-Technologien im Kontext des Supply Chain-Managements, da hiermit die Effizienz, die Transparenz und das Vertrauen zwischen den unterschiedlichen Akteuren über die gesamte Lieferkette gesteigert werden können. Ein Erfolgsfaktor für die Einführung und den Betrieb produktiver Blockchain-Lösungen bildet dabei ein adäquates Kompetenzmanagement, mit dem sichergestellt wird, dass die Mitarbeiter die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzen. Bestehende Kompetenzrahmen umfassen zwar eine Vielzahl digitaler Kompetenzen, jedoch adressieren diese bislang keine dedizierten Kompetenzen zum Einsatz von Blockchain-Technologien. Dieses Defizit wird mit dem vorliegenden Beitrag aufgegriffen, indem aufbauend auf einer kurzen Einführung und Darstellung der Blockchain-Technologie deren Anwendungspotenziale im Supply Chain-Management identifiziert werden. Anschließend wird ein Kompetenzrahmen zum Blockchain-basierten Supply Chain-Management entwickelt. Schließlich werden Kompetenzlücken in der Praxis aufgezeigt, Handlungsempfehlungen für Unternehmen formuliert sowie eine Schlussbetrachtung durchgeführt.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

1 Problemstellung und Zielsetzung

Öffentlich verteilte Blockchains (BC) existieren seit mehr als 15 Jahren und besitzen weitreichende Potenziale in unterschiedlichen Sektoren. Dennoch befindet sich die Diffusion von Blockchain-Technologien bis auf einige wenige Ausnahmen (z. B. Kryptowährungen, Smart Contracts) bislang noch in den Kinderschuhen. Gerade im deutschsprachigen Raum kann von einem geringen Adoptionsgrad ausgegangen werden. Dabei verfügen Blockchain-Lösungen insbesondere im Bereich des Supply Chain-Management über ein hohes Potenzial zur Optimierung der Material- und Informationsflüsse entlang der Lieferkette. So stehen Logistikdienstleister beispielsweise vor der strukturellen Herausforderung, die Planungs- und Auftragsabwicklungsprozesse überbetrieblich zu koordinieren, sodass intensive horizontale und vertikale Integrationsanforderungen bestehen. Blockchain-Lösungen bieten dabei einen Ansatz, um die Informationstransparenz auf sämtlichen Prozessebenen zu verbessern.
Zur Freisetzung dieses Potenzials ist allerdings die hohe Komplexität von Blockchain-Lösungen zu bewältigen, die generell als schwer verständliche Technologiekomplexe angesehen werden (Gentemann 2019). Infolgedessen ist ein adäquates Kompetenzmanagement erforderlich, das gewährleistet, dass die Mitarbeiter über die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen. Grundlage für das betriebliche Kompetenzmanagement bilden Kompetenzkataloge, welche die notwendigen fachlichen bzw. überfachlichen Kompetenzen für Planungs- und Steuerungszwecke der Personalentwicklung verzeichnen (North et al. 2013). Zur Bewirtschaftung von Kompetenzkatalogen stehen mittlerweile zahlreiche Kompetenzrahmen zur Verfügung, die eine Vielzahl digitaler Kompetenzen erfassen und für unterschiedliche Tätigkeitsfelder aufbereiten. Hierzu ist beispielsweise das EU e‑Competence Framework 3.0 zu zählen, welches 2016 als europäische Norm 16234 verabschiedet und 2019 aktualisiert wurde (Hohoff und Gelberg 2019). Ergänzend ist das europäische Kompetenzmodell DigComp 2.2 als Rahmenwerk für digitale Kompetenzen der EU-Bürger zu nennen (Vuorikari et al. 2022). Weiterhin steht der globale Qualifikations- und Kompetenzrahmen für die digitale Welt SFIA 8 zur Verfügung (SFIA Foundation 2021).
Die genannten Kompetenzrahmen verzeichnen allerdings keine dedizierten Kompetenzen für den Einsatz und das Management von Blockchain-Technologien. Ein Grund hierfür besteht darin, dass in der BC keine grundsätzlich neue Kompetenz gesehen wird, sondern es sich vielmehr um die Anwendung einer neuen Technologie handelt, für deren produktiven Einsatz bereits bestehende, interdisziplinäre Kompetenzfelder zu integrieren sind. Für das betriebliche Kompetenzmanagement impliziert dies jedoch die Gefahr, dieses Technologiefeld bei der Personalentwicklung zu vernachlässigen. Im sektoralen Kontext der Logistik wird diese Gefahr noch dadurch verstärkt, dass Blockchain-Anwendungen originär im Finanzsektor verankert sind, und die Blockchain-Entwicklergemeinschaft somit keine ausgeprägte Affinität für Problemstellungen der Logistik aufweist (Gartner 2018). Hiermit geht auch die Hypothese einher, dass Blockchain-Experten bzw. -Spezialisten am externen Arbeitsmarkt nur sehr begrenzt für Tätigkeiten im Logistikbereich mobilisierbar sind, sodass der Kompetenzentwicklung des Personalbestands tendenziell hohe Bedeutung zufällt.
