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03.01.2024 | Elektromotor | Kompakt erklärt | Online-Artikel

Ist der Radnabenmotor zurück?

verfasst von: Christiane Köllner

5 Min. Lesedauer

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Elektrische Radnabenmotoren sind komplex und teuer. Mit ihnen lassen sich aber auch völlig neue Fahrzeugarchitekturen mit hoher Raumeffizienz verwirklichen. Eignet sich der Radnabenantrieb daher für künftige Elektroautos? 

Der Radnabenmotor wird derzeit neu erfunden. Doch neu ist der Radnabenantrieb nicht. Die Idee eines im Rad integrierten Elektromotors (seltener Verbrennungsmotoren) gibt es schon länger. Bereits auf der Weltausstellung von Paris, im Jahr 1900, stellte Ferdinand Porsche zusammen mit Ludwig Lohner sein patentiertes Automobil mit vier elektrischen Radnabenmotoren vor, wie Springer-Autor Cornel Stan im Kapitel Die drei Revolutionen des Elektroautomobils des Buchs Automobile der Zukunft schreibt. "Die kollaterale Sensation war, dass mit einem Elektromotor pro Rad auch das weltweit erste Auto mit Allradantrieb entstand!", so Stan. Allerdings überlebte es nicht den Fall der ersten elektrischen Revolution. Heute ist der Radnabenmotor aus dem Großserien-Pkw verschwunden, bei elektrischen Einspurfahrzeugen findet man ihn jedoch noch. 

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01.04.2023 | Titelthema

Kompakter Radnabenmotor für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge

Protean Electric hat ein Radantriebssystem entwickelt, das Motor, Leistungselektronik, digitale Steuerung und Bremsen in einem kompakten Gehäuse integriert. Protean Drive bietet den Herstellern ein höheres Maß an Gestaltungsfreiheit und kann sogar zur Umrüstung bestehender Fahrzeuge auf Hybrid- oder vollelektrischen Antrieb verwendet werden.

Mehr Flexibilität

Dabei hat der Radnabenantrieb einige Vorteile. Die Flexibilität des Antriebs wird grundsätzlich durch Radnabenmotoren erhöht. "Bei einem Radnabenantrieb ist die Antriebseinheit mitsamt Elektromotor (Stator und Rotor), Leistungselektronik und mechanischer Bremse ganz oder teilweise um das Radlager herum innerhalb der Felge untergebracht. Das Drehmoment wird direkt oder über ein Getriebe an das jeweilige Rad übertragen", so Springer-Autor Sebastian Wielgos im Kapitel Radnabenantriebe des Buchs Elektrifizierung des Antriebsstrangs

Dadurch ergibt sich zum einen die Möglichkeit einer separaten Drehzahl- und Drehrichtungsregelung, bei der jedes Rad so viel Drehmoment erhält, wie für die entsprechende Fahrsituation erforderlich ist. Zum anderen fallen die Gelenkwellen weg. Beide Aspekte weiten die möglichen erreichbaren Lenkwinkel entscheidend aus. Des Weiteren werden mechanische Übertragungsverluste reduziert, je näher der Motor am Rad sitzt. Die Motoren leiten ihr Drehmoment mit minimalen Verlusten an die Räder weiter. Daraus folgt ein höherer Wirkungsgrad des Antriebs und ein deutlich direkteres Ansprechverhalten. Wie Springer-Autor Ferit Küçükay im Kapitel Achsgetriebe, Sperren und Allradantriebe (Seite 574) des Buchs Grundlagen der Fahrzeugtechnik schreibt, erfüllen elektrische Antriebsachsen, die auf den Konzepten des radnahen oder Radnabenantriebs basieren, die Voraussetzungen für das Torque Vectoring optimal.

Nicht alle sind überzeugt

Springer-Autor Stan fasst die Vorteile folgendermaßen zusammen: "Die Integration der Funktionen Antrieb, Bremse, Dämpfung und Lenkung mittels biegsamer elektrischer Leitungen ins Rad eines Automobils verschafft diesem nicht nur Autonomie bei der Steuerung des Antriebs, sondern auch Autonomie und Freiheit bei der Lenkbewegung. Ein derart konstruiertes Rad kann sich nicht nur um seine eigene Achse, zum Antreiben und Bremsen drehen, sondern auch um die vertikale Achse des Radträgers, in einem sehr breiten Winkel", so der Autor im Kapitel Der kontaktfreudige Vierrad-Elektrotänzer des Buchs Automobile der Zukunft

Trotz solcher Freiheiten, die ein Radnabenmotor biete, seien aber nicht alle Autobauer und Systemlieferanten davon überzeugt, erklärt Stan. Der Nachteil dieser Lösung sei die hängende Masse unter Feder und Dämpfer. Das hat nicht nur eine verstärkte Mechanik für die Achsaufhängung zur Folge, sondern auch sehr großen Einfluss auf den Federungskomfort insbesondere bei höheren Geschwindigkeiten. Feuchtigkeit, Dreck, hohe Temperaturen und Erschütterungen in der Nabe wären auch von Nachteil. Auch ist bei Radnabenantrieben die Kühlung der Antriebskomponenten eine Herausforderung. Zudem bleibt der Radnabenantrieb weiterhin eine teure Lösung. Beispielsweise wird für jeden Motor eine eigene Leistungselektronik zur Stromversorgung und Regelung benötigt.