Dieser Beitrag adressiert die skizzierte Problematik, indem ein Kompetenzrahmen für das Blockchain-basierte Supply Chain-Management (BC-SCM) entwickelt wird. Hiermit wird die Zielsetzung verfolgt, eine tragfähige Grundlage für das betriebliche Kompetenzmanagement zu generieren. Voraussetzung hierfür ist zunächst eine Einführung in die konzeptionellen Grundlagen der Blockchain-Technologie, die im folgenden Teil des Beitrags erörtert werden. Darauf aufbauend werden die Anwendungspotenziale des BC-SCM identifiziert, die anhand einer qualitativen Literaturanalyse erhoben werden und Unternehmen des Logistiksektors Anknüpfungspunkte für den wirtschaftlichen Einsatz von Blockchain-Technologien liefern. Die Auswahl dieser Forschungsmethode wird durch den Sachverhalt getrieben, dass bereits relativ viele Publikationen die Anwendungspotenziale von Blockchain-Technologien dediziert thematisieren. Die zur Umsetzung dieser Anwendungspotenziale erforderlichen Kompetenzen werden anschließend mithilfe einer quantitativen Literaturanalyse erhoben. Um einen tragfähigen Kompetenzrahmen für das BC-SCM zu generieren, wird ein großvolumiger Dokumentkorpus mit textanalytischen Methoden untersucht. Durch die Auswahl der quantitativen Literaturanalyse als Forschungsmethode erfolgt eine intendierte Abgrenzung gegenüber der Methodik, die üblicherweise zur Ableitung von Kompetenzrahmen zur Anwendung gelangt. Während etablierte Kompetenzrahmen nahezu regelmäßig auf der Durchführung von Expertenbefragungen in ausgewählten Institutionen oder der Analyse vorselektierter Stellenanzeigen basieren (Auth et al. 2021), wird aufgrund der Spezifität und des Reifegrads des Gegenstandsbereichs hier ein Ansatz gewählt, der wissenschaftliche und praxisorientierte Publikationen zum BC-basierten SCM analysiert. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass eine großzahlige empirische Basis erschlossen wird und institutionelle Verzerrungen vermieden werden. Die identifizierten Anwendungspotenziale und der BC-SCM-Kompetenzrahmen werden dann herangezogen, um Kompetenzlücken in der Praxis mithilfe von Experteninterviews zu identifizieren und Handlungsempfehlungen für das Personalmanagement abzuleiten. Abschließend werden Restriktionen sowie Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschungsarbeiten aufgezeigt.

2 Konzeptionelle Grundlagen der Blockchain-Technologie

Eine Blockchain ist ein informationstechnisches Konzept, um Daten in einer verteilten Infrastruktur ohne zentrale Instanz manipulationssicher und konsensorientiert zu verwalten. So definiert Drescher (2017) BC wie folgt: „The blockchain is a purely distributed peer-to-peer system of ledgers that utilizes a software unit that consist of an algorithm, which negotiates the informational content of ordered and connected blocks of data together with cryptographic and security technologies in order to achieve and maintain its integrity.“ Wie diese Definition nahelegt, handelt es sich bei einer BC um einen Datenspeicher, der die Daten in Form von Blöcken sichert (Holschbach und Busse 2022; Wittenberg 2020). Die Daten werden unabhängig von ihren Inhalten als Transaktion bezeichnet. Sie sind auf Grund des Einsatzes von Konsensverfahren, kryptografischer Verschlüsselung und Verkettung als integer anzusehen und können im Nachhinein nicht mehr manipuliert werden. Die Blöcke werden durch kryptografische Verfahren chronologisch miteinander verkettet. Neben der bereits erwähnten Unveränderlichkeit kann durch den Einsatz von Kryptografie verhindert werden, dass Unbefugte Zugriff auf die Transaktionen erhalten. Die Softwarearchitektur der BC-Technologie wird dabei als verteiltes Peer-to-Peer-Netzwerk beschrieben. Das bedeutet, dass die einzelnen Rechnerknoten im BC-Netzwerk direkt und ohne zentrale Instanz miteinander verbunden sind und kommunizieren können. Im Peer-to-Peer-System sind sämtliche Knoten gleichberechtigt und erfüllen erforderliche Aufgaben für das Netzwerk. Entscheidungen darüber, ob einer BC ein neuer Block hinzugefügt wird, werden über einen festgelegten Konsensmechanismus getroffen. Die BC-Technologie wird auch den Distributed Ledger-Technologien (DLT) zugeordnet, da eine BC dezentral in jedem Knoten gespeichert wird. Folglich hat eine BC keine zentrale Ausfallgröße und gilt somit als hinreichend ausfallsicher. Abb. 1 zeigt die schematische Funktionsweise des Konsensmechanismus, der kryptografischen Verschlüsselung sowie der Verkettung der Blöcke.
Die Entwicklungsstufen der BC-Technologie werden anhand des Ziels und des Anwendungsbereichs in die Generationen BC 1.0, 2.0 und 3.0 klassifiziert (Holschbach und Busse 2022). BC der Generation 1.0 werden genutzt, um Kryptowährungen zu betreiben (z. B. Bitcoin, Dogecoin). BC der Entwicklungsstufe 2.0 werden in der Wirtschaft, bei Versicherungen oder im Finanzbereich zur Automatisierung mithilfe von Smart Contracts eingesetzt. Smart Contracts basieren auf Wenn-Dann-Regeln und sind dazu fähig, Aktionen automatisch auszulösen, wenn definierte Bedingungen eintreten. Dafür wird ein entsprechender Code programmiert und manipulationssicher in der BC gespeichert. Sowohl die Aktionen als auch die Bedingungen müssen digitalisierbar sein. BC der Entwicklungsstufe 3.0 werden z. B. im SCM und im Gesundheitsbereich genutzt, um Transaktionen zu beschleunigen und Vertrauen zwischen Parteien zu schaffen. BC der Entwicklungsstufen 2.0 und 3.0 werden auch Business Logic-Blockchains oder Enterprise Blockchains genannt, die mit unterschiedlichen Zugangsberechtigungen konzipiert werden können.

3 Anwendungspotenziale der Blockchain im Supply Chain-Management

Das SCM steht aufgrund aktueller Entwicklungen vor zahlreichen Herausforderungen, die die Nutzung der BC-Technologie begünstigen. Genannt seien beispielsweise die vermehrte Individualisierung der Produkte, zunehmende Variantenvielfalt, Unterbrechungen der Wertschöpfungsketten, verkürzte Entwicklungszeiten, Wunsch nach kürzeren Lieferzeiten, Kreislaufwirtschaft, höhere rechtliche Anforderungen oder auch die Erhöhung der Transparenz des ökologischen Fußabdrucks. Um die Potenziale der BC-Technologie im SCM zu identifizieren, werden die Ergebnisse einer qualitativen Literaturanalyse vorgestellt.
Ausgangspunkt der Literaturanalyse bildet die Forschungsfrage: Welche Anwendungspotenziale hat die BC-Technologie im SCM von materiellen Produkten in Bezug auf den Material- und Informationsfluss? Zur Begrenzung des Literaturvolumens werden deutschsprachige Publikationen fokussiert. Für die Literatursuche werden die Suchmaschinen Google Scholar, WISO und BASE herangezogen. Die Schlüsselbegriffe der Forschungsfrage lauten: Blockchain-Technologie, Supply Chain Management und Anwendungspotenziale. Damit die Begriffe nicht zu spezifisch sind, wird zudem nach Blockchain, Supply Chain und Anwendung gesucht. Für den Begriff Anwendung wird das Synonym Einsatz als Suchbegriff aufgenommen. Die Abfrage lautet somit: Blockchain AND Supply Chain AND Anwendung und Blockchain AND Supply Chain AND Einsatz. Auf den Ausschluss von Wörtern wird verzichtet, um sicherzugehen, dass keine relevanten Literaturquellen ausgeschlossen werden. Ebenso wird auf Wörter wie Informationsfluss, Materialfluss oder materielle Produkte verzichtet, um die Suchergebnisse nicht zu stark zu reduzieren. Das Erscheinungsjahr der Literatur wird auf die Jahre 2022 und jünger eingegrenzt, um möglichst aktuelle Literaturquellen zu erhalten. Die Auswahl- und Ausschlusskriterien zeigt Tab. 1.
Tab. 1
Auswahl- und Ausschlusskriterien der qualitativen Literaturanalyse (in Anlehnung an Fink 2020)
Typ
Auswahlkriterien
Erscheinungsjahr
2022
2023
Sprache
Deutsch
Inhalt/Titel
Kombination aus mindestens zwei Suchbegriffen
Kombination aus Blockchain und Begriffen, die mit dem Supply Chain in Zusammenhang stehen
Mögliche Rückschlüsse auf ein Anwendungspotenzial
Mögliche Neuerungen im Supply Chain Management
Zugänglichkeit
Direkt über die Datenbank
Öffentlicher Zugang über eine Internetseite, zu der weitergeleitet wird
Bibliothek der Hochschule Osnabrück
Quellenart
Wissenschaftliche Fachbücher
Wissenschaftliche Lehrbücher
Fachzeitschriften
Forschungsberichte
Typ
Ausschlusskriterien
Inhalt/Titel
Fokus auf andere Technologien
Fokus auf andere Unternehmensbereiche
Fokus auf Dienstleitungen
Zugänglichkeit
Kauf
Quellenart
Private Internetseiten
Internetseiten von kommerziellen Einrichtungen
Abschlussarbeiten
Hausarbeiten
Seminararbeiten
Boulevardzeitschriften
Der Suchprozess lieferte 4954 Fundstellen, die in mehreren Schritten via (1) Prüfung des Titels, (2) Prüfung des Abstracts und (3) Prüfung des gesamten Dokuments auf 28 relevante Dokumente reduziert wurden. Diese Dokumente sind einer Clusteranalyse unterzogen worden, sodass insgesamt 13 Potenziale identifiziert werden konnten. Diese werden zusammenfassend in Abb. 2 dargestellt und im Folgenden erörtert. Die Quellen je Cluster sind ebenso der Abb. 2 zu entnehmen. Diese dienen als Referenz für die Beschreibung der Potenziale im Folgenden.
Der BC-Technologie wird das Potenzial zugeschrieben, in der Zusammenarbeit von Unternehmen Vertrauen zu schaffen. Durch die in Kap. 2 erläuterten kryptografischen Mechanismen können die BC und die darin abgespeicherten Daten als vertrauensvoll und integer angesehen werden. Die BC kann vor der Aufnahme einer neuen Geschäftsbeziehung genutzt werden, um den potenziellen Lieferanten in Bezug auf seine Eignung und Vertrauenswürdigkeit zu prüfen. Die BC zeigt die Transaktionshistorie des potenziellen Lieferanten transparent auf, wodurch Kriterien wie Liefertreue und Beschwerdeverhalten geprüft werden können.
Zudem kann die BC dazu beitragen, opportunistisches Verhalten von Unternehmen zu reduzieren. Je mehr Informationen in der BC gespeichert werden, desto umfassender ist die Reputation, die über ein Unternehmen aufbaut wird. Opportunistisches Verhalten, wie Vertragsbrüche oder die Angabe falsche Informationen, können in der BC gespeichert werden. Wird dies, z. B. im Rahmen einer Lieferantenüberprüfung, offengelegt, kommt es zu einem Reputationsverlust. Entlang der Wertschöpfungskette kann die BC-Technologie genutzt werden, um inner- und überbetriebliche Arbeitsabläufe abzubilden und zu koordinieren. Wenn Aufgaben, Rechte und Verantwortlichkeiten sämtlicher Unternehmen eines Wertschöpfungsnetzwerkes in einer BC abgebildet werden, sind der aktuelle Prozessstatus sowie die nächsten Prozessschritte für sämtliche Beteiligten transparent, sodass eine Senkung von Transaktionskosten erzielt werden kann.
Des Weiteren kann die BC bei auftretenden Problemen zur Prozesskoordination und Ursachenanalyse herangezogen werden, um beispielsweise zu ermitteln, welches Unternehmen seinen Pflichten nicht nachgekommen ist. Da überbetriebliche Arbeitsabläufe durch den Einsatz einer BC besser koordiniert werden können, werden komplexere und koordinationsintensivere überbetriebliche Prozesse realisierbar.
Eine BC kann als Plattform zur Arbeitsteilung zwischen mehreren vorrangig klein- und mittelständischen Unternehmen dienen. Erhält ein Unternehmen einen Auftrag, hat aber nicht die nötigen Kapazitäten, diesen vollständig und zeitnah zu erfüllen, kann es die zusätzlich benötigten Kapazitäten in einem BC-Netzwerk veröffentlichen und darüber einen Teil des Auftrags an ein anderes Unternehmen vergeben. Ähnlich ist dies mit mangelnden Kompetenzen denkbar. Hat ein Unternehmen beispielsweise nicht die nötigen Maschinen oder das notwendige Wissen für eine Auftragskomponente, kann es diesen Teil über eine BC an ein anderes Unternehmen abtreten und sich vollständig auf seine Kompetenzen konzentrieren. Die BC-Technologie kann Unternehmen ein geschütztes Netzwerk zur Zusammenarbeit bieten, das die Grundlage für flexible Wertschöpfungsnetzwerke schafft. In dem Netzwerk kann sich einerseits jedes Unternehmen auf seine Kernkompetenz fokussieren und anderseits Restkapazitäten wirtschaftlich nutzen und fehlende Kapazitäten anderweitig vergeben.