Interessante Raumkonzepte

Dafür können durch Radnabenmotoren künftige E-Fahrzeuge räumlich neu gestaltet werden. Der ursprünglich für eine zentrale Motoreinheit reservierte Raum kann nun für andere Zwecke, wie Batterie oder Gepäck, genutzt werden. Hierzu hatte Schaeffler bereits 2010 die Entscheidungswege und Auswahlkriterien aufgezeigt, die bei der Eigenentwicklung eines elektrischen Radnabenmotors namens eWheelDrive in Betracht gezogen wurden. 

Auch Springer-Autor Sebastian Wielgos betont im Kapitel Radnabenantriebe, dass diese ein hohes Potenzial böten, "völlig neue Fahrzeugarchitekturen mit hoher Raumeffizienz zu verwirklichen". Dabei eigneten sich Radnabenantriebe nicht nur zum Antrieb klassischer Pkw, sondern auch für kleine, sehr wendige Stadtfahrzeuge wie sogenannte People Mover oder Robotaxis. Für Dr. Jochen Schröder, Leiter des Unternehmensbereichs E-Mobilität bei Schaeffler, ist die Radnabentechnik für Sonderanwendungen eine interessante Option, wie er im Interview "Die Zukunft gehört der E-Mobilität" aus der ATZ 5-2022. Ein Beispiel sei hier Schaefflers Rolling Chassis, eine flexible, skalierbare Plattform für neue, fahrerlose Mobilitätslösungen für den Personen- oder Gütertransport. Auch Protean Electric setzt auf ein radintegriertes Antriebssystem, Protean Drive, das ein hohes Maß an Designfreiheit für BEVs und Hybridfahrzeuge bieten soll, wie der Radnabenmotoren-Spezialist im Artikel Kompakter Radnabenmotor für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge aus der MTZ 4-2023 erläutert. Der Radnabenantrieb vereint den Motor, die Leistungselektronik sowie die digitale Steuerung und Reibungsbremsen in einem kompakten Gehäuse. 

Auf dem Weg zur Serientauglichkeit

Aktuell arbeiten Unternehmen und Projekte wieder daran, den Radnabenmotor für Elektrofahrzeuge serientauglich zu machen. So hat der japanische Zulieferer NSK, der schon seit Längerem am Radnabenmotor arbeitet, mittlerweile die dritte Generation des Wireless in-wheel-Motors (W-IWM) entwickelt, der induktiv während der Fahrt lädt. Das Münchner Start-up Deepdrive hat einen Radialfluss-Doppelrotormotor inklusive Leistungselektronik entwickelt. Die Antriebseinheit kann entweder in die Räder integriert werden oder als traditioneller Zentralantrieb dienen. DeepDrive plant, den Doppelrotor bis 2026 in Großserie auf den Markt zu bringen. Kürzlich wurde bekannt, dass das Start-up zusammen mit Continental eine Antriebs-Bremseinheit für E-Autos entwickeln, die auf dem von DeepDrive entwickelten Radialfluss-Doppelrotormotor basiert.

Und auch das EU-Projekt EVC1000 hat an neuen Radnabenmotoren geforscht. Es wurden "innovative Bauteile" entwickelt, so heißt es, die auf dem Weg zur Industrialisierung seien und voraussichtlich 2024-2025 auf den Markt kommen sollen. Hitachi und Hitachi Astemo entwickeln indes ein In-Wheel-Antriebssystem für E-Autos, das Motor, Wechselrichter und Bremse in einer Einheit vereint. Kia und Hyundai haben jüngst den neuen "Uni Wheel"-Antrieb, ein funktional integriertes Radantriebssystem, präsentiert.

Vielzahl an Einsatzbereichen

Die Beispiele zeigen: Die Mobilität von morgen erfordert eine Vielfalt an Fahrzeug- und Antriebskonzepten. Auch der Radnabenantrieb könnte sich hier seinen Platz sichern. Springer-Autor Sebastian Wielgos resümiert: "Auch wenn der Radnabenantrieb nicht für jede Anforderung die optimale Lösung ist, so wird sich ihm doch eine Vielzahl an Einsatzbereichen eröffnen – insbesondere dann, wenn eine hohe Wendigkeit gefragt ist". 

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