BC der Entwicklungsstufen 2.0 und 3.0 ermöglichen den Einsatz von Smart Contracts, die das Potenzial zur Automatisierung von Transaktionen im SCM besitzen. Aus der Automatisierung resultiert ein geringerer Personaleinsatz, wodurch Transaktionskosten gesenkt, Zeit zur Abstimmung gespart und letztendlich die Effizienz entlang der Wertschöpfungskette gesteigert werden kann.
Mit Hilfe einer BC können materielle und immaterielle Werte und der Handel mit diesen digital abgebildet werden. Die digitale Darstellung eines materiellen oder immateriellen Wertes wird Tokenisierung genannt. Eindeutig identifizierbare Tokens werden als Non-Fungible Tokens (NFT) bezeichnet und sind durch individuelle Merkmale, wie einen Namen oder eine Dezimalzahl, eindeutig erkennbar. Sie ermöglichen es, die Besitzerhistorie von Werten in einer BC abzuspeichern, Eigentumsübergänge manipulationssicher abzubilden und Eigentümerschaft nachzuweisen. Dadurch kann sichergestellt werden, dass tokenisierte Güter nur von berechtigten Personen verkauft werden. Gleichzeitig kann in einer BC der Handel von Ressourcen und deren Wert verfolgt werden. Dies kann Auswirkungen auf die Preisgestaltung im Handel haben und zu einem kreislauforientierten Handeln anregen.
In der Literatur wird der BC das Potenzial des offenen Informationszugangs und -austauschs im SCM zugeschrieben. Unternehmen können die BC-Technologie nutzen, um den Informationsfluss entlang der Wertschöpfungskette zu digitalisieren, indem sämtliche produkt- und unternehmensbezogenen Daten, wie die Materialzusammensetzung von Produkten, in einer BC gespeichert werden. Diese Daten sind dann fälschungssicher abgelegt, für die berechtigten Knoten im BC-Netzwerk einsehbar und können nicht verloren gehen. Zudem werden Änderungen der Daten transparent in einem neuen Block abgespeichert. Das Anwendungspotenzial der Herkunftsnachweise ist vorrangig für Unternehmen interessant, deren Produkte während der Wertschöpfung das Risiko aufweisen, gegen soziale oder ökologische Standards zu verstoßen.
Unternehmen können die Herkunftsnachweise mittels der BC-Technologie somit als Verkaufsargument nutzen. Auch in Bezug auf das 2023 verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das deutsche Unternehmen zu mehr Sorgfalt entlang der gesamten Wertschöpfungskette verpflichtet, weisen die Herkunftsnachweise mittels einer BC Potenzial auf.
Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wurde bereits eine weitere Nutzungsmöglichkeit der BC-Technologie im SCM angedeutet: das Compliance Tracking und Zertifikatsmanagement. In Wertschöpfungsnetzwerken verbleiben produktbezogene Dokumente, wie technische Daten, aber auch qualitätsbezogene Informationen, wie Prüfberichte, häufig beim Herstellerunternehmen. Werden diese Informationen in einem späteren Wertschöpfungsschritt, beispielsweise als Nachweis für Sicherheitsanforderungen, benötigt, müssen diese manuell beschafft werden. Speichern sämtliche Unternehmen einer Wertschöpfungskette die compliance- und qualitätsrelevanten Informationen in einer BC ab und stellen diese allen beteiligten Unternehmen zur Verfügung, kann der manuelle Aufwand reduziert und die Effizienz entlang der Lieferkette gesteigert werden. Zusätzlich kann jedes Unternehmen mittels der BC nachweisen, dass vertragliche und rechtliche Regelungen eingehalten werden.
Zusätzlich kann die BC-Technologie genutzt werden, um die Transparenz entlang der Wertschöpfungskette zu erhöhen. Wenn alle Transaktionen entlang der Lieferkette von der Rohstoffgewinnung bis zum Absatz an den Endkunden in einer BC gespeichert werden, haben sämtliche beteiligten Unternehmen Informationen über den Standort des Produktes und wissen, in welchem Wertschöpfungsschritt sich das Produkt befindet und welche Schritte noch durchlaufen werden müssen. Mit Hilfe von Sensoren kann zusätzliche Transparenz über kritische Umweltbedingungen geschaffen werden. Die Sensoren können Umweltbedingungen, die Auswirkungen auf die Qualität oder Funktionalität des Produktes haben, erfassen und in einer BC abspeichern. Mögliche kritische Umweltbedingungen sind z. B. die Temperatur, mechanische Kräfte, die auf das Produkt einwirken, oder die Luftfeuchtigkeit. Prospektiv wird die Vorhersehbarkeit des Materialflusses verbessert. So kann die Ankunft von Lieferungen geplant und auf auftretende Verzögerungen in der vorgelagerten Lieferkette frühzeitig reagiert werden, indem beispielsweise von Schiff- auf Lufttransport umgestellt wird. Retrospektiv kann die Transparenz, die durch eine BC geschaffen werden kann, zur Rückverfolgung von Produkten, z. B. bei Produktrückrufen, genutzt werden.
Dies führt zu einem weiteren Anwendungspotenzial der BC-Technologie in der Kreislaufwirtschaft. Die Kreislaufwirtschaft zielt darauf ab, Produkte möglichst lange zu nutzen und, sollte dies nicht mehr möglich sein, die Produkte in ihre Rohstoffe zu zerlegen und zu recyceln. Unternehmen können notwendige Informationen über die Materialzusammensetzung und Recyclingvorgaben in einer BC speichern und allen Unternehmen der Wertschöpfungskette zur Verfügung stellen. So kann dazu beigetragen werden, dass Produkte bestmöglich recycelt und in den Kreislauf zurückgegeben werden können. Durch kryptografische Verschlüsselung können Unternehmen Informationen mittels einer BC sicher, das heißt ohne Zugriff Unbefugter, miteinander austauschen.
Die BC-Technologie bietet sich folglich an, von Unternehmen zum Austausch geheimer Informationen genutzt zu werden. Sie dient dann als Datenmarktplatz und kann z. B. für den Austausch von Konstruktionsdateien für die additive Fertigung genutzt werden.
Schließlich entsteht auch ein Anwendungspotenzial für Unternehmen in Branchen, in denen Produkte gefälscht werden. Beispielhaft sind hier die Textil- und Pharmabranche sowie das industrielle Ersatzteilgeschäft anzuführen. Durch Fälschungen kommt es zu finanziellem Schaden und bei manchen Produkten zu einer Gesundheitsgefährdung für den Produktverwender. Neben der Fälschungserkennung kann eine BC ebenfalls zur Betrugserkennung eingesetzt werden.

4 Kompetenzrahmen zum Blockchain-gestützten Supply Chain-Management

Um die skizzierten Anwendungspotenziale im SCM zu realisieren, ist die Adoption der BC-Technologie durch die relevanten Akteure der Supply Chain notwendig. Eine wesentliche Adoptionsbarriere besteht dabei in kompetenzbezogenen Defiziten der betrieblichen Handlungsträger (Treiblmaier et al. 2021), sodass die Fragestellung nach den zentralen Kompetenzfeldern im Umfeld von BC-Technologien entsteht. Zwar existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Qualifikationsrahmen bezüglich digitaler Kompetenzen, jedoch sind dediziert BC-bezogene Kompetenzen in diesen nicht identifizierbar. Für das betriebliche Personalmanagement und die Organisationsentwicklung entsteht damit die Problematik, dass keine geeignete Informationsgrundlage existiert, um geschäftsnotwendige Kompetenzen im Kontext des BC-SCM zu identifizieren. Um dieses informatorische Defizit abzubauen, wird im Folgenden ein Kompetenzrahmen für das BC-gestützte SCM entwickelt, der sowohl betriebswirtschaftliche als auch informationstechnische Kompetenzen beinhaltet.
Während etablierte Kompetenzrahmen durch Expertenbefragungen in ausgewählten Institutionen oder durch Analyse ausgewählter Stellenanzeigen gestaltet werden, wird aufgrund der Spezifität und des Reifegrads des Gegenstandsbereichs hier ein Ansatz gewählt, der auf der Analyse von wissenschaftlichen und praxisorientierten Publikationen zum BC-SCM basiert. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass eine tragfähige, empirische Basis erschlossen wird und institutionelle Verzerrungen vermieden werden. Die Vorgehensweise zur Konstruktion des BC-SCM-Kompetenzrahmens ist kurz zu erörtern:
  • Zur Datengewinnung wurden Publikationen identifiziert, die sich dediziert mit der Thematik BC und SCM auseinandersetzen. Zu diesem Zweck wurde der EBSCO Discovery Service (EDS) eingesetzt, der nicht nur wissenschaftliche Publikationen, sondern auch praxisorientierte Beiträge im Umfeld der Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik indiziert. Die Abfrage TI ((supply chain) OR (logistic) OR (supply network)) AND TI (blockchain OR DLT OR (distributed ledger) OR (smart contract)) in der EDS-basierten Literaturdatenbank der Hochschule Osnabrück (scinos) liefert per 04.08.2023 ein Set von 13.577 Fundstellen.
  • Diese Fundstellen wurden exportiert. Aus diesem Datenbestand konnten 8192 vollständige Fundstellen extrahiert werden. Dabei wurden nur solche Fundstellen übernommen, die sowohl über einen gültigen Titel und einen Abstract zur weiteren Inhaltsanalyse verfügen. Der resultierende Datensatz wurde anschließend in das Textanalysesystem IBM Watson Explorer (IBM WEX) importiert, das Endanwender bei der explorativen Analyse von Fachtexten mit unterschiedlichen Methoden interaktiv unterstützt. Nach Duplikaterkennung stand im Analysesystem ein Dokumentkorpus mit 6010 Texten mit den Attributen Titel, Abstract, Publikationsdatum und Autorennamen zur Verfügung.
  • Zur Konstruktion des Kompetenzrahmens wurden die Abstracts der Publikationen per Frequenzanalyse auf solche Konzepte untersucht, die häufig auftreten und das Handlungsfeld des SCM aus inhaltlicher Perspektive prägen. Auf der sprachlichen Ebene handelt es sich bei Konzepten um Fachausdrücke als Elemente von Fachterminologien, die durch Substantive bzw. komplexere Substantivkonstruktionen (z. B. Substantivfolgen oder Adjektiv-Substantiv-Kombinationen wie etwa Smart Contract Logistics Service Provider) gebildet werden. Mithilfe textanalytischer Methoden kann die explorative Identifikation sprachlicher Strukturen unterstützt werden (Bensberg et al. 2018).
Die skizzierte Vorgehensweise zur Analyse des erzeugten Dokumentenkorpus liefert den in Abb. 3 dargestellten BC-SCM-Kompetenzrahmen, der sowohl betriebswirtschaftliche als auch informationstechnisch geprägte Kompetenzelemente umfasst (Geschäfts- und Technologiedomäne) und dessen Elemente im Folgenden zu erörtern sind.
Das erste Kompetenzfeld wird durch das Geschäftsmodell bzw. Strategie des BC-SCM gebildet, womit generell die strategische Steuerung der Investitionen in BC-Lösungen zur Steigerung des Unternehmenserfolgs thematisiert wird. Auf der Managementebene ist hierfür ein Geschäftsmodelldesign zu formulieren, das unterschiedliche strategische Stossrichtungen besitzen kann. Idealtypisch sind hierbei effizienz- und innovationsorientierte Geschäftsmodelldesigns zu differenzieren (Zott und Amit 2007). Während effizienzorientierte Geschäftsmodelle Gestaltungsmaßnahmen zur Transaktionskostensenkung fokussieren, umfassen innovationsorientierte Geschäftsmodelle neue Techniken zur Organisation des wirtschaftlichen Austauschs zwischen verschiedenen Teilnehmern. Dies kann mithilfe der BC-Technologie beispielsweise durch Integration bislang unverbundener Akteure, durch die Verknüpfung von Transaktionsteilnehmern mittels neuer Schnittstellen oder durch die Gestaltung neuer Transaktionsmechanismen (z. B. zur Zahlungsabwicklung) erfolgen. Im Rahmen des Geschäftsmodelldesigns sind außerdem Fixierungen des langfristigen Verhaltens in Bezug auf die BC-Lösung vorzunehmen. Hierzu gehören insbesondere die Strategien zur Organisation des Informationsaustauschs (Information Sharing) und der Kostenallokation (Cost Sharing) zwischen den Teilnehmern der BC-Lösung. Zur Handhabung dieser strategischen Handlungsfelder müssen Akteure neben Markt- und Branchenwissen über Kompetenzen zur Wirtschaftlichkeitsanalyse komplexer, unternehmensübergreifender IT-Lösungen verfügen und in der Lage sein, heterogene, großvolumige Datenbestände der Lieferkette zu analysieren (Big Data Analytics). Schließlich ist ebenfalls für die Ausrichtung des Geschäftsmodells an der übergeordneten Unternehmensstrategie (Strategic Alignment) zu sorgen, wobei ggf. auch nachhaltigkeitsbezogene Kriterien zu berücksichtigen sind. Die Konkretisierung eines Geschäftsmodelldesigns für das BC-SCM erfordert außerdem die fachkonzeptionelle Modellierung der dazugehörigen Geschäftsprozesse.
Das Kompetenzfeld Prozesse thematisiert die Verbesserung der logistischen Prozesse, um Potenziale bezüglich der Transparenz, Rückverfolgbarkeit und des Vertrauens der Prozesspartner zu heben. Zu diesem Zweck sind zunächst Kompetenzen zur qualitativen und quantitativen Analyse der Kernprozesse über die gesamte Lieferkette – d. h. vom Sourcing bis hin zum Endkunden sowie der Rücknahmelogistik – notwendig. Darauf aufbauend erschließen sich Handlungsfelder zum interorganisationalen Redesign der Logistikprozesse unter Rückgriff auf BC-basierte Technologien wie etwa Smart Contracts. Dieser Bereich umfasst nicht nur die Modifikation der Ablauforganisation der Logistikprozesse mithilfe etablierter Techniken des Geschäftsprozessmanagements, sondern beinhaltet auch die Veränderung des konkreten Scheduling von Logistikprozessen auf Grundlage BC-basierter Informationsflüsse. Solche neuen Informationsflüsse können auch dazu beitragen, dass die dispositiven Prozesse zur Beschaffung, Lagerung und Auslieferung von Gütern durch Einsatz von maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz optimiert werden. Abgerundet wird das Kompetenzfeld Prozesse durch das Tätigkeitsgebiet der Prozessautomatisierung, das die Substitution menschlicher Arbeit durch maschinelle Arbeit intendiert. Im Kontext des BC-SCM wird insbesondere die Automatisierung der Zahlungsabwicklungs- und Rückverfolgbarkeitsprozesse (Traceability) mithilfe geeigneter Technologien thematisiert, wobei das Internet der Dinge (IoT, Internet of Things) und die Industrie 4.0 von großer Bedeutung sind.
Zur Prozessimplementierung im Umfeld des BC-SCM werden Anwendungen benötigt, die den Zugriff auf die BC ermöglichen (z. B. zur Überwachung des Lieferstatus) und die Abwicklung von Transaktionen unterstützen oder automatisieren. Solche Anwendungen können als dedizierte Webanwendungen, mobile Apps oder durch die Integration entsprechender Services (Blockchain as a Service, BaaS) in bestehende Anwendungssysteme bereitgestellt werden. Zur Eigenentwicklung entsprechender Anwendungen sind insbesondere Kompetenzen bezüglich der verbreiteten Entwicklungsplattformen notwendig, zu denen im Logistiksektor insbesondere Hyperledger zählt. Dabei handelt es sich um ein Open Source-Projekt, das diverse Frameworks und Werkzeuge für die Implementierung von BC-Anwendungen bereitstellt. Zur Nutzung der Hyperledger-Plattform sind neben grundlegenden Software Engineering-Kompetenzen, die in den etablierten Qualifikationsrahmen dokumentiert sind, spezifische Kompetenzen zur Gestaltung dezentralisierter Anwendungen (DApp) notwendig, wie etwa die Fähigkeiten zur Simulation des Laufzeitverhaltens.
Im Mittelpunkt des Kompetenzfelds Daten stehen Fähigkeiten zur sicheren, korrekten und effizienten Verwaltung von Logistikdaten zur verteilten Unterstützung multilateraler Transaktionsprozesse. Hierzu zählen neben dem Entwurf fachlicher Datenmodelle und der Gestaltung der Datenarchitektur Kenntnisse darüber, wie Daten in der BC gespeichert und abgerufen werden können. Da Daten aus bestehenden Anwendungssystemen oder anderen Quellen in die BC übertragen werden müssen, sind ebenfalls Kompetenzen zur Datenmigration bzw. -konvertierung von Bedeutung. Im Logistiksektor kommt dabei der Integration von heterogenen, echtzeitorientierten Datenquellen – z. B. in Form von IoT-Geräten – hohe Bedeutung zu. Hierbei sind nahezu regelmäßig auch Kompetenzen zur Verarbeitung entsprechender Datenströme (Stream Processing) mithilfe geeigneter Integrationsplattformen (z. B. Apache Kafka) von Interesse.
Das Kompetenzfeld Netzwerk & Sicherheit thematisiert den Betrieb und die Überwachung der BC-Infrastruktur. Hierzu sind zunächst Fähigkeiten zur Gestaltung der Netzwerkarchitektur der BC-Lösung erforderlich, die anschließend durch Konfiguration der Knoten und deren Betrieb operativ umgesetzt wird. Im Zuge des Identitätsmanagements ist für die Verwaltung und Authentifizierung der Identitäten der SCM-Teilnehmer bzw. Nutzer innerhalb eines BC-Netzwerks zu sorgen. Darüber hinaus sind Fähigkeiten zur Umsetzung von Konzepten zur Netzwerksicherheit von Bedeutung, um die BC-Lösung vor Angriffen und unberechtigten Manipulationsversuchen zu schützen. Zu den etablierten Sicherheitskonzepten sind beispielsweise Firewalls und Verschlüsselungsverfahren zu zählen. Dies erfordert ebenfalls eine kontinuierliche Überwachung des BC-Netzwerks, damit Ausfälle und Anomalien erkannt und behoben werden können (Netzwerk-Monitoring).
Da die skizzierten Kompetenzfelder zur erfolgreichen Umsetzung von BC-SCM-Lösungen von Bedeutung sind, stellt sich die Frage nach zentralen Kompetenzlücken in der betrieblichen Praxis und potenziellen Handlungsoptionen, um diese zu schließen.

5 Kompetenzlücken und Handlungsempfehlungen für die Praxis

Wo vermutet die Praxis die größten Potenziale bzw. den größten praktischen Nutzen von BC-SCM und welche Maßnahmen sind im Personalmanagement erforderlich, um diese Potenziale zu heben? Zur besseren Einordnung der Potenziale sowie zur Konkretisierung von Kompetenzlücken in der betrieblichen Praxis wurden zehn semi-strukturierte Experteninterviews in drei Industrieunternehmen (Jahresumsatz je > 1 Mrd. €) aus Norddeutschland durchgeführt. Sämtliche Experten zeichneten sich durch Kenntnisse in der Schnittmenge zwischen SCM und IT sowie langjährige Berufserfahrung aus. Zur besseren Vergleichbarkeit wurde für die ersten beiden Fragen eine 5‑Punkte-Skala genutzt. Während die Vorkenntnisse der Experten zum Thema BC im SCM als gering bis sehr gering einzustufen sind, ergab das Interesse am Thema ein breit verteiltes Bild. Die dritte Frage zielte auf die Einsatzmöglichkeiten ab. Obgleich die Experten zwar oft von Potenzialen sprachen, konnten sie nur wenige konkret benennen.
In der zweiten Phase der Expertenbefragung wurden die 13 identifizierten Anwendungspotenziale vorgestellt und es wurde nach einer Priorisierung gefragt (Top 3). Neun von zehn Experten sehen die Transparenz entlang der Lieferkette als das vielversprechendste Anwendungspotential. An zweiter Stelle und dritter Stelle folgen mit deutlichem Abstand die Prozesskoordination und Smart Contracts. Während die in Kap. 3 zitierte Literatur den Reifegrad bei Smart Contracts als fortgeschritten beschreibt, steht die Unternehmenspraxis bei den beiden erstgenannten, vermuteten Potenzialen noch am Anfang. Entsprechend sind hier in der betrieblichen Praxis die größten Kompetenzlücken vorzufinden.
In der dritten Phase der Expertenbefragung wurden die Voraussetzungen und Empfehlungen im Hinblick auf das wichtigste Anwendungspotenzial – der Transparenz entlang der Lieferkette – diskutiert. Selektierte Zitate der einzelnen Experten lauten wie folgt:
  • „Experten müssen Entscheidern Mehrwert der Blockchain vermitteln, z. B. mit Leuchtturm-Projekt“,
  • „Wirtschaftlichkeit muss erwiesen sein“,
  • „Monetäre Einsparung via Use Case nachweisen“,
  • „Klares Bekenntnis seitens des Top Management zur Technologie“,
  • „Unbedingt Knowhow und IT-Strukturen schaffen“,
  • „Stärkeres Involvieren der Lieferanten“,
  • „Höhere Bereitschaft, Daten zu teilen“, und
  • „Prüfen, ob Blockchain Systeme ersetzt.“
Diese Stellungnahmen der Experten deuten darauf hin, dass ein wesentlicher Engpaß im Nachweis der Wirtschaftlichkeit von BC-Lösungen im SCM gesehen wird. In Hinblick auf den in Abschn. 4 eingeführten Kompetenzrahmen zum BC-SCM (Abb. 3) wird damit die Fragestellung nach dem Geschäftsmodell und der strategischen Positionierung aufgeworfen, wobei auch die anreizorientierte Einbindung der externen Lieferanten unter Berücksichtigung der Informations- und Kostenverteilung (Information/Cost-Sharing) relevant ist. Darüber hinaus wird aber auch die Notwendigkeit erkannt, interne Fähigkeiten bezüglich der notwendigen IT-Strukturen aufzubauen, womit insbesondere die Technologiedomäne des Kompetenzrahmens adressiert wird.
Zum Abbau dieser Kompetenzlücken sind adäquate Maßnahmen des Personalmanagements erforderlich, dessen zentrales Aufgabenfeld darin besteht, geschäftsnotwendige Kompetenzen zu identifizieren, zu analysieren und durch den Einsatz personalwirtschaftlicher Instrumente wie etwa der Personalbeschaffung oder der Personalentwicklung bereitzustellen (Chen 2016). Folgende Handlungsempfehlungen für die Praxis sind in diesem Aufgabenfeld zu identifizieren:
  • Um eine adäquate Planungsgrundlage für das Kompetenzmanagement im Kontext des BC-SCM zu gewinnen, sind die situativ benötigten Kompetenzen aus dem vorgestellten Kompetenzrahmen (s. Abb. 3) zu identifizieren und weiter zu detaillieren. Zu diesem Zweck sind etwa die Ausprägungsgrade der Kompetenzen (Proficiency Level, z. B. abgestuft in grundlegend, fortgeschritten, Experte) zu fixieren und konkrete Stellenprofile (Job-Profile) zu entwickeln, die als Soll-Profile für die Personalbeschaffung oder betriebliche Weiterbildung dienen können. Im Rahmen dieser Stellenprofile sind neben den fachlichen Kompetenzen (z. B. in Bezug auf theoretische Konzepte, Programmiersprachen und konkrete Softwareprodukte) auch die überfachlichen Kompetenzen zu berücksichtigen. So ist der Gegenstandsbereich des BC-SCM im Extremfall dadurch gekennzeichnet, dass global verteilte Akteure aus unterschiedlichen fachlichen Domänen in interdisziplinären Projekten kollaborieren müssen, damit eine tragfähige Anwendungsplattform entsteht. In einem solchen Umfeld sind insbesondere auch soziale und kommunikative Kompetenzen bei der Personalbedarfsplanung von Bedeutung. Die Gestaltung dieser Planungsgrundlage sollte sich dabei an der strategischen Positionierung des Unternehmens ausrichten, sodass eine Abstimmung der Planung im Kontext der Unternehmens‑, IT- und Personalstrategie erfolgen kann.
  • Die sich an die Personalbedarfsplanung anschließende Personalbeschaffung steht angesichts des voranschreitenden demographischen Wandels und des hiermit einhergehenden Fachkräftemangels vor großen Herausforderungen. So ist eine verschärfende Problematik darin zu sehen, dass die BC-Technologie noch nicht in nennenswertem Umfang in die bestehenden Curricula der Hochschulen integriert worden ist (Feng et al. 2022), sodass die Absolventen informationstechnischer Studiengänge häufig keine bestehenden Fachkompetenzen zur Entwicklung von BC-Anwendungen aufweisen. Gleichermaßen ist auch davon auszugehen, dass Studierende betriebswirtschaftlicher Studiengänge Wissensdefizite bezüglich der Funktionsweise und der resultierenden Potenziale von Blockchains in Unternehmensprozessen besitzen. Zur Deckung des Kompetenzbedarfs hat das Personalmanagement daher den Fokus auf die Beschaffung von Fachkräften mit einschlägiger Berufserfahrung bzw. die Weiterbildung des Personalbestands zu legen, was allerdings dadurch erschwert wird, dass bislang noch kein generell akzeptiertes Zertifizierungsprogramm für BC-Kompetenzen existiert. Der in diesem Beitrag entwickelte Kompetenzrahmen kann indes als Diskussionsbeitrag zur weiteren Entwicklung der Kompetenzdomäne des BC-SCM gesehen werden. Bei der Attrahierung von BC-Experten am externen Arbeitsmarkt ist weiterhin zu berücksichtigen, dass – aufgrund der starken Verbreitung von BC-Technologien im Finanzsektor – Hintergrundwissen über Logistikprozesse in der BC-Entwicklergemeinde eher gering ausgeprägt sein dürfte, sodass der Incentivierung potenzieller Arbeitskräfte hohe Bedeutung zukommt.
  • Darüber hinaus ist aus Perspektive der Aufbauorganisation zu klären, durch welche Unternehmenseinheiten die Entwicklungs- und des Betriebsprozesse von BC-SCM-Lösungen durchgeführt werden. Eine singuläre Verankerung im IT-Bereich der Unternehmung erscheint zunächst naheliegend, kann jedoch zu einer einseitig technischen Fokussierung führen. Wie der entwickelte Kompetenzrahmen verdeutlicht, ist zur Realisierung der Anwendungspotenziale von BC-SCM ebenso die Geschäftsdomäne zu berücksichtigen (s. Abb. 3), sodass ggf. neue aufbauorganisatorische Einheiten notwendig werden, in denen fachliche und technische Aufgabenfelder integriert werden. Konstruktive Ansatzpunkte zur aufbauorganisatorischen Verankerung transformativer Informationstechnologien werden beispielsweise im IoT-Kontext diskutiert (Porter und Heppelmann 2015).
Die skizzierten Handlungsempfehlungen werden nun um eine Schlussbetrachtung ergänzt, die Restriktionen und Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschungsarbeiten aufzeigt.

6 Fazit

Mit diesem Beitrag konnten zunächst die Anwendungspotenziale von Blockchain-Technologien in der Domäne des Supply Chain-Management erfasst werden. Die qualitative Literaturanalyse hat dabei gezeigt, dass mit dem Einsatz von Blockchains unterschiedliche Nutzeffekte im Kontext von Logistikprozessen verknüpft sind, die von grundsätzlichen Verbesserungspotenzialen bezüglich der Transparenz und der Koordination bis hin zur Einhaltung aktueller rechtlicher Regularien (z. B. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) reichen. Dabei ist hervorzuheben, dass hiermit lediglich der aktuelle Erkenntnisstand reflektiert wird. Aufgrund der hohen Technologie- und Umweltdynamik ist damit zu rechnen, dass sich künftig weitere Anwendungspotenziale für das BC-SCM entwickeln werden. Darüber hinaus hat dieser Beitrag auch die Kompetenzen identifiziert, die zur Umsetzung der Anwendungspotenziale notwendig sind. Mithilfe einer quantitativen Literaturanalyse wurde ein großvolumiger Dokumentkorpus untersucht und ein BC-SCM-Kompetenzrahmen abgeleitet. Der hierbei gewählte frequenzanalytische Ansatz ist methodisch einfach und berücksichtigt ausschließlich die Abstracts der Publikationen. Um die Validität des generierten Kompetenzrahmens zu steigern, bietet sich im Rahmen weiterführender Forschungsarbeiten eine Überprüfung per Expertenbefragung an, um z. B. fehlende Kompetenzfelder zu identifizieren oder Verfeinerungen zur Konstruktion ausdifferenzierter Kompetenzhierarchien vorzunehmen. Als weitere Maßnahmen zur Qualitätssicherung erscheinen auch die Analyse von Volltexten und/oder die Nutzung komplexerer Analysemethoden als geeignet, mit denen semantisch ähnliche Fachbegriffe identifiziert werden können (z. B. Word Embeddings bzw. Large Language Models, LLM). Schließlich konnten im Rahmen des Beitrags mithilfe einer Expertenbefragung relevante Kompetenzlücken und generische Handlungsempfehlungen für die Praxis im Kontext des Personalmanagements generiert werden. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die aktuelle Unternehmenspraxis insbesondere in der Wirtschaftlichkeitsbewertung von BC-SCM-Lösungen einen Engpass sieht.
Dieser Befund ist als Motivation zur Gestaltung praxistauglicher Bewertungsmethoden zur Entscheidungsunterstützung des SCM aufzufassen, um strategische Fehlentscheidungen – die im Kontext überambitionierter Digitalisierungsinitiativen typischerweise mit hohen Investitionskosten und niedrigen Erträgen einhergehen – zu vermeiden.
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Metadaten
Titel
Blockchain-Technologie im Supply Chain Management – Anwendungspotenziale und Kompetenzlücken
verfasst von
Andreas Jede
Frank Bensberg
Tabea Klein
Publikationsdatum
08.01.2024
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik / Ausgabe 1/2024
Print ISSN: 1436-3011
Elektronische ISSN: 2198-2775
DOI
https://doi.org/10.1365/s40702-023-01029-0

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